Eugen Richter
1838-1906







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Eugen Richter gegen die Flottenaufrüstung
 


Reichstag, 14. Dezember 1899



Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.

Richter, Abgeordneter: Wenn der Herr Minister Thielen gestern hier gewesen wäre, so würde er wahrscheinlich den Eindruck empfangen haben, daß die Ausführungen des Herrn von Kardorff mehr zur Belustigung und Erheiterung des Hauses gedient haben

(sehr richtig! links),

als sie im Hause ernsthaft genommen wurden.

(Sehr richtig! links.)

Lang’, lang’ ist’s her, daß wir den Herrn von Miquel hier nicht gesehen haben; die Wasser müssen ihm schon sehr hoch gehen, wenn er das Reichstagsufer einmal betritt.

(Sehr richtig! links.)

Vielleicht war es auch nicht bloß Herr Dr. Lieber, dessen Aeußerungen ihn hierher zitirten; er nahm die Gelegenheit wahr, durch eine demonstrative Flottenbegeisterung seine Position auch noch nach einer anderen Seite hin zu stärken.

(Sehr gut! links.)

Indessen sei dem, wie ihm sei, von Zeit zu Zeit sehn wir ihn gern; schade nur, daß er nicht etwas länger gestern geblieben ist, als Herr von Kardorff die Sprache brachte auf die verfassungswidrige Maßregelung der Landräthe im preußischen Abgeordnetenhaus. Herr von Kardorff sagte freilich, er wisse, daß Herr von Miquel persönlich nicht dabei betheiligt sei. Wenn Herr von Kardorff Muselmann wäre

(Heiterkeit),

würde er vielleicht bei sich denken: Allah weiß es besser.

(Heiterkeit.)

Wenn er sich nicht auf Allah berufen wollte, so hätte er auch sagen können: Fürst Hohenlohe weiß es besser.

(Sehr gut! links.)

Herr von Miquel meinte gestern, nach seiner langjährigen Praxis sei es nicht üblich gewesen, Reden des Monarchen hier einer Kritik zu unterziehen. Meine Herren, unter dem früheren Monarchen kam es auch nicht vor, daß derselbe in öffentlichen Reden Angelegenheiten des Reichstags besprach.

(Sehr richtig! links.)

Wenn der Monarch von seiner privilegirten Redefreiheit Gebrauch macht, zum Volke öffentlich derart zu sprechen, so ist es unsere Pflicht, von unserer Redefreiheit Gebrauch zu machen, um darauf zu erwidern.

(Sehr richtig! links.)

Wie du mir, so ich dir; wie es in den Wald hineinruft, so schallt es wieder aus dem Walde heraus.

(Sehr richtig! links.)

Und dann lag hier noch eine ganz besondere Veranlassung vor. Der Reichstag war in jener Rede ungerechtfertigten Anschuldigungen unterworfen worden; es war ihm zum Vorwurf gemacht, in den ersten acht Jahren der Regierung des gegenwärtigen Kaisers Verstärkungen der Flotte beharrlich abgelehnt und das Wohl des Ganzen Parteiinteressen untergeordnet zu haben. Gegen solche Anschuldigungen sich zu vertheidigen, dazu bedarf es nicht erst des Männerstolzes vor Königsthronen, das ist einfach Pflicht der Selbstachtung.

(Sehr gut!)

Wenn ein einfacher Privatmann solche Beschuldigungen gegen den Reichstag erhebt, so ist der Reichstag zu vornehm, um eine Genehmigung zur Verfolgung zu ertheilen; wenn aber von solcher hohen und privilegirten Stelle aus solche Vorwürfe erhoben werden, dann eben ist es Pflicht des Reichstags, dagegen zu sprechen.

(Sehr gut! links.)

Die Herren Minister und Abgeordneten, die sich gestern Mühe gaben, jene Hamburger Rede zu vertheidigen, haben gerade von demjenigen nicht gesprochen, wogegen sich die Kritik des Herrn Dr. Lieber kehrte; — nicht gegen die Aufforderung, einig zu sein, sprach Abgeordneter Dr. Lieber, sondern seine Kritik kehrte sich gegen die Betrachtungen, welche die Rede anstellt in Bezug auf die Vergangenheit, die frühere Haltung des Reichstags in den acht Jahren. In dieser Beziehung will ich noch einige Thatsachen ergänzend zu den Ausführungen des Herrn Dr. Lieber hinzufügen.

Meine Herren, was ist denn in diesen acht Jahren, Etatsjahr 1889 bis Etatsjahr 1896, endgiltig abgelehnt? Zwei Küstenpanzer! Nun, die Regierung selbst hat bald darauf Abstand genommen, überhaupt diese Küstenpanzer nochmals zu fordern, weil sie sich inzwischen überzeugt hatte, daß die ganze Siegfriedklasse den auf sie gesetzten Erwartungen nicht entsprach; im neuen Flottengesetz sind deshalb gerade diese Küstenpanzers auf den Aussterbeetat gesetzt worden, d. h., wenn ihre Dienstzeit abgelaufen, werden sie nicht wieder ersetzt werden.

(Sehr richtig!)

Die Ablehnungen in dem Reichstag haben also bewirkt, daß zwei Küstenpanzer gespart worden sind, die die Regierung selbst nicht als ihre Zwecke vollständig entsprechend erachtet. Im übrigen betreffen die Ablehnungen 4 oder 5 Korvetten, kleine Kreuzer, Avisos — die Bezeichnung hat ja fortgesetzt gewechselt für diese Schiffsklassen.

Warum aber sind diese Kreuzer zurückgestellt worden mehrere Jahre? Weil die Regierung selbst sich wechselte in der Konstruktion dieser Schiffe, weil sie selbst in ihren Ansichten unter dem Wechsel unterlag, und weil sie im Laufe der Jahre ganz verschiedene Dinge als Zwecke für diese Schiffe bezeichnete. In jener Denkschrift von 1889 werden diese Schiffe als Kaperschiffe bezeichnet. Nun, was war natürlicher, als daß der Reichstag, der nicht über ein gewisses Maß der Bewilligung hinausgehen wollte, die Vermehrung der Kaperschiffe, als einem sekundären Zweck dienend, zurückstellte hinter anderen Bewilligungen? Späterhin sind auch diese Schiffe, wenn auch unter anderen Namen, bewilligt worden, und so ist es auch ganz ungerechtfertigt, zu behaupten, daß, wenn solche Schiffe nicht verweigert worden wären, heute man den Handel, die Seeinteressen ganz anders schützen könnte. Alle jene Schiffe und mehr Schiffe schwimmen gegenwärtig auf dem Wasser.

Meine Herren, sind jene Ablehnungen denn erfolgt, etwa weil man das Wohl des Ganzen Parteiinteressen unterordnete? Nein, im Gegentheil; die Streichungen oder Zurückstellungen fallen hauptsächlich in die Jahre 1893, 1894 und 1895; das waren jene Jahre, in denen große Steuervorlagen das Haus beschäftigten, über 100 Millionen Mark hinausgehend. Es hat uns damals sehr schwer gehalten, diese Steuervorlagen als überflüssig zurückzuweisen. Wir haben dazu den Etat nach allen Richtungen korrigiren müssen, und dazu hat allerdings auch die Marine durch Absetzungen einen bescheidenen Beitrag liefern müssen. Wir waren der Ansicht, daß, wenn durch solche neuen Steuern — ich erinnere nur an die Tabackfabrikatsteuer — große Industriezweige beeinträchtigt und gestört wurden, das für den Volkswohlstand ein viel größerer Nachtheil sein würde, als ob ein paar Kreuzer einige Jahre später bewilligt werden.

(Sehr richtig!) 

Also nicht einseitige Anschauungen, sondern gerade Unterordnung des einseitigen Marineinteresses unter das Wohl des Ganzen hat uns dazu bestimmt.

(Sehr richtig!)

Meine Herren, wie viel aber ist andererseits bewilligt worden? Herr Dr. Lieber hat dies prozentual nach Schiffen und Geld berechnet, — ich will mich auf die einfachsten Ziffern meinerseits beschränken. In den letzten acht Jahren Kaiser Wilhelms des Ersten hat in diesen Jahren zusammengenommen das Extraordinarium der Marine 107 Millionen, in den ersten acht Jahren des jetzt regierenden Monarchen hat das Extraordinarium der Marine 260 Millionen betragen. Das Extraordinarium der Marine ist also gerade in diesen acht Jahren mehr als verdoppelt worden. Und da wird gesagt, der Reichstag habe beharrlich Verstärkungen der Marine abgelehnt! Gerade in diesen acht Jahren hat sich auch das Ordinarium der Marine erhöht von 37 Millionen auf 57 Millionen, also um mehr als 50 Prozent, die präsente Stärke der Mannschaft hat sich erhöht um 40 Prozent. Wie kann man da sagen, in den ersten acht Jahren sei eine Verstärkung der Marine beharrlich abgelehnt?

Der Herr Reichskanzler hatte ja gar keine Ahnung vorher, daß eine solche Rede gehalten werden würde; der Herr Staatssekretär Tirpitz aber ist in Hamburg zugegen gewesen. Ich nehme an, daß ihm vorher diese Rede nicht mitgetheilt ist; wäre sie ihm mitgetheilt, so würde er meines Erachtens kraft seiner ressortmäßigen Kenntniß der Dinge es verhütet haben, daß mit der Wirklichkeit derart nicht übereinstimmende Behauptungen in Bezug auf die Haltung des Reichstags in jenen acht Jahren aufgestellt worden wären. Es hätte ja auch gar nichts entgegengestanden, dem Minister, der ressortmäßig verantwortlich ist, vorher diese Rede mitzutheilen; denn sie ist ja nicht nachträglich korrigirt worden durch das Zivilkabinet wie sonst wohl, sondern sie ist vorher Wort für Wort festgestellt gewesen. Es wäre ja sonst nicht möglich gewesen, daß sie entweder gleichzeitig oder, wie mir gesagt worden ist, sogar schon früher, als sie gehalten wurde, in die Druckerei des „Reichsanzeigers“ hierher gelangte.

(Hört! hört!)

Herr von Miquel hat gestern gesagt, der Monarch bedürfe keines Rathgebers, um seine Ansichten in Bezug auf die Marine zum Ausdruck zu bringen. Das Vorkommniß in Hamburg, daß mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmende Angaben gemacht worden sind in Bezug auf die Marine, beweist gerade das Gegentheil der Ansicht des Herrn von Miquel.

(Sehr richtig!)

Auch im Reichstag hier hat man ja keinerlei Versuch gemacht, diese retrospektiven Betrachtungen in der Hamburger Rede über die ersten acht Jahre der Regierungszeit zu vertheidigen. Kein Rittersmann, kein Knapp ist aufgetreten

(Heiterkeit),

um den Angriffen des Herrn Dr. Lieber gegenüber wahrzuhalten, was in diesen retrospektiven Betrachtungen angeführt ist.

Der Herr Graf Posadowsky hat gestern gemeint, man solle doch, wenn man es für nöthig halte, Reden des Monarchen hier zur Diskussion zu bringen, sich an die verfassungsmäßig dafür verantwortlichen Minister halten und diesen gegenüber die Kritik zum Ausdruck bringen. Ich bin ganz und gar mit ihm darüber einverstanden; ich bin gern bereit, dem zu genügen; aber zu diesem Zweck muß doch ein verantwortlicher Minister da sein

(sehr richtig! links),

er muß erkennbar sein. In keiner Weise äußerlich ist  aber hervorgetreten, daß irgend einer der Herren Minister bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen für die Rede, von der ich eben gesprochen habe. Der Fürst Bismarck hat einmal gesprochen von dem Auftreten des Monarchen ohne ministerielle Bekleidungsstücke. Nun, wenn die ministeriellen Bekleidungsstücke in solchem Falle nicht vorhanden sind, da können wir doch nicht, wie das Volk in dem bekannten Stück von Ludwig Fulda, erheucheln, daß wir die Bekleidung sehen da, wo sie nicht vorhanden ist.

(Sehr gut! und Heiterkeit.)

Bitter noth thut es, daß, wenn solche Reden, die nachher Minister verantworten sollen, vor der Oeffentlichkeit gehalten werden, sie vorher dem betreffenden Minister zur Kenntniß gelangen, damit er sie in Uebereinstimmung mit seinem eigenen Wissen und mit dem, was zu verantworten er bereit ist, bringen kann.

(Sehr richtig! links.)

Die ganze Art, wie dieser Flottenplan vorbereitet ist, ist so charakteristisch für dieses Regierungssystem, daß man nicht eingehend genug darüber sprechen kann; ich kann mir daher nicht versagen, weil gerade in den Einzelheiten das Charakteristische hervortritt, noch einige Striche dem Bilde hinzuzufügen, welches von anderer Seite bereits gezeichnet worden ist. Wie war es denn? Im September ging das Regierungsprogramm dahin, in dieser Session keine Streitfrage in Militär und Marineangelegenheiten vor den Reichstag zu bringen; man hatte an dem Arbeitswilligengesetz und anderen Gesetzen genug Pensum. Der Herr Reichskanzler war in guter Ruhe am 14. Oktober nach Baden-Baden gereist, in der Absicht, sich späterhin nach Schillingsfürst zu begeben. Die Rede in Hamburg schien auch zunächst nur eine theoretische Bedeutung haben zu sollen. Das dauerte etwa fünf Tage. Da kam der Herr Staatssekretär Tirpitz am 23. Oktober aus Wilhelmshaven zurück; wie man sagt, hatte er den Aufenthalt gegen die ursprüngliche Absicht abgekürzt; und nun veränderte sich das Bild. Am Montag Abend noch verkündete die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ hochoffiziös an der Spitze des Blattes, wie sie zuverlässig mittheilen könnte, werde in diesem Etatsjahr ein Flottengesetz nicht vorgelegt werden.

(Hört! hört! links.)

Binnen 24 Stunden sprang der Wind um.

(Heiterkeit links.)

Der Herr Staatssekretär Tirpitz erlangte einen Vortrag im Neuen Palais in Begleitung des Herrn Grafen Bülow, und sofort wurde urbi et orbi durch das Wolffsche Telegraphenbüreau mitgetheilt, der Herr Staatssekretär reise zu dem Reichskanzler nach Baden-Baden. Die beiden Herrn hatten mit dem Monarchen darüber eine Verständigung erzielt, daß im Gegensatz zu der Ankündigung vom Abend vorher noch in dieser Session ein Flottengesetz vorgelegt werden sollte. Herr Staatssekretär Tirpitz machte sich schon am 25. Oktober auf die Reise nach Baden-Baden, um nachträglich hierzu das Placet des Herrn Reichskanzlers einzuholen. Das ist ja auch eine Eigenthümlichkeit in unseren Zuständen: die maßgebenden Personen sind mehr auf Reisen, als dies sonst üblich war

(sehr gut! und Heiterkeit links);

und wenn ein Beschluß der Regierung erzielt werden soll, so muß ein Herr dem andern nachreisen.

(Sehr gut! links.)

Wir haben gewissermaßen eine Regierung im Umherziehen.

(Große Heiterkeit.)

Indeß, das soll ja schon bei den alten Deutschen der Fall gewesen sein.

(Große Heiterkeit.)

Meine Herren, in welch sekundäre Rolle hat sich in dieser Frage der Herr Reichskanzler zurückdrängen lassen? Wir haben kein Ministerkollegium. Der Herr Reichskanzler ist berufen, allein das einheitliche Reichsinteresse zu vertreten. Das bringt es aber doch naturgemäß mit sich, daß, wenn es sich um Initiativen in wichtigen Dingen handelt, die über ein einzelnes Ressort hinausgehen, dann die erste Verständigung erfolgen sollte zwischen dem Monarchen und dem Reichskanzler

(sehr richtig! links),

und daß dann erst in Frage kommen die übrigen Instanzen. Hier umgekehrt: hier verständigen sich zwei dem Reichskanzler untergebene Staatssekretäre mit dem Monarchen und suchen dann nachträglich sein Placet zu dieser Verständigung nach. Naturgemäß ist der Reichskanzler in diesem Falle schon gewissermaßen präjudizirt, erschwert ist es ihm, eine andere Meinung zur Geltung zu bringen. Der Herr Reichskanzler fügte sich also, er fügte sich auf den Vortrag nur des Herrn Staatssekretärs der Marine; er gab nicht bloß zu der Verständigung seine Zustimmung, sondern auch zur Veröffentlichung des beabsichtigten Flottenplanes, die am Sonnabend den 28. Oktober, drei Tage darauf, erfolgte.

Gestatten Sie mir noch eine Zwischenfrage an die Regierung zu richten: woher ist dieser Plan eigentlich gekommen?

(Sehr richtig! links.)

Ist er im Reichsmarineamt ausgearbeitet gewesen? Er ist ja so detaillirt, so zusammenhängend, schlüssig; er kann deshalb nicht aus der Pistole geschossen sein. Ist er aus dem Marinekabinet dem Reichsmarineamt zur Ausführung überwiesen worden? Die Frage ist nicht ganz überflüssig. Wir haben es ja in der Budgetkommission im Jahre 1896 gesehen. Da kam plötzlich der Herr Admiral Hollmann aus Wilhelmshaven, aus der Umgebung des Monarchen zurück gerade in die Budgetkommission und theilte uns einen Plan mit, die sogenannte Niederschrift, von der man bisher keine Ahnung gehabt hat. In der Kommission wurde widerspruchslos festgestellt, daß, bevor Herr Hollmann diesen Plan der Budgetkommission mitgetheilt hatte, weder der Reichskanzler noch der Schatzsekretär die geringste Kenntniß von diesem Plan hatten.

(Hört! hört! links.)

Unmittelbar an die Veröffentlichung des Planes am 28. Oktober in der „Norddeutschen“ schloß sich nun eine weitgehende Agitation, die von oben her geleitet wurde. Zahlreiche Artikel aus dem Reichsmarineamt in der amtlichen „Berliner Korrespondenz“ suchten diesen Plan noch weiter zu begründen, in seinen Einzelheiten durchzuführen. Der Abgeordnete Bebel meinte, dagegen habe er nichts, wenn man in dieser Weise vorher für ein Programm agitire. Der Abgeordnete Bebel übersieht dabei Zweierlei. Wenn eine Regierung in der Oeffentlichkeit auftritt, soll sie es unter ihrer Verantwortlichkeit und nicht unter offiziöser Maske thun.

(Sehr gut! links.)

Statt dessen sind uns alle diese Mittheilungen gemacht worden unter der Verantwortlichkeit eines Dr. Lauser von der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ und anderer mir unbekannter Herren, die verantwortlich sind für die „Berliner Korrespondenz“. Und dann noch ein Zweites: die Regierung ihrerseits soll wohl dann dazu übergehen, in der Oeffentlichkeit Stimmung zu machen für einen Plan, wenn derselbe innerhalb aller für die Vorbereitung von Gesetzen zuständigen Instanzen festgestellt ist.

(Sehr richtig!)

Hier war das gerade Gegentheil der Fall. Warum denn überhaupt solche Eile? Am Donnerstag giebt der Herr Reichskanzler sein Plazet, 48 Stunden darauf  wird der Plan veröffentlicht in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“. Wozu diese Eile? Das Flottengesetz konnte doch erst im Januar vorgelegt werden, und praktische Bedeutung sollte die ganze Sache überhaupt erst vom Jahre 1901 an erlangen. Ist da etwa auch die von dem Herrn Abgeordneten Bebel gekennzeichnete persönliche Inkarnation der Nervosität wirksam gewesen?

(Sehr gut! und Heiterkeit.)

Wenn das nicht der Fall, was hatte die Sache anders für einen Zweck, als durch vorschnelles Veröffentlichen zu präjudiziren der Entscheidung aller der Instanzen, die zunächst berufen waren, sich darüber schlüssig zu machen?

(Sehr richtig!)

Der Herr Abgeordnete von Kardorff hat gestern auf das Bedenkliche aufmerksam gemacht, die deutschen Fürsten, die man früher sogar brieflich lange vorher über die Absichten der Reichsregierung verständigte, zu übergehen und ihnen erst nachher von den Absichten Kenntniß zu geben. Nun soll allerdings nachher Herr Tirpitz umhergereist sein bei den Höfen, um seinen Plan klar zu stellen. Aber das geschah, nachdem aus den Zeitungen der ganze Plan schon erläutert und zu begründen versucht war. Die Geschäftsordnung, welche nach meiner Kenntniß Fürst Bismarck dem Bundesrath gegeben hat, bestimmt, daß, wenn große Gesetze vorbereitet werden sollen, vor dem Beginn ihrer Ausarbeitung das Programm des Gesetzes im Bundesrath festgestellt wird unter Zuziehung der leitenden Minister der Einzelstaaten.

(Hört! hört! links.)

Davon nimmt man hier nicht das Geringste wahr. Der Herr Reichskanzler hat neulich eine Erklärung abgegeben namens der verbündeten Regierungen. Wenn man aber näher zusieht, ist namens der verbündeten Regierungen nur die Absicht erklärt worden, den Sollbestand der Schiffe demnächst wesentlich zu vermehren. In allem Uebrigen — das hat er wörtlich gesagt —, was also die Verdoppelung der Schlachtflotte u. s. w. angeht, hat sich der Bundesrath seine Entschließung vorbehalten. Und wie konnte er auch anders? Denn ihm war bis dahin nicht mehr mitgetheilt, als was seine einzelnen Mitglieder schon vorher in den Zeitungen gelesen hatten.

Man kann nun sagen: warum wir uns so bemühen, daß der Bundesrath zu seinem Recht kommt? Nun, man hat es uns immer so dargestellt, daß der Bundesrath die eigentliche Reichsregierung sei, und wir deshalb kein verantwortliches Ministerkollegium im Reiche bekommen könnten, weil die Reichsregierung des Bundesraths dem entgegenstände. Wenn aber die Gefahr vorläge, daß der Bundesrath zu einer bloßen Registrirbehörde herabgedrückt wird des Willens von oben

(sehr gut! links),

dann sind wir um so mehr verpflichtet, die frühere Forderung wieder aufzunehmen nach verantwortlichen Ministern, nach einem Ministerkollegium. Wir verlangen, daß solche weitgreifenden Pläne hervorgehen aus ruhigen, eingehenden Berathungen und Verständigungen eines Ministerkollegiums mit dem Monarchen, und daß sie nicht inszenirt werden nach den Direktiven von bloßen Trinksprüchen und Festreden.

(Sehr richtig! links.)

Das ist es, was uns „bitter noth thut“ in Deutschland

(sehr richtig! und Heiterkeit),

weit mehr als einige neue Schlachtschiffe. Wir wollen eben keine Kabinetsregierung, weil wir in Preußen aus der Geschichte wissen, wie viel Unheil schon dadurch gestiftet ist.

(Sehr richtig!)

Selbst ein Mann, der politisch so weit von uns entfernt steht, wie Herr von Kardorff, konnte sich doch gestern nicht der Bedenken entschlagen, ob wir uns nicht schon auf dem  Wege zu einer solchen Kabinetsregierung befinden, ob sich nicht schon die Ministerverantwortlichkeit in der Weise zu verflüchtigen beginne, daß sie sich nur beschränkt aus dasjenige Maß von Verantwortlichkeit, was auch die Minister in absoluten Staaten in früheren Jahrhunderten hatten, nämlich durch ihre Unterschrift nur zu beglaubigen, was der Fürst will oder nicht will.

(Sehr richtig! links.)

Wenn ich bloß vom Standpunkte des Parteimannes die Entwicklung der Dinge betrachten wollte, so könnte ich ja nur eine große Genugthuung darüber empfinden, daß es genau so gekommen ist, wie wir den Herren, als sie zur Annahme des Flottengesetzes schritten, vorausgesagt haben. Sie glaubten, nun würden Marinedebatten ausbleiben, man würde Ruhe haben damit, wenigstens 5, 6 Jahre hindurch. Das gerade Gegentheil ist eingetreten.

(Sehr richtig! links.)

Die Marinefrage beherrscht die ganze politische Situation, schon im zweiten Jahre die ganze Etatsdebatte. Die Gegensätze stellen sich nun erst recht scharf heraus. Sie hatten geglaubt, die Dinge durch eine Bindung festlegen zu können; die Bänder sind zerrissen, die Bindung hat sich nicht bewährt. Sie haben geglaubt, die Pläne uferfest zu machen; aber wie ich damals Ihnen sagte, wird es bald heißen: Volldampf voraus! Ermuthigt durch die Nachgiebigkeit des Reichstags wird man bald mehr verlangen und in weitere Meere hinausfahren wollen nach sehr entfernten Ufern.

Indessen noch ein Kapitel zur Entstehungsgeschichte dieser Pläne habe ich vergessen zu erwähnen; dasselbe ist erst vorgestern enthüllt, mehr zufällig im Laufe der Verhandlungen. Der Herr Abgeordnete Bebel sagte: die Geschäftspatrioten hätten die Führung in der Agitation gehabt für die Flotte, hätten geschoben. Der Herr Staatssekretär Tirpitz verstand dies falsch und verwahrte sich dagegen, daß er sich hätte von diesen Geschäftspatrioten schieben lassen. Das war ein Mißverständniß.

(Heiterkeit. Sehr gut! links.)

Aber bei dieser Gelegenheit machte der Herr Staatssekretär Enthüllungen, die ein neues Licht auf die Entstehungsgeschichte geworfen haben.

(Sehr richtig! links.)

Er erzählte uns, daß man im April d. J. in der Regierung sich klar gemacht hat, der Flottenplan müsse erweitert werden; darauf, erzählte er, sei er im Mai, April umhergereist, bei den Industriellen, Werften u. s. w. und habe in ganz diskreter Weise diesen Herren mitgetheilt, was die Regierung vorhabe, und ihnen anheimgestellt, sich in ihren Werfteinrichtungen u. s. w auf diese Pläne der Regierung einzurichten.

(Hört! hört! links.)

Da liegt nun der Schlüssel für den Beginn der Agitation der Geschäftspatrioten

(sehr gut! links);

genau um dieselbe Zeit hat in allen von diesen Herren ressortirenden Organen eine Agitation begonnen für die Erweiterung der Flotte, für die Vermehrung der Neubauten u. s. w. Natürlich, die Herren hatten die Absichten der Regierung kennen gelernt — was lag ihnen in ihrem Geschäftsinteresse näher, als ein bischen nachzuhelfen

(sehr gut links),

den Stein ins Rollen zu bringen, die Agitation dafür in Gang zu bringen!

(Hört! Hört! links.)

Lesen Sie jetzt die Blätter, so verstehen Sie, warum vom Mai und Juni ab alle diese Blätter fast Tag für Tag Artikel brachten: so könne es nicht fortgehen, man müsse die Ersatzbauten sämmtlich sofort vornehmen, man müsse die Neubauten vermehren. Die politischen Parteien hatten damit gar nichts zu thun. Als hier der Nachtrag zum Marine-Etat im Mai-Juni auf der Tagesordnung stand, kein Mensch sprach ein Wort von der Beschleunigung der Schiffsbauten! Die „Kreuzzeitung“ war auf der richtigen Fährte; anfangs Juni schrieb nämlich die „Kreuzzeitung“:

Wer ein wenig hinter die Kulissen sieht, der gewahrt, daß den Schiffsbauinteressenten in Deutschland schon jetzt bange vor der Zukunft wird. Sie fürchten dem blanken Nichts gegenüberzustehen, sobald die nach dem festgelegten Flottenplan in Auftrag gegebenen verschiedenen Kriegsschiffe vom Stapel gelaufen sind, da neue Aufträge nicht in Aussicht stehen. Mit fieberhaftem Eifer suchen sie deshalb im Volke und im Parlament Stimmung zu machen für eine im jetzigen Tempo anhaltende Vermehrung unserer Kriegsflotte.

(Hört! hört! links.)

Der Mittellandkanal, wenn er bewilligt wird, kann den großen Schiffswerften natürlich keinen Ersatz bieten, da er nur kleiner Schlepper und einfacher Lastkähne bedarf. Soviel wir sehen, herrscht aber in maßgebenden Kreisen vorläufig wenig Neigung, unseren Werften neue Aufträge über das von den verbündeten Regierungen verlangte Maß hinaus zu erwirken.

Die „Kreuzzeitung“ wußte eben nicht, daß damals schon Herr Tirpitz umhergereist war und in diskreter Weise

(sehr gut! links)

den Herren mitgetheilt hatte, daß demnächst neue und größere Aufträge kommen.

Nun diese Agitation! Herr Krupp kaufte die „Berliner Neuesten Nachrichten“ an

(hört, hört! links)

und machte Herrn Schweinburg zum Geschäftsdirektor derselben, — denselben Herrn, der zugleich Sekretär des Flottenvereins war, denselben Herrn, der die „Berliner Politischen Nachrichten“, dieses Sprachrohr des Herrn von Miquel, besitzt. Herr von Zedlitz schrieb auch in diesem Sinne; er ist der Freund des Herrn Schweinburg, er wußte auch ebenso wie Herr Schweinburg, was in diskreter Weise Herr Tirpitz den Schiffsbauindustriellen mitgetheilt hatte.

(Sehr gut! links.)

So ging der Spektakel denn los, das, was man als Volksbewegung

(sehr gut! links),

Begeisterung für die Flotte darzustellen suchte. Dann kamen ein paar stille Wochen. Im September ein neuer Anlauf! Das wäre das Nothwendigste, womit sich der Reichstag zu befassen hätte — hieß es —, eine Vermehrung der Schiffe, die auf den Stapel zu legen seien. Der letzte Artikel, den Herr von Zedlitz noch in der „Post“ geschrieben hat, bevor seine Honorarrechnung im „Vorwärts“ veröffentlicht wurde

(Heiterkeit links),

enthält die Aufforderung an die Regierung, doch alsbald vorzugehen. In derselben Art ging es dann fort im Organ des Herrn Krupp, in den „Berliner Neuesten Nachrichten“. Wäre es wunderbar, wenn diese Preßstimmen nun auch an die für das neue Programm maßgebende Stelle gedrungen wären, dort den Irrthum erregt hätten, als ob hier ein stürmisches Verlangen des Volks und nicht ein Geschäftspatriotismus zum Grunde läge? So haben gerade die neuen Enthüllungen des Herrn Tirpitz uns ein interessantes Kapitel zur Vorgeschichte der Flottenfrage enthüllt.

(Sehr wahr! links.)

Ich sagte also vorhin, uns könnte es ja zur Genugthuung gereichen, daß die Dinge sich so entwickelt haben, wie wir es voraussahen, wenn wir nur Parteimänner  wären. Aber das muß ich doch sagen, so hätte ich es auch nicht erwartet, daß schon nach anderthalb Jahren alles das so kommen werde, wie wir es damals vorausgesagt haben.

Der neue Flottenplan ist uns ja amtlich noch nicht weiter bekannt. Der Herr Reichskanzler sagt, die Schlachtflotte soll verdoppelt werden. Das heißt also: statt 19 Linienschiffe 40! Die großen Auslandskreuzer sollen verdoppelt werden. Wie viel das an großen Kreuzern macht, wie viel namentlich an Kleinkreuzern vermehrt werden soll, wie weit dies wieder die Vermehrung der Torpedoflotte zum Gefolge hat, das ist uns nicht bekannt; man kann es höchstens einigermaßen aus den begleitenden amtlichen Artikeln der „Berliner Korrespondenz“ ersehen.

Der Herr Schatzsekretär muß aber einen genaueren Plan kennen, denn sonst hätte er nicht spitz auf eine Million, auf 783 Millionen Anleihe beispielsweise eine Rechnung ausmachen können. Es scheint, als ob manche Herren hier meinen, daß die Neubauten, die Vermehrung des Sollbestandes, nicht mehr als 783 Millionen kosten. Das ist aber ein Irrthum; denn zu den 783 Millionen auf Anleihe kommt das hinzu, was aus laufenden Mitteln für Neubauten nach Maßgabe der bisherigen Finanzirung aufgewandt würde; denn zwei Drittel der ganzen Artillerie und Torpedoausrüstung — das kostet sehr viel! — werden nach den geltenden Grundsätzen aus laufenden Mitteln bestritten, und außerdem sollen; aus laufenden Mitteln 5 Prozent des Werthes der vorhandenen Schiffe alljährlich für Neubauten und Ersatzbauten verwendet werden.

Der Herr Schatzsekretär hat bei dem Flottengesetz von 1898 uns ausgerechnet, was durchschnittlich das Flottengesetz jährlich an Mehrausgaben verursache; er kam dabei auf einen Betrag von 25 Millionen. Schade, daß er diese Durchschnittsrechnung nicht auch jetzt aufgestellt hat. Die laufenden Ausgaben sollen sich also im ersten Jahre erhöhen um 9 1/2 Millionen, im zweiten Jahre also bis auf 19 Millionen, und stellen sich die Ziffern im dritten Jahre auf über 28 Millionen. Zuletzt würden wir auf 153 Millionen herauskommen. Diese 153 Millionen bedeuten also das Plus der Mehrausgaben für unsere Marine, allerdings nicht bloß der fortdauernden Ausgaben des Marine-Etats. sondern auch der anderen fortdauernden Ausgaben als Zinsen u. s. w. Ein Freund — ich habe nicht die Zeit gehabt — hat mir nun die arithmetische Reihe berechnet, was an Mehrkosten im Extraordinarium und Ordinarium zusammengenommen dieser Flottenplan bringt, und ist dabei auf eine Summe von 2057 Millionen gekommen. Das ist also der Anleihebetrag und die Summe der Jahressteigerungen in 16 Jahren.

(Hört! hört! links.)

Also mehr als 2 Milliarden! Nach der Durchschnittsberechnung, die der Herr Schatzsekretär für das geltende Flottengesetz aufstellt, kommt eine jährliche durchschnittliche Mehrbelastung nicht von 25 Millionen, sondern von 125 Millionen heraus.

(Hört! hört! links.)

Der Herr Schatzsekretär, der ist glücklich zu preisen. Er ist so heiter, so fröhlich angelegt

(Heiterkeit),

wie ich keinen Schatzsekretär kennen gelernt, und ich habe schon so viele im Laufe der Jahre kommen und gehen sehen. Der Himmel hängt ihm stets voller Geigen.

(Heiterkeit.)

Soviel schwere Belastungen dem Schatze auch auferlegt werden, was gemacht werden kann, wird gemacht.

(Heiterkeit.)

Es wird sich ja alles finden; damit beruhigt er sich im wesentlichen. Er hat eben noch keine schweren Jahre durchgemacht.

(Sehr gut! links.)

Er ist in einer günstigen Zeit ins Amt gekommen unter aufsteigenden Konjunkturen. Aber wer 4 oder 5 Jahre zurückdenkt, der weiß, wie wir beschworen, bedrängt wurden von all den Herren Finanzministern bis zum meiningischen herunter

(Heiterkeit),

sie könnten ohne neue Steuern gar nicht weiter wirthschaften, es sei ganz unmöglich, mit den laufenden Einnahmequellen auszukommen.

Nun, Herr Freiherr von Thielmann sagt: ich habe ja 50 Millionen in meinem Etat jetzt mehr an Zöllen und Verbrauchssteuern gegen das Vorjahr veranschlagt; wenn ich in jedem Jahre mehr 50 Millionen veranschlagen kann, was ist da ein Betrag von 9 1/2 oder 10 Millionen? die werden sich innerhalb der 50 Millionen auch noch finden lassen. Ja, ist denn diese Zuversicht auf die fortgesetzte Steigerung der Einnahmen aus Zöllen und Verbrauchssteuern eine begründete? Wichtiger als die Anschläge ist die Wirklichkeit, ist das rechnungsmäßige Ergebniß. Und da muß ich denn doch hervorheben, daß nach den Abschlüssen der ersten 7 Monate des laufenden Jahres das Plus gegenüber dem Vorjahre bei sämmtlichen Zöllen und Verbrauchssteuern noch nicht 1/2 Million Mark beträgt.

(Hört! hört! links.)

Wenn Sie das vergleichen mit dem Plus, welches das Vorjahr hatte um dieselbe Zeit gegen dieselben Monate des Vorvorjahres, so werden Sie finden, daß damals schon ein Plus von über 36 Millionen erzielt war, dem heute nur ein Plus von einer halben Million gegenübersteht.

(Hört! hört! links.)

So ist die aufsteigende Bewegung auf der Treppe verlangsamt worden seit dem vorigen Jahre. Aber wenn die Einnahmen aus den Zöllen und Verbrauchssteuern sich erheblich steigern, so vergessen wir doch nicht, daß nach der clausula Franckenstein, nach der Absicht der Gesetzgebung den ersten Anspruch die Einzelstaaten haben sollen

(sehr richtig! links)

auf diese steigenden Einnahmen aus den Ueberweisungssteuern. In dem Maße, in dem ihnen das unmöglich gemacht wird, werden die Einzelstaaten gedrängt, ihre Steuerquellen schärfer auszunutzen, ihre Einnahmen aus den Verkehrsanstalten höher zu gestalten.

Und dann, meine Herren, wie verschieden sind die Anschläge von der Wirklichkeit? Woher kommt denn gerade in diesem Jahre der günstige Anschlag? Aus der Schablone der Durchschnittsberechnung, die uns in diesem Jahre besonders günstig ist. Nach den vorhergehenden 24 Monaten im Durchschnitt werden die Einnahmen veranschlagt, bei den Getreidezöllen nach 36 Monaten im Durchschnitt. Nun ist diesmal in diesem Durchschnitt das Jahr 1898 mit vollen 12 Monaten enthalten, jenes so besonders günstige Jahr für die Reichsfinanzen. Im vorigen Jahre war es das Jahr 1897, ein stagnirendes Jahr, daher wesentlich das andere Resultat in den Anschlägen! Das Jahr 1898 war so günstig wegen der besonders starken Getreideeinfuhr; man fand die Vorräthe mehr erschöpft, als man glaubte, die vorherigen Ernten waren ungünstiger, und daher die starke Einfuhr. Nach der Durchschnittsberechnung macht dieser Unterschied bei den Getreidezöllen ein Plus aus in dem Etatsanschlag von 20 Millionen Mark

(hört! hört! links);

und es ist ein eigenthümlicher Zufall, daß in den 7 Monaten dieses laufenden Jahres die Einnahme aus den Getreidezöllen gerade um 20 Millionen zurückgegangen ist.

(Hört! hört! links.)

Gerade auf zurückgehenden Einnahmen baut sich also nach der Schablone, nach der Kalkulatur des Durchschnitts, das Mehr aus den Zöllen und Verbrauchssteuern auf.

Ist es denn auch eine normale Erscheinung, daß wir zur Ausgleichung des Defizits einer Anleihe von 76 Millionen Mark bedürfen? Wenn in der Zukunft wirklich die Einnahmen sich steigern, muß es dann nicht das erste Bestreben sein, auch den Anleihebedarf für das Reich zu vermindern, den Anleihebedarf, der ohne den Flottenplan sich schon derart hoch stellt?

Weiter, meine Herren: ist denn die Marine allein derjenige Faktor in der Verwaltung, der Anspruch erheben kann auf Erhöhung des Ausgabe-Etats? Man spricht von der natürlichen Steigerung der Einnahmen — aber findet nicht ebenso eine natürliche Steigerung der Ausgaben statt?

(Sehr richtig! links.)

Der Herr Minister von Miquel hat erwähnt, daß um 600000 Köpfe sich jährlich die Bevölkerung des Reichs vermehrt. Ganz recht! Mit der Vermehrung der Bevölkerung aber vermehren sich ja naturgemäß auch alle Ausgaben in der Reichsverwaltung, ganz abgesehen von den neu hinzukommenden Bedürfnissen. Das ist das Charakteristische in der jetzigen Politik, daß der Blick fast hypnotisirt ist auf die Marine (sehr richtig! links), daß man Macht, Kultur, Wohlstand einzig und allein für abhängig erblickt von der Vermehrung der Flotte, von der Steigerung des Marine-Etats, und daß dagegen alle übrigen Bedürfnisse weit zurücktreten.

(Sehr richtig! links.)

Navigare necesse est, vivere non necesse — darin findet dieser einseitige Standpunkt seinen Ausdruck.

(Sehr richtig! links.)

Meine Herren, das Leben ist sehr vielgestaltig und stellt Anforderungen nach allen Seiten, und nicht nur die Schifffahrt, sondern noch viele andere Bedürfnisse erheischen ihre Befriedigung. Gerade jetzt wäre für den Herrn Staatssekretär Gelegenheit gewesen, nun einmal zusammenzustellen, welche anderen Ausgabebedürfnisse in der nächsten Zeit eine Steigerung verlangen. Da ist die fortgesetzte Erhöhung des Zuschusses für die Invaliditätsversicherung. Ich weiß nicht, ob schon berechnet ist, wie weit das neue Gesetz eine Steigerung der Zuschüsse des Reichs mit sich bringt. Da ist die fortdauernde Steigerung der Pensionsfonds, namentlich der Militärpensionen. Dazu kommt die Erhöhung der Schuldzinsen mit jedem Jahr, auch abgesehen von den neuen Marineanleihen; denn schon in ihrem jetzigen Bestand bedarf die Marine einer Anleihe von 40 Millionen in diesem Etatsjahre, um ihre Ausgaben etatsmäßig zu erfüllen. Und dann weiter der Militäretat! Im Vorjahre hat man eine Erhöhung der Präsenzstärke bewilligt, die bis 1903 eine Steigerung der Militärausgaben im Ordinarium bis zu 28 Millionen bedingt. Hiervon sind erst 14 Millionen auf unserem Etat erschienen; 14 Millionen haben wir also noch in den Etats nach 1900 zu erwarten. Abgesehen aber von dem, was im neuen Etat aus dem Quinquennatsgesetz steht, sind noch weit höhere Positionen im neuen Etat, die auch wieder für die Zukunft Ausgaben nach sich ziehen. Da hören wir, daß die neue Munition der Feldartillerie 5 Millionen Mark mehr kostet als die bisherige. Der volle Betrag hierfür steht auch noch nicht auf dem Etat. Da erfahren wir, daß jetzt eine volle Jahresquote bei den Handwaffen ersetzt werden soll. Auch das bringt Mehrausgaben, die noch nicht vollständig auf diesen Etat gesetzt sind. Dazu die Zulagen für diejenigen, die freiwillig ein drittes Jahr dienen. Auch diese Summen erscheinen erst zur Hälfte in diesem Etat, zur weiteren Hälfte werden sie erst später erscheinen.

Und nun das Extraordinarium. Vergegenwärtigen wir uns doch, wie die finanzielle Entwicklung sich stellt. Im Jahre 1897 die großen Kredite zur Umgestaltung der Feldartillerie im Gesammtsbetrage von 144 Millionen Mark! Im Jahre 1898 das neue Flottengesetz! Als das neue Flottengesetz berathen wurde, ließ man durchaus nicht erkennen, daß im nächsten Jahre ein Quinquennatsgesetz vorgelegt werden würde, das wieder viele Millionen mehr erfordern würde. 1899 erschien dieses Quinquennatsgesetz, das an extraordinären Ausgaben 133 Millionen Mark h verlangt, von denen auch erst zwei Raten in unserem Etat erschienen sind. Als man das Quinquennatsgesetz berieth, wurde es als nicht ernsthaft bezeichnet, daß man an eine Erweiterung des Flottenplanes denken könne. Kaum ist das Quinquennatsgesetz unter Fach gebracht, so erscheint der neue Flottenplan. Umschichtig in einem Jahre zu Lande und dann zu Wasser und dann wieder zu Lande und jetzt wieder zu Wasser werden große Kredite verlangt.

(Sehr richtig! links.)

Und so steigern sich die Ausgaben, die namentlich für das Extraordinarium überaus schwer ins Gewicht fallen. Der Herr Staatssekretär Freiherr von Thielmann in seiner heiteren Gemüthsart

(Heiterkeit)

meinte 1898, als uns das Flottengesetz beschäftigte: was kann da sein, die Artilleriekredite laufen bald ab; jetzt habe ich zwar noch 42 Millionen darauf stehen, in den nächsten Jahren wird es erheblich weniger sein, und nach 1900 ist der Kredit überhaupt erschöpft. Sehen Sie, meine Herren, so sprach er: damit ist ja schon der Platz frei für das neue Flottengesetz, das geht alles ganz glatt; da ist eine Lücke, in die ich die neun Millionen des Flottengesetzes bloß hineinzuschieben habe. Als aber das Jahr 1899 kam, und die Millionen aus dem Flottengesetz hineingeschoben werden sollten, da blieb der Herr Kriegsminister auf diesem Platze sitzen und sagte: wenn auch der Artilleriekredit sich vermindert hat, so habe ich doch jetzt andere Kredite nothwendig. Die 133 Millionen für das neue Quinquennatsgesetz haben zunächst Anspruch aus den freien Platz, den die Artilleriekredite gelassen. Die Artilleriekredite nahmen 1899 gegen das Vorjahr nur um 16 Millionen ab; aber 48 Millionen war die Rate, die aus dem Quinquennatsgesetz auf den Platz gelegt wurde. In diesem Jahre nimmt die Rate des Artilleriekredits wiederum um 16 Millionen ab; aber es wird auch nichts frei für das Flottengesetz, denn nun verstärkt man den Festungsbaufonds von 10 auf 20 Millionen

(hört! hört! links)

und schiebt noch einen neuen Fonds von 9 Millionen hinzu für „die weitere Beschaffung der Fußartillerie“: ein sehr dunkler Posten, von dem wir auch nicht wissen, was dahinter steckt. Die Forderungen für den Festungsbau haben auch das Eigenartige, daß, wenn ein Kredit dafür beinahe erschöpft ist, wieder ganz neue Beträge sich ansetzen und den Kredit erhöhen. Sodann erscheint eine Position in diesem Etat: 600 000 Mark zu erweiterten Versuchen mit Handfeuerwaffen! Ist das etwa das Vorzeichen, daß wir demnächst wieder neue Gewehre anschaffen werden?

(Hört! hört! links.)

Die würden mehrere Dutzende von Millionen kosten. Sollen wir mit dieser Thatsache auch wieder rechnen gegenüber den Ansprüchen, die sonst in den nächsten Jahren an das Extraordinarium und an die Finanzen erhoben werden.

Dazu nun, meine Herren, die steigenden Ausgaben im Extraordinarium für die Kolonien. Kein Wunder! Die Kolonialpolitik wächst ja auf demselben Boden hervor, auf dem auch die Vermehrung der Flotte emporsprießt.

(Sehr richtig! links.)

Kiautschou, der berühmte Platz „an der Sonne“

(Heiterkeit links),

kommt uns recht theuer zu stehen, die Millionen zerfließen dort wie die Butter.

(Sehr gut! und Heiterkeit links.) 

Ich hätte gewünscht, daß man uns über die Gesundheitsverhältnisse daselbst beruhigendere Nachrichten hätte gegeben. Die Briefe, die ich zuverläßlich von Angehörigen dort erhalten habe, sind so erschreckender Natur, daß ich mich gescheut habe, sie bisher irgendwie in der Oeffentlichkeit zu vertreten.

(Hört! hört! links.)

Indessen will ich diese Frage hier nicht hereinziehen; sie ist auch so umfangreich, daß sie einer ganz besonderen Erörterung im hohen Hause bedarf, und ich möchte deshalb wünschen, daß die Kiautschoutitel nicht gleich in die Kommission gegeben werden, sondern uns Gelegenheit gegeben wird, über die dortigen Verhältnisse zunächst hier ausführlich zu sprechen.

Abgesehen von den 10 Millionen für Kiautschou, sind 1898, nachdem Herr von Buchka die Kolonialabtheilung übernommen hat, die Zuschüsse für die anderen Kolonien verdoppelt worden und in. diesem Etat nun auf 22 Millionen gestiegen. Natürlich, wenn man erst anfängt Eisenbahnen zu bauen, was kann da nicht alles geschehen! Afrika ist sehr groß.

(Heiterkeit links.)

Von der südwestafrikanischen Bahn erfahren wir, daß sie jetzt 13 Millionen kostet. Ursprünglich war sie nur ganz bescheiden als Eselbahn gedacht. Der Direktor der Bauarbeiten, Oberstleutnant Gerding, hat in einer Denkschrift entwickelt: was kann uns überhaupt die Bahn für sich allein nutzen? was kann es nutzen, daß wir damit rascher von Swakopmund nach Windhoek kommen, wenn es so lange dauert, bis man von Deutschland nach Swakopmund kommt? Mit den Woermanndampfern braucht man ja 30 Tage; wozu 30? Das könnte in 16 Tagen gemacht werden, wenn wir eigene Reichsdampfer zwischen Deutschland und Swakopmund hätten. Dann sagt er: die Hafenanlagen und Molen sind sehr schlecht; was nützen uns die schnelleren Dampfer, wenn sie 8 Tage liegen müssen, bevor gelandet werden kann? — Sie sehen, meine Herren, eins zieht das andere nach. Diese Gegenden sind so miserabel, daß ein Projekt mit dem anderen neue Millionen als Konsequenz fordert.

Dann die Usambaraeisenbahn! Ja, man hat jetzt den ersten Anschlag gemacht. Was kommt dabei heraus? Sie kostet mehrere Millionen, aber man rechnet dabei heraus einen Ueberschuß von 2000 Mark. Uns wurde gesagt, die Rentabilität der Usambarabahn gründet sich allein schon auf die großen Kaffeeplantagen. Das wird also eine Kaffeebahn, wie man sie in Brasilien auch sehr vielfach findet. Nun ist der Kaffeetransport im Eisenbahnetat besonders veranschlagt, was ich dankbar bemerke: der Kaffeetransport bringt 7000 Mark im Jahre.

(Hört! hört! links.)

Nun hat man aber keine Ruhe, man will schon jetzt vorarbeiten, um diese Usambarabahn bis Mombas fortzusetzen. Dazu kommt nun die ostafrikanische Zentralbahn. Herr Dr. Sattler freilich findet daran nur auszusetzen, daß man bloß für Vorarbeiten 100 000 Mark verlangt und nicht gleich die erste Baurate noch mit einsetzt. Wir haben schon gehört, daß das Andrängen des Kolonialsports auf das Reichsschatzamt so viel Eindruck macht, daß es sich zu der etatstechnisch ungeheuerlichen Maßnahme versteht, in demselben Jahre mit einem Nachtragsetat noch eine Baurate hinter die Rate für Vorarbeiten einzustellen. Da scheint denn endlich auch dem Zentrum die Geduld über diese Art der Kolonialpolitik auszugehen, und ich notire es, daß Herr Dr. Lieber ausdrücklich bemerkt hat, so weit könnten sie die Sache nicht mitmachen, höchstens bis zu den Vorarbeiten, man müsse erst sehen, was dabei herauskommt. Die ersten Afrikaforscher, Schweinfurth, Hans Meyer, protestiren gegen den Bau und bestreiten die Rentabilität aufs äußerste. Man  beruft sich dagegen auf die Kongobahn. Aber gerade die Rechnung über die Kongobahn ist lehrreich. Sie ist auf 26 Millionen veranschlagt gewesen und hat 60 Millionen gekostet, und wenn diese Zentralbahn in ihrer ganzen Ausdehnung nach den Seen ausgeführt wird, wie sie beabsichtigt ist, d. h. in einer Länge, die in Deutschland von Eydtkuhnen bis Basel reichen würde

(hört! hört! links),

so würde sie, nach den Kosten der Kongobahn berechnet, 252 Millionen Mark kosten; das ist gerade so viel, wie der Rhein-Elbe-Kanal. Meine Herren von der Rechten, werden Sie da auch sparsam sein, wie Sie sparsam sind gegenüber dem Rhein-Elbe-Kanal? Elfenbein und Kautschuk allein machen in Afrika keine Bahn rentabel. Solange Sie nicht Gold und Diamanten gefunden haben, nützen Ihnen Bahnen in Afrika überhaupt nichts, sondern sie bleiben immer Militärbahnen, wie es dort ja mehrere giebt. Die Kongobahn ist bestimmt, Stromschnellen zu überwinden, und an den Endpunkt dieser Bahn schließt sich ein glatter Strom von 1200 Kilometer Länge. Wo ist Aehnliches an dem Endpunkt dieser Zentralbahn zu vergleichen? Nun sagt man, wir wollen zunächst nur bis Mrogoro — wer kann all die afrikanischen Namen aussprechen? — bauen. Das kennt man, meine Herren; ist sie erst bis dahin genehmigt, dann heißt es: es ist ja kein Wunder, daß sie nicht rentirt, — sie muß weiter geführt werden. So ist es ja auch bei der Usambara-Bahn. Wenn erst die erste Strecke bewilligt ist, alles andere findet sich später von selbst.

Es hat ja ein Konsortium von Bankiers gegeben, diese haben einmal 100 000 Mark für Vorarbeiten für die Zentralbahn ausgegeben; natürlich wollten sie sie nicht auf eigene Kosten bauen, sie rechneten auf eine Reichsgarantie, wenn auch nicht in voller Höhe des Reichszinsfußes, so doch vielleicht von 2 oder 2 ½ Prozent. Das ist nun bezeichnend: dieses Bankkonsortium, das schont 100 000 Mark für Vorarbeiten ausgegeben und einen gewissen Anspruch auf die Konzession erlangt hat, zieht sich jetzt völlig zurück und will auch nicht 1/2 Prozent Zinsen daran riskiren, auch bei einer Reichsgarantie nicht, wenn sie nicht dem Zinsfuß der Reichsanleihen gleichkommt. Diese Herren vom Bankkonsortium sagen meines Erachtens mit vollem Recht: die Zeitverhältnisse sind für solche Unternehmungen nicht günstig. Ich bin überhaupt der Ansicht, es gab seit Dezennien keine Zeit, die es so wenig begünstigte, von reichswegen große Kapitalanlagen zu machen, wie die jetzige.

(Sehr richtig! links.)

Die Privatwirthschaft in Deutschland erheischt bei der großartigen Umgestaltung aller Produktionsverhältnisse durch die Elektrizität überall in der Landwirthschaft und Industrie so viel neues Kapital, daß wahrlich das Reich keine Ursache hat, überflüssigerweise noch besondere Konkurrenz zu machen mit seinen Kapitalforderungen. Der hohe Zinsfuß rührt nicht von der Goldwährung, sondern von der Kapitalnoth her, und die wollen wir nicht steigern durch Ansprüche des Reichs, weder für afrikanische Bahnen noch für Vermehrung der Flotte.

Nun sucht noch Herr Tirpitz die Arbeiter für sich zu gewinnen, indem er darauf hinweist, daß durch die Flottenvermehrung die Arbeitsgelegenheit vermehrt wird. Fehlt es denn gegenwärtig an Arbeitsgelegenheit? Ueber die Leutenoth klagt man ja in der Landwirthschaft und auch in der Industrie schon mehr und mehr. Hat man nun eine Veranlassung, diese Nachfrage nach Arbeitern noch mehr zu steigern, namentlich für Afrika? Man thut überhaupt so, als ob man diese Millionen für die afrikanischen Bahnen, für die Flotte gewissermaßen aus der vierten Dimension griffe.

(Heiterkeit.)

Sie müssen doch aus den Ersparnissen des Volks genommen werden, und wo man sie wegnimmt, werden sie nicht mehr verwendbar für andere Zwecke, und es vermindert sich dadurch die Nachfrage nach Arbeitern an einer anderen Stelle. Es handelt sich also hier nur um eine andere Placirung von Kapital, nicht um eine Vermehrung von Kapital, die eine andere Mehrarbeit schafft. Und nun insbesondere die vermehrte Nachfrage, die geschaffen wird für Eisenbahnen und für die Flotte für die Eisenindustrie. In der Eisenindustrie fehlt es wahrlich nicht an Aufträgen. Die großen Unternehmer natürlich können nicht Aufträge genug bekommen, denn ihr Unternehmergewinn steigert sich ja um so mehr; aber die gesammte Eisenindustrie hat gar nicht das Interesse daran. Es besteht eine Eisennoth schon gegenwärtig; man kann jetzt schon aus Mangel an Material die Lieferfristen nicht mehr einhalten für die Bergwerke, Kleinbahnen und die Kleineisenindustrie. Zu uns kommen die Klagen, daß unser Export gefährdet ist, weil man die Aufträge nicht ausführen kann, weil es an Material fehlt, — und da will man nun noch gerade jetzt noch eine vermehrte Nachfrage nach Eisen durch neue Eisenbahnen und neue Schiffsbauten hervorrufen.

(Sehr gut!)

Meine Herren, wenn ich mir das alles vergegenwärtige: die Forderungen, die die nächsten Jahre stellen werden an das Reich, abgesehen vom Flottenplan, wenn ich hinzufüge die Ausgaben für das Militär, Kolonien u. s. w., so ist es für mich klar, daß, wenn wir nicht immer tiefer in eine Verschuldung des Reichs hineingerathen sollen, wir nothwendig zu neuen Steuern gedrängt werden.

(Sehr richtig!)

Herr von Miquel sagte gestern: nein, das werde nicht eintreten — soweit man in die Zukunft schauen kann, setzte er vorsichtigerweise hinzu.

(Heiterkeit.)

Diesmal kann er nicht in die Zukunft schauen; aber wenn man sich erinnert, wie er vor 3, 4 Jahren uns angejammert hat im Abgeordnetenhause und hier im Reichstag: es sei ja gar nicht möglich auszukommen, wenn nicht die Steuern in den Einzelstaaten und im Reiche vermehrt werden! Herr von Kardorff, der Vorsitzende der Budgetkommission, gab gestern gar kein Urtheil ab über diese Frage; er meinte, man müsse das abwarten. Wenn wir abwarten müssen, was man einnimmt, dann soll man auch abwarten, ob man neue Schiffe bauen kann, und soll erst das Geld in Sicht haben, ehe man sich schlüssig macht, neue Schiffe zu bauen.

(Sehr gut!)

Uebrigens, die eifrigsten Herren für einen neuen Flottenplan beschäftigen sich schon jetzt mit neuen Steuerprojekten. Unser Herr Kollege Hasse hat ja in einer Versammlung die Berechnung aufgestellt, daß der Deutsche für 20 Mark pro Kopf Bier trinkt — er hat darin wohl auch die Säuglinge mit einbegriffen —

(Heiterkeit),

daß der Deutsche sich auch an Taback manches absparen könnte. Das sei möglich. Herr Professor Adolf Wagner ist ganz derselben Meinung, daß der Taback und das Bier noch nicht hoch genug besteuert sind. Dem Herrn Finanzprofessor würde es überhaupt sehr gefallen, wenn man alle Arten von Steuern hier kultivirte.

(Heiterkeit.)

Es wird auch von Einführung einer Erbschaftssteuer gesprochen, — als ob das so leicht wäre. Wir ältere Abgeordnete haben die Versuche erlebt; Herr Camphausen ist damit gescheitert. Eine Erbschaftssteuer kann man im Reich nur einführen, wenn man sie in den Einzelstaaten abschafft, und in den Einzelstaaten ist die Erbschaftssteuer so außerordentlich verschieden, daß daran nicht so leicht zu denken ist.

Indessen, auch ich will einen kleinen Beitrag zu neuen Steuern liefern. Wie wäre es, wenn die hohen Herren, die jetzt als Protektoren des Flottenvereins auftreten, sich freiwillig dazu verstehen wollten, ihr Einkommen und ihr Vermögen zum Besten der Reichskasse, sei es für die Flotte oder sonstwie, einer Steuer zu unterziehen, einer solchen Steuer, wie sie ja auch jeder mittlere Beamte oder mittlere Bürger in einem gewissen Prozentsatz leistet!

(Sehr gut!)

Protektor des Flottenvereins zu sein, kostet allerdings nichts, aber es wäre doch sehr schön, wenn sie gestatten würden, ihre Zivilliste zu besteuern. Es würde ja etwas erkleckliches einbringen für das Reich, abgesehen von der erzieherischen Wirkung, die das für die Herren selbst haben würde.

(Heiterkeit. Zwischenrufe.)

Ich denke nicht an Standesherren, sondern höher hinauf, sehr hoch sogar.

(Sehr gut!)

Meine Herren, wie die Dinge liegen, so ist es mir ganz klar: wenn das Bedürfniß entsteht nach mehr Geld, so wird man darauf hindrängen, es aus Zollerhöhungen zu befriedigen. Dagegen hat man sich beim Flottengesetz gar nicht verwahren können. Damals hat die Regierung lebhaft protestirt, daß in der Hinsicht irgend welche Beschränkung in das Gesetz aufgenommen wird.

Nun hat es ja ein gewisses Befremden erregt, daß, als der erste Flottenplan veröffentlicht wurde, gleichzeitig durch die „Berliner Politischen Nachrichten“ des Herrn Schweinburg hingewiesen wurde auf die Mehreinnahmen aus den Getreidezöllen von 60 Millionen zur Deckung der Flottenvermehrung. Es war ja sehr merkwürdig, daß an demselben Abend, wo die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ den Flottenplan veröffentlichte, in derselben Stunde die „Berliner Politischen Nachrichten“ dazu einen Finanzplan veröffentlichen konnten.

(Hört! hört!)

Ich weiß nicht, ob der Finanzplan von Herrn Miquel herrührt, ich glaube es nicht gerade, außerdem könnte ich es nicht beweisen.

(Heiterkeit);

jedenfalls muß doch der Finanzplan sehr nahe an derselben Stelle entstanden sein, wo auch der Flottenplan entstanden ist.

(Sehr gut!)

Aber wenn auch nicht zur selben Stunde die beiden Sachen veröffentlicht wären, der Flottenplan und der Finanzplan, wenn auch nicht geschrieben wäre, daß 60 Millionen beschafft werden sollen durch Erhöhung der Getreidezölle, so würde ich doch immer sagen: die Neigung zur Erhöhung der Getreidezölle ist ohnedem vorhanden — was liegt näher, als daß, wenn Ausgabebedürfnisse entstehen, vermehrte Ausgaben gedeckt werden sollen, man die Deckung um so mehr sucht durch Erhöhung der Getreidezölle. Ich habe die Ueberzeugung, daß thatsächlich die Mehrkosten der Flotte zu einer Erhöhung der Getreidezolle fuhren werden, daß sie dazu führen werden, das Brod zu vertheuern, und daß dieser neue Flottenplan die Brodvertheuerung zur Folge hat. Alle die Herren, die das Brod nicht vertheuern wollen, mache ich schon jetzt verantwortlich, wenn thatsächlich diese Konsequenzen eintreten aus ihrer Zustimmung zur Flottenvorlage.

(Sehr gut!)

Nun sagte Herr von Miquel gestern: ja, die Erhöhung der Getreidezölle kann doch dazu führen, daß die erhöhten Getreidezölle weniger einbringen als die jetzigen. Wie hoch muß sich Herr von Miquel die Getreidezölle denken,  wenn sie dazu führen sollen, daß es sich rentirt, den Getreidebau in Deutschland in großem Umfange da in Angriff zu nehmen, wo er sich gegenwärtig nicht rentirt! Ich will darüber mit ihm nicht weiter streiten; aber wenn das wirklich der Fall ist, dann entsteht ja durch Verminderung der Einnahmen aus den Getreidezöllen wieder ein Deckungsbedürfniß, welches anderweitig Befriedigung erheischt.

(Sehr richtig! links.)

Da hat Herr von Kardorff gestern ganz richtig bemerkt: ja, diese Staaten, welche landwirthschaftliche Artikel zu uns exportiren, können die Einschränkungen durch Zollerhöhungen schwer empfinden, aber dann müssen wir ihnen anderweitig Konzessionen machen, damit sie gleichwohl mit uns neue Handelsverträge abschließen. Wie hoch müssen dann die anderen Konzessionen — wenn sie überhaupt möglich sind — für solche Staaten sein, um diese dafür entschädigen zu können, was an verringertem Getreideexport und Export sonstiger landwirthschaftlicher Artikel aus diesen Staaten entsteht! Und je höher die Gegenkonzessionen sind — erwägen Sie, daß die letzten neuen Handelsverträge eine Verminderung der Einnahmen von 36 Millionen mit sich brachten! —, desto größer sind die Schwierigkeiten, die Mittel dafür aufzubringen, wenn gleichzeitig die Mehrausgaben für diesen Flottenplan konkurriren. Ich sage daher: diese erweiterte Flotte ist eine Erschwerung für den Abschluß günstiger Handelsverträge.

(Sehr richtig! links.)

Ich verstehe es sehr wohl, warum der Staatssekretär Tirpitz Eile hat, jetzt, 1900, den Flottenplan in Sicherheit zu bringen: weil in dem Augenblick, wo gleichzeitig hier verhandelt wird über neue Handelsverträge, drastisch hervortreten wird, daß neue günstige Handelsverträge in dem Maße schwieriger werden, wie neue Flottenpläne größere Ausgaben erheischen.

(Lebhaftes Sehr richtig! links.)

Ja gewiß, Herr von Miquel hat recht: Verkehrspolitik in der ganzen Welt müssen wir treiben, wir sind darauf angewiesen, unser Absatz muß gesteigert werden. Aber das können wir nicht durch Schiffskanonen erzwingen, wir können nicht die hohen Zölle anderer Staaten niederschießen, sondern nur durch Gegenkonzessionen unsererseits; und wenn das erschwert, verhindert wird durch steigende Marine-Etats, so schadet uns die Steigerung des Marine-Etats durch Erschwerung der Handelsverträge zehnmal mehr, als selbst nach Ihrer Ueberzeugung die ganze Flotte dem Handel nützen kann.

(Sehr richtig! links.)

Man hat gesagt, man will die Steuern binden, man will sich vorsehen, daß die Kosten gedeckt werden durch diejenigen, die am leistungsfähigsten sind. Ich halte eine solche Bindung überhaupt für undurchführbar aus dem einfachen Grunde, weil wir einen einheitlichen Reichshaushalt haben und gar nicht die einzelnen Ausgaben und Einnahmen auf einander angewiesen sind. Also z. B. es tritt eine hohe Militärausgabe neu hervor; wenn der Flotten-Etat nicht gesteigert worden wäre, so würde diese neue Militärvorlage doch aus den Reichseinnahmen ohne neue Steuern bestritten werden können; nun konkurrirt aber der Flottenplan, das ist nicht möglich — kann man denn da nicht auch sagen, daß der Flottenplan die Ursache ist der Nothwendigkeit von neuen Steuern? Oder wird man sagen wollen: die Militärausgaben haben es zunächst veranlaßt?

Und wenn man sich wirklich binden könnte, negativ, — ja, was wollen denn solche Monologe, solche Selbstgespräche des Gesetzgebers thatsächlich bedeuten? Nein, man kann die Einnahmen nicht binden im voraus, das ist praktisch bedeutungslos; eben deshalb soll man  auch nicht die Ausgaben im voraus binden; das eine bedingt das andere.

(Sehr richtig! links.)

Damit komme ich auf die Frage der Bindung des Etatsrechts, auf die Bindung durch den neuen Flottenplan. Ein glänzenderes Fiasko als die Bindung hat nie ein Akt der Gesetzgebung gemacht, wie dies gegenüber dem jetzt geltenden Flottenplan der Fall ist.

(Sehr richtig! links.)

Und trotzdem die Zumuthung, nun noch weiter hinaus, nun noch in größerem Umfange in neue Bindungen einzutreten! Man sagt: gebrannte Kinder scheuen das Feuer; Manche sagen sogar: gebrannte Katzen scheuen das Feuer.

(Große Heiterkeit.)

Soll da der Reichstag nicht auch so klug sein wie Kinder? — von den Katzen gar nicht zu reden!

(Heiterkeit.)

Und dann soll der Reichstag eine neue Bindung eingehen im Vertrauen auf denselben Staatssekretär der Reichsmarine, der die erste Bindung veranlaßt hat, und der jetzt so vollständig außer Stande ist, das wahr zu halten, was er damals erklärte! Vor Herrn Staatssekretär Tirpitz hat niemand in der Reichsverwaltung daran gedacht, daß solche Bindungen ausführbar seien. Sein Vorgänger Hollmann hat es weit von sich gewiesen, daß man auf Jahre hinaus vorher festlegen könne die Bedürfnisse der Verwaltung. Herr Tirpitz ist aus Ostasien gekommen zuerst mit dem Plane der Bindung. Noch im August 1897 hat die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ jeden Gedanken einer solchen Bindung energisch zurückgewiesen. Herr Tirpitz hat den Reichstag überredet. Und was erfahren wir nun? Wie stellt er sich zu den Folgen der von ihm vorgeschlagenen Bindung? Der Herr Staatssekretär sagte, er habe ja in seinem Innern nicht geglaubt, daß die Sache damit zu Ende sein werde, einen Abschluß finden werde

(hört! hört! links),

daß damit auch der Sollbestand für die beiden gefährlichsten Fälle ausreichen werde. Es kommt aber nicht darauf an, was er sich im Innern gedacht hat, sondern was er ausgesprochen hat.

(Sehr richtig! links.)

Und da beruft er sich auf eine Stelle seiner Rede, die das damals schon angedeutet haben soll. Was sagt er in der von ihm zitirten Stelle? Da antwortet er anknüpfend an die Liebersche Rede: wenn man das Flottengesetz auf eine beschränkte Zeit einführen wolle, nun, so werde der Gedanke bei der Regierung vielleicht keinen Widerstand finden; er mache darauf aufmerksam, daß je öfter ein Beschluß erneuert werden müßte über einen Flottenbestand, es um so näher liegen könne, den Flottenbestand alsdann zu vermehren. Aus dieser beiläufige Bemerkung soll der Reichstag entnommen haben, daß Herr Tirpitz in der Sache keinen Abschluß sieht, daß die Regierung sich nicht binden will, sondern sich vorbehält, bei Gelegenheit ihrerseits weitere Forderungen zu erheben —?

Von durchschlaggebender Bedeutung für die damalige Mehrheit war die Erklärung vom 6. Dezember 1897, die schon zitirt worden ist, die man aber bei der Bedeutung, die sie hat, nicht genug zitiren kann. Herr Tirpitz sagte:

Wenn wir eine Flotte haben werden, die dieser Stärke entspricht, dann schaffen Sie Deutschland eine Seemacht, gegen die offensiv an unseren Küsten vorzugehen selbst eine Seemacht ersten Ranges sich dreimal bedenken würde. (Hört! hört!) Sie schaffen eine Flotte, meine Herren, welche ein erhebliches Gewicht zur Sicherung des Friedens in die Wagschale werfen kann; Sie schaffen vom militärischen Standpunkt aus für die Stellung Deutschlands im europäischen Konzert einen Machtfaktor, der mit dem Jahre 1904 aufgehört haben wird, eine quantité négligeable zu sein.

Das war eine hochwichtige Erklärung, die gewiß für Viele bestimmend war. Und was sagte nun Herr Staatssekretär Tirpitz, als ihm Herr Bebel diese Erklärung vorhielt? —: es sei das damals ein unglücklicher Ausdruck gewesen

(hört! hört! links),

ein unglücklich gewähltes Wort. Ja, meine Herren, wenn so bestimmte Erklärungen schließlich als ein unglücklich gewähltes Wort ausgelegt werden können, was soll man dann den Erklärungen dieses Herrn in dieser Session noch irgend eine Wichtigkeit beilegen!

(Sehr richtig! links.)

Von welcher Erklärung kann er dann später nicht auch wieder sagen: das ist nur ein unglücklich gewähltes Wort gewesen —?

(Sehr richtig! links.)

Es ist wirklich sehr eigenthümlich, daß, je mehr Herr Tirpitz sich auszureden sucht, er sich desto mehr hineinredet. Er sagt uns: damals habe ich noch nicht genügend Kenntniß gehabt von der Leistungsfähigkeit der Werften, ich habe es mir schwieriger vorgestellt, den nöthigen Ersatz an Chargirten zu bekommen, jetzt bin ich eines Besseren belehrt, und außerdem habe ich damals nicht geglaubt, daß uns mehr Geld bewilligt werden würde, und deshalb habe ich nicht mehr verlangt. Meine Herren, wenn er uns das nur mit einer Silbe damals angedeutet hätte! Wenn er uns gesagt hätte, was er dächte und meinte, dann würde jedermann gesehen haben, daß das nur eine einseitige Bindung sein sollte, daß man beabsichtige, nur den Reichstag zu binden, während die Regierung sich vorbehielte, weiter zu gehen, sobald Herr Tirpitz erkannt hat, daß die Werften mehr bauen können, sobald Herr Tirpitz erkannt hat, daß der Ersatz der Chargirten leichter zu beschaffen ist, sobald Herr Tirpitz erkannt hat, daß er mehr kriegen kann, wenn er es nur verlangt.

(Sehr richtig! und Heiterkeit links.)

Nun kommt die Erklärung vom Januar dieses Jahres. Herr Tirpitz sagte, daß er in Betreff der Nachrichten, daß ein neuer Flottenplan beabsichtigt wäre, nicht geantwortet habe trotz der Provokation des Herrn Lieber: weil an keiner Stelle in irgend einer Weise die Absicht hervorgetreten sei, einen neuen Flottenplan vorzulegen, daß im Gegentheil bei allen in Betracht kommenden Stellen die festeste Absicht bestehe, das Flottengesetz auszuführen und die darin vorgesehene Limitirung innezuhalten, er habe die Nachricht, daß die Regierung jetzt wieder mit einem neuen Flottenplan vorgehen wolle, nicht für ernsthaft gehalten. So war die Erklärung, die Herr Tirpitz in der Budgetkommission zu Protokoll niedergelegt hat — und nun redet er sich hier wieder hinein und theilt uns mit, daß im Dezember — also unmittelbar vorher — „ernsthaft“ untersucht worden sei, ob nicht eine Vermehrung der Flotte stattfinden müsse, und man nur erklärt habe, man wolle vorläufig versuchen, mit diesem Sexennat auszukommen.

(Hört! hört!)

Wenn er erklärt hätte, daß man ernsthaft damit umgehe, die Flotte zu vermehren und man nur zunächst versuchen wolle, mit der Limitirung auszukommen, so würde der Eindruck einer damaligen Erklärung gerade der entgegengesetzte gewesen sein

(sehr richtig!);

aber er hat es wegwerfend dargestellt als nicht ernsthaft, wahrend man doch in der That damals schon ernsthaft untersucht hat. Früher hat man immer geglaubt, die Sprache sei nur für die Diplomaten erfunden, um die  Gedanken zu verbergen; jetzt ist sie auch für Admirale erfunden, um die Gedanken zu verbergen.

(Heiterkeit.)

Sodann erfahren wir auch wieder, daß, während im Januar diese Erklärung abgegeben wurde, schon im April Herr Tirpitz sich auf Reisen befand, um die Industriellen darauf aufmerksam zu machen, daß man nächstens den Flottenplan erweitern wolle. Was, frage ich, in aller Welt liegt zwischen Januar und April? Im Januar ist etwas noch nicht ernsthaft nach seiner Erklärung, und im April berichtet er schon das Gegentheil. Wenn der Herr Admiral Tirpitz in der Lage wäre, uns zu sagen: im Jahre 1897 ist mir befohlen worden, so zu sprechen, und ich habe damals so gesprochen, und heute spreche ich so, weil mir es jetzt so befohlen worden ist, ich habe damals Zick gesteuert, heute steuere ich Zack

(große Heiterkeit),

den Zickzackkurs mache ich mit, wenn es mir befohlen wird, — so würde das zwar nicht den Anschauungen eines konstitutionellen Ministers entsprechen, aber es würde doch dem Standpunkt eines Generals, eines Admirals entsprechen, der den Befehlen gehorcht, die ihm gegeben werden. Das würde menschlich verständlich sein

(sehr gut! links),

es würde mehr Eindruck machen als alle künstlichen Versuche, sich aus dieser Situation herauszureden.

(Sehr richtig! links.)

Wenn der Herr Staatssekretär Tirpitz den stenographischen Bericht liest und gewahr wird, wie kühl alle seine Erklärungen auf allen Seiten des Hauses aufgenommen worden sind, gleichgiltig, wie sie zu dem neuen Plan stehen, so kann ihm das nicht zweifelhaft sein, daß diese Art seines Verhaltens allgemein gemißbilligt wird.

(Sehr gut! links.)

Nun, meine Herren, was ist denn überhaupt das für ein Gedanke, im voraus festzusetzen, wie viele Kriegsschiffe und welche Kriegsschiffe man in so entfernter Zeit, theils in 8, theils in 12, theils in 16 Jahren bauen will. Ist jemals ein Kriegsminister auf einen solchen Gedanken gekommen, ähnliches vorzuschlagen? Man hat gesagt, diese Festlegung des Schiffssollbestandes ist dasselbe, wie bei einem Militärgesetz die Zahl der Regimenter einer jeden Waffengattung festgestellt wird. Ich frage: ist jemals ein Kriegsminister auf den Gedanken gekommen, zu verlangen, legt jetzt durch ein Gesetz fest, wie viel neue Batterien im Jahre 1908 errichtet werden sollen, daß wir im Jahre 1902 neue Kavallerieregimenter errichten sollen? Dann würde jeder sagen, die Umgestaltung der Artillerie und des Waffenwesens ist eine derartige, daß niemand heute sagen kann, welches Bedürfniß an Kavallerie, Artillerie und solchen Spezialwaffen in 8 oder 12 Jahren vorhanden ist. Und sind nun etwa die Umgestaltungen in Artillerie und Waffenwesen für die Marine von geringerer Bedeutung, als für das Landheer? Gerade entgegengesetzt, die Umwälzungen in der Schiffsbautechnik, im Artilleriewesen der Marine sind noch viel größer gewesen, als es auf dem Lande der Fall ist. Jetzt stellt man es so dar, als ob es ganz unumstößlich sei, daß die Linienschiffe der Kern aller künftigen Flotten sein würden. Man beruft  sich auf die Seekriege der letzten Zeit; aber; diese haben noch gar keine Gelegenheit gegeben über die Bedeutung des Torpedowesens ein Urtheil zu schaffen, und wäre das Torpedowesen so minderwerthig, so wurden Sie selbst nicht darauf dringen, fortgesetzt in demselben Maße die Torpedoschiffe zu vermehren. Nun sagt man, und was ist denn ein Linienschiff? Es wird jeder Begriff, was ein Linienschiff, ein großer oder kleiner Kreuzer ist, gar nicht festgelegt, das wird je nach den Umgestaltungen im Schiffswesen sich richten. Wenn das nicht festgelegt ist, nun, dann stellt der Reichstag, indem er bloß festsetzt eine gewisse Anzahl Linienschiffe, große und kleine Kreuzer, eine vollständig illimitirte Vollmacht aus. Das Linienschiff kann in zehn Jahren das doppelte kosten von heute. Vergleichen Sie doch mit den Vorjahren die Anschläge, da finden Sie das schon heraus. Wir sind ja in dieser Beziehung auch schon belehrt durch die Erfahrungen seit zwei Jahren. Herr Tirpitz gab uns hier und mir gegenüber besonders bestimmte Erklärungen ab, als die Limitirungsfrage kam; er sagte: ich habe meine Voranschläge so genau gemacht, alle die jetzt auf den Stapel zu stellenden Schiffe sind ja schon kontraktmäßig vergeben. Er sagte: ich habe der Sorgfalt halber noch bei den großen Kreuzer je eine Million im Anschlag zugelegt, es ist volle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß wir mit den veranschlagten Summen auskommen werden. Aber, meine Herren, wie lange hat das gedauert? Nur ein einziges Jahr! Schon in diesem Jahr sahen wir aus dem Etat — und das ist merkwürdigerweise von Seiten der Regierung noch gar nicht hervorgehoben worden —, daß alle Schiffe, die Linienschiffe, die großen und kleinen Kreuzer, 17 bis 20 Prozent mehr kosten, als im Flottengesetz von 1898 veranschlagt worden war.

(Hört! hört! links.)

Das bezieht sich nicht bloß auf die Schiffe, die in diesem Jahre die erste Rate erheischen, sondern es bezieht sich schon aus diejenigen Schiffe, die im Etat für 1899 eingestellt worden sind. Es macht das für die Neubauten, die in Frage kommen, eine Erhöhung der Kosten von 12 Millionen aus, für die Ersatzbauten, die in den Rahmen des Sexennats fallen, 14 Millionen

(hört! hört!);

um 26 Millionen ist also die Limitirung schon durch diese Erhöhung der Kostenanschläge bei den Schiffsbauten durchbrochen. Nun sagt der Herr Admiral: das kommt davon, daß die Preise sich gesteigert haben, die Löhne sowohl wie die Eisenpreise. Meine Herren, ob es bloß diese Preissteigerung ist, das weiß ich nicht. Ein Baurath aus der Admiralität hat neulich einen Vortrag über Schiffsbaustechnik gehalten und ausgeführt, daß man nach den Erfahrungen des spanisch-amerikanischen Krieges die neuen Linienschiffe mit einem breiteren und stärkeren Panzer versähe und sie deshalb sich theurer stellten.

(Hört! hört! links.)

Wenn Herr Admiral Tirpitz sagt, die Preise haben sich gesteigert, — ja, meine Herren, ich verlange doch von einem Ressortchef, daß er so viel Umschau in der Volkswirthschaft hält, daß er sich auf eine solche Eventualität auch einrichtet, daß er sie wenigstens als möglich hinstellt; aber er hat überhaupt bestritten, daß es wahrscheinlich sei, daß man mit den Summen nicht auskommen würde. Er hat es also so gut wie sicher bezeichnet, daß die Limitirung innegehalten werden könne, und, indem nun das Gegentheil eintritt, wird bewiesen, daß auch in dieser nicht marine-politischen, sondern technischen Beziehung gar kein Verlaß auf seine Erklärungen ist.

(Sehr richtig! links.)

Meine Herren, nun sagte man uns aber, in dem neuen Flottengesetz soll nicht eine Zeit vorgeschrieben werden, bis wann der Sollbestand der Schiffe erreicht ist. Das suchte man als eine Konzession gegenüber dem Reichstag hinzustellen. Die Sache hat aber ihre zwei Seiten: diese Zeitfestsetzung bietet auf der einen Seite auch einen Schutz gegen ein Drängen der Regierungen, in einer früheren Zeit den Sollbestand zu erhöhen. Was dieses Drängen bedeutet, das sehen wir gerade jetzt, wo man versucht, schon jetzt, innerhalb des Sexennats, diesen Sollbestand zu erhöhen. Wenn der Reichstag wirklich den Versuch machen wollte, die Herstellung des Sollbestandes über die ursprüngliche Absicht hinauszuschieben, dann würde man sofort entgegenhalten: der Plan ist ja darauf zugeschnitten, daß in jedem Jahre drei neue große Schiffe und drei kleine Kreuzer auf den Stapel kommen; schiebt ihr das einmal hinaus, so werft ihr den ganzen Plan um und entzieht uns alle die Vortheile, die wir uns von einem für so lange Zeit entworfenen und festgelegten Plan versprechen. Ja, meine Herren, was würden dann für Kämpfe im Reichstag entstehen, Kämpfe nicht bloß über die Sache selbst, sondern auch über das Recht des Reichstags! Gerade erbitterte Kämpfe führen Sie auf diese Weise erst herbei.

Nun einige Bemerkungen in Bezug auf die auswärtige Politik! Herr von Miquel hat gemeint, die älteren Herren würden sich noch an die Zeit erinnern, wo man in Deutschland zu Neujahr ängstlich nach Paris blickte, um zu erfahren, was Kaiser Napoleon in Bezug auf Europa vorhätte. Er stellt also gewissermaßen es so dar, als wenn solche Zeiten wiederkehren könnten für Deutschland, wenn nicht die beabsichtigte Flottenvermehrung stattfindet. Ja, meine Herren, sind wir in Deutschland irgend auch nur entfernt in Sorge darüber, wie etwa eine Botschaft von Mac Kinley ausfalle oder eine Thronrede der Königin Viktoria? Wie heißt das überhaupt geringschätzen alles, was seit jener Zeit in Deutschland erreicht ist: die Einigung Deutschlands, den Kriegserfolg des Jahres 1870, die gewaltige Kriegsmacht, die seitdem aufgebaut ist, die Erfolge der Bismarckschen Politik! Wie kann man sagen, es könnte jene Zeit der fünfziger Jahre wiederkehren, wenn nicht zu den vorhandenen noch 21 neue Linienschiffe und so und so viele Panzerkreuzer hinzukommen.

(Sehr gut! links.)

Ich wende mich zu der Rede des Herrn Staatssekretärs Grafen Bülow. Das war eine schöne Rede.

(Heiterkeit.)

Herr Graf von Bülow hat auch früher schon schöne Reden gehalten; er hält überhaupt nur schöne Reden!

(Heiterkeit.)

Es steigen die Gedanken hoch empor, Lichtgarben erscheinen von geistreichen oder humoristischen Bemerkungen, ein prasselndes Feuerwerk!

(Heiterkeit.)

Aber schließlich fragt man sich: was hat er denn eigentlich gesagt?

(Schallende Heiterkeit.)

Diese Frage war hier allgemein, als die Rede zu Ende war. Ich hatte in der Nähe gesessen, — ich wußte es aber auch nicht. Und deshalb verlangte man so stürmisch nach dem Druck des stenographischen Berichts, weil man dachte, man hätte etwas überhört.

(Große Heiterkeit.)

Als man dann aber den stenographischen Bericht las, sah man bei dem größten Theil der Rede, daß jeder Nachsatz den Vordersatz wieder aushob.

(Sehr gut! links.)

Gewiß, er hat ewige Wahrheiten gesprochen, die aber überall hinpassen und deshalb für die Sache, um die es sich handelt, gar nicht von Bedeutung sind. Er hat eine Flottenrede gehalten, die er auch hätte Halten können für das Flottengesetz von 1898, und dieselbe Flottenrede würde auch passen, wenn er in einigen Jahren ein drittes oder viertes Doppelgeschwader zu vertheidigen hätte.

(Sehr wahr! links.)

Es war eine Flottenrede en tout cas. Herr Graf Bülow meinte, die letzten zwei Jahre hätten gezeigt, wie die Dinge im Fluß sind und sich noch entwickeln. Nun dachte ich: jetzt kommts.

(Heiterkeit.)

Denn das, was sich in den zwei Jahren so geändert hat, ist eigentlich die Hauptfrage, um die es sich handelt.

(Sehr wahr! links.)

Aber da fing er an zu reden, daß jedes Jahrhundert eine große Liquidation hätte

(Heiterkeit),

da stieg er aus den zwei Jahren in die Jahrhunderte herab, bis ins sechzehnte Jahrhundert herunter.

(Heiterkeit.)

Ich war ihm dankbar, daß er nicht noch weiter zurückging.

(Heiterkeit.)

Die Universitätsprofessoren, die für die Flotte reisen, sind schon so weit herunter, daß sie diese Flottenvorlage als nothwendige Konsequenz der Völkerwanderung hinstellen.

(Große Heiterkeit.)

Der letzte Professor hat sie sogar in Verbindung gebracht mit den alten Römern

(Heiterkeit),

diese Vorlage, die so plötzlich zwischen Januar und April entstand.

(Zuruf links.) — Ja, mit der Arche Noah.

(Schallende Heiterkeit.) Das hätte auch noch hineingepaßt; bei der Sündflut konnte man erst recht sehen, was eine solche Flotte zu bedeuten hat. Was wäre aus der Welt geworden, wenn Noah keine Flotte gehabt hätte.

(Stürmische Heiterkeit.)

Der Herr Staatssekretär ist dann auch auf die Entstehung des japanischen Reiches zu sprechen gekommen; aber das japanische Reich mit allen seinen Konsequenzen der Neuzeit hängt doch nicht mit den zwei letzten Jahren zusammen, es hängt zusammen mit dem Kriege von 1895. Diese Verhältnisse sind schon maßgebend gewesen für alle früheren Schiffsbewilligungen und für das Flottengesetz von 1898.

Er kam dann auf den spanisch-amerikanischen Krieg zu sprechen. Ja, der Gedanke, daß wir, wenn wir eine starke Flotte gehabt hätten, so dumm hätten sein können, uns da hineinzumischen, ist, glaube ich, auf keiner Seite getheilt worden.

(Sehr wahr! links.)

Was beweist überhaupt der spanisch-amerikanische Krieg? Er beweist, daß keine Macht in entfernten Welttheilen größere Kolonien besitzen soll, als im Verhältniß zu der Volkskraft im Mutterlande stehen.

(Sehr wahr! links.)

An diesem Mißverhältniß ist Spanien gescheitert. Den spanischamerikanischen Krieg hat man im vorigen Jahre schon beim Quinquennatsgesetz vorgeführt. In der Begründung können Sie auch lesen: wir müssen 27 000 Mann mehr haben, denn aus jenem Kriege sieht man, wie schlimm es ist, wenn Truppen nicht vorbereitet sind auf den Krieg, wie in Amerika.

(Heiterkeit links.)

Wahrhaftig, meine Herren, aus der Beschaffenheit der amerikanischen Truppen kann doch niemand Vergleiche ziehen mit dem deutschen Heere, und ebenso wenig aus der Beschaffenheit der spanischen Flotte einen Rückschluß ziehen auf die deutsche Flotte auch in ihrer gegenwärtigen Gestalt.

(Sehr wahr! links.)

Man kann sich ja schließlich in jedem Krieg auf eine Partei berufen; denn eine Partei muß immer unterliegen bei einem Kriege, das liegt in der Natur der Sache.

Ueberhaupt, meine Herren, man stellt es so dar, als ob es eine äußerst bewegte kritische Zeit sei, in der wir leben. Kriege hat es immer irgendwo in der Welt gegeben, und gerade in der neueren Zeit, ich erinnere nur an den russisch-türkischen Krieg. Damals hat Fürst Bismarck es weit von sich abgewiesen, sich aus diesen Gründen zu erregen. Nicht die Knochen eines pommerschen Grenadiers waren ihm die bulgarische Frage, die Balkanfrage werth, obgleich wahrhaftig die Bedeutung dieser Interessen für Deutschland weit schwerer wiegt als alle diese Interessen, die durch die neuesten Kriege für uns in Frage gestellt werden. Ja, der spanisch-amerikanische Krieg, alle seine Konsequenzen, alle seine Folgen lagen vollständig klar, als Admiral Tirpitz im Januar dieses Jahres die Erklärung abgab, es sei nicht die Absicht, das Sexennat zu ändern.

Nun sagt man, in diesem Jahre 1899 hätten sich die Ereignisse überstürzt, deshalb also nun dieser Flottenplan. Ja, was ist denn 1899 geschehen? Samoa? Es ist schade, daß gewünscht worden ist, daß wir jetzt nicht weiter darüber sprechen. Da man die Vorgänge in Samoa besonders auszunutzen versucht für die Flotte, so wäre es mir lieb gewesen, gerade diesen Vorgängen etwas näher zu treten. Ich meine, besser, als es geschehen ist, konnten wir aus dieser leidigen Frage gar nicht herauskommen

(sehr richtig! links),

auch wenn wir eine dreifach so große Flotte gehabt hätten. Die Lösung der Samoafrage bedeutet zugleich eine Entlastung für unsere Flotte; denn nun brauchen wir dort keine Schiffe mehr zu haben in Konkurrenz mit amerikanischen und englischen Schiffen, und für die armseligen Samoaner genügt ein gelegentlicher Kreuzerbesuch ebenso wie für die anderen Südseeinseln.

Dann ist das Wort Venezuela gefallen von Seiten des Herrn Staatssekretärs Grafen Bülow. Darüber habe ich mich gewundert. Schon bei dem Flottengesetz von 1898 hat man gesagt: wir haben in Amerika nur Schulschiffe, wie können wir damit auskommen? Man hat sich dadurch bestimmen lassen und hat das Flottengesetz von 1898 bewilligt. In unserem Indiensthaltungsplan für dieses Jahr ist ein großer Kreuzer und zwei kleine Kreuzer für die amerikanische Station vorgesehen, und wenn das Flottengesetz von 1898 durchgeführt ist, dann ist die amerikanische Station dauernd mit einem großen Kreuzer und drei kleinen Kreuzern besetzt. In diesem Etat allein sind noch acht Kreuzer im Neubau auf Grund des Flottengesetzes von 1898. Wie kann man nun die alte Leier von 1898 wieder anschlagen und sagen, die Kreuzernoth besteht, deshalb das neue Flottengesetz? Das heißt doch noch einmal eine Rechnung präsentiren für eine Forderung, die bereits bezahlt ist.

(Sehr gut! links.)

Aber Transvaal! Die Sympathien in Deutschland sind allgemein für die Buren.

(Sehr richtig!)

Sie sind es nicht bloß in Deutschland, — ich glaube, in der ganzen zivilisirten Welt, wo ein Gefühl für Gerechtigkeit ist, übereinstimmend, und jeder Erfolg, den die Buren erringen, wird mit Freuden, ja fast mit Jubel begrüßt als ein Triumph der Gerechtigkeit.

(Sehr wahr!)

In dieser Beziehung giebt es gar keinen Unterschied. Aber das hat der Herr Kollege Sattler mit vollem Recht ausgeführt: etwas anderes ist die Ethik der Völker, die Sympathie für eine Sache, etwas anderes die Politik der Regierung; die Politik der Regierung kann nur nach einem gesunden Egoismus geführt werden, kann nur das Eigeninteresse eines Volkes wahrnehmen. Auch Herr Sattler erachtet es, wie alle Parteien, als ganz selbstverständlich, daß die Regierung sich in dieser Frage streng  neutral hält. Das ist ein Fortschritt gegenüber dem unglücklichen Telegramm

(oho! rechts — sehr richtig! links),

das vor drei Jahren in der Sache abgesandt wurde. Man hat es nun so darzustellen versucht, als ob dieser Krieg beweist, wie übermächtig England sei. Ich denke, der Verlauf des Krieges beweist das gerade Gegentheil.

(Sehr richtig! links.)

Meine Herren, wir sehen, daß die ganze englische Landarmee, alles Verfügbare wenigstens, mobilisiert werden muß nach Südafrika und doch nicht zu durchschlagenden Erfolgen gelangt gegenüber zwei Kleinstaaten, gegenüber den Buren, die nicht einmal eine stehende Armee haben, also sonst gar nicht verglichen zu werden pflegen mit solchen stehenden Heeren. England kann sich beglückwünschen, wenn in seinem weiten Kolonialreich zu dieser Zeit nicht andere Schwierigkeiten noch entstehen.

(Sehr richtig!)

Mag im einzelnen das Ergebniß in Südafrika sein, wie es will, der Gesammteindruck ist der, daß man die Kolonialmacht Englands, die ganze Machtstellung Englands weit überschätzt hat, daß das Reich weit mehr auf thönernen Füßen steht, als man geglaubt hat. Wenn die Engländer klug sind, so ziehen sie eine Lehre daraus und fangen nicht wieder solche Dinge an, die sie in Widerspruch setzen mit den Anschauungen und Sympathien der gesammten zivilisirten Welt.

(Sehr richtig! links.)

Dagegen muß ich mich doch aber erklären gegen die Art, wie Herr Graf Limburg das Verhältniß von England zu uns geschildert hat. In Bezug auf die Chamberlainsche Politik bin ich ganz mit ihm derselben Meinung; aber es ist falsch, die Stellung Englands zu uns, wie sie sich durch die Natur der Dinge ergiebt, wie sie die Geschichte erfahrungsmäßig bestätigt hat, derart zu charakterisiren. Denn es ist nicht richtig, daß England uns in unseren kolonialen Bestrebungen überall feindlich entgegentritt. England hätte alle die Kolonien längst haben können, wenn es sie hätte haben wollen; sie lagen alle vor seiner Thür. Weder dem Fürsten Bismarck noch Caprivi noch seinem Nachfolger ist es schwer gefallen, unsere Interessensphären durch Uebereinkommen mit England so abzugrenzen, wie es geschehen ist und, wie ich glaube, zur beiderseitigen Zufriedenheit geschehen ist. Wer hätte auch früher jemals gedacht, daß England uns Helgoland abtreten würde! Das hängt aber alles nicht mit unserer Flotte zusammen, sondern weil in der That zwischen England und Deutschland gegensätzliche Interessen nicht bestehen oder in geringerem Maße bestehen, als gegenüber irgend einem anderen Staate Europas. Gewiß, eine Allianz können wir nicht abschließen, weil England viele Interessen hat, die wir nicht haben; aber sehr viele unserer Interessen decken sich vollständig mit England, sodaß nicht abzusehen ist, warum wir gerade England gegenüber in einen Gegensatz gerathen müssen, wie Herr Graf von Limburg meinte.

Nun hat der Herr Staatssekretär auch hingewiesen auf die Flottenverstärkung im Auslande. Diese Flottenverstärkungen im Auslande waren auch schon im Jahr 1898 projektirt. Man hat damals nicht nur die präsenten Schiffe, sondern auch die im Bau begriffenen Schiffe in Rechnung gestellt. Man kann sich doch auch nicht wundern, daß, wenn wir in der Flottenverstärkung so vorgehen, wenn allein in diesem Jahre 9 Linienschisse gleichzeitig im Bau sind, nun auch der Wetteifer im Auslande belebt wird, in gleicher Weise vorzugehen. Man sollte auch die Flotten nicht bloß ziffernmäßig einander gegenüberstellen. Es kommt vor allem darauf an, die Flotten nach der Bedeutung zu messen, die sie für das einzelne Land haben. Etwas anderes bedeutet die Flotte für ein Land wie England, das ganz, und für ein Land wie Amerika, das nahezu von Weltmeeren umgeben ist, für Frankreich, ein Land, das ein Kolonialreich von 40 Millionen hat, das an verschiedenen, getrennten Meeren liegt, für England, das ein Kolonialreich von 400 Millionen hat, als für uns, die wir an offenen Weltmeeren nicht liegen und nur beschränkte Küstenstrecken haben, und die wir in der Hauptsache von Landgrenzen umgeben sind. Wenn man das allerdings alles außer Acht läßt und wenn man nur immer auf einem einzelnen Punkt Schlachtschiffe gegen Schlachtschiffe mit einander aufrechnet, so ist das eben eine Admiralspolitik, die nicht mit der wirklichen allgemeinen Politik übereinstimmt.

(Sehr richtig! links.)

Dann, meine Herren, wie kurzsichtig ist diese Admiralspolitik in dem gegebenen Falle! Wenn ich meine Rüstungen verstärken will, so fange ich nicht zu früh darüber an zu sprechen. Als wir die Feldartillerie änderten und das bewilligten, haben wir das insgesammt sorgfältig geheim gehalten, und Deutschland gewann in der Beschaffung einen Vorsprung. Das ist ja nicht immer möglich. Sobald man anfängt, zu bauen, nehmen das die konkurrirenden Staaten wahr. Aber das Beispiel ist mir noch unerfindlich bisher, daß man nun 10, 12, 16 Jahre im voraus urbi et orbi verkündet: wir in Deutschland werden demnächst so und so viel Linienschiffe bauen. Heißt das nicht geradezu, die anderen Staaten provoziren, in dem allgemeinen Weltruf noch schärfer vorzugehen, derart, daß wenn der Zeitpunkt erreicht ist, wir nicht einen Vorsprung haben, sondern daß ungefähr höchstens dasselbe Stärkeverhältniß wie jetzt erreicht ist, daß das Verhältniß der Stärke dasselbe ist, ja, daß wir vielleicht noch zurückgeblieben sind?

Meine Herren, nicht also veränderte Verhältnisse seit zwei Jahren — der Versuch, dies darzuthun, ist absolut mißlungen — können die vollständige Aenderung im Flottenplan rechtfertigen. — Nicht die Verhältnisse haben sich geändert, die Ansichten haben sich geändert, und nicht einmal die Ansichten — kann man sagen — haben sich geändert, sondern sie treten jetzt nur schärfer, unverhohlener, lauter hervor, als es bis dahin der Fall war. Es sind die Ansichten, die sich zusammenfassen lassen mit dem Schlagwort: Weltreich und Weltpolitik. Der Herr Staatssekretär Gras von Bülow hat ja ausdrücklich proklamirt, ein „größeres Deutschland“ müsse entstehen. Er hat dabei auch Beifall gefunden, soweit ich wahrnehmen konnte, auf dieser Seite bei dem Herrn Abgeordneten Lehr, dem Geschäftsführer der Alldeutschen

(Heiterkeit),

was in dieser Vereinzelung allgemeine Heiterkeit erregte.

(Zuruf bei den Nationalliberalen.)

— Es war Herr Hasse also, der Direktor der Alldeutschen selbst! —

(Große Heiterkeit links.)

Meine Herren, wenn ich diese Proklamation des Herrn Grafen von Bülow mit früheren Zeiten vergleiche, so muß ich sagen: was war doch der Ernst Moritz Arndt für ein kleiner bescheidener Mann!

(Heiterkeit.)

Er wollte bloß ein Deutschland, „soweit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt“; aber Graf Bülow erkennt keine Grenze an als die Endgrenzen der Welt. Die Oesterreicher, die russischen Ostseeprovinzen — da sitzen ja Deutsche zu Millionen —, das glaube ich nicht gerade, daß er diese annektiren will, außerdem sind sie mit der Flotte nicht so erreichbar.

(Heiterkeit. links.)

Das wurde ja auch, die größte Thorheit sein, und Fürst Bismarck hat sich solcher Aspirationen stets mit Recht enthalten. Graf Bülow streckt seine Ziele weiter hinaus, noch weiter, als Gott im Himmel Lieder singt. Denn es sind heidnische Völkerschaften

(Heiterkeit links),

die besonders zu unseren Bundesbrüdern gemacht werden sollen.

Herr Graf von Bülow sagt, wir dürfen nicht bei Seite stehen, wenn der Kuchen vertheilt wird. Ja, Kuchen!

(Schallende Heiterkeit.)

Der Kuchen ist längst vertheilt, längst weggegeben. Was an Kolonien Werth hatte, hat längst seinen Herrn; was übrig blieb — die Erfahrung hat unsere Kolonialpolitik schon gemacht —, sind elende Brodkrusten, die, um genießbar zu werden, mehr kosten, als sie Nahrungswerth besitzen

(sehr. richtig! links),

und was nun noch übrig ist, sind bloß noch Krümel

(Heiterkeit),

solche Krümel wie die Karolinen, Palau, und wie die kleinen werthlosen Inselchen heißen, für die wir so viel aufwenden, um sie an Stelle von Kuchen wenigstens auf unseren Teller zu bringen.

Allerdings ist gesagt worden, die Flügel des deutschen Adlers sollen weiter ausgebreitet werden. Wir suchen nach allerlei Punkten herum, auf denen wir uns festsetzen können als Stützpunkt für unseren Handel. Meine Herren, die Kolonien, die wir haben, wollen vom Reich gestützt werden, sie stützen nicht den Handel. Was wir zu unseren Kolonien zuschießen, kostet mehr, als der ganze Ein- und Ausfuhrwerth der Handelsbeziehungen Deutschlands mit diesen Kolonien bedeutet.

(Sehr richtig! links.)

Der Himmel bewahre uns, daß wir noch mehr solcher Punkte bekommen. Es soll ja ein geheimer Vertrag bestehen, daß wir nächstens noch ein neues Defizitland bekommen, daß Deutschwestafrika künftig noch weiter, bis zum 14. Breitengrad, heraufgerückt wird. Und dann das Gemunkel, daß wir auch im westindischen Archipel eine dänische Inselgruppe kaufen. Natürlich, wir treiben ja mit den 17 Millionen für die Karolinen die Preise in die Höhe

(Heiterkeit links),

weil alle Staaten sich darauf besinnen werden, ob sie nicht ein paar abgelegte Inseln zu verkaufen haben.

(Große Heiterkeit links.)

Meine Herren, obgleich es wohl manchem wunderbar erscheint, bin ich der Meinung, daß die Zeiten der Kolonialherrschaft nicht in erhöhtem Maße wiederkommen, sondern daß umgekehrt diese Zeiten mehr und mehr vorbei sind, daß die Kolonialherrschaft in der weiteren Entwicklung der Dinge eine Einschränkung erleiden wird. Der Herr Staatssekretär berief sich auf Frankreich und dessen Erwerbungen in diesem Jahrhundert. Ja, meine Herren, wenn man sich vergegenwärtigt, was Frankreich an Geld und Blut in Tonkin u. s. w. eingebüßt, und was das alles gekostet hat, so weiß ich nicht, ob es noch einmal solche Erwerbungen zu machen geneigt sein kann. Er spricht von Rußland. Ja, Rußland ist ein zusammenhängendes Land, das sich über zwei Welttheile erstreckt, und uns könnte es meines Erachtens ganz recht sein, wenn es seinen Schwerpunkt nach Asien rückt; denn dann wird es seinen Blick um so weniger nach Westen richten und um so weniger in die Lage kommen, in Europa auf Konstantinopel und das goldene Horn seinen Blick zu richten.

(Sehr richtig! links.)

Wie ist denn der spanisch-amerikanische Krieg entstanden? Doch dadurch, daß die Völkerschaften ihrer Kolonialherren müde geworden sind und Aufstände dort entstanden. Cuba hört nun auf, Kolonie zu sein; nach seiner Lage wird es sich naturgemäß den Vereinigten Staaten angliedern. Und was die Philippinen anbetrifft — nun, die Amerikaner haben jetzt wahrlich solche Schwierigkeiten mit den Tagalen und Filipinos, daß es mir, wenn es nicht ein Ehrenpunkt für sie geworden wäre, sehr zweifelhaft sein würde, ob sie noch auf diese Kolonialerwerbung Werth legen würden. Wie ist es Italien im Kriege mit Abessynien ergangen? Es ist natürlich, daß in dem Maße, wie Völkerschaften, auch solche, die nicht der weißen Rasse angehören, zivilisirter werden, in dem Maße, wie die Kultur eindringt, auch das Selbstgefühl lebendiger wird, ihr Freiheitsbewußtsein sich stärkt — sie werden widerstandsfähiger. Und — darüber dürfen Sie. sich nicht täuschen — gerade die Entwicklung des modernen Waffenwesens erleichtert es auch solchen Völkerschaften, die nicht mehr mit Pfeil und Bogen kämpfen wie früher, ihren Kolonialherren Widerstand zu leisten. Dazu noch eins! Alle Kulturvölker in Europa sind genöthigt gewesen, die allgemeine Wehrpflicht anzunehmen. Das Wehrsystem auf Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht verträgt sich durchaus nicht mit Kolonialherrschaft.

(Sehr richtig! links.)

Kolonialherrschaft ist nur möglich mit Heeren, die durch Werbesystem zusammengetrieben werden, und wir sehen, wie viel Mühe uns schon das bischen Schutztruppe macht, das für den jetzigen Kolonialbesitz erforderlich ist, und wie schwer es hält, auch da nur die Ergänzung herbeizuführen.  

Der Graf Bülow sprach dann von der Stellung der Deutschen im Auslande. Es ist ja nicht das erste Mal, daß er zurückgreift und es so schildert, wie gedrückt in früheren Zeiten, wie demüthig, wie bescheiden diese träumerischen Deutschen im Auslande gewesen seien, vergleichbar den Hauslehrern, die hochnäsigen Kavalieren gegenüber sich hätten bescheiden müssen. Meine Herren, ist denn das wirklich wahr, ist es auch nur wahr in der Zeit vor 1870? Ich möchte, daß Fritz Kapp noch lebte, der hier so entschieden gegen den Beginn der Kolonialpolitik auftrat, der würde Ihnen andere Begriffe beibringen von dem Ansehen und der Bedeutung der Deutschen im Auslande; und ich wünschte, Karl Schurz könnte erscheinen und Ihnen klar machen, was die Achtundvierziger, die aus Deutschland nach Amerika gegangen sind, längst vor der Bildung des Deutschen Reiches an Einfluß und Ansehen im Auslande genossen haben.

(Sehr richtig! links.)

Allerdings das ist richtig, daß die Einigung Deutschlands, das aufgehört hat, ein geographischer Begriff zu sein, daß die Kriegserfolge von 1870/71, daß auch die Bismarcksche Politik — denn über die auswärtige Politik haben wir immer anders gedacht als über die innere — wesentlich dazu beigetragen haben, die Ehre und das Ansehen der Deutschen auch im Auslande zu steigern. Darum sage ich, meine Herren, wie geringschätzig beurtheilt man die Bedeutung des Jahres 1870, alles das, was seitdem erfolgt ist, wenn man jetzt sagt: das ist ja alles verloren, Deutschland wird wieder klein werden, wenn nicht noch die neuen Schlachtschiffe und die neuen Kreuzer uns davor bewahren, daß wir der Spott des Auslandes werden, daß wir wieder in die Bescheidenheit des Hauslehrers dem hochnäsigen Kavalier gegenüber gerathen.

(Sehr gut! links.)

Der Herr Staatssekretär beklagte sich darüber, daß von gewissen Seiten — das ist die Gegenseite von uns, eine Seite, die Herrn Kollegen Hasse näher steht — die Regierung gedrängt würde, man suchte sie bald gegen den einen Staat, bald gegen den anderen zu bewegen, man schätze nicht die Schwierigkeiten der auswärtigen Politik. Ja, das ist wahr, Herr Staatssekretär, Sie haben recht; aber sind Sie nicht selbst schuld, wenn diese chauvinistische  Strömung, wenn ein ungezügeltes Größenbewußtsein sich ausbildet, wenn Sie durch solche Redewendungen selbst dazu beitragen, solche Gesinnungen groß zu ziehen? Wohin das führt, das hat Ihnen Herr Schmoller, auch ein solcher Flottenprofessor

(Heiterkeit),

in einem Vortrage gezeigt, dem der Herr Staatssekretär Tirpitz auch beigewohnt hat. „Stürmischer Beifall“ heißt es zum Schluß; vielleicht hat der Herr Staatssekretär auch darin eingestimmt. Worin gipfelten diese Ausführungen des Herrn Schmoller? Er sagte, Deutschland muß der Mittelpunkt einer großen Koalition aller Mittel- und Kleinstaaten der Welt werden, Deutschland muß die Integrität aller dieser Staaten garantiren, es muß sie schützen und die großen Weltstaaten im Zaum halten. Ja, das heißt mit einem Wort, Deutschland soll sich zum Champion machen, soll alles Unrecht in der Welt bekämpfen, soll überall mit der gepanzerten Faust hereinfahren, wo in der Welt etwas los ist, und wo man glaubt, daß jemand in das Unrecht von anderen Staaten gesetzt ist. Aber Herr Schmoller ist wenigstens auch so konsequent, daß ihm die 40 Linienschisse nicht ausreichen; er ist bereits über den Flottenplan längst hinaus, er sagt, mindestens 50 müßten es sein.

(Heiterkeit.)

 Ja, das reicht aber auch nicht aus, 100 vielleicht kaum. Und dann, was nützt dann die Flotte, wenn wir nicht dazu auch noch eine große Kolonialarmee haben. Das zeigen Ihnen jetzt die Buren; also das müßte auch noch hinzukommen.

Der Herr Staatssekretär hat ein Wort gebraucht, von dem ich wünschte, er hätte es nicht gebraucht: Deutschland wird entweder Hammer oder Amboß sein. Nein, Deutschland wird nie mehr Amboß sein; aber Deutschland hat auch nicht den Beruf, Hammer zu sein: Deutschlands Beruf ist es nicht, auf andere Völker loszuhämmern. Wir wollen es jedem Volksstamm überlassen, in der Façon sich zu entwickeln, nach seinem Gefallen und seinen Verhältnissen entsprechend, und haben nicht den Beruf, auf ein Volk loszuhämmern und ihm die Gestalt zu geben, die uns als die richtige erscheint.

(Sehr gut!)

Alle solche Darstellungen pflegen anzuknüpfen an die Jahre 1870/71, an die damaligen großen Erfolge, ans den Ruhm, den damals Staatsmänner, Feldherren davongetragen haben. Psychologisch ist es ja erklärlich, daß Männer, die einen Thatendrang in sich fühlen, nach Ruhm, nach Ehre, nach äußeren Erfolgen lechzen, wenn sie zugleich von heißer Liebe zur Flotte erfüllt sind, sich gedrungen fühlen, da Europa, wo die Politik Dank dem Dreibund festgelegt ist, nicht mehr Spielraum dafür bietet, große Thaten in überseeischen Gebieten zu verrichten zu suchen.

(Sehr gut!)

Diese Ueberschätzung der Bedeutung der Machtfragen in überseeischen Ländern in Verbindung mit einer Ueberschätzung der Bedeutung der Flotte führt zu immer größeren Anforderungen für die Flotte. Die Zukunft Deutschlands — darin stimme ich mit dem Herrn Grafen Limburg-Stirum überein — liegt nicht in dieser Weise auf dem Wasser, die Zukunft Deutschlands liegt im deutschen Volke selbst, in der gleichmäßigen Entwicklung aller seiner Kräfte, vor allem in der Heimat, dann auch in den Beziehungen zum Ausland, nicht bloß zu Wasser, sondern auch zu Lande.

Meine Herren, eine Volksvertretung kann nicht selbst regieren; aber eine Volksvertretung hat die Aufgabe, darüber zu wachen, daß die verschiedenen Interessen des Reichs gleichmäßig Berücksichtigung finden, daß nicht ein Zweig der Fürsorge des Reichs überschätzt wird, in seiner Bedeutung vorangestellt wird, sodaß die anderen darunter beeinträchtigt werden und verkümmern. Wo man dieses Bestreben hervortreten sieht, da ist es nicht bloß ein Recht der Volksvertretung, sondern eine Pflicht der Volksvertretung, zu kritisiren, und die Kritik muß um so schärfer sein — das gehört auch zur Hamburger Rede —, je gefährlicher die Wege scheinen, die beschritten werden sollen. Man macht sehr oft die Wahrnehmung, daß diejenigen, welche über die Kritik am lebhaftesten klagen bei andern, selbst besonders bereit sind, zu kritisiren, in dem Glauben, selbst alles am besten zu verstehen. Und weil eine Volksvertretung nicht bloß das Recht, sondern die Pflicht hat, Kritik zu üben, so ist es auch falsch, es so darzustellen, als ob eine Volksvertretung nur den Beruf habe, einig und geschlossen hinter den Regierungen, den Fürsten zu stehen. Nein, meine Herren, das ist eine Verwechslung der Aufgaben der Volksvertretung mit der Stellung eines Leibgarderegiments. Auch die Fürsten sind fehlbare Menschen, und sie sind um so mehr der Fehlbarkeit ausgesetzt nach ihrer abgeschlossenen Erziehung und nach ihrer einseitigen Umgebung. Auch das Bewußtsein der Verantwortlichkeit vor Gott, so lebhaft es hervortritt, kann vor diesen Fehlgriffen nicht schützen. Im übrigen ist es auch keine andere Verantwortlichkeit als diejenige, die jeder andere auch innerhalb seines Wirkungskreises hat.

In den Bismarck-Memoiren, die vor Kurzem veröffentlicht worden sind, heißt es:

Der edelste Monarch, wenn er nicht in seinem Idealismus gemeinschädlich werden soll, bedarf der Kritik, an deren Stachel er sich zurechtfindet, wenn er seinen Weg zu verlieren Gefahr läuft.

ebenso heißt es in den Bismarckmemoiren, daß

die einsichtigsten und wohlwollendsten Regenten den menschlichen Schwächen und Unvollkommenheiten sonst unterliegen, die in der Ueberschätzung der eigenen Einsicht und dem Einfluß und der Beredsamkeit von Günstlingen liegen.

Meine Herren, es ist geklagt worden über die sich immer schärfer ausprägenden Parteien. Der Herr Minister von Miquel hat gesprochen von einem Uebermaß des Fraktionswesens, und auch der Herr Kollege Sattler hat geglaubt, auf die große Zahl der bestehenden Fraktionen hinweisen zu müssen. Ich habe nie gefunden, daß, wenn mehrere Fraktionen mit der Richtung eines Gesetzes übereinstimmen, die Vielheit der Fraktionen ein Hinderniß gewesen ist, um taktisch zusammenzuwirken für das Zustandekommen des Gesetzes. Ich habe auch nie gefunden, daß die Regierung sich beklagt hat über die Vielheit der Fraktionen, wenn sie ihrerseits aus mehreren solcher Fraktionen eine Mehrheit für ein Gesetz sich zusammenbringen konnte. Und im übrigen hat gerade die Regierung, hat gerade Fürst Bismarck alles daran gesetzt, möglichst viele Fraktionen, möglichst viele Parteigegensätze hervorzurufen, weil es für eine Regierung viel bequemer ist, in der Konkurrenz von mehreren Fraktionen in einem Reichstage zu regieren, als gegenüber großen und geschlossenen Parteien. Parteiwesen ist eine Nothwendigkeit. Politische Parteien müssen sein; überall, wo selbstständige Entschließungen zu fassen sind, wird man auch in seinen Ansichten auseinandergehen; und die Verschiedenheit der Ansicht bedingt auch eine Verschiedenheit der politischen Parteien. Es ist nicht richtig, was der Herr Kollege Dr. Sattler meint, in nationalen Fragen müsse die Partei schweigen. Was heißt denn das? Ueberall, wo man selbstständig urtheilen soll,  bilden sich von selbst auch verschiedene Ansichten, die in verschiedenen Parteien ihren Ausdruck finden. Der Herr Kollege Sattler scheint unter nationalen Fragen zu meinen alle Fragen des Heerwesens, der Marine, vielleicht auch der Kolonialpolitik. Soll der Reichstag auf seine Selbstständigkeit in diesen Dingen verzichten, soll er einfach den Chor abgeben für das, was die Regierung will? Wenn der Reichstag ein selbstständiges Urtheil haben soll, so ist doch die nothwendige Folge die, daß verschiedene Richtungen in der Beurtheilung eintreten, und daß diese verschiedenen Richtungen mit einander in Kampf gerathen. Ueberhaupt, was würde werden ohne Parteikämpfe? Es würde ja das öffentliche Leben veröden und versumpfen.

(Sehr richtig! links.)

Was ist denn der ganze Parteikampf — richtig ausgefaßt — anderes, als ein Wettstreit der verschiedenen s Richtungen, was nun eigentlich das Beste ist für das Wohl des Ganzen?

(Sehr gut! links.)

Man hat gesprochen von dem öden Zank, der sich darüber entspinnt, wie die einzelnen Kammern, Abtheilungen und Säle des Gebäudes des Reiches einzurichten sind. Als die Verfassung des Reiches zu Stande gekommen war, da wurde von allen Seiten, und namentlich von nationalliberaler, proklamirt, nun sei es die Aufgabe, zuzusehen, daß das Innere des Gebäudes in allen seinen Abtheilungen, Kammern und Sälen wohnlich eingerichtet werde.

(Sehr richtig! links.)

Daß dies der Fall ist, ist die Hauptsache. Nicht auf die glänzende äußere Façade kommt es in erster Reihe an. Man schilt auf Parteikämpfe — aber die häßlichsten Parteikämpfe haben sich eben entsponnen über den neuen Flottenplan

(sehr richtig! links),

nicht der politischen Parteien dieses Hauses — diese sind in ihren Führern nicht derart hervorgetreten; ja, Sie haben gestern sowohl von Herrn Sattler wie von Herrn von Kardorff gehört, daß diese entschieden diese Art des Parteikampfes, der Agitation für den Flottenplan, wie wir sie in den letzten Wochen erlebt haben, mißbilligen. Freilich, Herr von Miquel hat darin einen Widerhall gefunden in den großen Schichten des Volkes von der Hamburger Rede. Es ist ein wahrer Hexensabbath gewesen, der sich entsponnen hat, an welchem theilgenommen haben der Geschäftspatriotismus, der Servilismus und die elendeste Liebedienerei. 

(Lebhafte Zustimmung links.)

Zu dem Geschäftspatriotismus, der schon hinlänglich gekennzeichnet ist und die Führung in der Bewegung ja gehabt hat, ist eine gewisse Hurrahgarde gekommen, die für alles zu haben ist, wenn es oben gewünscht wird

(sehr gut! links),

die sich aufregt und wieder abregt, je nachdem von oben her die Losung gegeben wird.

(Heiterkeit links.)

Und es konnte ja nicht ausbleiben, daß zu dieser Flottenromantik sich auch Romanschriftsteller und Novellisten von Namen bereit erklärten Vorträge zu halten, obgleich sie früher ihr Flottenherz so wenig entdeckt haben wie die Professoren.

Und dann die Einwirkung auf die Beamten! Sogar der Herr Reichskanzler soll Mitglied des Flottenvereins geworden sein.

(Heiterkeit links.)

Es ist mir zwar gesagt worden, daß er bei der Mittheilung hier sehr überrascht ausgesehen habe.

(Heiterkeit); 

vielleicht ist ihm entgangen bei den vielen Unterzeichnungen von Schriftstücken, daß er solche Aufforderung unterzeichnet hat, ohne daß er sich der Betheiligung bewußt ist.

Aber abgesehen von dem Reichskanzler — alles hat man gepreßt, vom Oberpräsidenten herab — sogar der Reichsbankpräsident ist gegen allen bisherigen Brauch in diese Parteibewegung hineingezogen worden — bis herunter selbst zu den Kellnern in den Eisenbahnrestaurationen: Unterbeamte, mittlere Beamte, und — auch Landräthe. Die armen Landräthe!

(Große Heiterkeit.)

Erst hat man ihnen klar gemacht durch Zurdispositionsstellung, daß ein Landrath gar keine selbständige politische Ueberzeugung vertreten darf. Nachdem man ihn derart degradirt hat vor der öffentlichen Meinung, glaubt man, daß er noch geeignet sei, Anderen die Ueberzeugung der Regierung beizubringen, wo doch die Anderen wissen, er selbst darf gar keine eigene Ueberzeugung zum Ausdruck bringen!

(Sehr richtig! links.)

Den Brennstoff für alle diese Agitationen hat das Reichsmarineamt geliefert. Der Vorgänger des Herrn Tirpitz, Herr Hollmann, hat mehr als einmal in der Budgetkommission erklärt, wenn wir glaubten, daß das Reichsmarineamt hinter einer Flottenagitation steckte, er sei weit entfernt davon, dergleichen zu fördern; er hielt sich für zu vornehm dazu

(hört! hört!),

es nicht für angemessen in seiner Stellung, derartige Agitation zu treiben. Das ist mit Herrn Tirpitz alles anders geworden. Er liefert die amtlichen Artikel, er kommandirt die Korvettenkapitäne, die durch ihre Schriften den Reichstag mürbe machen sollen und alle jene Artikel in der „Berliner Korrespondenz“ und in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ schreiben. Von da aus werden die Provinzblätter, die Kreisblätter dirigirt, Broschüren mit Inhalt versehen, die unter der anonymen Maske des Vaterlandsfreundes in die Welt gesetzt werden. Und wenn es nicht möglich ist, auf diese Art Begeisterung zu erzielen, dann versucht man zum mindesten Schrecken zu erregen, um auf diese Weise Stimmung zu machen für die Flottenpläne.

Hören Sie also beispielsweise: ein Flugblatt, das vom Fürsten Wied als Präsidenten des Flottenvereins — sein Sekretär Schweinburg ist ja die Hauptsache dabei

(Heiterkeit)

 — unterzeichnet wird, sagt: „was jetzt an schwimmendem Material unsere Kriegsflagge trägt, ist zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig.“

(Hört! hört! links Heiterkeit.)

Wenn man jetzt durch Unterlassung des neuen Flottenplans sündige, — und hier kommen althebräische Redeweisen, — so werde das heimgesucht werden an unseren Kindern und Kinderskindern bis ins dritte und vierte Glied.

(Große Heiterkeit.)

Dann erscheint in der offiziösen Mittlerschen Buchhandlung eine Broschüre, in der es heißt: „Ein Staat, der nicht bloß ein geduldetes Dasein führen will, muß diesen Flottenplan gut heißen, oder auch: „was sind große Opfer im Verhältniß zu einem unglücklichen Krieg! Es wird dann darauf hingewiesen, daß, wenn der Flottenplan nicht angenommen wird, es uns ergehen könne wie Rom, das den Germanen zum Opfer gefallen sei, wie Konstantinopel, das den Türken zum Opfer gefallen sei.

(Heiterkeit.)

Dann kommt ein Aufruf, von der Vereinigung der Flottenredner unterzeichnet, in dem es heißt:

Ein Seekrieg ohne den neuen Flottenplan bedroht unsere Küsten, Häfen, Seestädte mit Raub und Brand

(Hu! hu! Heiterkeit),

und das ganze Deutsche Reich kann mit einem Schlage gestrichen werden aus der Reihe der gebietenden und reichen Weltmächte.

Meine Herren, das ist gar nichts neues, das ist alles schon dagewesen.

(Sehr richtig! links.)

Erinnern Sie sich an die Septennatskämpfe von 1887! Das ist hier alles bloß übersetzt vom Land aufs Wasser.

(Heiterkeit.)

Ich habe hier einen Bilderbogen von 1887 aus meinem Wahlkreise. Da ist anschaulich dargestellt, daß, wenn die verlangte Heeresstärke nicht auf sieben, sondern nur auf drei Jahre bewilligt würde, wie es uns da ergehen würde: wie die Zuaven kommen, die Häuser anzünden, das Vieh forttreiben, wie die Frauen vergewaltigt werden — kurz, es ist schauerlich.

(Heiterkeit.)

Jetzt ist darin schon so viel geleistet worden, daß, wenn es zur Wahl kommt, wir ganz entschieden diese Bilder wiedersehen werden. Ich stelle sie dem Chef der Reichsmarineverwaltung zur Verfügung.

(Große Heiterkeit.)

Sie verbreiten ja jetzt schon farbige Lichtbilder bei der Flottenagitation. Es kann dies hier auch sehr schön ausgemalt werden und, wenn nicht Begeisterung für die Flotte, dann wenigstens Schrecken erregen.

Das Allerhäßlichste in diesem Falle ist die Art, wie man von mancher Seite beflissen ist, die Standarte des Kaisers in diesen Kampf hineinzutragen.

(Hört! hört! links.)

Und nicht bloß des Kaisers, sondern auch der anderen Fürsten bis zu den Erbgroßherzögen. Das ist freilich nicht das erste Mal. Ich habe in der Kanaldebatte, wo ich denselben Standpunkt einnahm wie die Regierung, darauf hingewiesen, für wie verderblich, falsch und verkehrt ich ein solches Hineinziehen der Person des Kaisers in den Kampf über eine solche Frage halte; daraus habe ich im Abgeordnetenhause kein Hehl gemacht. Ich glaube in der That, daß bei solchen Kämpfen, je öfter man sich auf den Kaiser beruft, die Wirkung desto mehr abgeschwächt wird; je öfter, desto weniger kann es ausbleiben, daß der Appell an Kaiser und Fürsten nicht die Wirkung erzielt, die man beabsichtigt, sondern daß der Appell mit einer Niederlage endet, die dann auch, was sonst nicht der Fall sein würde, eine Niederlage ist für die Fürsten selbst, auf die man sich berufen hatte.

(Sehr richtig!)

Und wenn auch der Appell immer die gewünschte Folge hätte, was bedeutet das auf die Dauer? Das ist napoleonische Taktik, sich durch Plebiszite nach außen die Zustimmung des Volkes zu sichern. Noch im Sommer 1870 fand ein solches Plebiszit in Frankreich statt; aber nach der ersten unglücklichen Schlacht brach dieser Thron zusammen, und man ersah da erst, wie unterwühlt und unterhöhlt er war durch diese Art der Politik, die stets bemüht war, die Standarte des Monarchen in den Parteikampf hineinzuziehen.

(Sehr gut! links.)

Meine Herren, Sie ersehen aus alledem, daß es sich in allen diesen Kämpfen nach der Art, wie das Gesetz inszenirt und vorbereitet ist, nach der Art, wie dafür agitirt wird, um weit mehr handelt, als um eine größere Anzahl Linienschiffe und Kreuzer. Gestern ist der Regierung von rechts her von zwei Seiten eine Absage ertheilt worden, ein Mißtrauen erklärt worden, das so unzweideutig war, wie es unzweideutiger nicht sein kann. Wir erklären Ihnen von links her aus anderen Gründen, wie von rechts her, daß die Politik der Regierung gegenwärtig zu impulsiv, zu sprunghaft, zu sehr von plötzlichen Eingebungen beherrscht ist und zu wenig von selbstständigen Ministern zur Ausführung gebracht wird, als daß wir ihr etwas anderes als ein entschiedenes Mißtrauen nur entgegenbringen können.

(Sehr richtig! links.)

Wir haben in der auswärtigen Politik wenig oder gar nicht Ursache gehabt, dem Fürsten Bismarck entgegenzutreten, so scharf wir ihm auch in der inneren Politik entgegengetreten sind; aber die auswärtige Politik des neuesten Kurses, die nach den Stichworten des Weltreichs und der Weltpolitik zurechtgelegt wird, die in der Marinevorlage und den begleitenden Kundgebungen hervorgetreten, ist, ich will noch nicht sagen, zu phantastisch, aber zu phantasievoll, um ihr irgendwie Vertrauen entgegenbringen zu können.

(Stürmischer, wiederholter Beifall links. Wiederholtes Zischen bei den Nationalliberalen und rechts.)