Eugen
Richter gegen die Flottenaufrüstung
Reichstag, 14. Dezember 1899
Präsident:
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Richter,
Abgeordneter: Wenn der Herr Minister Thielen
gestern hier gewesen wäre, so würde
er wahrscheinlich den Eindruck empfangen
haben, daß die Ausführungen des
Herrn von Kardorff mehr zur Belustigung und
Erheiterung des Hauses gedient haben
(sehr
richtig! links),
als
sie im Hause ernsthaft genommen wurden.
(Sehr
richtig! links.)
Lang’,
lang’ ist’s her, daß wir den Herrn von
Miquel hier
nicht gesehen haben; die Wasser müssen
ihm schon sehr hoch gehen, wenn er das
Reichstagsufer einmal betritt.
(Sehr
richtig! links.)
Vielleicht
war es auch nicht bloß Herr Dr. Lieber,
dessen
Aeußerungen ihn hierher zitirten; er
nahm die Gelegenheit wahr, durch eine
demonstrative Flottenbegeisterung seine
Position auch noch nach einer anderen
Seite hin zu stärken.
(Sehr
gut! links.)
Indessen
sei dem, wie ihm sei, von Zeit zu Zeit sehn
wir ihn
gern; schade nur, daß er nicht etwas
länger gestern geblieben ist, als Herr
von
Kardorff die Sprache brachte auf die
verfassungswidrige Maßregelung der
Landräthe im preußischen
Abgeordnetenhaus. Herr von Kardorff sagte
freilich, er
wisse, daß Herr von Miquel
persönlich nicht dabei betheiligt sei.
Wenn Herr von
Kardorff Muselmann wäre
(Heiterkeit),
würde
er vielleicht bei sich denken: Allah
weiß es besser.
(Heiterkeit.)
Wenn
er sich nicht auf Allah berufen wollte, so
hätte er
auch sagen können: Fürst Hohenlohe
weiß es besser.
(Sehr
gut! links.)
Herr
von Miquel meinte gestern, nach seiner
langjährigen
Praxis sei es nicht üblich gewesen, Reden
des Monarchen hier einer Kritik zu
unterziehen. Meine Herren, unter dem
früheren Monarchen kam es auch nicht vor,
daß derselbe in öffentlichen Reden
Angelegenheiten des Reichstags besprach.
(Sehr
richtig! links.)
Wenn
der Monarch von seiner privilegirten
Redefreiheit
Gebrauch macht, zum Volke öffentlich
derart zu sprechen, so ist es unsere
Pflicht, von unserer Redefreiheit Gebrauch zu
machen, um darauf zu erwidern.
(Sehr
richtig! links.)
Wie
du mir, so ich dir; wie es in den Wald
hineinruft, so
schallt es wieder aus dem Walde heraus.
(Sehr
richtig! links.)
Und
dann lag hier noch eine ganz besondere
Veranlassung vor.
Der Reichstag war in jener Rede
ungerechtfertigten Anschuldigungen unterworfen
worden; es war ihm zum Vorwurf gemacht, in den
ersten acht Jahren der Regierung
des gegenwärtigen Kaisers
Verstärkungen der Flotte beharrlich
abgelehnt und das
Wohl des Ganzen Parteiinteressen untergeordnet
zu haben. Gegen solche
Anschuldigungen sich zu vertheidigen, dazu
bedarf es nicht erst des
Männerstolzes vor Königsthronen, das
ist einfach Pflicht der Selbstachtung.
(Sehr
gut!)
Wenn
ein einfacher Privatmann solche
Beschuldigungen gegen
den Reichstag erhebt, so ist der Reichstag zu
vornehm, um eine Genehmigung zur
Verfolgung zu ertheilen; wenn aber von solcher
hohen und privilegirten Stelle
aus solche Vorwürfe erhoben werden, dann
eben ist es Pflicht des Reichstags,
dagegen zu sprechen.
(Sehr
gut! links.)
Die
Herren Minister und Abgeordneten, die sich
gestern Mühe
gaben, jene Hamburger Rede zu vertheidigen,
haben gerade von demjenigen nicht
gesprochen, wogegen sich die Kritik des Herrn
Dr. Lieber kehrte; — nicht gegen
die Aufforderung, einig zu sein, sprach
Abgeordneter Dr. Lieber, sondern seine
Kritik kehrte sich gegen die Betrachtungen,
welche die Rede anstellt in Bezug
auf die Vergangenheit, die frühere
Haltung des Reichstags in den acht Jahren. In
dieser Beziehung will ich noch einige
Thatsachen ergänzend zu den
Ausführungen
des Herrn Dr. Lieber hinzufügen.
Meine
Herren, was ist denn in diesen acht Jahren,
Etatsjahr
1889 bis Etatsjahr 1896, endgiltig abgelehnt?
Zwei Küstenpanzer! Nun, die
Regierung selbst hat bald darauf Abstand
genommen, überhaupt diese
Küstenpanzer
nochmals zu fordern, weil sie sich inzwischen
überzeugt hatte, daß die ganze
Siegfriedklasse den auf sie gesetzten
Erwartungen nicht entsprach; im neuen
Flottengesetz sind deshalb gerade diese
Küstenpanzers auf den Aussterbeetat
gesetzt worden, d. h., wenn ihre Dienstzeit
abgelaufen, werden sie nicht wieder
ersetzt werden.
(Sehr
richtig!)
Die
Ablehnungen in dem Reichstag haben also
bewirkt, daß
zwei Küstenpanzer gespart worden sind,
die die Regierung selbst nicht als ihre
Zwecke vollständig entsprechend erachtet.
Im übrigen betreffen die Ablehnungen
4 oder 5 Korvetten, kleine Kreuzer, Avisos —
die Bezeichnung hat ja fortgesetzt
gewechselt für diese Schiffsklassen.
Warum
aber sind diese Kreuzer zurückgestellt
worden mehrere
Jahre? Weil die Regierung selbst sich
wechselte in der Konstruktion dieser
Schiffe, weil sie selbst in ihren Ansichten
unter dem Wechsel unterlag, und
weil sie im Laufe der Jahre ganz verschiedene
Dinge als Zwecke für diese
Schiffe bezeichnete. In jener Denkschrift von
1889 werden diese Schiffe als
Kaperschiffe bezeichnet. Nun, was war
natürlicher, als daß der Reichstag,
der
nicht über ein gewisses Maß der
Bewilligung hinausgehen wollte, die Vermehrung
der Kaperschiffe, als einem sekundären
Zweck dienend, zurückstellte hinter
anderen Bewilligungen? Späterhin sind
auch diese Schiffe, wenn auch unter
anderen Namen, bewilligt worden, und so ist es
auch ganz ungerechtfertigt, zu
behaupten, daß, wenn solche Schiffe
nicht verweigert worden wären, heute man
den Handel, die Seeinteressen ganz anders
schützen könnte. Alle jene Schiffe
und mehr Schiffe schwimmen gegenwärtig
auf dem Wasser.
Meine
Herren, sind jene Ablehnungen denn erfolgt,
etwa weil
man das Wohl des Ganzen Parteiinteressen
unterordnete? Nein, im Gegentheil; die
Streichungen oder Zurückstellungen fallen
hauptsächlich in die Jahre 1893, 1894
und 1895; das waren jene Jahre, in denen
große Steuervorlagen das Haus
beschäftigten, über 100 Millionen
Mark hinausgehend. Es hat uns damals sehr
schwer gehalten, diese Steuervorlagen als
überflüssig zurückzuweisen. Wir
haben
dazu den Etat nach allen Richtungen korrigiren
müssen, und dazu hat allerdings
auch die Marine durch Absetzungen einen
bescheidenen Beitrag liefern müssen.
Wir waren der Ansicht, daß, wenn durch
solche neuen Steuern — ich erinnere nur
an die Tabackfabrikatsteuer — große
Industriezweige beeinträchtigt und
gestört
wurden, das für den Volkswohlstand ein
viel größerer Nachtheil sein
würde, als
ob ein paar Kreuzer einige Jahre später
bewilligt werden.
(Sehr
richtig!)
Also
nicht einseitige Anschauungen, sondern gerade
Unterordnung des einseitigen Marineinteresses
unter das Wohl des Ganzen hat uns
dazu bestimmt.
(Sehr
richtig!)
Meine
Herren, wie viel aber ist andererseits
bewilligt
worden? Herr Dr. Lieber hat dies prozentual
nach Schiffen und Geld berechnet, —
ich will mich auf die einfachsten Ziffern
meinerseits beschränken. In den
letzten acht Jahren Kaiser Wilhelms des Ersten
hat in diesen Jahren
zusammengenommen das Extraordinarium der
Marine 107 Millionen, in den ersten
acht Jahren des jetzt regierenden Monarchen
hat das Extraordinarium der Marine 260
Millionen betragen. Das Extraordinarium der
Marine ist also gerade in diesen
acht Jahren mehr als verdoppelt worden. Und da
wird gesagt, der Reichstag habe
beharrlich Verstärkungen der Marine
abgelehnt! Gerade in diesen acht Jahren hat
sich auch das Ordinarium der Marine
erhöht von 37 Millionen auf 57 Millionen,
also um mehr als 50 Prozent, die präsente
Stärke der Mannschaft hat sich
erhöht
um 40 Prozent. Wie kann man da sagen, in den
ersten acht Jahren sei eine
Verstärkung der Marine beharrlich
abgelehnt?
Der
Herr Reichskanzler hatte ja gar keine Ahnung
vorher, daß
eine solche Rede gehalten werden würde;
der Herr Staatssekretär Tirpitz aber
ist in Hamburg zugegen gewesen. Ich nehme an,
daß ihm vorher diese Rede nicht
mitgetheilt
ist; wäre sie ihm mitgetheilt, so
würde er meines Erachtens kraft seiner
ressortmäßigen Kenntniß der
Dinge es verhütet haben, daß mit
der Wirklichkeit
derart nicht übereinstimmende
Behauptungen in Bezug auf die Haltung des
Reichstags in jenen acht Jahren aufgestellt
worden wären. Es hätte ja auch gar
nichts entgegengestanden, dem Minister, der
ressortmäßig verantwortlich ist,
vorher diese Rede mitzutheilen; denn sie ist
ja nicht nachträglich korrigirt
worden durch das Zivilkabinet wie sonst wohl,
sondern sie ist vorher Wort für Wort
festgestellt gewesen. Es wäre ja sonst
nicht möglich gewesen, daß sie
entweder
gleichzeitig oder, wie mir gesagt worden ist,
sogar schon früher, als sie
gehalten wurde, in die Druckerei des
„Reichsanzeigers“ hierher gelangte.
(Hört!
hört!)
Herr
von Miquel hat gestern gesagt, der Monarch
bedürfe
keines Rathgebers, um seine Ansichten in Bezug
auf die Marine zum Ausdruck zu
bringen. Das Vorkommniß in Hamburg,
daß mit der Wirklichkeit nicht
übereinstimmende Angaben gemacht worden
sind in Bezug auf die Marine, beweist
gerade das Gegentheil der Ansicht des Herrn
von Miquel.
(Sehr
richtig!)
Auch
im Reichstag hier hat man ja keinerlei Versuch
gemacht,
diese retrospektiven Betrachtungen in der
Hamburger Rede über die ersten acht
Jahre der Regierungszeit zu vertheidigen. Kein
Rittersmann, kein Knapp ist aufgetreten
(Heiterkeit),
um
den Angriffen des Herrn Dr. Lieber
gegenüber
wahrzuhalten, was in diesen retrospektiven
Betrachtungen angeführt ist.
Der
Herr Graf Posadowsky hat gestern gemeint, man
solle
doch, wenn man es für nöthig halte,
Reden des Monarchen hier zur Diskussion zu
bringen, sich an die
verfassungsmäßig dafür
verantwortlichen Minister halten
und diesen gegenüber die Kritik zum
Ausdruck bringen. Ich bin ganz und gar mit
ihm darüber einverstanden; ich bin gern
bereit, dem zu genügen; aber zu diesem
Zweck muß doch ein verantwortlicher
Minister da sein
(sehr
richtig! links),
er
muß erkennbar sein. In keiner Weise
äußerlich ist aber
hervorgetreten, daß irgend einer der
Herren Minister bereit ist, die Verantwortung
zu übernehmen für die Rede, von
der ich eben gesprochen habe. Der Fürst
Bismarck hat einmal gesprochen von dem
Auftreten des Monarchen ohne ministerielle
Bekleidungsstücke. Nun, wenn die
ministeriellen Bekleidungsstücke in
solchem Falle nicht vorhanden sind, da
können wir doch nicht, wie das Volk in
dem bekannten Stück von Ludwig Fulda,
erheucheln, daß wir die Bekleidung sehen
da, wo sie nicht vorhanden ist.
(Sehr
gut! und Heiterkeit.)
Bitter
noth thut es, daß, wenn solche Reden,
die nachher
Minister verantworten sollen, vor der
Oeffentlichkeit gehalten werden, sie
vorher dem betreffenden Minister zur
Kenntniß gelangen, damit er sie in
Uebereinstimmung mit seinem eigenen Wissen und
mit dem, was zu verantworten er
bereit ist, bringen kann.
(Sehr
richtig! links.)
Die
ganze Art, wie dieser Flottenplan vorbereitet
ist, ist
so charakteristisch für dieses
Regierungssystem, daß man nicht
eingehend genug
darüber sprechen kann; ich kann mir daher
nicht versagen, weil gerade in den
Einzelheiten das Charakteristische
hervortritt, noch einige Striche dem Bilde
hinzuzufügen, welches von anderer Seite
bereits gezeichnet worden ist. Wie war
es denn? Im September ging das
Regierungsprogramm dahin, in dieser Session
keine Streitfrage in Militär und
Marineangelegenheiten vor den Reichstag zu
bringen; man hatte an dem
Arbeitswilligengesetz und anderen Gesetzen
genug
Pensum. Der Herr Reichskanzler war in guter
Ruhe am 14. Oktober nach
Baden-Baden gereist, in der Absicht, sich
späterhin nach Schillingsfürst zu
begeben.
Die Rede in Hamburg schien auch zunächst
nur eine theoretische Bedeutung haben
zu sollen. Das dauerte etwa fünf Tage. Da
kam der Herr Staatssekretär Tirpitz
am 23. Oktober aus Wilhelmshaven zurück;
wie man sagt, hatte er den Aufenthalt gegen
die ursprüngliche Absicht abgekürzt;
und nun veränderte sich das Bild. Am
Montag Abend noch verkündete die
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung“
hochoffiziös
an der Spitze des Blattes, wie sie
zuverlässig mittheilen könnte, werde
in
diesem Etatsjahr ein Flottengesetz nicht
vorgelegt werden.
(Hört!
hört! links.)
Binnen
24 Stunden sprang der Wind um.
(Heiterkeit
links.)
Der
Herr Staatssekretär Tirpitz erlangte
einen Vortrag im
Neuen Palais in Begleitung des Herrn Grafen
Bülow, und sofort wurde urbi et
orbi durch das Wolffsche
Telegraphenbüreau mitgetheilt, der Herr
Staatssekretär
reise zu dem Reichskanzler nach Baden-Baden.
Die beiden Herrn hatten mit dem
Monarchen darüber eine Verständigung
erzielt, daß im Gegensatz zu der
Ankündigung vom Abend vorher noch in
dieser Session ein Flottengesetz vorgelegt
werden sollte. Herr Staatssekretär
Tirpitz machte sich schon am 25. Oktober auf
die Reise nach Baden-Baden, um
nachträglich hierzu das Placet des Herrn
Reichskanzlers einzuholen. Das ist ja auch
eine Eigenthümlichkeit in unseren
Zuständen: die maßgebenden Personen
sind mehr auf Reisen, als dies sonst
üblich
war
(sehr
gut! und Heiterkeit links);
und
wenn ein Beschluß der Regierung erzielt
werden soll, so
muß ein Herr dem andern nachreisen.
(Sehr
gut! links.)
Wir
haben gewissermaßen eine Regierung im
Umherziehen.
(Große
Heiterkeit.)
Indeß,
das soll ja schon bei den alten Deutschen der
Fall
gewesen sein.
(Große
Heiterkeit.)
Meine
Herren, in welch sekundäre Rolle hat sich
in dieser
Frage der Herr Reichskanzler
zurückdrängen lassen? Wir haben kein
Ministerkollegium. Der Herr Reichskanzler ist
berufen, allein das einheitliche
Reichsinteresse zu vertreten. Das bringt es
aber doch naturgemäß mit sich,
daß,
wenn es sich um Initiativen in wichtigen
Dingen handelt, die über ein einzelnes
Ressort hinausgehen, dann die erste
Verständigung erfolgen sollte zwischen
dem
Monarchen und dem Reichskanzler
(sehr
richtig! links),
und
daß dann erst in Frage kommen die
übrigen Instanzen.
Hier umgekehrt: hier verständigen sich
zwei dem Reichskanzler untergebene
Staatssekretäre mit dem Monarchen und
suchen dann nachträglich sein Placet zu
dieser Verständigung nach.
Naturgemäß ist der Reichskanzler in
diesem Falle
schon gewissermaßen präjudizirt,
erschwert ist es ihm, eine andere Meinung zur
Geltung zu bringen. Der Herr Reichskanzler
fügte sich also, er fügte sich auf
den Vortrag nur des Herrn Staatssekretärs
der Marine; er gab nicht bloß zu der
Verständigung seine Zustimmung, sondern
auch zur Veröffentlichung des
beabsichtigten Flottenplanes, die am Sonnabend
den 28. Oktober, drei Tage
darauf, erfolgte.
Gestatten
Sie mir noch eine Zwischenfrage an die
Regierung
zu richten: woher ist dieser Plan eigentlich
gekommen?
(Sehr
richtig! links.)
Ist
er im Reichsmarineamt ausgearbeitet gewesen?
Er ist ja
so detaillirt, so zusammenhängend,
schlüssig; er kann deshalb nicht aus der
Pistole geschossen sein. Ist er aus dem
Marinekabinet dem Reichsmarineamt zur
Ausführung überwiesen worden? Die
Frage ist nicht ganz überflüssig.
Wir haben
es ja in der Budgetkommission im Jahre 1896
gesehen. Da kam plötzlich der Herr
Admiral Hollmann aus Wilhelmshaven, aus der
Umgebung des Monarchen zurück
gerade in die Budgetkommission und theilte uns
einen Plan mit, die sogenannte
Niederschrift, von der man bisher keine Ahnung
gehabt hat. In der Kommission
wurde widerspruchslos festgestellt, daß,
bevor Herr Hollmann diesen Plan der
Budgetkommission mitgetheilt hatte, weder der
Reichskanzler noch der
Schatzsekretär die geringste
Kenntniß von diesem Plan hatten.
(Hört!
hört! links.)
Unmittelbar
an die Veröffentlichung des Planes am 28.
Oktober in der „Norddeutschen“ schloß
sich nun eine weitgehende Agitation, die
von oben her geleitet wurde. Zahlreiche
Artikel aus dem Reichsmarineamt in der
amtlichen „Berliner Korrespondenz“ suchten
diesen Plan noch weiter zu
begründen, in seinen Einzelheiten
durchzuführen. Der Abgeordnete Bebel
meinte,
dagegen habe er nichts, wenn man in dieser
Weise vorher für ein Programm
agitire. Der Abgeordnete Bebel übersieht
dabei Zweierlei. Wenn eine Regierung
in der Oeffentlichkeit auftritt, soll sie es
unter ihrer Verantwortlichkeit und
nicht unter offiziöser Maske thun.
(Sehr
gut! links.)
Statt
dessen sind uns alle diese Mittheilungen
gemacht
worden unter der Verantwortlichkeit eines Dr.
Lauser von der „Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung“ und anderer mir
unbekannter Herren, die verantwortlich
sind für die „Berliner Korrespondenz“.
Und dann noch ein Zweites: die Regierung
ihrerseits soll wohl dann dazu übergehen,
in der Oeffentlichkeit Stimmung zu machen
für einen Plan, wenn derselbe innerhalb
aller für die Vorbereitung von Gesetzen
zuständigen Instanzen festgestellt ist.
(Sehr
richtig!)
Hier
war das gerade Gegentheil der Fall. Warum denn
überhaupt solche Eile? Am Donnerstag
giebt der Herr Reichskanzler sein Plazet,
48 Stunden darauf wird
der Plan
veröffentlicht in der „Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung“. Wozu diese Eile? Das
Flottengesetz konnte doch erst im Januar
vorgelegt werden, und praktische
Bedeutung sollte die ganze Sache
überhaupt erst vom Jahre 1901 an
erlangen. Ist
da etwa auch die von dem Herrn Abgeordneten
Bebel gekennzeichnete persönliche
Inkarnation
der Nervosität wirksam gewesen?
(Sehr
gut! und Heiterkeit.)
Wenn
das nicht der Fall, was hatte die Sache anders
für
einen Zweck, als durch vorschnelles
Veröffentlichen zu präjudiziren der
Entscheidung aller der Instanzen, die
zunächst berufen waren, sich darüber
schlüssig zu machen?
(Sehr
richtig!)
Der
Herr Abgeordnete von Kardorff hat gestern auf
das
Bedenkliche aufmerksam gemacht, die deutschen
Fürsten, die man früher sogar
brieflich lange vorher über die Absichten
der Reichsregierung verständigte, zu
übergehen und ihnen erst nachher von den
Absichten Kenntniß zu geben. Nun soll
allerdings nachher Herr Tirpitz umhergereist
sein bei den Höfen, um seinen Plan
klar zu stellen. Aber das geschah, nachdem aus
den Zeitungen der ganze Plan
schon erläutert und zu begründen
versucht war. Die Geschäftsordnung,
welche
nach meiner Kenntniß Fürst Bismarck
dem Bundesrath gegeben hat, bestimmt,
daß, wenn
große Gesetze vorbereitet werden sollen,
vor dem Beginn ihrer Ausarbeitung das
Programm des Gesetzes im Bundesrath
festgestellt wird unter Zuziehung der
leitenden Minister der Einzelstaaten.
(Hört!
hört! links.)
Davon
nimmt man hier nicht das Geringste wahr. Der
Herr
Reichskanzler hat neulich eine Erklärung
abgegeben namens der verbündeten
Regierungen. Wenn man aber näher zusieht,
ist namens der verbündeten
Regierungen nur die Absicht erklärt
worden, den Sollbestand der Schiffe
demnächst wesentlich zu vermehren. In
allem Uebrigen — das hat er wörtlich
gesagt —, was also die Verdoppelung der
Schlachtflotte u. s. w. angeht, hat
sich der Bundesrath seine Entschließung
vorbehalten. Und wie konnte er auch
anders? Denn ihm war bis dahin nicht mehr
mitgetheilt, als was seine einzelnen
Mitglieder schon vorher in den Zeitungen
gelesen hatten.
Man
kann nun sagen: warum wir uns so bemühen,
daß der
Bundesrath zu seinem Recht kommt? Nun, man hat
es uns immer so dargestellt, daß
der Bundesrath die eigentliche Reichsregierung
sei, und wir deshalb kein
verantwortliches Ministerkollegium im Reiche
bekommen könnten, weil die
Reichsregierung des Bundesraths dem
entgegenstände. Wenn aber die Gefahr
vorläge, daß der Bundesrath zu
einer bloßen Registrirbehörde
herabgedrückt wird
des Willens von oben
(sehr
gut! links),
dann
sind wir um so mehr verpflichtet, die
frühere Forderung
wieder aufzunehmen nach verantwortlichen
Ministern, nach einem
Ministerkollegium. Wir verlangen, daß
solche weitgreifenden Pläne hervorgehen
aus ruhigen, eingehenden Berathungen und
Verständigungen eines
Ministerkollegiums mit dem Monarchen, und
daß sie nicht inszenirt werden nach
den Direktiven von bloßen
Trinksprüchen und Festreden.
(Sehr
richtig! links.)
Das
ist es, was uns „bitter noth thut“ in
Deutschland
(sehr
richtig! und Heiterkeit),
weit
mehr als einige neue Schlachtschiffe. Wir
wollen eben
keine Kabinetsregierung, weil wir in
Preußen aus der Geschichte wissen, wie
viel Unheil schon dadurch gestiftet ist.
(Sehr
richtig!)
Selbst
ein Mann, der politisch so weit von uns
entfernt
steht, wie Herr von Kardorff, konnte sich doch
gestern nicht der Bedenken
entschlagen, ob wir uns nicht schon auf dem
Wege zu einer solchen Kabinetsregierung
befinden, ob sich nicht schon
die Ministerverantwortlichkeit in der Weise zu
verflüchtigen beginne, daß sie
sich nur beschränkt aus dasjenige
Maß von Verantwortlichkeit, was auch die
Minister in absoluten Staaten in früheren
Jahrhunderten hatten, nämlich durch
ihre Unterschrift nur zu beglaubigen, was der
Fürst will oder nicht will.
(Sehr
richtig! links.)
Wenn
ich bloß vom Standpunkte des
Parteimannes die
Entwicklung der Dinge betrachten wollte, so
könnte ich ja nur eine große
Genugthuung darüber empfinden, daß
es genau so gekommen ist, wie wir den
Herren, als sie zur Annahme des
Flottengesetzes schritten, vorausgesagt haben.
Sie glaubten, nun würden Marinedebatten
ausbleiben, man würde Ruhe haben damit,
wenigstens 5, 6 Jahre hindurch. Das gerade
Gegentheil ist eingetreten.
(Sehr
richtig! links.)
Die
Marinefrage beherrscht die ganze politische
Situation,
schon im zweiten Jahre die ganze Etatsdebatte.
Die Gegensätze stellen sich nun
erst recht scharf heraus. Sie hatten geglaubt,
die Dinge durch eine Bindung
festlegen zu können; die Bänder sind
zerrissen, die Bindung hat sich nicht
bewährt. Sie haben geglaubt, die
Pläne uferfest zu machen; aber wie ich
damals
Ihnen sagte, wird es bald heißen:
Volldampf voraus! Ermuthigt durch die
Nachgiebigkeit des Reichstags wird man bald
mehr verlangen und in weitere Meere
hinausfahren wollen nach sehr entfernten
Ufern.
Indessen
noch ein Kapitel zur Entstehungsgeschichte
dieser
Pläne habe ich vergessen zu
erwähnen; dasselbe ist erst vorgestern
enthüllt,
mehr zufällig im Laufe der Verhandlungen.
Der Herr Abgeordnete Bebel sagte: die
Geschäftspatrioten hätten die
Führung in der Agitation gehabt für
die Flotte,
hätten geschoben. Der Herr
Staatssekretär Tirpitz verstand dies
falsch und
verwahrte sich dagegen, daß er sich
hätte von diesen Geschäftspatrioten
schieben lassen. Das war ein
Mißverständniß.
(Heiterkeit.
Sehr gut! links.)
Aber
bei dieser Gelegenheit machte der Herr
Staatssekretär
Enthüllungen, die ein neues Licht auf die
Entstehungsgeschichte geworfen haben.
(Sehr
richtig! links.)
Er
erzählte uns, daß man im April d.
J. in der Regierung
sich klar gemacht hat, der Flottenplan
müsse erweitert werden; darauf,
erzählte
er, sei er im Mai, April umhergereist, bei den
Industriellen, Werften u. s. w.
und habe in ganz diskreter Weise diesen Herren
mitgetheilt, was die Regierung
vorhabe, und ihnen anheimgestellt, sich in
ihren Werfteinrichtungen u. s. w auf
diese Pläne der Regierung einzurichten.
(Hört!
hört! links.)
Da
liegt nun der Schlüssel für den
Beginn der Agitation der
Geschäftspatrioten
(sehr
gut! links);
genau
um dieselbe Zeit hat in allen von diesen
Herren
ressortirenden Organen eine Agitation begonnen
für die Erweiterung der Flotte,
für die Vermehrung der Neubauten u. s. w.
Natürlich, die Herren hatten die
Absichten der Regierung kennen gelernt — was
lag ihnen in ihrem Geschäftsinteresse
näher, als ein bischen nachzuhelfen
(sehr
gut links),
den
Stein ins Rollen zu bringen, die Agitation
dafür in Gang
zu bringen!
(Hört!
Hört! links.)
Lesen
Sie jetzt die Blätter, so verstehen Sie,
warum vom Mai
und Juni ab alle diese Blätter fast Tag
für Tag Artikel brachten: so könne
es
nicht fortgehen, man müsse die
Ersatzbauten sämmtlich sofort vornehmen,
man
müsse die Neubauten vermehren. Die
politischen Parteien hatten damit gar nichts
zu thun. Als hier der Nachtrag zum Marine-Etat
im Mai-Juni auf der Tagesordnung
stand, kein Mensch sprach ein Wort von der
Beschleunigung der Schiffsbauten!
Die „Kreuzzeitung“ war auf der richtigen
Fährte; anfangs Juni schrieb nämlich
die „Kreuzzeitung“:
Wer ein wenig hinter die
Kulissen
sieht, der gewahrt, daß den
Schiffsbauinteressenten in Deutschland schon
jetzt
bange vor der Zukunft wird. Sie fürchten
dem blanken Nichts gegenüberzustehen,
sobald die nach dem festgelegten Flottenplan
in Auftrag gegebenen verschiedenen
Kriegsschiffe vom Stapel gelaufen sind, da
neue Aufträge nicht in Aussicht
stehen. Mit fieberhaftem Eifer suchen sie
deshalb im Volke und im Parlament
Stimmung zu machen für eine im jetzigen
Tempo anhaltende Vermehrung unserer
Kriegsflotte.
(Hört!
hört! links.)
Der Mittellandkanal, wenn
er
bewilligt wird, kann den großen
Schiffswerften natürlich keinen Ersatz
bieten,
da er nur kleiner Schlepper und einfacher
Lastkähne bedarf. Soviel wir sehen,
herrscht aber in maßgebenden Kreisen
vorläufig wenig Neigung, unseren Werften
neue Aufträge über das von den
verbündeten Regierungen verlangte
Maß hinaus zu
erwirken.
Die
„Kreuzzeitung“ wußte eben nicht,
daß damals schon Herr
Tirpitz umhergereist war und in diskreter
Weise
(sehr
gut! links)
den
Herren mitgetheilt hatte, daß
demnächst neue und größere
Aufträge kommen.
Nun
diese Agitation! Herr Krupp kaufte die
„Berliner
Neuesten Nachrichten“ an
(hört,
hört! links)
und
machte Herrn Schweinburg zum
Geschäftsdirektor
derselben, — denselben Herrn, der zugleich
Sekretär des Flottenvereins war,
denselben Herrn, der die „Berliner Politischen
Nachrichten“, dieses Sprachrohr
des Herrn von Miquel, besitzt. Herr von
Zedlitz schrieb auch in diesem Sinne;
er ist der Freund des Herrn Schweinburg, er
wußte auch ebenso wie Herr
Schweinburg, was in diskreter Weise Herr
Tirpitz den Schiffsbauindustriellen
mitgetheilt hatte.
(Sehr
gut! links.)
So
ging der Spektakel denn los, das, was man als
Volksbewegung
(sehr
gut! links),
Begeisterung
für die Flotte darzustellen suchte. Dann
kamen
ein paar stille Wochen. Im September ein neuer
Anlauf! Das wäre das
Nothwendigste, womit sich der Reichstag zu
befassen hätte — hieß es —, eine
Vermehrung der Schiffe, die auf den Stapel zu
legen seien. Der letzte Artikel,
den Herr von Zedlitz noch in der „Post“
geschrieben hat, bevor seine
Honorarrechnung im „Vorwärts“
veröffentlicht wurde
(Heiterkeit
links),
enthält
die Aufforderung an die Regierung, doch
alsbald
vorzugehen. In derselben Art ging es dann fort
im Organ des Herrn Krupp, in den
„Berliner Neuesten Nachrichten“. Wäre es
wunderbar, wenn diese Preßstimmen nun
auch an die für das neue Programm
maßgebende Stelle gedrungen wären,
dort den Irrthum
erregt hätten, als ob hier ein
stürmisches Verlangen des Volks und nicht
ein
Geschäftspatriotismus zum Grunde
läge? So haben gerade die neuen
Enthüllungen
des Herrn Tirpitz uns ein interessantes
Kapitel zur Vorgeschichte der
Flottenfrage enthüllt.
(Sehr
wahr! links.)
Ich
sagte also vorhin, uns könnte es ja zur
Genugthuung
gereichen, daß die Dinge sich so
entwickelt haben, wie wir es voraussahen, wenn
wir nur Parteimänner wären.
Aber das muß
ich doch sagen, so hätte ich es auch
nicht erwartet, daß schon nach
anderthalb
Jahren alles das so kommen werde, wie wir es
damals vorausgesagt haben.
Der
neue Flottenplan ist uns ja amtlich noch nicht
weiter
bekannt. Der Herr Reichskanzler sagt, die
Schlachtflotte soll verdoppelt
werden. Das heißt also: statt 19
Linienschiffe 40! Die großen
Auslandskreuzer
sollen verdoppelt werden. Wie viel das an
großen Kreuzern macht, wie viel
namentlich an Kleinkreuzern vermehrt werden
soll, wie weit dies wieder die
Vermehrung der Torpedoflotte zum Gefolge hat,
das ist uns nicht bekannt; man
kann es höchstens einigermaßen aus
den begleitenden amtlichen Artikeln der
„Berliner
Korrespondenz“ ersehen.
Der
Herr Schatzsekretär muß aber einen
genaueren Plan
kennen, denn sonst hätte er nicht spitz
auf eine Million, auf 783 Millionen
Anleihe beispielsweise eine Rechnung ausmachen
können. Es scheint, als ob
manche Herren hier meinen, daß die
Neubauten, die Vermehrung des Sollbestandes,
nicht mehr als 783 Millionen kosten. Das ist
aber ein Irrthum; denn zu den 783
Millionen auf Anleihe kommt das hinzu, was aus
laufenden Mitteln für Neubauten
nach Maßgabe der bisherigen Finanzirung
aufgewandt würde; denn zwei Drittel der
ganzen Artillerie und Torpedoausrüstung —
das kostet sehr viel! — werden nach
den geltenden Grundsätzen aus laufenden
Mitteln bestritten, und außerdem
sollen; aus laufenden Mitteln 5 Prozent des
Werthes der vorhandenen Schiffe
alljährlich für Neubauten und
Ersatzbauten verwendet werden.
Der
Herr Schatzsekretär hat bei dem
Flottengesetz von 1898
uns ausgerechnet, was durchschnittlich das
Flottengesetz jährlich an
Mehrausgaben verursache; er kam dabei auf
einen Betrag von 25 Millionen.
Schade, daß er diese
Durchschnittsrechnung nicht auch jetzt
aufgestellt hat.
Die laufenden Ausgaben sollen sich also im
ersten Jahre erhöhen um 9 1/2
Millionen, im zweiten Jahre also bis auf 19
Millionen, und stellen sich die
Ziffern im dritten Jahre auf über 28
Millionen. Zuletzt würden wir auf 153
Millionen herauskommen. Diese 153 Millionen
bedeuten also das Plus der
Mehrausgaben für unsere Marine,
allerdings nicht bloß der fortdauernden
Ausgaben des Marine-Etats. sondern auch der
anderen fortdauernden Ausgaben als
Zinsen u. s. w. Ein Freund — ich habe nicht
die Zeit gehabt — hat mir nun die
arithmetische Reihe berechnet, was an
Mehrkosten im Extraordinarium und
Ordinarium zusammengenommen dieser Flottenplan
bringt, und ist dabei auf eine
Summe von 2057 Millionen gekommen. Das ist
also der Anleihebetrag und die Summe
der Jahressteigerungen in 16 Jahren.
(Hört!
hört! links.)
Also
mehr als 2 Milliarden! Nach der
Durchschnittsberechnung, die der Herr
Schatzsekretär für das geltende
Flottengesetz aufstellt, kommt eine
jährliche durchschnittliche Mehrbelastung
nicht von 25 Millionen, sondern von 125
Millionen heraus.
(Hört!
hört! links.)
Der
Herr Schatzsekretär, der ist
glücklich zu preisen. Er
ist so heiter, so fröhlich angelegt
(Heiterkeit),
wie
ich keinen Schatzsekretär kennen gelernt,
und ich habe
schon so viele im Laufe der Jahre kommen und
gehen sehen. Der Himmel hängt ihm
stets voller Geigen.
(Heiterkeit.)
Soviel
schwere Belastungen dem Schatze auch auferlegt
werden, was gemacht werden kann, wird gemacht.
(Heiterkeit.)
Es
wird sich ja alles finden; damit beruhigt er
sich im
wesentlichen. Er hat eben noch keine schweren
Jahre durchgemacht.
(Sehr
gut! links.)
Er
ist in einer günstigen Zeit ins Amt
gekommen unter
aufsteigenden Konjunkturen. Aber wer 4 oder 5
Jahre zurückdenkt, der weiß, wie
wir beschworen, bedrängt wurden von all
den Herren Finanzministern bis zum
meiningischen herunter
(Heiterkeit),
sie
könnten ohne neue Steuern gar nicht
weiter wirthschaften,
es sei ganz unmöglich, mit den laufenden
Einnahmequellen auszukommen.
Nun,
Herr Freiherr von Thielmann sagt: ich habe ja
50
Millionen in meinem Etat jetzt mehr an
Zöllen und Verbrauchssteuern gegen das
Vorjahr veranschlagt; wenn ich in jedem Jahre
mehr 50 Millionen veranschlagen
kann, was ist da ein Betrag von 9 1/2 oder 10
Millionen? die werden sich
innerhalb der 50 Millionen auch noch finden
lassen. Ja, ist denn diese Zuversicht
auf die fortgesetzte Steigerung der Einnahmen
aus Zöllen und Verbrauchssteuern
eine begründete? Wichtiger als die
Anschläge ist die Wirklichkeit, ist das
rechnungsmäßige Ergebniß. Und
da muß ich denn doch hervorheben,
daß nach den
Abschlüssen der ersten 7 Monate des
laufenden Jahres das Plus gegenüber dem
Vorjahre bei sämmtlichen Zöllen und
Verbrauchssteuern noch nicht 1/2 Million
Mark beträgt.
(Hört!
hört! links.)
Wenn
Sie das vergleichen mit dem Plus, welches das
Vorjahr
hatte um dieselbe Zeit gegen dieselben Monate
des Vorvorjahres, so werden Sie
finden, daß damals schon ein Plus von
über 36 Millionen erzielt war, dem heute
nur ein Plus von einer halben Million
gegenübersteht.
(Hört!
hört! links.)
So
ist die aufsteigende Bewegung auf der Treppe
verlangsamt
worden seit dem vorigen Jahre. Aber wenn die
Einnahmen aus den Zöllen und
Verbrauchssteuern sich erheblich steigern, so
vergessen wir doch nicht, daß
nach der clausula Franckenstein, nach der
Absicht der Gesetzgebung den ersten
Anspruch die Einzelstaaten haben sollen
(sehr
richtig! links)
auf
diese steigenden Einnahmen aus den
Ueberweisungssteuern.
In dem Maße, in dem ihnen das
unmöglich gemacht wird, werden die
Einzelstaaten
gedrängt, ihre Steuerquellen
schärfer auszunutzen, ihre Einnahmen aus
den Verkehrsanstalten
höher zu gestalten.
Und
dann, meine Herren, wie verschieden sind die
Anschläge
von der Wirklichkeit? Woher kommt denn gerade
in diesem Jahre der günstige
Anschlag? Aus der Schablone der
Durchschnittsberechnung, die uns in diesem
Jahre besonders günstig ist. Nach den
vorhergehenden 24 Monaten im Durchschnitt
werden die Einnahmen veranschlagt, bei den
Getreidezöllen nach 36 Monaten im
Durchschnitt. Nun ist diesmal in diesem
Durchschnitt das Jahr 1898 mit vollen
12 Monaten enthalten, jenes so besonders
günstige Jahr für die
Reichsfinanzen. Im
vorigen Jahre war es das Jahr 1897, ein
stagnirendes Jahr, daher wesentlich das
andere Resultat in den Anschlägen! Das
Jahr 1898 war so günstig wegen der
besonders starken Getreideeinfuhr; man fand
die Vorräthe mehr erschöpft, als
man glaubte, die vorherigen Ernten waren
ungünstiger, und daher die starke
Einfuhr. Nach der Durchschnittsberechnung
macht dieser Unterschied bei den
Getreidezöllen ein Plus aus in dem
Etatsanschlag von 20 Millionen Mark
(hört!
hört! links);
und
es ist ein eigenthümlicher Zufall,
daß in den 7 Monaten
dieses laufenden Jahres die Einnahme aus den
Getreidezöllen gerade um 20
Millionen zurückgegangen ist.
(Hört!
hört! links.)
Gerade
auf zurückgehenden Einnahmen baut sich
also nach der
Schablone, nach der Kalkulatur des
Durchschnitts, das Mehr aus den Zöllen
und
Verbrauchssteuern auf.
Ist
es denn auch eine normale Erscheinung,
daß wir zur
Ausgleichung des Defizits einer Anleihe von 76
Millionen Mark bedürfen? Wenn in
der Zukunft wirklich die Einnahmen sich
steigern, muß es dann nicht das erste
Bestreben sein, auch den Anleihebedarf
für das Reich zu vermindern, den
Anleihebedarf, der ohne den Flottenplan sich
schon derart hoch stellt?
Weiter,
meine Herren: ist denn die Marine allein
derjenige
Faktor in der Verwaltung, der Anspruch erheben
kann auf Erhöhung des
Ausgabe-Etats? Man spricht von der
natürlichen Steigerung der Einnahmen —
aber
findet nicht ebenso eine natürliche
Steigerung der Ausgaben statt?
(Sehr
richtig! links.)
Der
Herr Minister von Miquel hat erwähnt,
daß um 600000
Köpfe sich jährlich die
Bevölkerung des Reichs vermehrt. Ganz
recht! Mit der
Vermehrung der Bevölkerung aber vermehren
sich ja naturgemäß auch alle
Ausgaben
in der Reichsverwaltung, ganz abgesehen von
den neu hinzukommenden
Bedürfnissen. Das ist das
Charakteristische in der jetzigen Politik,
daß der
Blick fast hypnotisirt ist auf die Marine
(sehr richtig! links), daß man Macht,
Kultur, Wohlstand einzig und allein für
abhängig erblickt von der Vermehrung
der Flotte, von der Steigerung des
Marine-Etats, und daß dagegen alle
übrigen
Bedürfnisse weit zurücktreten.
(Sehr
richtig! links.)
Navigare
necesse est, vivere non necesse — darin findet
dieser einseitige Standpunkt seinen Ausdruck.
(Sehr
richtig! links.)
Meine
Herren, das Leben ist sehr vielgestaltig und
stellt
Anforderungen nach allen Seiten, und nicht nur
die Schifffahrt, sondern noch
viele andere Bedürfnisse erheischen ihre
Befriedigung. Gerade jetzt wäre für
den Herrn Staatssekretär Gelegenheit
gewesen, nun einmal zusammenzustellen,
welche anderen Ausgabebedürfnisse in der
nächsten Zeit eine Steigerung
verlangen. Da ist die fortgesetzte
Erhöhung des Zuschusses für die
Invaliditätsversicherung.
Ich weiß nicht, ob schon berechnet ist,
wie weit das neue Gesetz eine
Steigerung der Zuschüsse des Reichs mit
sich bringt. Da ist die fortdauernde
Steigerung der Pensionsfonds, namentlich der
Militärpensionen. Dazu kommt die
Erhöhung der Schuldzinsen mit jedem Jahr,
auch abgesehen von den neuen
Marineanleihen; denn schon in ihrem jetzigen
Bestand bedarf die Marine einer
Anleihe von 40 Millionen in diesem Etatsjahre,
um ihre Ausgaben etatsmäßig zu
erfüllen. Und dann weiter der
Militäretat! Im Vorjahre hat man eine
Erhöhung
der Präsenzstärke bewilligt, die bis
1903 eine Steigerung der Militärausgaben
im Ordinarium bis zu 28 Millionen bedingt.
Hiervon sind erst 14 Millionen auf
unserem Etat erschienen; 14 Millionen haben
wir also noch in den Etats nach
1900 zu erwarten. Abgesehen aber von dem, was
im neuen Etat aus dem Quinquennatsgesetz
steht, sind noch weit höhere Positionen
im neuen Etat, die auch wieder für die
Zukunft Ausgaben nach sich ziehen. Da
hören wir, daß die neue Munition
der
Feldartillerie 5 Millionen Mark mehr kostet
als die bisherige. Der volle Betrag
hierfür steht auch noch nicht auf dem
Etat. Da erfahren wir, daß jetzt eine
volle Jahresquote bei den Handwaffen ersetzt
werden soll. Auch das bringt
Mehrausgaben, die noch nicht vollständig
auf diesen Etat gesetzt sind. Dazu die
Zulagen für diejenigen, die freiwillig
ein drittes Jahr dienen. Auch diese
Summen erscheinen erst zur Hälfte in
diesem Etat, zur weiteren Hälfte werden
sie erst später erscheinen.
Und
nun das Extraordinarium. Vergegenwärtigen
wir uns doch,
wie die finanzielle Entwicklung sich stellt.
Im Jahre 1897 die großen Kredite
zur Umgestaltung der Feldartillerie im
Gesammtsbetrage von 144 Millionen Mark! Im
Jahre 1898 das neue Flottengesetz! Als das
neue Flottengesetz berathen wurde,
ließ man durchaus nicht erkennen,
daß im nächsten Jahre ein
Quinquennatsgesetz
vorgelegt werden würde, das wieder viele
Millionen mehr erfordern würde. 1899
erschien dieses Quinquennatsgesetz, das an
extraordinären Ausgaben 133
Millionen Mark h verlangt, von denen auch erst
zwei Raten in unserem Etat erschienen
sind. Als man das Quinquennatsgesetz berieth,
wurde es als nicht ernsthaft
bezeichnet, daß man an eine Erweiterung
des Flottenplanes denken könne. Kaum
ist das Quinquennatsgesetz unter Fach
gebracht, so erscheint der neue
Flottenplan. Umschichtig in einem Jahre zu
Lande und dann zu Wasser und dann
wieder zu Lande und jetzt wieder zu Wasser
werden große Kredite verlangt.
(Sehr
richtig! links.)
Und
so steigern sich die Ausgaben, die namentlich
für das
Extraordinarium überaus schwer ins
Gewicht fallen. Der Herr Staatssekretär
Freiherr von Thielmann in seiner heiteren
Gemüthsart
(Heiterkeit)
meinte
1898, als uns das Flottengesetz
beschäftigte: was
kann da sein, die Artilleriekredite laufen
bald ab; jetzt habe ich zwar noch 42
Millionen darauf stehen, in den nächsten
Jahren wird es erheblich weniger sein,
und nach 1900 ist der Kredit überhaupt
erschöpft. Sehen Sie, meine Herren, so
sprach er: damit ist ja schon der Platz frei
für das neue Flottengesetz, das
geht alles ganz glatt; da ist eine Lücke,
in die ich die neun Millionen des
Flottengesetzes bloß hineinzuschieben
habe. Als aber das Jahr 1899 kam, und die
Millionen aus dem Flottengesetz
hineingeschoben werden sollten, da blieb der
Herr Kriegsminister auf diesem Platze sitzen
und sagte: wenn auch der
Artilleriekredit sich vermindert hat, so habe
ich doch jetzt andere Kredite
nothwendig. Die 133 Millionen für das
neue Quinquennatsgesetz haben zunächst
Anspruch aus den freien Platz, den die
Artilleriekredite gelassen. Die
Artilleriekredite
nahmen 1899 gegen das Vorjahr nur um 16
Millionen ab; aber 48 Millionen war die
Rate, die aus dem Quinquennatsgesetz auf den
Platz gelegt wurde. In diesem Jahre
nimmt die Rate des Artilleriekredits wiederum
um 16 Millionen ab; aber es wird
auch nichts frei für das Flottengesetz,
denn nun verstärkt man den
Festungsbaufonds
von 10 auf 20 Millionen
(hört!
hört! links)
und
schiebt noch einen neuen Fonds von 9 Millionen
hinzu für
„die weitere Beschaffung der
Fußartillerie“: ein sehr dunkler Posten,
von dem
wir auch nicht wissen, was dahinter steckt.
Die Forderungen für den Festungsbau
haben auch das Eigenartige, daß, wenn
ein Kredit dafür beinahe erschöpft
ist,
wieder ganz neue Beträge sich ansetzen
und den Kredit erhöhen. Sodann erscheint
eine Position in diesem Etat: 600 000 Mark zu
erweiterten Versuchen mit
Handfeuerwaffen! Ist das etwa das Vorzeichen,
daß wir demnächst wieder neue
Gewehre anschaffen werden?
(Hört!
hört! links.)
Die
würden mehrere Dutzende von Millionen
kosten. Sollen wir
mit dieser Thatsache auch wieder rechnen
gegenüber den Ansprüchen, die sonst
in
den nächsten Jahren an das
Extraordinarium und an die Finanzen erhoben
werden.
Dazu
nun, meine Herren, die steigenden Ausgaben im
Extraordinarium
für die Kolonien. Kein Wunder! Die
Kolonialpolitik wächst ja auf demselben
Boden hervor, auf dem auch die Vermehrung der
Flotte emporsprießt.
(Sehr
richtig! links.)
Kiautschou,
der berühmte Platz „an der Sonne“
(Heiterkeit
links),
kommt
uns recht theuer zu stehen, die Millionen
zerfließen
dort wie die Butter.
(Sehr
gut! und Heiterkeit links.)
Ich
hätte gewünscht, daß man uns
über die Gesundheitsverhältnisse
daselbst beruhigendere Nachrichten hätte
gegeben. Die Briefe, die ich
zuverläßlich von Angehörigen
dort erhalten habe, sind so erschreckender
Natur,
daß ich mich gescheut habe, sie bisher
irgendwie in der Oeffentlichkeit zu
vertreten.
(Hört!
hört! links.)
Indessen
will ich diese Frage hier nicht hereinziehen;
sie
ist auch so umfangreich, daß sie einer
ganz besonderen Erörterung im hohen
Hause bedarf, und ich möchte deshalb
wünschen, daß die Kiautschoutitel
nicht
gleich in die Kommission gegeben werden,
sondern uns Gelegenheit gegeben wird,
über die dortigen Verhältnisse
zunächst hier ausführlich zu
sprechen.
Abgesehen
von den 10 Millionen für Kiautschou, sind
1898,
nachdem Herr von Buchka die Kolonialabtheilung
übernommen hat, die Zuschüsse
für die anderen Kolonien verdoppelt
worden und in. diesem Etat nun auf 22
Millionen gestiegen. Natürlich, wenn man
erst anfängt Eisenbahnen zu bauen, was
kann da nicht alles geschehen! Afrika ist sehr
groß.
(Heiterkeit
links.)
Von
der südwestafrikanischen Bahn erfahren
wir, daß sie
jetzt 13 Millionen kostet. Ursprünglich
war sie nur ganz bescheiden als
Eselbahn gedacht. Der Direktor der
Bauarbeiten, Oberstleutnant Gerding, hat in
einer Denkschrift entwickelt: was kann uns
überhaupt die Bahn für sich allein
nutzen? was kann es nutzen, daß wir
damit rascher von Swakopmund nach Windhoek
kommen, wenn es so lange dauert, bis man von
Deutschland nach Swakopmund kommt?
Mit den Woermanndampfern braucht man ja 30
Tage; wozu 30? Das könnte in 16
Tagen gemacht werden, wenn wir eigene
Reichsdampfer zwischen Deutschland und
Swakopmund
hätten. Dann sagt er: die Hafenanlagen
und Molen sind sehr schlecht; was nützen
uns die schnelleren Dampfer, wenn sie 8 Tage
liegen müssen, bevor gelandet
werden kann? — Sie sehen, meine Herren, eins
zieht das andere nach. Diese
Gegenden sind so miserabel, daß ein
Projekt mit dem anderen neue Millionen als
Konsequenz fordert.
Dann
die Usambaraeisenbahn! Ja, man hat jetzt den
ersten
Anschlag gemacht. Was kommt dabei heraus? Sie
kostet mehrere Millionen, aber
man rechnet dabei heraus einen
Ueberschuß von 2000 Mark. Uns wurde
gesagt, die
Rentabilität der Usambarabahn
gründet sich allein schon auf die
großen Kaffeeplantagen.
Das wird also eine Kaffeebahn, wie man sie in
Brasilien auch sehr vielfach
findet. Nun ist der Kaffeetransport im
Eisenbahnetat besonders veranschlagt,
was ich dankbar bemerke: der Kaffeetransport
bringt 7000 Mark im Jahre.
(Hört!
hört! links.)
Nun
hat man aber keine Ruhe, man will schon jetzt
vorarbeiten, um diese Usambarabahn bis Mombas
fortzusetzen. Dazu kommt nun die
ostafrikanische Zentralbahn. Herr Dr. Sattler
freilich findet daran nur
auszusetzen, daß man bloß für
Vorarbeiten 100 000 Mark verlangt und nicht
gleich die erste Baurate noch mit einsetzt.
Wir haben schon gehört, daß das
Andrängen des Kolonialsports auf das
Reichsschatzamt so viel Eindruck macht,
daß es sich zu der etatstechnisch
ungeheuerlichen Maßnahme versteht, in
demselben Jahre mit einem Nachtragsetat noch
eine Baurate hinter die Rate für
Vorarbeiten
einzustellen. Da scheint denn endlich auch dem
Zentrum die Geduld über diese
Art der Kolonialpolitik auszugehen, und ich
notire es, daß Herr Dr. Lieber
ausdrücklich bemerkt hat, so weit
könnten sie die Sache nicht mitmachen,
höchstens bis zu den Vorarbeiten, man
müsse erst sehen, was dabei herauskommt.
Die ersten Afrikaforscher, Schweinfurth, Hans
Meyer, protestiren gegen den Bau
und bestreiten die Rentabilität aufs
äußerste. Man beruft
sich dagegen auf die Kongobahn. Aber
gerade die Rechnung über die Kongobahn
ist lehrreich. Sie ist auf 26 Millionen
veranschlagt gewesen und hat 60 Millionen
gekostet, und wenn diese Zentralbahn
in ihrer ganzen Ausdehnung nach den Seen
ausgeführt wird, wie sie beabsichtigt
ist, d. h. in einer Länge, die in
Deutschland von Eydtkuhnen bis Basel reichen
würde
(hört!
hört! links),
so
würde sie, nach den Kosten der Kongobahn
berechnet, 252
Millionen Mark kosten; das ist gerade so viel,
wie der Rhein-Elbe-Kanal. Meine
Herren von der Rechten, werden Sie da auch
sparsam sein, wie Sie sparsam sind
gegenüber dem Rhein-Elbe-Kanal? Elfenbein
und Kautschuk allein machen in Afrika
keine Bahn rentabel. Solange Sie nicht Gold
und Diamanten gefunden haben,
nützen Ihnen Bahnen in Afrika
überhaupt nichts, sondern sie bleiben
immer
Militärbahnen, wie es dort ja mehrere
giebt. Die Kongobahn ist bestimmt,
Stromschnellen zu überwinden, und an den
Endpunkt dieser Bahn schließt sich ein
glatter Strom von 1200 Kilometer Länge.
Wo ist Aehnliches an dem Endpunkt
dieser Zentralbahn zu vergleichen? Nun sagt
man, wir wollen zunächst nur bis
Mrogoro — wer kann all die afrikanischen Namen
aussprechen? — bauen. Das kennt
man, meine Herren; ist sie erst bis dahin
genehmigt, dann heißt es: es ist ja
kein Wunder, daß sie nicht rentirt, —
sie muß weiter geführt werden. So
ist es
ja auch bei der Usambara-Bahn. Wenn erst die
erste Strecke bewilligt ist, alles
andere findet sich später von selbst.
Es
hat ja ein Konsortium von Bankiers gegeben,
diese haben
einmal 100 000 Mark für Vorarbeiten
für die Zentralbahn ausgegeben;
natürlich
wollten sie sie nicht auf eigene Kosten bauen,
sie rechneten auf eine
Reichsgarantie, wenn auch nicht in voller
Höhe des Reichszinsfußes, so doch
vielleicht von 2 oder 2 ½ Prozent. Das
ist nun bezeichnend: dieses
Bankkonsortium, das schont 100 000 Mark
für Vorarbeiten ausgegeben und einen
gewissen Anspruch auf die Konzession erlangt
hat, zieht sich jetzt völlig
zurück und will auch nicht 1/2 Prozent
Zinsen daran riskiren, auch bei einer
Reichsgarantie nicht, wenn sie nicht dem
Zinsfuß der Reichsanleihen
gleichkommt. Diese Herren vom Bankkonsortium
sagen meines Erachtens mit vollem
Recht: die Zeitverhältnisse sind für
solche Unternehmungen nicht günstig. Ich
bin überhaupt der Ansicht, es gab seit
Dezennien keine Zeit, die es so wenig
begünstigte, von reichswegen große
Kapitalanlagen zu machen, wie die jetzige.
(Sehr
richtig! links.)
Die
Privatwirthschaft in Deutschland erheischt bei
der
großartigen Umgestaltung aller
Produktionsverhältnisse durch die
Elektrizität
überall in der Landwirthschaft und
Industrie so viel neues Kapital, daß
wahrlich das Reich keine Ursache hat,
überflüssigerweise noch besondere
Konkurrenz zu machen mit seinen
Kapitalforderungen. Der hohe Zinsfuß
rührt
nicht von der Goldwährung, sondern von
der Kapitalnoth her, und die wollen wir
nicht steigern durch Ansprüche des
Reichs, weder für afrikanische Bahnen
noch
für Vermehrung der Flotte.
Nun
sucht noch Herr Tirpitz die Arbeiter für
sich zu
gewinnen, indem er darauf hinweist, daß
durch die Flottenvermehrung die
Arbeitsgelegenheit vermehrt wird. Fehlt es
denn gegenwärtig an Arbeitsgelegenheit?
Ueber die Leutenoth klagt man ja in der
Landwirthschaft und auch in der Industrie
schon mehr und mehr. Hat man nun eine
Veranlassung, diese Nachfrage nach
Arbeitern noch mehr zu steigern, namentlich
für Afrika? Man thut überhaupt so,
als ob man diese Millionen für die
afrikanischen Bahnen, für die Flotte
gewissermaßen aus der vierten Dimension
griffe.
(Heiterkeit.)
Sie
müssen doch aus den Ersparnissen des
Volks genommen
werden, und wo man sie wegnimmt, werden sie
nicht mehr verwendbar für andere
Zwecke, und es vermindert sich dadurch die
Nachfrage nach Arbeitern an einer
anderen Stelle. Es handelt sich also hier nur
um eine andere Placirung von
Kapital, nicht um eine Vermehrung von Kapital,
die eine andere Mehrarbeit
schafft. Und nun insbesondere die vermehrte
Nachfrage, die geschaffen wird für
Eisenbahnen und für die Flotte für
die Eisenindustrie. In der Eisenindustrie
fehlt es wahrlich nicht an Aufträgen. Die
großen Unternehmer natürlich
können
nicht Aufträge genug bekommen, denn ihr
Unternehmergewinn steigert sich ja um
so mehr; aber die gesammte Eisenindustrie hat
gar nicht das Interesse daran. Es
besteht eine Eisennoth schon gegenwärtig;
man kann jetzt schon aus Mangel an
Material die Lieferfristen nicht mehr
einhalten für die Bergwerke, Kleinbahnen
und die Kleineisenindustrie. Zu uns kommen die
Klagen, daß unser Export
gefährdet ist, weil man die Aufträge
nicht ausführen kann, weil es an Material
fehlt, — und da will man nun noch gerade jetzt
noch eine vermehrte Nachfrage
nach Eisen durch neue Eisenbahnen und neue
Schiffsbauten hervorrufen.
(Sehr
gut!)
Meine
Herren, wenn ich mir das alles
vergegenwärtige: die
Forderungen, die die nächsten Jahre
stellen werden an das Reich, abgesehen vom
Flottenplan, wenn ich hinzufüge die
Ausgaben für das Militär, Kolonien
u. s.
w., so ist es für mich klar, daß,
wenn wir nicht immer tiefer in eine
Verschuldung des Reichs hineingerathen sollen,
wir nothwendig zu neuen Steuern
gedrängt werden.
(Sehr
richtig!)
Herr
von Miquel sagte gestern: nein, das werde
nicht
eintreten — soweit man in die Zukunft schauen
kann, setzte er vorsichtigerweise
hinzu.
(Heiterkeit.)
Diesmal
kann er nicht in die Zukunft schauen; aber
wenn man
sich erinnert, wie er vor 3, 4 Jahren uns
angejammert hat im Abgeordnetenhause
und hier im Reichstag: es sei ja gar nicht
möglich auszukommen, wenn nicht die
Steuern in den Einzelstaaten und im Reiche
vermehrt werden! Herr von Kardorff,
der Vorsitzende der Budgetkommission, gab
gestern gar kein Urtheil ab über
diese Frage; er meinte, man müsse das
abwarten. Wenn wir abwarten müssen, was
man einnimmt, dann soll man auch abwarten, ob
man neue Schiffe bauen kann, und
soll erst das Geld in Sicht haben, ehe man
sich schlüssig macht, neue Schiffe
zu bauen.
(Sehr
gut!)
Uebrigens,
die eifrigsten Herren für einen neuen
Flottenplan
beschäftigen sich schon jetzt mit neuen
Steuerprojekten. Unser Herr Kollege
Hasse hat ja in einer Versammlung die
Berechnung aufgestellt, daß der Deutsche
für 20 Mark pro Kopf Bier trinkt — er hat
darin wohl auch die Säuglinge mit
einbegriffen —
(Heiterkeit),
daß
der Deutsche sich auch an Taback manches
absparen
könnte. Das sei möglich. Herr
Professor Adolf Wagner ist ganz derselben
Meinung, daß der Taback und das Bier
noch nicht hoch genug besteuert sind. Dem
Herrn Finanzprofessor würde es
überhaupt sehr gefallen, wenn man alle
Arten von
Steuern hier kultivirte.
(Heiterkeit.)
Es
wird auch von Einführung einer
Erbschaftssteuer
gesprochen, — als ob das so leicht wäre.
Wir ältere Abgeordnete haben die
Versuche erlebt; Herr Camphausen ist damit
gescheitert. Eine Erbschaftssteuer
kann man im Reich nur einführen, wenn man
sie in den Einzelstaaten abschafft,
und in den Einzelstaaten ist die
Erbschaftssteuer so außerordentlich
verschieden, daß daran nicht so leicht
zu denken ist.
Indessen,
auch ich will einen kleinen Beitrag zu neuen
Steuern liefern. Wie wäre es, wenn die
hohen Herren, die jetzt als Protektoren
des Flottenvereins auftreten, sich freiwillig
dazu verstehen wollten, ihr
Einkommen und ihr Vermögen zum Besten der
Reichskasse, sei es für die Flotte
oder sonstwie, einer Steuer zu unterziehen,
einer solchen Steuer, wie sie ja
auch jeder mittlere Beamte oder mittlere
Bürger in einem gewissen Prozentsatz
leistet!
(Sehr
gut!)
Protektor
des Flottenvereins zu sein, kostet allerdings
nichts, aber es wäre doch sehr
schön, wenn sie gestatten würden,
ihre
Zivilliste zu besteuern. Es würde ja
etwas erkleckliches einbringen für das
Reich, abgesehen von der erzieherischen
Wirkung, die das für die Herren selbst
haben würde.
(Heiterkeit.
Zwischenrufe.)
Ich
denke nicht an Standesherren, sondern
höher hinauf, sehr
hoch sogar.
(Sehr
gut!)
Meine
Herren, wie die Dinge liegen, so ist es mir
ganz klar:
wenn das Bedürfniß entsteht nach
mehr Geld, so wird man darauf hindrängen,
es
aus Zollerhöhungen zu befriedigen.
Dagegen hat man sich beim Flottengesetz gar
nicht verwahren können. Damals hat die
Regierung lebhaft protestirt, daß in der
Hinsicht irgend welche Beschränkung in
das Gesetz aufgenommen wird.
Nun
hat es ja ein gewisses Befremden erregt,
daß, als der
erste Flottenplan veröffentlicht wurde,
gleichzeitig durch die „Berliner
Politischen Nachrichten“ des Herrn Schweinburg
hingewiesen wurde auf die
Mehreinnahmen aus den Getreidezöllen von
60 Millionen zur Deckung der
Flottenvermehrung. Es war ja sehr
merkwürdig, daß an demselben Abend,
wo die „Norddeutsche
Allgemeine Zeitung“ den Flottenplan
veröffentlichte, in derselben Stunde die
„Berliner
Politischen Nachrichten“ dazu einen Finanzplan
veröffentlichen konnten.
(Hört!
hört!)
Ich
weiß nicht, ob der Finanzplan von Herrn
Miquel herrührt,
ich glaube es nicht gerade, außerdem
könnte ich es nicht beweisen.
(Heiterkeit);
jedenfalls
muß doch der Finanzplan sehr nahe an
derselben
Stelle entstanden sein, wo auch der
Flottenplan entstanden ist.
(Sehr
gut!)
Aber
wenn auch nicht zur selben Stunde die beiden
Sachen
veröffentlicht wären, der
Flottenplan und der Finanzplan, wenn auch
nicht
geschrieben wäre, daß 60 Millionen
beschafft werden sollen durch Erhöhung
der
Getreidezölle, so würde ich doch
immer sagen: die Neigung zur Erhöhung der
Getreidezölle ist ohnedem vorhanden — was
liegt näher, als daß, wenn
Ausgabebedürfnisse
entstehen, vermehrte Ausgaben gedeckt werden
sollen, man die Deckung um so mehr
sucht durch Erhöhung der
Getreidezölle. Ich habe die Ueberzeugung,
daß
thatsächlich die Mehrkosten der Flotte zu
einer Erhöhung der Getreidezolle
fuhren werden, daß sie dazu führen
werden, das Brod zu vertheuern, und daß
dieser neue Flottenplan die Brodvertheuerung
zur Folge hat. Alle die Herren,
die das Brod nicht vertheuern wollen, mache
ich schon jetzt verantwortlich,
wenn thatsächlich diese Konsequenzen
eintreten aus ihrer Zustimmung zur
Flottenvorlage.
(Sehr
gut!)
Nun
sagte Herr von Miquel gestern: ja, die
Erhöhung der
Getreidezölle kann doch dazu führen,
daß die erhöhten Getreidezölle
weniger
einbringen als die jetzigen. Wie hoch
muß sich Herr von Miquel die
Getreidezölle denken, wenn
sie dazu
führen sollen, daß es sich rentirt,
den Getreidebau in Deutschland in großem
Umfange da in Angriff zu nehmen, wo er sich
gegenwärtig nicht rentirt! Ich will
darüber mit ihm nicht weiter streiten;
aber wenn das wirklich der Fall ist,
dann entsteht ja durch Verminderung der
Einnahmen aus den Getreidezöllen wieder
ein Deckungsbedürfniß, welches
anderweitig Befriedigung erheischt.
(Sehr
richtig! links.)
Da
hat Herr von Kardorff gestern ganz richtig
bemerkt: ja,
diese Staaten, welche landwirthschaftliche
Artikel zu uns exportiren, können
die Einschränkungen durch
Zollerhöhungen schwer empfinden, aber
dann müssen wir
ihnen anderweitig Konzessionen machen, damit
sie gleichwohl mit uns neue
Handelsverträge abschließen. Wie
hoch müssen dann die anderen Konzessionen
—
wenn sie überhaupt möglich sind —
für solche Staaten sein, um diese
dafür
entschädigen zu können, was an
verringertem Getreideexport und Export
sonstiger
landwirthschaftlicher Artikel aus diesen
Staaten entsteht! Und je höher die
Gegenkonzessionen sind — erwägen Sie,
daß die letzten neuen
Handelsverträge
eine Verminderung der Einnahmen von 36
Millionen mit sich brachten! —, desto
größer sind die Schwierigkeiten,
die Mittel dafür aufzubringen, wenn
gleichzeitig die Mehrausgaben für diesen
Flottenplan konkurriren. Ich sage
daher: diese erweiterte Flotte ist eine
Erschwerung für den Abschluß
günstiger
Handelsverträge.
(Sehr
richtig! links.)
Ich
verstehe es sehr wohl, warum der
Staatssekretär Tirpitz
Eile hat, jetzt, 1900, den Flottenplan in
Sicherheit zu bringen: weil in dem
Augenblick, wo gleichzeitig hier verhandelt
wird über neue Handelsverträge,
drastisch hervortreten wird, daß neue
günstige Handelsverträge in dem
Maße
schwieriger werden, wie neue Flottenpläne
größere Ausgaben erheischen.
(Lebhaftes
Sehr richtig! links.)
Ja
gewiß, Herr von Miquel hat recht:
Verkehrspolitik in der
ganzen Welt müssen wir treiben, wir sind
darauf angewiesen, unser Absatz muß
gesteigert werden. Aber das können wir
nicht durch Schiffskanonen erzwingen,
wir können nicht die hohen Zölle
anderer Staaten niederschießen, sondern
nur
durch Gegenkonzessionen unsererseits; und wenn
das erschwert, verhindert wird
durch steigende Marine-Etats, so schadet uns
die Steigerung des Marine-Etats
durch Erschwerung der Handelsverträge
zehnmal mehr, als selbst nach Ihrer
Ueberzeugung die ganze Flotte dem Handel
nützen kann.
(Sehr
richtig! links.)
Man
hat gesagt, man will die Steuern binden, man
will sich
vorsehen, daß die Kosten gedeckt werden
durch diejenigen, die am
leistungsfähigsten sind. Ich halte eine
solche Bindung überhaupt für
undurchführbar aus dem einfachen Grunde,
weil wir einen einheitlichen
Reichshaushalt haben und gar nicht die
einzelnen Ausgaben und Einnahmen auf
einander angewiesen sind. Also z. B. es tritt
eine hohe Militärausgabe neu
hervor; wenn der Flotten-Etat nicht gesteigert
worden wäre, so würde diese neue
Militärvorlage doch aus den
Reichseinnahmen ohne neue Steuern bestritten
werden
können; nun konkurrirt aber der
Flottenplan, das ist nicht möglich — kann
man
denn da nicht auch sagen, daß der
Flottenplan die Ursache ist der
Nothwendigkeit von neuen Steuern? Oder wird
man sagen wollen: die Militärausgaben
haben es zunächst veranlaßt?
Und
wenn man sich wirklich binden könnte,
negativ, — ja, was
wollen denn solche Monologe, solche
Selbstgespräche des Gesetzgebers
thatsächlich bedeuten? Nein, man kann die
Einnahmen nicht binden im voraus, das
ist praktisch bedeutungslos; eben deshalb soll
man auch
nicht die Ausgaben im voraus binden; das
eine bedingt das andere.
(Sehr
richtig! links.)
Damit
komme ich auf die Frage der Bindung des
Etatsrechts,
auf die Bindung durch den neuen Flottenplan.
Ein glänzenderes Fiasko als die
Bindung hat nie ein Akt der Gesetzgebung
gemacht, wie dies gegenüber dem jetzt
geltenden Flottenplan der Fall ist.
(Sehr
richtig! links.)
Und
trotzdem die Zumuthung, nun noch weiter
hinaus, nun noch
in größerem Umfange in neue
Bindungen einzutreten! Man sagt: gebrannte
Kinder
scheuen das Feuer; Manche sagen sogar:
gebrannte Katzen scheuen das Feuer.
(Große
Heiterkeit.)
Soll
da der Reichstag nicht auch so klug sein wie
Kinder? —
von den Katzen gar nicht zu reden!
(Heiterkeit.)
Und
dann soll der Reichstag eine neue Bindung
eingehen im
Vertrauen auf denselben Staatssekretär
der Reichsmarine, der die erste Bindung
veranlaßt hat, und der jetzt so
vollständig außer Stande ist, das
wahr zu
halten, was er damals erklärte! Vor Herrn
Staatssekretär Tirpitz hat niemand in
der Reichsverwaltung daran gedacht, daß
solche Bindungen ausführbar seien. Sein
Vorgänger Hollmann hat es weit von sich
gewiesen, daß man auf Jahre hinaus
vorher festlegen könne die
Bedürfnisse der Verwaltung. Herr Tirpitz
ist aus
Ostasien gekommen zuerst mit dem Plane der
Bindung. Noch im August 1897 hat die
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ jeden
Gedanken einer solchen Bindung
energisch zurückgewiesen. Herr Tirpitz
hat den Reichstag überredet. Und was
erfahren wir nun? Wie stellt er sich zu den
Folgen der von ihm vorgeschlagenen
Bindung? Der Herr Staatssekretär sagte,
er habe ja in seinem Innern nicht
geglaubt, daß die Sache damit zu Ende
sein werde, einen Abschluß finden werde
(hört!
hört! links),
daß
damit auch der Sollbestand für die beiden
gefährlichsten
Fälle ausreichen werde. Es kommt aber
nicht darauf an, was er sich im Innern
gedacht hat, sondern was er ausgesprochen hat.
(Sehr
richtig! links.)
Und
da beruft er sich auf eine Stelle seiner Rede,
die das
damals schon angedeutet haben soll. Was sagt
er in der von ihm zitirten Stelle?
Da antwortet er anknüpfend an die
Liebersche Rede: wenn man das Flottengesetz
auf eine beschränkte Zeit einführen
wolle, nun, so werde der Gedanke bei der
Regierung vielleicht keinen Widerstand finden;
er mache darauf aufmerksam, daß
je öfter ein Beschluß erneuert
werden müßte über einen
Flottenbestand, es um so
näher liegen könne, den
Flottenbestand alsdann zu vermehren. Aus
dieser beiläufige
Bemerkung soll der Reichstag entnommen haben,
daß Herr Tirpitz in der Sache
keinen Abschluß sieht, daß die
Regierung sich nicht binden will, sondern sich
vorbehält, bei Gelegenheit ihrerseits
weitere Forderungen zu erheben —?
Von
durchschlaggebender Bedeutung für die
damalige Mehrheit
war die Erklärung vom 6. Dezember 1897,
die schon zitirt worden ist, die man
aber bei der Bedeutung, die sie hat, nicht
genug zitiren kann. Herr Tirpitz
sagte:
Wenn wir eine Flotte
haben
werden, die dieser Stärke entspricht,
dann schaffen Sie Deutschland eine
Seemacht, gegen die offensiv an unseren
Küsten vorzugehen selbst eine Seemacht
ersten Ranges sich dreimal bedenken
würde. (Hört! hört!) Sie
schaffen eine
Flotte, meine Herren, welche ein erhebliches
Gewicht zur Sicherung des Friedens
in die Wagschale werfen kann; Sie schaffen vom
militärischen Standpunkt aus für
die Stellung Deutschlands im europäischen
Konzert einen Machtfaktor, der mit
dem Jahre 1904 aufgehört haben wird, eine
quantité négligeable zu sein.
Das
war eine hochwichtige Erklärung, die
gewiß für Viele
bestimmend war. Und was sagte nun Herr
Staatssekretär Tirpitz, als ihm Herr
Bebel diese Erklärung vorhielt? —: es sei
das damals ein unglücklicher Ausdruck
gewesen
(hört!
hört! links),
ein
unglücklich gewähltes Wort. Ja,
meine Herren, wenn so
bestimmte Erklärungen schließlich
als ein unglücklich gewähltes Wort
ausgelegt
werden können, was soll man dann den
Erklärungen dieses Herrn in dieser
Session
noch irgend eine Wichtigkeit beilegen!
(Sehr
richtig! links.)
Von
welcher Erklärung kann er dann
später nicht auch wieder
sagen: das ist nur ein unglücklich
gewähltes Wort gewesen —?
(Sehr
richtig! links.)
Es
ist wirklich sehr eigenthümlich,
daß, je mehr Herr
Tirpitz sich auszureden sucht, er sich desto
mehr hineinredet. Er sagt uns: damals
habe ich noch nicht genügend
Kenntniß gehabt von der
Leistungsfähigkeit der
Werften, ich habe es mir schwieriger
vorgestellt, den nöthigen Ersatz an
Chargirten zu bekommen, jetzt bin ich eines
Besseren belehrt, und außerdem habe
ich damals nicht geglaubt, daß uns mehr
Geld bewilligt werden würde, und
deshalb habe ich nicht mehr verlangt. Meine
Herren, wenn er uns das nur mit
einer Silbe damals angedeutet hätte! Wenn
er uns gesagt hätte, was er dächte
und meinte, dann würde jedermann gesehen
haben, daß das nur eine einseitige
Bindung sein sollte, daß man
beabsichtige, nur den Reichstag zu binden,
während
die Regierung sich vorbehielte, weiter zu
gehen, sobald Herr Tirpitz erkannt
hat, daß die Werften mehr bauen
können, sobald Herr Tirpitz erkannt hat,
daß
der Ersatz der Chargirten leichter zu
beschaffen ist, sobald Herr Tirpitz
erkannt hat, daß er mehr kriegen kann,
wenn er es nur verlangt.
(Sehr
richtig! und Heiterkeit links.)
Nun
kommt die Erklärung vom Januar dieses
Jahres. Herr
Tirpitz sagte, daß er in Betreff der
Nachrichten, daß ein neuer Flottenplan
beabsichtigt wäre, nicht geantwortet habe
trotz der Provokation des Herrn
Lieber: weil an keiner Stelle in irgend einer
Weise die Absicht hervorgetreten
sei, einen neuen Flottenplan vorzulegen,
daß im Gegentheil bei allen in
Betracht kommenden Stellen die festeste
Absicht bestehe, das Flottengesetz
auszuführen und die darin vorgesehene
Limitirung innezuhalten, er habe die
Nachricht, daß die Regierung jetzt
wieder mit einem neuen Flottenplan vorgehen
wolle, nicht für ernsthaft gehalten. So
war die Erklärung, die Herr Tirpitz in
der Budgetkommission zu Protokoll niedergelegt
hat — und nun redet er sich hier
wieder hinein und theilt uns mit, daß im
Dezember — also unmittelbar vorher —
„ernsthaft“
untersucht worden sei, ob nicht eine
Vermehrung der Flotte stattfinden müsse,
und man nur erklärt habe, man wolle
vorläufig versuchen, mit diesem Sexennat
auszukommen.
(Hört!
hört!)
Wenn
er erklärt hätte, daß man
ernsthaft damit umgehe, die
Flotte zu vermehren und man nur zunächst
versuchen wolle, mit der Limitirung
auszukommen, so würde der Eindruck einer
damaligen Erklärung gerade der
entgegengesetzte gewesen sein
(sehr
richtig!);
aber
er hat es wegwerfend dargestellt als nicht
ernsthaft,
wahrend man doch in der That damals schon
ernsthaft untersucht hat. Früher hat
man immer geglaubt, die Sprache sei nur
für die Diplomaten erfunden, um
die Gedanken
zu verbergen; jetzt ist sie
auch für Admirale erfunden, um die
Gedanken zu verbergen.
(Heiterkeit.)
Sodann
erfahren wir auch wieder, daß,
während im Januar
diese Erklärung abgegeben wurde, schon im
April Herr Tirpitz sich auf Reisen
befand, um die Industriellen darauf aufmerksam
zu machen, daß man nächstens den
Flottenplan erweitern wolle. Was, frage ich,
in aller Welt liegt zwischen
Januar und April? Im Januar ist etwas noch
nicht ernsthaft nach seiner
Erklärung, und im April berichtet er
schon das Gegentheil. Wenn der Herr
Admiral Tirpitz in der Lage wäre, uns zu
sagen: im Jahre 1897 ist mir befohlen
worden, so zu sprechen, und ich habe damals so
gesprochen, und heute spreche
ich so, weil mir es jetzt so befohlen worden
ist, ich habe damals Zick
gesteuert, heute steuere ich Zack
(große
Heiterkeit),
den
Zickzackkurs mache ich mit, wenn es mir
befohlen wird, —
so würde das zwar nicht den Anschauungen
eines konstitutionellen Ministers
entsprechen, aber es würde doch dem
Standpunkt eines Generals, eines Admirals
entsprechen, der den Befehlen gehorcht, die
ihm gegeben werden. Das würde
menschlich verständlich sein
(sehr
gut! links),
es
würde mehr Eindruck machen als alle
künstlichen Versuche,
sich aus dieser Situation herauszureden.
(Sehr
richtig! links.)
Wenn
der Herr Staatssekretär Tirpitz den
stenographischen
Bericht liest und gewahr wird, wie kühl
alle seine Erklärungen auf allen Seiten
des Hauses aufgenommen worden sind,
gleichgiltig, wie sie zu dem neuen Plan
stehen, so kann ihm das nicht zweifelhaft
sein, daß diese Art seines Verhaltens
allgemein gemißbilligt wird.
(Sehr
gut! links.)
Nun,
meine Herren, was ist denn überhaupt das
für ein
Gedanke, im voraus festzusetzen, wie viele
Kriegsschiffe und welche
Kriegsschiffe man in so entfernter Zeit,
theils in 8, theils in 12, theils in
16 Jahren bauen will. Ist jemals ein
Kriegsminister auf einen solchen Gedanken
gekommen, ähnliches vorzuschlagen? Man
hat gesagt, diese Festlegung des
Schiffssollbestandes ist dasselbe, wie bei
einem Militärgesetz die Zahl der
Regimenter einer jeden Waffengattung
festgestellt wird. Ich frage: ist jemals
ein Kriegsminister auf den Gedanken gekommen,
zu verlangen, legt jetzt durch
ein Gesetz fest, wie viel neue Batterien im
Jahre 1908 errichtet werden sollen,
daß wir im Jahre 1902 neue
Kavallerieregimenter errichten sollen? Dann
würde
jeder sagen, die Umgestaltung der Artillerie
und des Waffenwesens ist eine
derartige, daß niemand heute sagen kann,
welches Bedürfniß an Kavallerie,
Artillerie und solchen Spezialwaffen in 8 oder
12 Jahren vorhanden ist. Und
sind nun etwa die Umgestaltungen in Artillerie
und Waffenwesen für die Marine
von geringerer Bedeutung, als für das
Landheer? Gerade entgegengesetzt, die
Umwälzungen in der Schiffsbautechnik, im
Artilleriewesen der Marine sind noch
viel größer gewesen, als es auf dem
Lande der Fall ist. Jetzt stellt man es so
dar, als ob es ganz unumstößlich
sei, daß die Linienschiffe der Kern
aller
künftigen Flotten sein würden. Man
beruft
sich auf die Seekriege der letzten
Zeit; aber; diese haben noch gar
keine Gelegenheit gegeben über die
Bedeutung des Torpedowesens ein Urtheil zu
schaffen, und wäre das Torpedowesen so
minderwerthig, so wurden Sie selbst
nicht darauf dringen, fortgesetzt in demselben
Maße die Torpedoschiffe zu vermehren.
Nun sagt man, und was ist denn ein
Linienschiff? Es wird jeder Begriff, was ein
Linienschiff, ein großer oder kleiner
Kreuzer ist, gar nicht festgelegt, das
wird je nach den Umgestaltungen im
Schiffswesen sich richten. Wenn das nicht
festgelegt ist, nun, dann stellt der
Reichstag, indem er bloß festsetzt eine
gewisse Anzahl Linienschiffe, große und
kleine Kreuzer, eine vollständig
illimitirte
Vollmacht aus. Das Linienschiff kann in zehn
Jahren das doppelte kosten von
heute. Vergleichen Sie doch mit den Vorjahren
die Anschläge, da finden Sie das
schon heraus. Wir sind ja in dieser Beziehung
auch schon belehrt durch die Erfahrungen
seit zwei Jahren. Herr Tirpitz gab uns hier
und mir gegenüber besonders
bestimmte Erklärungen ab, als die
Limitirungsfrage kam; er sagte: ich habe
meine Voranschläge so genau gemacht, alle
die jetzt auf den Stapel zu
stellenden Schiffe sind ja schon
kontraktmäßig vergeben. Er sagte:
ich habe der
Sorgfalt halber noch bei den großen
Kreuzer je eine Million im Anschlag
zugelegt, es ist volle Wahrscheinlichkeit
vorhanden, daß wir mit den
veranschlagten Summen auskommen werden. Aber,
meine Herren, wie lange hat das
gedauert? Nur ein einziges Jahr! Schon in
diesem Jahr sahen wir aus dem Etat —
und das ist merkwürdigerweise von Seiten
der Regierung noch gar nicht
hervorgehoben worden —, daß alle
Schiffe, die Linienschiffe, die großen
und
kleinen Kreuzer, 17 bis 20 Prozent mehr
kosten, als im Flottengesetz von 1898
veranschlagt worden war.
(Hört!
hört! links.)
Das
bezieht sich nicht bloß auf die Schiffe,
die in diesem
Jahre die erste Rate erheischen, sondern es
bezieht sich schon aus diejenigen
Schiffe, die im Etat für 1899 eingestellt
worden sind. Es macht das für die
Neubauten, die in Frage kommen, eine
Erhöhung der Kosten von 12 Millionen aus,
für die Ersatzbauten, die in den Rahmen
des Sexennats fallen, 14 Millionen
(hört!
hört!);
um
26 Millionen ist also die Limitirung schon
durch diese
Erhöhung der Kostenanschläge bei den
Schiffsbauten durchbrochen. Nun sagt der
Herr Admiral: das kommt davon, daß die
Preise sich gesteigert haben, die Löhne
sowohl wie die Eisenpreise. Meine Herren, ob
es bloß diese Preissteigerung ist,
das weiß ich nicht. Ein Baurath aus der
Admiralität hat neulich einen Vortrag
über Schiffsbaustechnik gehalten und
ausgeführt, daß man nach den
Erfahrungen
des spanisch-amerikanischen Krieges die neuen
Linienschiffe mit einem breiteren
und stärkeren Panzer versähe und sie
deshalb sich theurer stellten.
(Hört!
hört! links.)
Wenn
Herr Admiral Tirpitz sagt, die Preise haben
sich
gesteigert, — ja, meine Herren, ich verlange
doch von einem Ressortchef, daß er
so viel Umschau in der Volkswirthschaft
hält, daß er sich auf eine solche
Eventualität auch einrichtet, daß
er sie wenigstens als möglich hinstellt;
aber
er hat überhaupt bestritten, daß es
wahrscheinlich sei, daß man mit den
Summen
nicht auskommen würde. Er hat es also so
gut wie sicher bezeichnet, daß die
Limitirung innegehalten werden könne,
und, indem nun das Gegentheil eintritt,
wird bewiesen, daß auch in dieser nicht
marine-politischen, sondern technischen
Beziehung gar kein Verlaß auf seine
Erklärungen ist.
(Sehr
richtig! links.)
Meine
Herren, nun sagte man uns aber, in dem neuen
Flottengesetz soll nicht eine Zeit
vorgeschrieben werden, bis wann der
Sollbestand der Schiffe erreicht ist. Das
suchte man als eine Konzession
gegenüber dem Reichstag hinzustellen. Die
Sache hat aber ihre zwei Seiten:
diese Zeitfestsetzung bietet auf der einen
Seite auch einen Schutz gegen ein
Drängen der Regierungen, in einer
früheren Zeit den Sollbestand zu
erhöhen. Was
dieses Drängen bedeutet, das sehen wir
gerade jetzt, wo man versucht, schon
jetzt, innerhalb des Sexennats, diesen
Sollbestand zu erhöhen. Wenn der
Reichstag wirklich den Versuch machen wollte,
die Herstellung des Sollbestandes
über die ursprüngliche Absicht
hinauszuschieben, dann würde man sofort
entgegenhalten:
der Plan ist ja darauf zugeschnitten,
daß in jedem Jahre drei neue große
Schiffe und drei kleine Kreuzer auf den Stapel
kommen; schiebt ihr das einmal
hinaus, so werft ihr den ganzen Plan um und
entzieht uns alle die Vortheile,
die wir uns von einem für so lange Zeit
entworfenen und festgelegten Plan
versprechen. Ja, meine Herren, was würden
dann für Kämpfe im Reichstag
entstehen, Kämpfe nicht bloß
über die Sache selbst, sondern auch
über das Recht
des Reichstags! Gerade erbitterte Kämpfe
führen Sie auf diese Weise erst
herbei.
Nun
einige Bemerkungen in Bezug auf die
auswärtige Politik!
Herr von Miquel hat gemeint, die älteren
Herren würden sich noch an die Zeit
erinnern, wo man in Deutschland zu Neujahr
ängstlich nach Paris blickte, um zu
erfahren, was Kaiser Napoleon in Bezug auf
Europa vorhätte. Er stellt also
gewissermaßen es so dar, als wenn solche
Zeiten wiederkehren könnten für
Deutschland, wenn nicht die beabsichtigte
Flottenvermehrung stattfindet. Ja,
meine Herren, sind wir in Deutschland irgend
auch nur entfernt in Sorge darüber,
wie etwa eine Botschaft von Mac Kinley
ausfalle oder eine Thronrede der Königin
Viktoria? Wie heißt das überhaupt
geringschätzen alles, was seit jener Zeit
in
Deutschland erreicht ist: die Einigung
Deutschlands, den Kriegserfolg des
Jahres 1870, die gewaltige Kriegsmacht, die
seitdem aufgebaut ist, die Erfolge
der Bismarckschen Politik! Wie kann man sagen,
es könnte jene Zeit der
fünfziger Jahre wiederkehren, wenn nicht
zu den vorhandenen noch 21 neue
Linienschiffe und so und so viele
Panzerkreuzer hinzukommen.
(Sehr
gut! links.)
Ich
wende mich zu der Rede des Herrn
Staatssekretärs Grafen
Bülow. Das war eine schöne Rede.
(Heiterkeit.)
Herr
Graf von Bülow hat auch früher schon
schöne Reden
gehalten; er hält überhaupt nur
schöne Reden!
(Heiterkeit.)
Es
steigen die Gedanken hoch empor, Lichtgarben
erscheinen
von geistreichen oder humoristischen
Bemerkungen, ein prasselndes Feuerwerk!
(Heiterkeit.)
Aber
schließlich fragt man sich: was hat er
denn eigentlich
gesagt?
(Schallende
Heiterkeit.)
Diese
Frage war hier allgemein, als die Rede zu Ende
war. Ich
hatte in der Nähe gesessen, — ich
wußte es aber auch nicht. Und deshalb
verlangte man so stürmisch nach dem Druck
des stenographischen Berichts, weil
man dachte, man hätte etwas
überhört.
(Große
Heiterkeit.)
Als
man dann aber den stenographischen Bericht
las, sah man
bei dem größten Theil der Rede,
daß jeder Nachsatz den Vordersatz wieder
aushob.
(Sehr
gut! links.)
Gewiß,
er hat ewige Wahrheiten gesprochen, die aber
überall
hinpassen und deshalb für die Sache, um
die es sich handelt, gar nicht von
Bedeutung sind. Er hat eine Flottenrede
gehalten, die er auch hätte Halten
können für das Flottengesetz von
1898, und dieselbe Flottenrede würde auch
passen, wenn er in einigen Jahren ein drittes
oder viertes Doppelgeschwader zu
vertheidigen hätte.
(Sehr
wahr! links.)
Es
war eine Flottenrede en tout cas. Herr Graf
Bülow meinte,
die letzten zwei Jahre hätten gezeigt,
wie die Dinge im Fluß sind und sich noch
entwickeln. Nun dachte ich: jetzt kommts.
(Heiterkeit.)
Denn
das, was sich in den zwei Jahren so
geändert hat, ist
eigentlich die Hauptfrage, um die es sich
handelt.
(Sehr
wahr! links.)
Aber
da fing er an zu reden, daß jedes
Jahrhundert eine
große Liquidation hätte
(Heiterkeit),
da
stieg er aus den zwei Jahren in die
Jahrhunderte herab,
bis ins sechzehnte Jahrhundert herunter.
(Heiterkeit.)
Ich
war ihm dankbar, daß er nicht noch
weiter zurückging.
(Heiterkeit.)
Die
Universitätsprofessoren, die für die
Flotte reisen, sind
schon so weit herunter, daß sie diese
Flottenvorlage als nothwendige Konsequenz
der Völkerwanderung hinstellen.
(Große
Heiterkeit.)
Der
letzte Professor hat sie sogar in Verbindung
gebracht
mit den alten Römern
(Heiterkeit),
diese
Vorlage, die so plötzlich zwischen Januar
und April
entstand.
(Zuruf
links.) — Ja, mit der Arche Noah.
(Schallende
Heiterkeit.) Das hätte auch noch
hineingepaßt;
bei der Sündflut konnte man erst recht
sehen, was eine solche Flotte zu
bedeuten hat. Was wäre aus der Welt
geworden, wenn Noah keine Flotte gehabt
hätte.
(Stürmische
Heiterkeit.)
Der
Herr Staatssekretär ist dann auch auf die
Entstehung des
japanischen Reiches zu sprechen gekommen; aber
das japanische Reich mit allen
seinen Konsequenzen der Neuzeit hängt
doch nicht mit den zwei letzten Jahren
zusammen, es hängt zusammen mit dem
Kriege von 1895. Diese Verhältnisse sind
schon maßgebend gewesen für alle
früheren Schiffsbewilligungen und
für das
Flottengesetz von 1898.
Er
kam dann auf den spanisch-amerikanischen Krieg
zu
sprechen. Ja, der Gedanke, daß wir, wenn
wir eine starke Flotte gehabt hätten,
so dumm hätten sein können, uns da
hineinzumischen, ist, glaube ich, auf keiner
Seite getheilt worden.
(Sehr
wahr! links.)
Was
beweist überhaupt der
spanisch-amerikanische Krieg? Er
beweist, daß keine Macht in entfernten
Welttheilen größere Kolonien
besitzen
soll, als im Verhältniß zu der
Volkskraft im Mutterlande stehen.
(Sehr
wahr! links.)
An
diesem Mißverhältniß ist
Spanien gescheitert. Den
spanischamerikanischen Krieg hat man im
vorigen Jahre schon beim
Quinquennatsgesetz vorgeführt. In der
Begründung können Sie auch lesen:
wir
müssen 27 000 Mann mehr haben, denn aus
jenem Kriege sieht man, wie schlimm es
ist, wenn Truppen nicht vorbereitet sind auf
den Krieg, wie in Amerika.
(Heiterkeit
links.)
Wahrhaftig,
meine Herren, aus der Beschaffenheit der
amerikanischen Truppen kann doch niemand
Vergleiche ziehen mit dem deutschen
Heere, und ebenso wenig aus der Beschaffenheit
der spanischen Flotte einen
Rückschluß ziehen auf die deutsche
Flotte auch in ihrer gegenwärtigen
Gestalt.
(Sehr
wahr! links.)
Man
kann sich ja schließlich in jedem Krieg
auf eine Partei
berufen; denn eine Partei muß immer
unterliegen bei einem Kriege, das liegt in
der Natur der Sache.
Ueberhaupt,
meine Herren, man stellt es so dar, als ob es
eine äußerst bewegte kritische Zeit
sei, in der wir leben. Kriege hat es immer
irgendwo in der Welt gegeben, und gerade in
der neueren Zeit, ich erinnere nur
an den russisch-türkischen Krieg. Damals
hat Fürst Bismarck es weit von sich
abgewiesen, sich aus diesen Gründen zu
erregen. Nicht die Knochen eines
pommerschen Grenadiers waren ihm die
bulgarische Frage, die Balkanfrage werth,
obgleich wahrhaftig die Bedeutung dieser
Interessen für Deutschland weit
schwerer wiegt als alle diese Interessen, die
durch die neuesten Kriege für uns
in Frage gestellt werden. Ja, der
spanisch-amerikanische Krieg, alle seine
Konsequenzen, alle seine Folgen lagen
vollständig klar, als Admiral Tirpitz im
Januar dieses Jahres die Erklärung abgab,
es sei nicht die Absicht, das
Sexennat zu ändern.
Nun
sagt man, in diesem Jahre 1899 hätten
sich die
Ereignisse überstürzt, deshalb also
nun dieser Flottenplan. Ja, was ist denn
1899 geschehen? Samoa? Es ist schade,
daß gewünscht worden ist, daß
wir jetzt
nicht weiter darüber sprechen. Da man die
Vorgänge in Samoa besonders
auszunutzen versucht für die Flotte, so
wäre es mir lieb gewesen, gerade diesen
Vorgängen etwas näher zu treten. Ich
meine, besser, als es geschehen ist,
konnten wir aus dieser leidigen Frage gar
nicht herauskommen
(sehr
richtig! links),
auch
wenn wir eine dreifach so große Flotte
gehabt hätten. Die
Lösung der Samoafrage bedeutet zugleich
eine Entlastung für unsere Flotte; denn
nun brauchen wir dort keine Schiffe mehr zu
haben in Konkurrenz mit amerikanischen
und englischen Schiffen, und für die
armseligen Samoaner genügt ein
gelegentlicher Kreuzerbesuch ebenso wie
für die anderen Südseeinseln.
Dann
ist das Wort Venezuela gefallen von Seiten des
Herrn
Staatssekretärs Grafen Bülow.
Darüber habe ich mich gewundert. Schon
bei dem
Flottengesetz von 1898 hat man gesagt: wir
haben in Amerika nur Schulschiffe,
wie können wir damit auskommen? Man hat
sich dadurch bestimmen lassen und hat
das Flottengesetz von 1898 bewilligt. In
unserem Indiensthaltungsplan für dieses
Jahr ist ein großer Kreuzer und zwei
kleine Kreuzer für die amerikanische
Station vorgesehen, und wenn das Flottengesetz
von 1898 durchgeführt ist, dann
ist die amerikanische Station dauernd mit
einem großen Kreuzer und drei kleinen
Kreuzern besetzt. In diesem Etat allein sind
noch acht Kreuzer im Neubau auf
Grund des Flottengesetzes von 1898. Wie kann
man nun die alte Leier von 1898
wieder anschlagen und sagen, die Kreuzernoth
besteht, deshalb das neue
Flottengesetz? Das heißt doch noch
einmal eine Rechnung präsentiren für
eine
Forderung, die bereits bezahlt ist.
(Sehr
gut! links.)
Aber
Transvaal! Die Sympathien in Deutschland sind
allgemein
für die Buren.
(Sehr
richtig!)
Sie
sind es nicht bloß in Deutschland, — ich
glaube, in der
ganzen zivilisirten Welt, wo ein Gefühl
für Gerechtigkeit ist,
übereinstimmend,
und jeder Erfolg, den die Buren erringen, wird
mit Freuden, ja fast mit Jubel
begrüßt als ein Triumph der
Gerechtigkeit.
(Sehr
wahr!)
In
dieser Beziehung giebt es gar keinen
Unterschied. Aber
das hat der Herr Kollege Sattler mit vollem
Recht ausgeführt: etwas anderes ist
die Ethik der Völker, die Sympathie
für eine Sache, etwas anderes die Politik
der Regierung; die Politik der Regierung kann
nur nach einem gesunden Egoismus
geführt werden, kann nur das
Eigeninteresse eines Volkes wahrnehmen. Auch
Herr
Sattler erachtet es, wie alle Parteien, als
ganz selbstverständlich, daß die
Regierung sich in dieser Frage streng neutral
hält.
Das ist ein Fortschritt gegenüber dem
unglücklichen Telegramm
(oho!
rechts — sehr richtig! links),
das
vor drei Jahren in der Sache abgesandt wurde.
Man hat es
nun so darzustellen versucht, als ob dieser
Krieg beweist, wie übermächtig
England sei. Ich denke, der Verlauf des
Krieges beweist das gerade Gegentheil.
(Sehr
richtig! links.)
Meine
Herren, wir sehen, daß die ganze
englische Landarmee,
alles Verfügbare wenigstens, mobilisiert
werden muß nach Südafrika und doch
nicht zu durchschlagenden Erfolgen gelangt
gegenüber zwei Kleinstaaten,
gegenüber den Buren, die nicht einmal
eine stehende Armee haben, also sonst gar
nicht verglichen zu werden pflegen mit solchen
stehenden Heeren. England kann
sich beglückwünschen, wenn in seinem
weiten Kolonialreich zu dieser Zeit nicht
andere Schwierigkeiten noch entstehen.
(Sehr
richtig!)
Mag
im einzelnen das Ergebniß in
Südafrika sein, wie es
will, der Gesammteindruck ist der, daß
man die Kolonialmacht Englands, die
ganze Machtstellung Englands weit
überschätzt hat, daß das Reich
weit mehr auf thönernen
Füßen steht, als man geglaubt hat.
Wenn die Engländer klug sind, so ziehen
sie
eine Lehre daraus und fangen nicht wieder
solche Dinge an, die sie in
Widerspruch setzen mit den Anschauungen und
Sympathien der gesammten
zivilisirten Welt.
(Sehr
richtig! links.)
Dagegen
muß ich mich doch aber erklären
gegen die Art, wie
Herr Graf Limburg das Verhältniß
von England zu uns geschildert hat. In Bezug
auf die Chamberlainsche Politik bin ich ganz
mit ihm derselben Meinung; aber es
ist falsch, die Stellung Englands zu uns, wie
sie sich durch die Natur der
Dinge ergiebt, wie sie die Geschichte
erfahrungsmäßig bestätigt hat,
derart zu
charakterisiren. Denn es ist nicht richtig,
daß England uns in unseren
kolonialen Bestrebungen überall feindlich
entgegentritt. England hätte alle die
Kolonien längst haben können, wenn
es sie hätte haben wollen; sie lagen alle
vor seiner Thür. Weder dem Fürsten
Bismarck noch Caprivi noch seinem Nachfolger
ist es schwer gefallen, unsere
Interessensphären durch Uebereinkommen
mit
England so abzugrenzen, wie es geschehen ist
und, wie ich glaube, zur
beiderseitigen Zufriedenheit geschehen ist.
Wer hätte auch früher jemals
gedacht, daß England uns Helgoland
abtreten würde! Das hängt aber alles
nicht
mit unserer Flotte zusammen, sondern weil in
der That zwischen England und
Deutschland gegensätzliche Interessen
nicht bestehen oder in geringerem Maße
bestehen, als gegenüber irgend einem
anderen Staate Europas. Gewiß, eine
Allianz können wir nicht
abschließen, weil England viele
Interessen hat, die
wir nicht haben; aber sehr viele unserer
Interessen decken sich vollständig mit
England, sodaß nicht abzusehen ist,
warum wir gerade England gegenüber in
einen
Gegensatz gerathen müssen, wie Herr Graf
von Limburg meinte.
Nun
hat der Herr Staatssekretär auch
hingewiesen auf die Flottenverstärkung
im Auslande. Diese Flottenverstärkungen
im Auslande waren auch schon im Jahr
1898 projektirt. Man hat damals nicht nur die
präsenten Schiffe, sondern auch
die im Bau begriffenen Schiffe in Rechnung
gestellt. Man kann sich doch auch
nicht wundern, daß, wenn wir in der
Flottenverstärkung so vorgehen, wenn
allein
in diesem Jahre 9 Linienschisse gleichzeitig
im Bau sind, nun auch der
Wetteifer im Auslande belebt wird, in gleicher
Weise vorzugehen. Man sollte auch
die Flotten nicht bloß
ziffernmäßig einander
gegenüberstellen. Es kommt vor
allem darauf an, die Flotten nach der
Bedeutung zu messen, die sie für das
einzelne Land haben. Etwas anderes bedeutet
die Flotte für ein Land wie
England, das ganz, und für ein Land wie
Amerika, das nahezu von Weltmeeren
umgeben ist, für Frankreich, ein Land,
das ein Kolonialreich von 40 Millionen
hat, das an verschiedenen, getrennten Meeren
liegt, für England, das ein
Kolonialreich von 400 Millionen hat, als
für uns, die wir an offenen Weltmeeren
nicht liegen und nur beschränkte
Küstenstrecken haben, und die wir in der
Hauptsache von Landgrenzen umgeben sind. Wenn
man das allerdings alles außer
Acht läßt und wenn man nur immer
auf einem einzelnen Punkt Schlachtschiffe
gegen Schlachtschiffe mit einander aufrechnet,
so ist das eben eine
Admiralspolitik, die nicht mit der wirklichen
allgemeinen Politik
übereinstimmt.
(Sehr
richtig! links.)
Dann,
meine Herren, wie kurzsichtig ist diese
Admiralspolitik in dem gegebenen Falle! Wenn
ich meine Rüstungen verstärken
will, so fange ich nicht zu früh
darüber an zu sprechen. Als wir die
Feldartillerie änderten und das
bewilligten, haben wir das insgesammt
sorgfältig geheim gehalten, und
Deutschland gewann in der Beschaffung einen
Vorsprung. Das ist ja nicht immer
möglich. Sobald man anfängt, zu
bauen, nehmen
das die konkurrirenden Staaten wahr. Aber das
Beispiel ist mir noch unerfindlich
bisher, daß man nun 10, 12, 16 Jahre im
voraus urbi et orbi verkündet: wir in
Deutschland werden demnächst so und so
viel Linienschiffe bauen. Heißt das
nicht geradezu, die anderen Staaten
provoziren, in dem allgemeinen Weltruf noch
schärfer vorzugehen, derart, daß
wenn der Zeitpunkt erreicht ist, wir nicht
einen Vorsprung haben, sondern daß
ungefähr höchstens dasselbe
Stärkeverhältniß
wie jetzt erreicht ist, daß das
Verhältniß der Stärke dasselbe
ist, ja, daß wir
vielleicht noch zurückgeblieben sind?
Meine
Herren, nicht also veränderte
Verhältnisse seit zwei
Jahren — der Versuch, dies darzuthun, ist
absolut mißlungen — können die
vollständige Aenderung im Flottenplan
rechtfertigen. — Nicht die Verhältnisse
haben sich geändert, die Ansichten haben
sich geändert, und nicht einmal die
Ansichten — kann man sagen — haben sich
geändert, sondern sie treten jetzt nur
schärfer, unverhohlener, lauter hervor,
als es bis dahin der Fall war. Es sind
die Ansichten, die sich zusammenfassen lassen
mit dem Schlagwort: Weltreich und
Weltpolitik. Der Herr Staatssekretär Gras
von Bülow hat ja ausdrücklich
proklamirt, ein „größeres
Deutschland“ müsse entstehen. Er hat
dabei auch
Beifall gefunden, soweit ich wahrnehmen
konnte, auf dieser Seite bei dem Herrn
Abgeordneten Lehr, dem
Geschäftsführer der Alldeutschen
(Heiterkeit),
was
in dieser Vereinzelung allgemeine Heiterkeit
erregte.
(Zuruf
bei den Nationalliberalen.)
—
Es war Herr Hasse also, der Direktor der
Alldeutschen
selbst! —
(Große
Heiterkeit links.)
Meine
Herren, wenn ich diese Proklamation des Herrn
Grafen
von Bülow mit früheren Zeiten
vergleiche, so muß ich sagen: was war
doch der
Ernst Moritz Arndt für ein kleiner
bescheidener Mann!
(Heiterkeit.)
Er
wollte bloß ein Deutschland, „soweit die
deutsche Zunge
klingt und Gott im Himmel Lieder singt“; aber
Graf Bülow erkennt keine Grenze
an als die Endgrenzen der Welt. Die
Oesterreicher, die russischen Ostseeprovinzen
— da sitzen ja Deutsche zu Millionen —, das
glaube ich nicht gerade, daß er
diese annektiren will, außerdem sind sie
mit der Flotte nicht so erreichbar.
(Heiterkeit.
links.)
Das
wurde ja auch, die größte Thorheit
sein, und Fürst Bismarck
hat sich solcher Aspirationen stets mit Recht
enthalten. Graf Bülow streckt
seine Ziele weiter hinaus, noch weiter, als
Gott im Himmel Lieder singt. Denn
es sind heidnische Völkerschaften
(Heiterkeit
links),
die
besonders zu unseren Bundesbrüdern
gemacht werden sollen.
Herr
Graf von Bülow sagt, wir dürfen
nicht bei Seite stehen,
wenn der Kuchen vertheilt wird. Ja, Kuchen!
(Schallende
Heiterkeit.)
Der
Kuchen ist längst vertheilt, längst
weggegeben. Was an
Kolonien Werth hatte, hat längst seinen
Herrn; was übrig blieb — die Erfahrung
hat unsere Kolonialpolitik schon gemacht —,
sind elende Brodkrusten, die, um
genießbar zu werden, mehr kosten, als
sie Nahrungswerth besitzen
(sehr.
richtig! links),
und
was nun noch übrig ist, sind bloß
noch Krümel
(Heiterkeit),
solche
Krümel wie die Karolinen, Palau, und wie
die kleinen
werthlosen Inselchen heißen, für
die wir so viel aufwenden, um sie an Stelle
von Kuchen wenigstens auf unseren Teller zu
bringen.
Allerdings
ist gesagt worden, die Flügel des
deutschen
Adlers sollen weiter ausgebreitet werden. Wir
suchen nach allerlei Punkten
herum, auf denen wir uns festsetzen
können als Stützpunkt für
unseren Handel.
Meine Herren, die Kolonien, die wir haben,
wollen vom Reich gestützt werden,
sie stützen nicht den Handel. Was wir zu
unseren Kolonien zuschießen, kostet
mehr, als der ganze Ein- und Ausfuhrwerth der
Handelsbeziehungen Deutschlands
mit diesen Kolonien bedeutet.
(Sehr
richtig! links.)
Der
Himmel bewahre uns, daß wir noch mehr
solcher Punkte
bekommen. Es soll ja ein geheimer Vertrag
bestehen, daß wir nächstens noch
ein
neues Defizitland bekommen, daß
Deutschwestafrika künftig noch weiter,
bis zum
14. Breitengrad, heraufgerückt wird. Und
dann das Gemunkel, daß wir auch im
westindischen Archipel eine dänische
Inselgruppe kaufen. Natürlich, wir
treiben
ja mit den 17 Millionen für die Karolinen
die Preise in die Höhe
(Heiterkeit
links),
weil
alle Staaten sich darauf besinnen werden, ob
sie nicht
ein paar abgelegte Inseln zu verkaufen haben.
(Große
Heiterkeit links.)
Meine
Herren, obgleich es wohl manchem wunderbar
erscheint,
bin ich der Meinung, daß die Zeiten der
Kolonialherrschaft nicht in erhöhtem
Maße wiederkommen, sondern daß
umgekehrt diese Zeiten mehr und mehr vorbei
sind, daß die Kolonialherrschaft in der
weiteren Entwicklung der Dinge eine
Einschränkung erleiden wird. Der Herr
Staatssekretär berief sich auf Frankreich
und dessen Erwerbungen in diesem Jahrhundert.
Ja, meine Herren, wenn man sich
vergegenwärtigt,
was Frankreich an Geld und Blut in Tonkin u.
s. w. eingebüßt, und was das alles
gekostet hat, so weiß ich nicht, ob es
noch einmal solche Erwerbungen zu machen
geneigt sein kann. Er spricht von
Rußland. Ja, Rußland ist ein
zusammenhängendes
Land, das sich über zwei Welttheile
erstreckt, und uns könnte es meines
Erachtens ganz recht sein, wenn es seinen
Schwerpunkt nach Asien rückt; denn
dann wird es seinen Blick um so weniger nach
Westen richten und um so weniger
in die Lage kommen, in Europa auf
Konstantinopel und das goldene Horn seinen
Blick zu richten.
(Sehr
richtig! links.)
Wie
ist denn der spanisch-amerikanische Krieg
entstanden?
Doch dadurch, daß die
Völkerschaften ihrer Kolonialherren
müde geworden sind
und Aufstände dort entstanden. Cuba
hört nun auf, Kolonie zu sein; nach
seiner
Lage wird es sich naturgemäß den
Vereinigten Staaten angliedern. Und was die
Philippinen anbetrifft — nun, die Amerikaner
haben jetzt wahrlich solche
Schwierigkeiten mit den Tagalen und Filipinos,
daß es mir, wenn es nicht ein
Ehrenpunkt für sie geworden wäre,
sehr zweifelhaft sein würde, ob sie noch
auf
diese Kolonialerwerbung Werth legen
würden. Wie ist es Italien im Kriege mit
Abessynien ergangen? Es ist natürlich,
daß in dem Maße, wie
Völkerschaften,
auch solche, die nicht der weißen Rasse
angehören, zivilisirter werden, in dem
Maße, wie die Kultur eindringt, auch das
Selbstgefühl lebendiger wird, ihr
Freiheitsbewußtsein sich stärkt —
sie werden widerstandsfähiger. Und —
darüber
dürfen Sie. sich nicht täuschen —
gerade die Entwicklung des modernen
Waffenwesens
erleichtert es auch solchen
Völkerschaften, die nicht mehr mit Pfeil
und Bogen
kämpfen wie früher, ihren
Kolonialherren Widerstand zu leisten. Dazu
noch eins!
Alle Kulturvölker in Europa sind
genöthigt gewesen, die allgemeine
Wehrpflicht
anzunehmen. Das Wehrsystem auf Grundlage der
allgemeinen Wehrpflicht verträgt
sich durchaus nicht mit Kolonialherrschaft.
(Sehr
richtig! links.)
Kolonialherrschaft
ist nur möglich mit Heeren, die durch
Werbesystem zusammengetrieben werden, und wir
sehen, wie viel Mühe uns schon
das bischen Schutztruppe macht, das für
den jetzigen Kolonialbesitz erforderlich
ist, und wie schwer es hält, auch da nur
die Ergänzung herbeizuführen.
Der
Graf Bülow sprach dann von der Stellung
der Deutschen im
Auslande. Es ist ja nicht das erste Mal,
daß er zurückgreift und es so
schildert, wie gedrückt in früheren
Zeiten, wie demüthig, wie bescheiden
diese
träumerischen Deutschen im Auslande
gewesen seien, vergleichbar den
Hauslehrern, die hochnäsigen Kavalieren
gegenüber sich hätten bescheiden
müssen. Meine Herren, ist denn das
wirklich wahr, ist es auch nur wahr in der
Zeit vor 1870? Ich möchte, daß
Fritz Kapp noch lebte, der hier so entschieden
gegen den Beginn der Kolonialpolitik auftrat,
der würde Ihnen andere Begriffe
beibringen von dem Ansehen und der Bedeutung
der Deutschen im Auslande; und ich
wünschte, Karl Schurz könnte
erscheinen und Ihnen klar machen, was die
Achtundvierziger, die aus Deutschland nach
Amerika gegangen sind, längst vor
der Bildung des Deutschen Reiches an
Einfluß und Ansehen im Auslande genossen
haben.
(Sehr
richtig! links.)
Allerdings
das ist richtig, daß die Einigung
Deutschlands,
das aufgehört hat, ein geographischer
Begriff zu sein, daß die Kriegserfolge
von 1870/71, daß auch die Bismarcksche
Politik — denn über die auswärtige
Politik haben wir immer anders gedacht als
über die innere — wesentlich dazu
beigetragen haben, die Ehre und das Ansehen
der Deutschen auch im Auslande zu
steigern. Darum sage ich, meine Herren, wie
geringschätzig beurtheilt man die
Bedeutung des Jahres 1870, alles das, was
seitdem erfolgt ist, wenn man jetzt
sagt: das ist ja alles verloren, Deutschland
wird wieder klein werden, wenn nicht
noch die neuen Schlachtschiffe und die neuen
Kreuzer uns davor bewahren, daß
wir der Spott des Auslandes werden, daß
wir wieder in die Bescheidenheit des
Hauslehrers dem hochnäsigen Kavalier
gegenüber gerathen.
(Sehr
gut! links.)
Der
Herr Staatssekretär beklagte sich
darüber, daß von gewissen
Seiten — das ist die Gegenseite von uns, eine
Seite, die Herrn Kollegen Hasse
näher steht — die Regierung gedrängt
würde, man suchte sie bald gegen den
einen
Staat, bald gegen den anderen zu bewegen, man
schätze nicht die Schwierigkeiten
der auswärtigen Politik. Ja, das ist
wahr, Herr Staatssekretär, Sie haben
recht;
aber sind Sie nicht selbst schuld, wenn diese
chauvinistische
Strömung, wenn ein
ungezügeltes
Größenbewußtsein sich
ausbildet, wenn Sie durch solche Redewendungen
selbst
dazu beitragen, solche Gesinnungen groß
zu ziehen? Wohin das führt, das hat
Ihnen Herr Schmoller, auch ein solcher
Flottenprofessor
(Heiterkeit),
in
einem Vortrage gezeigt, dem der Herr
Staatssekretär
Tirpitz auch beigewohnt hat. „Stürmischer
Beifall“ heißt es zum Schluß;
vielleicht hat der Herr Staatssekretär
auch darin eingestimmt. Worin gipfelten
diese Ausführungen des Herrn Schmoller?
Er sagte, Deutschland muß der
Mittelpunkt einer großen Koalition aller
Mittel- und Kleinstaaten der Welt
werden, Deutschland muß die
Integrität aller dieser Staaten
garantiren, es muß
sie schützen und die großen
Weltstaaten im Zaum halten. Ja, das
heißt mit einem
Wort, Deutschland soll sich zum Champion
machen, soll alles Unrecht in der Welt
bekämpfen, soll überall mit der
gepanzerten Faust hereinfahren, wo in der Welt
etwas los ist, und wo man glaubt, daß
jemand in das Unrecht von anderen Staaten
gesetzt ist. Aber Herr Schmoller ist
wenigstens auch so konsequent, daß ihm
die
40 Linienschisse nicht ausreichen; er ist
bereits über den Flottenplan längst
hinaus, er sagt, mindestens 50
müßten es sein.
(Heiterkeit.)
Ja,
das reicht aber
auch nicht aus, 100 vielleicht kaum. Und dann,
was nützt dann die Flotte, wenn
wir nicht dazu auch noch eine große
Kolonialarmee haben. Das zeigen Ihnen jetzt
die Buren; also das müßte auch noch
hinzukommen.
Der
Herr Staatssekretär hat ein Wort
gebraucht, von dem ich
wünschte, er hätte es nicht
gebraucht: Deutschland wird entweder Hammer
oder
Amboß sein. Nein, Deutschland wird nie
mehr Amboß sein; aber Deutschland hat
auch nicht den Beruf, Hammer zu sein:
Deutschlands Beruf ist es nicht, auf
andere Völker loszuhämmern. Wir
wollen es jedem Volksstamm überlassen, in
der Façon
sich zu entwickeln, nach seinem Gefallen und
seinen Verhältnissen entsprechend,
und haben nicht den Beruf, auf ein Volk
loszuhämmern und ihm die Gestalt zu
geben, die uns als die richtige erscheint.
(Sehr
gut!)
Alle
solche Darstellungen pflegen anzuknüpfen
an die Jahre
1870/71, an die damaligen großen
Erfolge, ans den Ruhm, den damals
Staatsmänner, Feldherren davongetragen
haben. Psychologisch ist es ja
erklärlich,
daß Männer, die einen Thatendrang
in sich fühlen, nach Ruhm, nach Ehre,
nach
äußeren Erfolgen lechzen, wenn sie
zugleich von heißer Liebe zur Flotte
erfüllt
sind, sich gedrungen fühlen, da Europa,
wo die Politik Dank dem Dreibund
festgelegt ist, nicht mehr Spielraum
dafür bietet, große Thaten in
überseeischen Gebieten zu verrichten zu
suchen.
(Sehr
gut!)
Diese
Ueberschätzung der Bedeutung der
Machtfragen in
überseeischen Ländern in Verbindung
mit einer Ueberschätzung der Bedeutung
der
Flotte führt zu immer größeren
Anforderungen für die Flotte. Die Zukunft
Deutschlands — darin stimme ich mit dem Herrn
Grafen Limburg-Stirum überein —
liegt nicht in dieser Weise auf dem Wasser,
die Zukunft Deutschlands liegt im
deutschen Volke selbst, in der
gleichmäßigen Entwicklung aller
seiner Kräfte,
vor allem in der Heimat, dann auch in den
Beziehungen zum Ausland, nicht bloß
zu Wasser, sondern auch zu Lande.
Meine
Herren, eine Volksvertretung kann nicht selbst
regieren; aber eine Volksvertretung hat die
Aufgabe, darüber zu wachen, daß die
verschiedenen Interessen des Reichs
gleichmäßig Berücksichtigung
finden, daß
nicht ein Zweig der Fürsorge des Reichs
überschätzt wird, in seiner
Bedeutung
vorangestellt wird, sodaß die anderen
darunter beeinträchtigt werden und
verkümmern. Wo man dieses Bestreben
hervortreten sieht, da ist es nicht bloß
ein Recht der Volksvertretung, sondern eine
Pflicht der Volksvertretung, zu
kritisiren, und die Kritik muß um so
schärfer sein — das gehört auch zur
Hamburger Rede —, je gefährlicher die
Wege scheinen, die beschritten werden
sollen. Man macht sehr oft die Wahrnehmung,
daß diejenigen, welche über die
Kritik am lebhaftesten klagen bei andern,
selbst besonders bereit sind, zu
kritisiren, in dem Glauben, selbst alles am
besten zu verstehen. Und weil eine
Volksvertretung nicht bloß das Recht,
sondern die Pflicht hat, Kritik zu üben,
so ist es auch falsch, es so darzustellen, als
ob eine Volksvertretung nur den
Beruf habe, einig und geschlossen hinter den
Regierungen, den Fürsten zu
stehen. Nein, meine Herren, das ist eine
Verwechslung der Aufgaben der
Volksvertretung mit der Stellung eines
Leibgarderegiments. Auch die Fürsten
sind fehlbare Menschen, und sie sind um so
mehr der Fehlbarkeit ausgesetzt nach
ihrer abgeschlossenen Erziehung und nach ihrer
einseitigen Umgebung. Auch das
Bewußtsein der Verantwortlichkeit vor
Gott, so lebhaft es hervortritt, kann vor
diesen Fehlgriffen nicht schützen. Im
übrigen ist es auch keine andere
Verantwortlichkeit als diejenige, die jeder
andere auch innerhalb seines
Wirkungskreises hat.
In
den Bismarck-Memoiren, die vor Kurzem
veröffentlicht
worden sind, heißt es:
Der edelste Monarch, wenn
er
nicht in seinem Idealismus
gemeinschädlich werden soll, bedarf der
Kritik, an
deren Stachel er sich zurechtfindet, wenn er
seinen Weg zu verlieren Gefahr läuft.
ebenso
heißt es in den Bismarckmemoiren,
daß
die einsichtigsten und
wohlwollendsten Regenten den menschlichen
Schwächen und Unvollkommenheiten
sonst unterliegen, die in der
Ueberschätzung der eigenen Einsicht und
dem
Einfluß und der Beredsamkeit von
Günstlingen liegen.
Meine
Herren, es ist geklagt worden über die
sich immer
schärfer ausprägenden Parteien. Der
Herr Minister von Miquel hat gesprochen von
einem Uebermaß des Fraktionswesens, und
auch der Herr Kollege Sattler hat
geglaubt, auf die große Zahl der
bestehenden Fraktionen hinweisen zu
müssen.
Ich habe nie gefunden, daß, wenn mehrere
Fraktionen mit der Richtung eines
Gesetzes übereinstimmen, die Vielheit der
Fraktionen ein Hinderniß gewesen ist,
um taktisch zusammenzuwirken für das
Zustandekommen des Gesetzes. Ich habe auch
nie gefunden, daß die Regierung sich
beklagt hat über die Vielheit der
Fraktionen, wenn sie ihrerseits aus mehreren
solcher Fraktionen eine Mehrheit
für ein Gesetz sich zusammenbringen
konnte. Und im übrigen hat gerade die
Regierung, hat gerade Fürst Bismarck
alles daran gesetzt, möglichst viele
Fraktionen, möglichst viele
Parteigegensätze hervorzurufen, weil es
für eine
Regierung viel bequemer ist, in der Konkurrenz
von mehreren Fraktionen in einem
Reichstage zu regieren, als gegenüber
großen und geschlossenen Parteien.
Parteiwesen ist eine Nothwendigkeit.
Politische Parteien müssen sein;
überall,
wo selbstständige Entschließungen
zu fassen sind, wird man auch in seinen
Ansichten
auseinandergehen; und die Verschiedenheit der
Ansicht bedingt auch eine
Verschiedenheit der politischen Parteien. Es
ist nicht richtig, was der Herr
Kollege Dr. Sattler meint, in nationalen
Fragen müsse die Partei schweigen. Was
heißt denn das? Ueberall, wo man
selbstständig urtheilen soll, bilden
sich von selbst auch verschiedene
Ansichten, die in verschiedenen Parteien ihren
Ausdruck finden. Der Herr
Kollege Sattler scheint unter nationalen
Fragen zu meinen alle Fragen des
Heerwesens, der Marine, vielleicht auch der
Kolonialpolitik. Soll der Reichstag
auf seine Selbstständigkeit in diesen
Dingen verzichten, soll er einfach den
Chor abgeben für das, was die Regierung
will? Wenn der Reichstag ein
selbstständiges Urtheil haben soll, so
ist doch die nothwendige Folge die, daß
verschiedene Richtungen in der Beurtheilung
eintreten, und daß diese
verschiedenen Richtungen mit einander in Kampf
gerathen. Ueberhaupt, was würde
werden ohne Parteikämpfe? Es würde
ja das öffentliche Leben veröden und
versumpfen.
(Sehr
richtig! links.)
Was
ist denn der ganze Parteikampf — richtig
ausgefaßt —
anderes, als ein Wettstreit der verschiedenen
s Richtungen, was nun eigentlich
das Beste ist für das Wohl des Ganzen?
(Sehr
gut! links.)
Man
hat gesprochen von dem öden Zank, der
sich darüber
entspinnt, wie die einzelnen Kammern,
Abtheilungen und Säle des Gebäudes
des
Reiches einzurichten sind. Als die Verfassung
des Reiches zu Stande gekommen
war, da wurde von allen Seiten, und namentlich
von nationalliberaler, proklamirt,
nun sei es die Aufgabe, zuzusehen, daß
das Innere des Gebäudes in allen seinen
Abtheilungen, Kammern und Sälen wohnlich
eingerichtet werde.
(Sehr
richtig! links.)
Daß
dies der Fall ist, ist die Hauptsache. Nicht
auf die
glänzende äußere Façade kommt es in
erster Reihe an. Man schilt auf
Parteikämpfe — aber die
häßlichsten Parteikämpfe haben
sich eben entsponnen
über den neuen Flottenplan
(sehr
richtig! links),
nicht
der politischen Parteien dieses Hauses — diese
sind in
ihren Führern nicht derart
hervorgetreten; ja, Sie haben gestern sowohl
von
Herrn Sattler wie von Herrn von Kardorff
gehört, daß diese entschieden diese
Art des Parteikampfes, der Agitation für
den Flottenplan, wie wir sie in den
letzten Wochen erlebt haben,
mißbilligen. Freilich, Herr von Miquel
hat darin
einen Widerhall gefunden in den großen
Schichten des Volkes von der Hamburger
Rede. Es ist ein wahrer Hexensabbath gewesen,
der sich entsponnen hat, an
welchem theilgenommen haben der
Geschäftspatriotismus, der Servilismus
und die
elendeste Liebedienerei.
(Lebhafte
Zustimmung links.)
Zu
dem Geschäftspatriotismus, der schon
hinlänglich
gekennzeichnet ist und die Führung in der
Bewegung ja gehabt hat, ist eine
gewisse Hurrahgarde gekommen, die für
alles zu haben ist, wenn es oben
gewünscht
wird
(sehr
gut! links),
die
sich aufregt und wieder abregt, je nachdem von
oben her
die Losung gegeben wird.
(Heiterkeit
links.)
Und
es konnte ja nicht ausbleiben, daß zu
dieser
Flottenromantik sich auch Romanschriftsteller
und Novellisten von Namen bereit
erklärten Vorträge zu halten,
obgleich sie früher ihr Flottenherz so
wenig
entdeckt haben wie die Professoren.
Und
dann die Einwirkung auf die Beamten! Sogar der
Herr
Reichskanzler soll Mitglied des Flottenvereins
geworden sein.
(Heiterkeit
links.)
Es
ist mir zwar gesagt worden, daß er bei
der Mittheilung
hier sehr überrascht ausgesehen habe.
(Heiterkeit);
vielleicht
ist ihm entgangen bei den vielen
Unterzeichnungen
von Schriftstücken, daß er solche
Aufforderung unterzeichnet hat, ohne daß
er
sich der Betheiligung bewußt ist.
Aber
abgesehen von dem Reichskanzler — alles hat
man gepreßt,
vom Oberpräsidenten herab — sogar der
Reichsbankpräsident ist gegen allen
bisherigen Brauch in diese Parteibewegung
hineingezogen worden — bis herunter
selbst zu den Kellnern in den
Eisenbahnrestaurationen: Unterbeamte, mittlere
Beamte, und — auch Landräthe. Die armen
Landräthe!
(Große
Heiterkeit.)
Erst
hat man ihnen klar gemacht durch
Zurdispositionsstellung, daß ein
Landrath gar keine selbständige
politische
Ueberzeugung vertreten darf. Nachdem man ihn
derart degradirt hat vor der
öffentlichen Meinung, glaubt man,
daß er noch geeignet sei, Anderen die
Ueberzeugung der Regierung beizubringen, wo
doch die Anderen wissen, er selbst
darf gar keine eigene Ueberzeugung zum
Ausdruck bringen!
(Sehr
richtig! links.)
Den
Brennstoff für alle diese Agitationen hat
das
Reichsmarineamt geliefert. Der Vorgänger
des Herrn Tirpitz, Herr Hollmann, hat
mehr als einmal in der Budgetkommission
erklärt, wenn wir glaubten, daß das
Reichsmarineamt hinter einer Flottenagitation
steckte, er sei weit entfernt
davon, dergleichen zu fördern; er hielt
sich für zu vornehm dazu
(hört!
hört!),
es
nicht für angemessen in seiner Stellung,
derartige
Agitation zu treiben. Das ist mit Herrn
Tirpitz alles anders geworden. Er
liefert die amtlichen Artikel, er kommandirt
die Korvettenkapitäne, die durch
ihre Schriften den Reichstag mürbe machen
sollen und alle jene Artikel in der „Berliner
Korrespondenz“ und in der „Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung“ schreiben. Von da
aus werden die Provinzblätter, die
Kreisblätter dirigirt, Broschüren
mit Inhalt
versehen, die unter der anonymen Maske des
Vaterlandsfreundes in die Welt
gesetzt werden. Und wenn es nicht möglich
ist, auf diese Art Begeisterung zu
erzielen, dann versucht man zum mindesten
Schrecken zu erregen, um auf diese
Weise Stimmung zu machen für die
Flottenpläne.
Hören
Sie also beispielsweise: ein Flugblatt, das
vom
Fürsten Wied als Präsidenten des
Flottenvereins — sein Sekretär
Schweinburg ist
ja die Hauptsache dabei
(Heiterkeit)
—
unterzeichnet wird,
sagt: „was jetzt an schwimmendem Material
unsere Kriegsflagge trägt, ist zum
Sterben zu viel, zum Leben zu wenig.“
(Hört!
hört! links Heiterkeit.)
Wenn
man jetzt durch Unterlassung des neuen
Flottenplans
sündige, — und hier kommen
althebräische Redeweisen, — so werde das
heimgesucht
werden an unseren Kindern und Kinderskindern
bis ins dritte und vierte Glied.
(Große
Heiterkeit.)
Dann
erscheint in der offiziösen Mittlerschen
Buchhandlung
eine Broschüre, in der es heißt:
„Ein Staat, der nicht bloß ein
geduldetes
Dasein führen will, muß diesen
Flottenplan gut heißen, oder auch: „was
sind
große Opfer im Verhältniß zu
einem unglücklichen Krieg! Es wird dann
darauf
hingewiesen, daß, wenn der Flottenplan
nicht angenommen wird, es uns ergehen
könne wie Rom, das den Germanen zum Opfer
gefallen sei, wie Konstantinopel, das
den Türken zum Opfer gefallen sei.
(Heiterkeit.)
Dann
kommt ein Aufruf, von der Vereinigung der
Flottenredner
unterzeichnet, in dem es heißt:
Ein Seekrieg ohne den
neuen
Flottenplan bedroht unsere Küsten,
Häfen, Seestädte mit Raub und Brand
(Hu!
hu! Heiterkeit),
und das ganze Deutsche
Reich kann
mit einem Schlage gestrichen werden aus der
Reihe der gebietenden und reichen
Weltmächte.
Meine
Herren, das ist gar nichts neues, das ist
alles schon
dagewesen.
(Sehr
richtig! links.)
Erinnern
Sie sich an die Septennatskämpfe von
1887! Das ist
hier alles bloß übersetzt vom Land
aufs Wasser.
(Heiterkeit.)
Ich
habe hier einen Bilderbogen von 1887 aus
meinem
Wahlkreise. Da ist anschaulich dargestellt,
daß, wenn die verlangte
Heeresstärke nicht auf sieben, sondern
nur auf drei Jahre bewilligt würde, wie
es uns da ergehen würde: wie die Zuaven
kommen, die Häuser anzünden, das
Vieh
forttreiben, wie die Frauen vergewaltigt
werden — kurz, es ist schauerlich.
(Heiterkeit.)
Jetzt
ist darin schon so viel geleistet worden,
daß, wenn es
zur Wahl kommt, wir ganz entschieden diese
Bilder wiedersehen werden. Ich
stelle sie dem Chef der Reichsmarineverwaltung
zur Verfügung.
(Große
Heiterkeit.)
Sie
verbreiten ja jetzt schon farbige Lichtbilder
bei der
Flottenagitation. Es kann dies hier auch sehr
schön ausgemalt werden und, wenn
nicht Begeisterung für die Flotte, dann
wenigstens Schrecken erregen.
Das
Allerhäßlichste in diesem Falle ist
die Art, wie man von
mancher Seite beflissen ist, die Standarte des
Kaisers in diesen Kampf
hineinzutragen.
(Hört!
hört! links.)
Und
nicht bloß des Kaisers, sondern auch der
anderen Fürsten
bis zu den Erbgroßherzögen. Das ist
freilich nicht das erste Mal. Ich habe in
der Kanaldebatte, wo ich denselben Standpunkt
einnahm wie die Regierung, darauf
hingewiesen, für wie verderblich, falsch
und verkehrt ich ein solches
Hineinziehen der Person des Kaisers in den
Kampf über eine solche Frage halte;
daraus habe ich im Abgeordnetenhause kein Hehl
gemacht. Ich glaube in der That,
daß bei solchen Kämpfen, je
öfter man sich auf den Kaiser beruft, die
Wirkung
desto mehr abgeschwächt wird; je
öfter, desto weniger kann es ausbleiben,
daß
der Appell an Kaiser und Fürsten nicht
die Wirkung erzielt, die man
beabsichtigt, sondern daß der Appell mit
einer Niederlage endet, die dann auch,
was sonst nicht der Fall sein würde, eine
Niederlage ist für die Fürsten
selbst, auf die man sich berufen hatte.
(Sehr
richtig!)
Und
wenn auch der Appell immer die gewünschte
Folge hätte,
was bedeutet das auf die Dauer? Das ist
napoleonische Taktik, sich durch
Plebiszite nach außen die Zustimmung des
Volkes zu sichern. Noch im Sommer 1870
fand ein solches Plebiszit in Frankreich
statt; aber nach der ersten
unglücklichen Schlacht brach dieser Thron
zusammen, und man ersah da erst, wie
unterwühlt und unterhöhlt er war
durch diese Art der Politik, die stets
bemüht
war, die Standarte des Monarchen in den
Parteikampf hineinzuziehen.
(Sehr
gut! links.)
Meine
Herren, Sie ersehen aus alledem, daß es
sich in allen
diesen Kämpfen nach der Art, wie das
Gesetz inszenirt und vorbereitet ist, nach
der Art, wie dafür agitirt wird, um weit
mehr handelt, als um eine größere
Anzahl Linienschiffe und Kreuzer. Gestern ist
der Regierung von rechts her von
zwei Seiten eine Absage ertheilt worden, ein
Mißtrauen erklärt worden, das so
unzweideutig war, wie es unzweideutiger nicht
sein kann. Wir erklären Ihnen von
links her aus anderen Gründen, wie von
rechts her, daß die Politik der
Regierung gegenwärtig zu impulsiv, zu
sprunghaft, zu sehr von plötzlichen
Eingebungen beherrscht ist und zu wenig von
selbstständigen Ministern zur
Ausführung gebracht wird, als daß
wir ihr etwas anderes als ein entschiedenes
Mißtrauen nur entgegenbringen
können.
(Sehr
richtig! links.)
Wir
haben in der auswärtigen Politik wenig
oder gar nicht
Ursache gehabt, dem Fürsten Bismarck
entgegenzutreten, so scharf wir ihm auch
in der inneren Politik entgegengetreten sind;
aber die auswärtige Politik des
neuesten Kurses, die nach den Stichworten des
Weltreichs und der Weltpolitik
zurechtgelegt wird, die in der Marinevorlage
und den begleitenden Kundgebungen
hervorgetreten, ist, ich will noch nicht
sagen, zu phantastisch, aber zu
phantasievoll, um ihr irgendwie Vertrauen
entgegenbringen zu können.
(Stürmischer, wiederholter
Beifall links. Wiederholtes
Zischen bei den Nationalliberalen und
rechts.)
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