Eugen Richter
1838-1906







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Eugen Richter gegen den "Kulturkampf": Rede im Reichstag vom 25. November 1871

Eugen Richter begründet in dieser Rede seine Ablehnung der Gesetze gegen die katholische Kirche:

"Das kann mich nicht trösten, daß der reaktionäre Spieß, nachdem er bisher mehr gegen links gekehrt war, nun gegen das Centrum gerichtet wird, dieselbe Hand, die ihn nach rechts gedreht hat, kann ihn auch wieder nach links drehen."

Eugen Richter gegen das Sozialistengesetz (1. Version): Rede im Reichstag vom 23. Mai 1878

Eugen Richter begründet seine Ablehnung des Sozialistengesetzes:

"Der sozialistische Staat hat die Vernichtung der persönlichen und politischen Freiheit zur Vorbedingung. (Widerspruch bei den Sozialisten.) — Jawohl! Krasser Despotismus einer Majorität oder einzelner weniger Leute, die dem Einzelnen vorschreibt, was er zu arbeiten hat, was er dafür für einen Lohn empfängt und was er dafür zu konsumiren hat; das ist der sozialistische Staat. (Widerspruch.) Es ist ja alles, was die Sozialisten wollen, gedruckt zu lesen; über ihre Tendenz ist ja nur die Polizei im Unklaren."

"Meine Herren, der Herr Abgeordnete Jörg hat die sozialistische Bewegung bezeichnet als einen Schatten, der das moderne Kulturleben begleitet. Ich weise das zurück. Meine Herren, das ist der Schatten des untergehenden Polizeistaats, der noch in unser Kulturleben hineinfällt; der Polizeistaat hat die Menschen erzogen in dem Wahn, daß es nur auf den Staat und die Staatsgewalt ankomme, um die größte Glückseligkeit auf der Welt hervorzubringen. Daher ist in den Köpfen jener Leute die Meinung entstanden, daß es nur darauf ankomme, des Staatsruders sich zu bemächtigen, seine Leute in die Leitung des Staates einzusetzen, und jene geträumte Glückseligkeit sei sofort zu erreichen, die angeblich jetzt aus bösem Willen von denen, die den Staat leiten, ihnen vorenthalten wird."

"Kann man der sozialdemokratischen Bewegung mehr nützen, als es dadurch geschieht? Herr Abgeordneter Graf von Bethusy-Huc sagt: das Volk verlangt, daß etwas geschehe; Herr von Helldorff bezeichnet das noch näher: der loyale, ruhige Bürger verlangt, daß etwas geschehe, der schlichte Sinn des Volks verlangt, daß etwas geschehe. Ja, meine Herren, einen Bruchtheil des Volks außerhalb hat man bei dieser Vorlage auf seiner Seite, das ist derjenige Bruchtheil des Volks, der Ruhe für die erste Bürgerpflicht hält, (Heiterkeit) derjenige, der, wenn auf der Straße etwas passirt, den Kopf aus seiner Zipfelmütze heraussteckt und fragt, was da los sei und dann sagt, sofort müsse nach der Polizei geschickt werden. Hat man nach der Polizei geschickt, so zieht er den Kopf wieder zurück und legt sich wieder auf das Ruhelager und bleibt nach wie vor der ruhige, loyale Bürger, der niemandem etwas zu Leid thut. Meine Herren, diese staatserhaltenden Kräfte erhalten am wenigsten den Staat. (Große Heiterkeit.)"

Eugen Richter gegen die Bismarckehrung: Rede im Reichstag vom 23. März 1895

Keine Gratulation an Bismarck für seine Politik:

"Fürst Bismarck ist zugleich der Träger eines Systems der inneren Politik, das wir als dem Liberalismus und dem parlamentarischen Wesen entgegengesetzt ansehen müssen und deshalb im Interesse von Volk und Vaterland zu bekämpfen stets für unsere patriotische Pflicht erachtet haben. "


Eugen Richter gegen die Flottenaufrüstung: Rede im Reichstag vom 14. Dezember 1899

"Kiautschou, der berühmte Platz „an der Sonne“ (Heiterkeit links), kommt uns recht theuer zu stehen, die Millionen zerfließen dort wie die Butter."

"Herr Graf von Bülow hat auch früher schon schöne Reden gehalten; er hält überhaupt nur schöne Reden! (Heiterkeit.) Es steigen die Gedanken hoch empor, Lichtgarben erscheinen von geistreichen oder humoristischen Bemerkungen, ein prasselndes Feuerwerk! (Heiterkeit.) Aber schließlich fragt man sich: was hat er denn eigentlich gesagt? (Schallende Heiterkeit.)"

"Die Universitätsprofessoren, die für die Flotte reisen, sind schon so weit herunter, daß sie diese Flottenvorlage als nothwendige Konsequenz der Völkerwanderung hinstellen.(Große Heiterkeit.)Der letzte Professor hat sie sogar in Verbindung gebracht mit den alten Römern(Heiterkeit)diese Vorlage, die so plötzlich zwischen Januar und April entstand.
(Zuruf links.) — Ja, mit der Arche Noah. (Schallende Heiterkeit.) Das hätte auch noch hineingepaßt; bei der Sündflut konnte man erst recht sehen, was eine solche Flotte zu bedeuten hat. Was wäre aus der Welt geworden, wenn Noah keine Flotte gehabt hätte. (Stürmische Heiterkeit."

"Diese Ueberschätzung der Bedeutung der Machtfragen in überseeischen Ländern in Verbindung mit einer Ueberschätzung der Bedeutung der Flotte führt zu immer größeren Anforderungen für die Flotte. Die Zukunft Deutschlands — darin stimme ich mit dem Herrn Grafen Limburg-Stirum überein — liegt nicht in dieser Weise auf dem Wasser, die Zukunft Deutschlands liegt im deutschen Volke selbst, in der gleichmäßigen Entwicklung aller seiner Kräfte, vor allem in der Heimat, dann auch in den Beziehungen zum Ausland, nicht bloß zu Wasser, sondern auch zu Lande."

"Der Herr Staatssekretär hat ein Wort gebraucht, von dem ich wünschte, er hätte es nicht gebraucht: Deutschland wird entweder Hammer oder Amboß sein. Nein, Deutschland wird nie mehr Amboß sein; aber Deutschland hat auch nicht den Beruf, Hammer zu sein: Deutschlands Beruf ist es nicht, auf andere Völker loszuhämmern. Wir wollen es jedem Volksstamm überlassen, in der Façon sich zu entwickeln, nach seinem Gefallen und seinen Verhältnissen entsprechend, und haben nicht den Beruf, auf ein Volk loszuhämmern und ihm die Gestalt zu geben, die uns als die richtige erscheint."

"Freilich, Herr von Miquel hat darin einen Widerhall gefunden in den großen Schichten des Volkes von der Hamburger Rede. Es ist ein wahrer Hexensabbath gewesen, der sich entsponnen hat, an welchem theilgenommen haben der Geschäftspatriotismus, der Servilismus und die elendeste Liebedienerei.(Lebhafte Zustimmung links.)Zu dem Geschäftspatriotismus, der schon hinlänglich gekennzeichnet ist und die Führung in der Bewegung ja gehabt hat, ist eine gewisse Hurrahgarde gekommen, die für alles zu haben ist, wenn es oben gewünscht wird(sehr gut! links),die sich aufregt und wieder abregt, je nachdem von oben her die Losung gegeben wird.(Heiterkeit links.)Und es konnte ja nicht ausbleiben, daß zu dieser Flottenromantik sich auch Romanschriftsteller und Novellisten von Namen bereit erklärten Vorträge zu halten, obgleich sie früher ihr Flottenherz so wenig entdeckt haben wie die Professoren"

"Wir haben in der auswärtigen Politik wenig oder gar nicht Ursache gehabt, dem Fürsten Bismarck entgegenzutreten, so scharf wir ihm auch in der inneren Politik entgegengetreten sind; aber die auswärtige Politik des neuesten Kurses, die nach den Stichworten des Weltreichs und der Weltpolitik zurechtgelegt wird, die in der Marinevorlage und den begleitenden Kundgebungen hervorgetreten, ist, ich will noch nicht sagen, zu phantastisch, aber zu phantasievoll, um ihr irgendwie Vertrauen entgegenbringen zu können. (Stürmischer, wiederholter Beifall links. Wiederholtes Zischen bei den Nationalliberalen und rechts.)"

Eugen Richter gegen das persönliche Regiment Kaiser Wilhelms II.: Rede im Reichstag vom 18. Mai 1897

Schluß mit der Herrschaft der Lakaien des Kaisers:

"Und wo ist denn eine Garnitur von neuen Ministern (Heiterkeit links), die sich hinter den Herren hier könnte aufführen lassen? So weit Sie blicken, nichts als geschmeidige Höflinge, die sich jeder Ansicht von oben anschließen! Avancirte Büreaukraten oder schneidige Husarenpolitiker (sehr gut! links), das ist es, was sich einer solchen Politik zur Verfügung stellen kann. (Lebhafte Zustimmung links.) Handlanger, aber im gewöhnlichen Sinne des Worts!

(Stürmisches Bravo links. — Händeklatschen.)

Wir leben auch heute in einem Bundesstaat und nicht mehr bloß im Einheitsstaat Preußen. Daran wollen wir uns doch auch erinnern, daß das Deutsche Reich als solches keine angestammte Dynastie hat, und daß das Kaiserthum in Deutschland nicht älter ist als der Reichstag. (Sehr gut! links. Glocke des Präsidenten.)"


Eugen Richter zur Hunnenrede Wilhelms II.: Rede im Reichstag vom 20. November 1900

Die schädliche Rolle von Kaiser Wilhelm und seines persönlichen Regiments:

"
Die ganze Politik wird schon seit längerer Zeit theatralisch, dekorativ inszenirt, mehr als man es früher gewohnt war. Posen, Festlichkeiten, Bespiegelungen in dem, was gewesen ist, sind auf der Tagesordnung."

"
Es handelt sich nicht um den Exzeß eines einzelnen Soldaten, es handelt sich um die Befehle der Oberen, die wehrlosen Chinesen zu 60, 70, 100, 150 Mann einige Stunden nach beendigtem Gefecht an die Mauer zu stellen und niederschießen oder mit dem Bajonnett erstechen zu lassen. (Hört! hört! links.) Das ist ein übereinstimmender Thatbestand, der von den verschiedensten Orten in diesen Soldatenbriefen gemeldet wird. Meine Herren, es ist nicht der miles gloriosus, der so schreibt. Wenn man diese Briefe ansieht, findet man umgekehrt, daß die Leute damit gar nicht prahlen (sehr richtig!) sondern Abscheu, Ekel, zum mindesten Mitleid darüber zum Ausdruck bringen (sehr gut! links), daß sie zu solchen Exekutionen kommandirt werden, und je eher je lieber wünschen, wie es in einem Briefe heißt, „daß dieses Schlachten ein Ende haben möchte“. Es handelt sich also gar nicht darum, hier eine Sentimentalität zum Ausdruck zu bringen, ein besonderes Zartgefühl; nein, es handelt sich um die einfache Frage, solche Massenexekutionen gegen Wehrlose zu vermeiden."

"
Und was nun dieses „es wird kein Pardon gegeben werden“ anbetrifft, so ist es besonders interessant, daß der Herr Reichskanzler selbst in seiner Note von Mitte September hervorgehoben hat, man erstrebe nur die Bestrafung der Hauptanstifter und -übelthäter, nicht aber der ausführenden Elemente; denn „Massenexekutionen widersprechen dem zivilisirten Gewissen“. Damit hat er ein Urtheil gesprochen über das Wort „es wird kein Pardon gegeben“ und über die Massenexekutionen, die gegenwärtig gegen ausführende Elemente in China stattfinden."

"
Ich bin dieser Meinung nicht; ich bin der Meinung, der Platz an der Sonne ist schon heiß genug für uns in Kiautschou, daß wir gar keine Neigung empfinden können, das Territorium oder die Interessensphäre nach irgend einer Richtung zu erweitern."

"Die Durchführung der Ministerverantwortlichkeit ist  aber eine Nothwendigkeit jetzt mehr als je. Leugnen wir doch nicht: ganz abgesehen von den gegenwärtigen Ministern, — es geht ein absolutistischer Zug durch das Reich. Das tritt bald an dieser, bald an jener Stelle zu Tage, bald im Großen, bald im Kleinen hervor. Man sieht den Reichstag als nothwendiges Uebel an, das man sich gefallen lassen muß, dessen Wirksamkeit aber, sowie es irgend angeht, man möglichst einschränkt. Gerade gegenwärtig ist die Frage der Ministerverantwortlichkeit eine besonders dringende aus dem Grunde, weil der auswärtigen Politik, welche naturgemäß einen viel freieren Spielraum der Regierung giebt als irgend ein anderer Zweig, jetzt Ziele gesteckt werden, die unter Umständen verhängnißvoll werden können für das Volk und für das Land."

"Ich meine aber auch, daß die Erfahrungen des letzten Jahres gerade geeignet sind, diejenigen, welche noch Phantasien nachgegangen sind über Weltreich und Weltherrschaft, zu ernüchtern. Was haben denn die Engländer mit ihrem Imperialismus für Erfahrungen gemacht? Zwei Milliarden hat ihnen der südafrikanische Krieg gekostet und 40 000 ihrer besten Truppen! Und was haben sie erreicht? Sie haben sich nur ein neues Irland da unten geschaffen, noch schwieriger zu behandeln als das europäische Irland! Und was haben die Amerikaner auf den Philippinen erreicht? Trotz einer ständigen großen Armee, trotz großer finanzieller Aufwendungen können sie dort keinen dauernden Friedenszustand schaffen."

"
Darum, meine Herren, die Zukunft Deutschlands liegt wahrhaftig nicht auf dem Wasser, die Zukunft Deutschlands liegt im Lande selbst (sehr richtig! links) und da bieten sich so viel schwierige und große Ausgaben für die Regierungen dar, deren Lösung weit fruchtbringender ist und viel dankbarer empfunden wird als alle überseeischen Probleme in Ostasien oder sonst wo. (Lebhafter Beifall links.)"


Eugen Richter für umfassende Religionsfreiheit: Rede im Reichstag vom 5. Dezember 1900

Religionsfreiheit muß auch für staatlich nicht anerkannte Gemeinschaften gelten:

"M
eine Herren, die Geschichte der Freireligiösen, der Dissidenten ist eine wahre Leidensgeschichte (sehr richtig! links); und wenn man keinen Titel des Gesetzes findet, den man gegen sie gebrauchen kann, so sagt man — und das spreche ich aus den Wahrnehmungen der Praxis heraus —: gewiß, es besteht Religionsfreiheit, aber ihr habt ja überhaupt keine Religion, Und deshalb kann auch die Religionsfreiheit für euch nicht gelten. Man konstruirt dabei von Obrigkeits wegen einen Normalbegriff von Religion und sagt: alle Bestimmungen von Religionsfreiheit finden aus diejenigen keine Anwendung, deren Bestrebungen sich nicht unter diesen Normalbegriff von Religion bringen lassen."

"
Wir wollen nicht, daß die Erlangung von Rechten abhängig wird von einer Anerkennung, d. h. von einer Konzession der Obrigkeit, von einer Abstempelung des Bekenntnisses, welches einer Religionsgemeinschaft unterliegt. Wir verlangen die volle Vereinsfreiheit; denn die polizeilichen Beschränkungen des Vereinswesens sind auch ein Hinderniß für alle kleinen Gemeinschaften."