Eugen
Richter gegen das persönliche
Regiment Wilhelms II.
Reichstag, 18. Mai 1897
Präsident:
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter. Richter,
Abgeordneter: Der Herr Staatssekretär von
Boetticher hat in seiner langen
Ministerlaufbahn so viel vertreten, einander
auch Widersprechendes, Unhaltbares, daß
ich mich gar nicht wundere, daß dieser
verehrte Dauerminister auch die Vorlage zu
vertheidigen übernimmt. Es kommt ihm
dabei die ganze Gewandtheit zu statten, die er
sich in so langer Zeit
gewissermaßen als Sprechminister der
Regierung erworben hat. So gut angebracht
auch in gewissen Fällen der heitere Ton,
die kavaliere Art, seine Bonhommie sein
mag, — heute ist sie deplacirt. (Sehr richtig!
links.) Diese Sache
hat eine politische Bedeutung, die über
den Inhalt
des Antrags selbst noch weit hinausgeht (sehr richtig!
links), und die wir
deshalb nicht in dieser leichten Tonart zu
besprechen gewillt sein können. Befremden
muß es, daß der Herr Reichskanzler
selbst nicht anwesend ist (sehr
richtig!), und daß
man es nicht einmal angezeigt hält, einen
Grund anzuführen,
warum er vielleicht äußerlich
verhindert ist; denn an ihn müssen wir
uns — und
das wollen wir uns von keiner Seite verdunkeln
lassen — in erster Linie halten:
er ist der uns verantwortliche Reichskanzler,
seine Zusage als Reichskanzler
hat die Mehrheit damals bestimmt, von einem
Antrag zurückzutreten, seiner
Zusage hat sie vertraut. Der Herr
Abgeordnete Dr. Lieber meinte, er wolle
persönlich
niemandem einen Vorwurf machen, weder dem
Herrn Reichskanzler noch dem Herrn
Staatssekretär von Boetticher noch sonst
jemandem. Ich bin ganz anderer
Ansicht: ich mache allen diesen Herren
persönlich die schärfsten
Vorwürfe. (Beifall
links.) Wo sollten wir
bleiben, wenn wir in Sachen, wo das
persönliche Vertrauen in die Wagschale
geworfen wird, nachher die Personen
außer Betracht lassen, wenn sie den
Voraussetzungen zuwider gehandelt haben,
wenn wir fingiren wollen, anzunehmen bei
denjenigen, die die Zusage gegeben
haben, sie hätten in gutem Glauben
gehandelt, daß es nicht anders
verstanden
werden könnte. Ich weiß auch nicht,
ob das die Herren Minister gerade als
schmeichelhaft ansehen, daß sie sich
nicht bewußt gewesen sind, wie ihre
Zusage
anfgefaßt wurde. Denn wahrlich für
das Begriffsvermögen der Herren Minister
würde
eine solche Supposition kein besonders gutes
Zeugnis geben. Wir verdanken
dieser Diskussion, daß sie Klarheit in
die
Situation geschaffen hat, daß sie auch
das Märchen zerstört hat, das
draußen
kolpotirt wurde, und von dem mir sogar der
Herr Abgeordnete Singer angekränkelt
schien, von einer schwarzen Seele und von
einer weißen Seele in dieser
Regierung. (Zuruf bei den
Sozialdemokraten und große Heiterkeit.)
Das ist die
Legende, als ob die Herren von der schwarzen
Seele in der Regierung, von der Recke,
Schönstedt und Andere, überstimmt
hätten
im Ministerium die Herren von weißer
Seele, den Herrn Reichskanzler, den Herrn
Staatssekretär von Boetticher, und wie
diese ultraliberalen Herren Minister
noch alle heißen mögen. (Große
Heiterkeit.) Ja, meine
Herren, man ist sogar so weit gegangen, und
man
kann es in der Zentrumspresse lesen, daß
nun die überstimmten Minister sich
rächen würden, sie fügten sich
nur aus Bosheit, um den Sturm gegen dieses
Gesetz in der Oeffentlichkeit zu entfachen,
einen Sturm, der, wie einst das
Unterrichtsgesetz den Grafen von Zedlitz, dem
Wunsche des Herrn Miquel gemäß,
wegfegte, auch dazu beitragen würde, sie
der unbequemen Kollegen, der Herren
von der Recke u. s. w., zu entledigen. Nein,
es ist heute klargestellt: die Herren
Minister sind alle gleichwerthig in der
Regierung, wir haben ein ganz homogenes
reaktionäres Ministerium. (Sehr richtig!
links.) Davor sollte
doch niemand, der sehen kann, die Augen
verschließen. Wir hier haben gar keine
Ursache, uns über die Herren Minister so
besonders zu ereifern. Wir haben ihnen auch in
vorigen Jahre nicht vertraut;
deshalb können wir auch nicht
enttäuscht sein. Der Herr Abgeordnete
Haußmann
hat damals im vollen Einklang mit uns
erklärt, daß wir der Zusage, wie
sie
damals aufgestellt wurde, kein Vertrauen
schenken konnten. Wir waren der
Meinung und haben auch so gestimmt, der
Reichstag mußte die Gelegenheit bei dem
Einführungsgesetz wahrnehmen, seine
Absicht durchsetzen; und wenn auch die
Herren Konservativen gegen das
bürgerliche Gesetzbuch gestimmt
hätten, so wäre
das bürgerliche Gesetzbuch auch ohne sie
zu Stande gekommen. Allerdings
muß ich zugeben, daß für
diejenigen, die damals
der Erklärung der Regierung vertrauten,
sich mildernde Umstände anführen
lassen. Wer vertrauensselig angelegt ist, oder
wer, wie der Herr Abgeordnete
Rickert gestern im preußischen
Abgeordnetenhause schilderte, ein unschuldiges
Gemüth besitzt (Heiterkeit),
oder wer im
parlamentarischen Umgang mit Ministern noch
nicht klug geworden ist (Heiterkeit),
der konnte
sich unter diesen Umständen allerdings
veranlaßt
fühlen, sein Vertrauen zu schenken, — so
bedingungslos, so ohne jede Begleitung
von Zweifeln wurde damals diese Erklärung
abgegeben. Heute sagte der Herr
Staatssekretär von Boetticher: wir haben
doch keine autokratische Regierung,
was kann denn die Zusage des Herrn
Fürsten von Hohenlohe anderes bedeuten,
als:
mit Vorbehalt der preußischen Minister.
Nun, gerade derselbe Herr Minister von
Boetticher hat damals in jeder Weise das
Vertrauen, was die Worte des Herrn
Reichskanzlers selbst noch nicht hervorrufen
wollten, seinerseits durch seine
Aeußerung zu verstärken gesucht. (Sehr richtig!
links.) Er hat gerade
gesagt: nach dem Meinungsaustausch, der unter
den verbündeten Regierungen
vorhergegangen war (hört!
hört! links), also man hatte
sich schon verständigt. Es handelte sich
also
gar nicht mehr um die autokratische Diktatur.
Herr von Boetticher sagte: auch
von dem Standpunkt der Herren, die die
schleunige Beseitigung des Verbots erheischen,
liege kein Grund zur Besorgniß vor. Er
suchte uns, der linken Seite,
vorzustellen, daß, wenn wir der
Regierung vertrauten, wir noch viel rascher
als
durch das bürgerliche Gesetzbuch, das
erst im Jahre 1900 in Kraft treten würde,
zur Erreichung unseres Zieles gelangen
würden. Heute hat sich der Herr
Staatssekretär
in derselben Rede widersprochen. Einmal sagte
er: der Herr Reichskanzler konnte
ja gar nicht wissen, wie seine
preußischen Kollegen darüber
denken, und ob sie
andere Bestimmungen des Vereinsgesetzes bei
Aufhebung des Verbots herbeiführen
wollten, und zweimal hat er in derselben Rede
versichert, es sei ein alter
Herzenswunsch der preußischen Minister,
sie seien sich längst darüber
schlüssig
geworden, daß sie solche
Verschärfungen des Vereinsrechts in
Preußen
durchsetzen wollten. Ja, als ich bei der
ersten Berathung des
Reichshaushaltsetats am 1. Dezember meine
Verwunderung darüber aussprach, warum
man in der Thronrede eine Vereinsnovelle
angekündigt habe, warum man nicht
schlankweg das Verbot aufhebe, da machte der
Herr Staatssekretär, der in meiner
Nähe stand, einen beschwichtigenden
Zuruf. Der Wortlaut wird ja in den
stenographischen
Berichten in solchen Fällen nicht
erwähnt; was er aber gesagt hat, geht aus
meiner nachfolgenden Bemerkung hervor, indem
ich sagte: Ja, wenn Sie nur das
beabsichtigen — also die schlanke Aufhebung
des Koalitionsverbots —,
verehrtester Herr Minister, da hätten Sie
doch die Novelle längst einbringen
können! Also in jener Situation noch
wurden wir in der Annahme bestärkt,
daß es
sich im preußischen Landtage einfach um
eine Aufhebung des Koalitionsverbotes
handle. Hier gilt nun einmal nicht das Wort,
man soll auch am Kanzlerwort nicht
drehen und nicht deuteln; hier gilt umgekehrt
der Spruch: bei den Diplomaten
ist die Sprache erfunden, um die wahren
Gedanken zu verbergen. (Sehr richtig!
links.) Allerdings, da
haben Sie, auf der rechten Seite, ganz recht:
Herr Freiherr von Stumm hatte hier ein anderes
Programm entwickelt. Nun sagt
Herr von Kardorff: warum haben Sie denn nicht
darauf reagirt, warum haben Sie
denn nicht dagegen protestirt? Ist denn der
Herr von Stumm auch verantwortlicher
Minister, daß man fragen
müßte, wie seine Rede mit den
Ansichten des Herrn
Reichskanzlers zu vereinbaren wäre? (Sehr gut!
links.) Es soll
allerdings Leute in Deutschland geben, die den
Freiherrn von Stumm für den
unverantwortlichen Mitregenten halten. (Sehr wahr!
links.) Andere nennen
ihn den Scharfmacher. Er mag es ja sein, nach
einer anderen Richtung hin. Ich verehre ihn
als Hellseher: er prophezeit lange
im voraus, was die Minister demnächst zu
wollen haben. (Heiterkeit.)
Ich bin
allerdings der Meinung, daß wir mehr als
auf manches
Ministerwort lauschen müssen auf das, was
Herr Freiherr von Stumm für die
Regierung als Programm aufstellt. Meine
Herren, wir haben neulich gelesen, Herr
Freiherr von Stumm ist parlamentsmüde
geworden, er will ein Mandat nicht mehr
annehmen. Mich hat diese Nachricht mehr
erschüttert, als wenn selbst Herr
Staatsminister von Boetticher seinen Abschied
nähme. (Große
Heiterkeit.) Vielleicht ist
der Triumph, den er jetzt erlebt — er ist ja
leider heute nicht anwesend —, wie
pünktlich die Regierung sein Programm
vollzieht, geeignet, ihn wieder zu erfrischen
und ihn dem Parlament zu
erhalten. (Heiterkeit. —
Zuruf von den Sozialdemokraten.) — Ja, das
allerdings wäre der Triumph der
Geschicklichkeit,
wenn er nicht einmal anwesend zu sein brauchte
und seine Instruktion von der
Regierung doch ausgeführt würde. (Heiterkeit.)
Ich bedaure,
daß ich dem Herrn Reichskanzler
gegenüber mich
nicht auch der persönlichen
Ausführungen entschlagen kann. Der Herr
Reichskanzler hat gestern von seiner
politischen Vergangenheit gesprochen. Ja,
was sollen wir uns an die Vergangenheit
halten, antiquarische Untersuchungen
anstellen, wo die Gegenwart so
deutlich spricht? (Sehr richtig!
links.) Und diese
Vergangenheit! Ist das nicht derselbe Herr
Reichskanzler, der debutirt hat, indem er hier
die Umsturzvorlage einbrachte,
jene Umsturzvorlage, die so kläglich
gescheitert ist, und zu der sich nachher
keine Partei mehr bekennen wollte? Die
Umsturzvorlage und diese Novelle sind
ganz ebenbürtige Geschwister von
denselben Eltern. Ich bin weit entfernt, auch
nur einen Vergleich mit Strohredakteuren
anstellen zu wollen; aber der Gedanke
ist doch richtig: Minister, die nach ihrer
Vergangenheit in der öffentlichen
Meinung noch etwas zu verlieren haben, sind
die allergefährlichsten, wenn es
gilt, eine reaktionäre Politik
einzuleiten. Sie decken mit ihrem Namen die
Einleitung einer solchen Politik, die nachher
dann von anderer Seite
fortgesetzt wird. (Sehr richtig!
links.) Uns wäre
es viel lieber, dieser Gesetzentwurf
trüge seine
richtige Etikette von einem richtigen
Puttkamer oder von einem richtigen
Eulenburg, dann würde man sofort von
außen erkennen, was der böse Trank
enthält, der hier dargereicht werden
soll. Der Herr
Reichskanzler hat sich zu entschuldigen
gesucht
damit, daß man dem preußischen
Landtag ein Lösegeld zahlen müsse
für die
Aufhebung des Koalitionsverbots in solchen
Verschärfungen. Nun, meine Herren,
ich bin der Meinung, wenn die Regierung
schlankweg vor den Landtag getreten
wäre und gesagt hätte: hier handelt
es sich um die Erfüllung eines gegebenen
Worts; was sonst noch im Vereinsrecht
geändert werden kann, das steht auf einer
anderen Seite, darüber kann man bei einer
anderen Gelegenheit sprechen, hier
bitten wir unser Wort uns einlösen zu
helfen, dann würden Sie noch
Autorität
genug besessen haben im Landtag und auch in
dem von Ihnen so gefürchteten
Herrenhause,
einen solchen Paragraphen durchzusetzen. (Heiterkeit.)
Wie aber hat
die Regierung gehandelt? Sechs Monate lang hat
man die Frage hin und her gezogen, man hat im
Landtag von Seiten der Regierung
alle möglichen Fragen aufgeworfen, die
man mit der Revision dieser Vereinsgesetze
in Verbindung bringen wollte; die Regierung
hat ja geradezu den Preis dieses
Lösegeldes gesteigert in den Augen der
Konservativen des Landtags. Heute haben
wir noch gehört vom Herrn
Staatssekretär von Boetticher, das
Herrenhaus werde
vielleicht noch viel mehr verlangen, als wir
geboten haben. Heißt das eine
Aufhebung des Verbots erleichtern? Sie, die
Minister, haben durch ihr Verhalten
ja geradezu die konservativen Parteien
provozirt zur Forderung der
Verschärfung. (Sehr wahr!
links.) Und noch mehr!
In den vertraulichen Vorbesprechungen — das
ist doch jetzt zugegeben — hat die Regierung
einen Entwurf vorgelegt, der noch
weiter ging bis zu Präventivverboten
gegen Versammlungen und Vereine. Solche
Vorschläge macht die Regierung, die
selbst den Freikonservativen, und das will
viel sagen, als eine zu übertriebene
Forderung des Lösegeldes erscheinen. Ich kann es
nicht anders bezeichnen: es liegt hier eine
Brüskirung
des Reichstags vor, wie ich sie überhaupt
in meiner parlamentarischen
Vergangenheit noch nicht erlebt habe. Sie
sagen: das ist keine Kriegserklärung.
Nun, wenn man derartig schroff
entgegenhandelt, so brüsk, so mag man das
eine
Kriegserklärung nennen oder nicht,
thatsächlich wird es als
Kriegserklärung
empfunden. Wenn man jemandem einen Faustschlag
ins Gesicht giebt und fügt hinzu
mit freundlicher Miene: darum wollen wir keine
Händel anfangen (Heiterkeit), dann
faßt es derjenige, der den Schlag
empfängt, doch anders
auf. Verstecken Sie doch nicht die Sache
hinter allerlei formale Einwendungen
und Kompetenzfragen. Darauf muß
hingewiesen werden: Sie handeln materiell
schnurstracks in entgegengesetzter Richtung,
wie es gerade im vorigen Jahre der
Reichstag verlangt hat. Ich muß doch
daran erinnern, daß damals aus der
Initiative
des Reichstags ein vollständiges
Reichsvereinsgesetz hervorgegangen war, und
daß dieses Gesetz in der zweiten Lesung
hier von einer großen Mehrheit
angenommen
wurde, und man es nur zurückstellte, um
zunächst diese eine Frage des
Koalitionsverbots praktisch zu lösen. Der
Reichstag hat in jenem Gesetz keine
Verschärfungen verlangt, sondern
umgekehrt, weittragende Aufhebungen von
bestehenden Beschränkungen. Die Regierung
hat darauf nicht eingehen wollen.
Gut, das war ihr Recht; aber nun gehen Sie so
weit angesichts der Forderung, in
diesem Initiativgesetz Beschränkungen
aufzuheben, umgekehrt, Beschränkungen neu
einzuführen. Man kann ja gar nicht mehr
einer Mehrheit einer Volksvertretung im
Reiche zuwiderhandeln, als es hier versucht
wird. (Sehr wahr!
links.) Und, meine
Herren, das ist besonders häßlich,
das Ausspielen
des Landtags gegen den Reichstag (sehr
richtig!) in Fragen der
Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung, das
Ausspielen der Dreiklassenwahl gegen das
Reichswahlrecht! Mit Recht hat auch
ein nationalliberaler Abgeordneter gestern
hervorgehoben, wie sehr dies gegen
den Einheitsgedanken, gegen den Reichsgedanken
verstößt. Wir haben ja manches
erdulden müssen von dem Fürsten
Bismarck; aber ich erinnere mich nicht,
daß er
jemals in dieser Weise in Fragen, die in die
Zuständigkeit des Reichs fielen,
es unternommen hätte, die
Partikulargesetzgebung gegen die
Reichsgesetzgebung
zu Felde zu führen. Daran mußte ihn
schon verhindern die Furcht, ein schlechtes
Beispiel zu geben allen anderen Regierungen im
Ansturm der Partikulargesetzgebung
gegen den Willen der Reichsfaktoren. Und dann,
meine Herren, was ist das für ein
Reichstag, gegen
den Sie derart handeln? Ist das ein Reichstag
mit liberaler Mehrheit? — Die
Liberalen sind ja immer besonders schlecht
behandelt worden. Nein, ein
Reichstag, der so viel Gesetze mit der
Regierung zu Stande bringt, die uns hier
auf der Linken durchaus zuwider sind, und die
wir für verderblich erachten. Und
dieser Reichstag, läßt er es etwa
an Geldbewilligungen fehlen? Ist nicht in
dieser
Wahlperiode der Militäretat fortgesetzt
erhöht worden, ist nicht der Marineetat
fortgesetzt erhöht worden, der
Kolonialetat erhöht worden? Hatte er
jetzt nicht
die Absicht, fast alle die geforderten
Besoldungsverbesserungen zu bewilligen
und sogar für die höchsten
Reichsbeamten nicht einmal von ihnen selbst
geforderte
Zulagen zu machen? Und derart wird ein solcher
Reichstag behandelt! Allerdings,
er hat die zwei Kreuzer nicht bewilligt, weil
er meinte, wenn sieben Kreuzer im
Bau seien, würde es keine Eile haben,
noch den Bau von zwei neuen Kreuzern in
Angriff
zu nehmen. Aber, meine Herren, richtet sich
denn diese Politik bloß gegen die
berühmten vaterlandslosen Gesellen, die
jene Kreuzer nicht bewilligt haben?
Nein, sie richtet sich ebenso und vielleicht
noch in höherem Maße gegen die
gutherzigen Nationalliberalen; sie haben doch
auch der Zusage des
Reichskanzlers vertraut. Herr von Bennigsen
hat damals die Zweifel, die hier
auf der Linken erhoben wurden, zu
beschwichtigen versucht. Die nationalliberale
Partei wird ja noch schärfer
brüskirt als wir. Man hat sie vorher
vertraulich
gefragt, ob sie mit jenen Verschlechterungen
des Vereinsgesetzes einverstanden sei.
Sie hat das in dieser
vertraulichen Konferenz abgelehnt, und
trotzdem, obwohl die nationalliberale
Partei im Abgeordnetenhause ausschlaggebend
ist, macht man diese Vorlage, als
ob auch diese Nationalliberalen vaterlandslose
Gesellen wären. (Große
.Heiterkeit.) Ja, wer ist
denn heutzutage noch vaterlandsliebend?
Niemand
mehr, der überhaupt noch eine
selbstständige Meinung hat! (Stürmischer
Beifall links.) Der Herr
Staatssekretär von Boetticher sucht uns
zu
beruhigen, wir möchten keine weiteren
politischen Konsequenzen daran knüpfen
und, was uns berechtigte, Folgerungen
darüber hinaus zu machen. Ja, Herr
Staatssekretär,
dann sagen Sie uns doch: wie denken Sie denn
nun, daß die Sache weitergehen
soll? Entweder wird der Gesetzentwurf im
Abgeordnetenhause abgelehnt oder er
wird angenommen, und wird er abgelehnt, dann
haben Sie sich selber persönlich
einen Kladderadatsch zugezogen. (Große
Heiterkeit. Zuruf vom Regierungstisch.) — Freilich
Herr Minister von Boetticher, man kann ja auch
so
abgehärtet sein wie Sie. (Stürmischer
Beifall links und Händeklatschen.) Es giebt ja
ein Gefühl politischer Wurstigkeit, das
hoch
erhaben ist über alles das, was
selbstständige Politiker empfinden. (Große
Heiterkeit und lebhafter Beifall.) — Oder der
Entwurf wird angenommen, und es gelingt noch,
einen Fetzen aus der Vorlage durchzubringen in
die Gesetzessammlung. Nun, dann
haben Sie alle diejenigen Parteien, die das
nicht wollen, im Abgeordnetenhaus
und Reichstag um so schärfer
zurückgestoßen. Und glauben Sie
denn, daß wirklich
alle so gutmüthig sind, daß das
weiter keine parlamentarischen Folgen für
das fernere
Verhältniß haben wird? Allerdings,
die Tage dieses Reichstags und Landtags sind
gezählt; im nächsten Jahr kommen die
allgemeinen Neuwahlen. Sind Sie nun denn
der Meinung, daß Sie damit Ihre
Wahlaussichten verbessern, sei es zum
Reichstag
oder zum Landtag? (Heiterkeit
und Bravo! links.) Nein, meine
Herren, die Vorlage hat wenigstens das eine
Verdienst, daß sie selbst dem
Vertrauensseligsten die Binde von den Augen
reißt, daß selbst der
mattherzigste Philister aufgerüttelt
werden muß über
diese Art der Regiererei in Deutschland. (Lebhafter
Beifall links.) Ein
nationalliberales Berliner Blatt nannte zuerst
diese
Vorlage ein Sturmanzeichen, die Einleitung
einer Gewaltpolitik, die uns
bevorsteht. Dasselbe Blatt sagt auch dieses
Gesetz wird bewirken, daß die
Schanzen des Vereins- und Versammlungsrechts,
auf denen das Bürgerthum
vertheidigen kann seine
verfassungsmüßigen Rechte, vorher
niedergerissen
werden, ehe der Ansturm darauf kommt. Ich bin
weit entfernt, zu glauben, daß
Sie, die gegenwärtigen Minister, eine
solche Gewaltpolitik durchzuführen
beabsichtigen, ich schenke der Erklärung
des Herrn Staatssekretärs von
Boetticher für ihn und für seine
Kollegen vollen Glauben. Aber, meine Herren,
wer kommt nach Ihnen? Sind Sie denn nicht
ephemere Existenzen? (Große
Heiterkeit.) Wenn Sie
morgens wach werden, und die Sonne scheint
politisch und parlamentarisch noch so hell, so
wissen Sie nicht, ob Sie an
demselben Abend noch erleben werden, in Ihren
Ministersesseln zu sitzen. (Große
Heiterkeit.) Meine Herren,
ich gönne dem Herrn Reichskanzler ein
langes
Leben; aber ich sehe die Füße
derjenigen schon vor der Thür stehen, die
ihn
dann hinausgeleiten werden, und der Herr
Staatssekretär von Boetticher, so
dauerhaft er sich erwiesen hat (große
Heiterkeit), unter den
Stürmen, die diese Politik entfesseln
wird, wird
selbst er nicht so fest kleben, daß er
nicht auch losgelöst wird. Denn alles in
der Politik zieht seine Konsequenzen auch
für diejenigen, die eine solche Politik
eingeleitet haben, wenn sie sie nicht weiter
führen wollen. Haben Sie sie
eingeleitet, haben die Mohren Ihre
Schuldigkeit gethan, dann können Sie
gehen,
was wollen Sie denn auch noch weiter? Sie
haben nach rechts schon früher den
Halt verloren und nach links verderben Sie
durch solche Vorlagen sich alles.
Wer kann denn überhaupt sich noch
dafür interessiren, daß Sie im Amt
sind. (Sehr gut! und
Heiterkeit links.) Die
nachfolgenden Ausführungen kehre ich
deshalb nicht gegen
Sie; wir müssen schon jetzt rechnen mit
denjenigen, die nach Ihnen kommen. (Sehr gut! und
lebhafter Beifall links.) Wenn dann sich
Minister finden, die eine Gewaltpolitik
einleiten, gewiß, sie haben dann auf den
Beifall der rechten Seite zu rechnen;
sie haben besonders zu rechnen auf den Beifall
des Junkerthums. In diesem Junkerthum
wittert man schon Morgenluft (große
Heiterkeit links) und
begrüßt die Novelle als den Anfang
von Thaten, besonders
in demjenigen Junkerthum, das, je mehr es
drunter und drüber geht, um so mehr
Beute glaubt für sich machen zu
können (sehr gut!
links), das nichts
mehr zu verlieren hat, weil es wirthschaftlich
schon halb bankerott ist und deshalb auch
nicht vor dem politischen Hazardspiel
zurückzuschrecken braucht. (Sehr richtig!
und lebhafter Beifall links.) Aber, meine
Herren, was hat solches Junkerthum für
eine
Bedeutung für die Kraft einer Regierung?
Solches Junkerthum ist ja überhaupt
nicht selbstständig, es will nur
gestützt sein, hat aber nicht die Kraft,
selbst eine Regierung zu stützen, es
bedeutet nur so viel, als die Regierung es
bedeuten lassen will. Eben weil eine solche
Politik keine Stütze hat, so wird
sie auf den Weg der äußeren
Machtmittel mit Nothwendigkeit getrieben.
Entrolle
ich etwa damit heute ein neues,
überraschendes Bild? Haben wir nicht bei
der
Debatte des Marineetats gerade von Seiten des
Herrn von Bennigsen beachtenswerthe
Andeutungen gehört? Dieser
bedeutungsvolle Theil seiner Rede verdient
hervorgehoben zu werden wegen des
Schlaglichts, das er auf die politische
Situation wirft. Herr von Bennigsen sagte
damals, daß es gefährliche
Meinungen
gäbe, man könne nicht mehr auskommen
mit parlamentarischen
Verfassungszuständen. In Europa aber, so
sagte er, ist ein
absolutistisch-diktatorisches Regiment
unmöglich, eine Regierung nicht dauerhaft
und haltbar ohne Verfassungen, in denen der
Volksvertretung sehr wesentlich
weitgehende Rechte eingeräumt sind; und
werden diese Rechte nicht auch ehrlich
respektirt, so sind die Regierungen auf die
Dauer in Europa nicht möglich. Er
exemplifizirte
dann auf die Zustände in Frankreich, auf
den Imperialismus Napoleons, der unter
den ersten unglücklichen Schlachten
kraftlos und widerstandslos zusammenbrach. Man hat
freilich einmal gesagt: Macht geht vor Recht.
Es hat
vor 30 Jahren schon einmal in Preußen
ein verfassungswidriges budgetloses
Regiment bestanden. Soll denn nun die
Geschichte den Beweis führen, daß,
was
unter außergewöhnlichen
Verhältnissen, unter
außergewöhnlichen Umständen
einmal
durchgeführt werden konnte, das nun eine
dauerhafte Grundlage des Reichs werden
kann, eine Wiederholung verträgt? Damals
ist die innere Politik herausgehauen
worden von der Tapferkeit unserer Armee bei
Königgrätz und die Entwicklung der
Politik zur deutschen Einheit hat zuletzt die
Versöhnung gebracht mit der
Regierung. Aber auch hier hat die
Einführung der zweijährigen
Dienstzeit im
Jahre 1893 dargethan, daß der König
Unrecht hatte, als er es ablehnte, den
Konflikt im September 1862 auszugleichen, als
ihm die Minister selbst den
Kompromiß auf der Grundlage der
zweijährigen Dienstzeit anriethen. Aber
wenn
selbst Moral und Recht nichts bedeuteten
gegenüber einer höheren
Staatsraison,
wo kann man sich in dieser Situation auf eine
höhere Staatsraison berufen? Etwa
im Namen des Kampfs gegen die
Sozialdemokratie? Heißt es die
Sozialdemokratie
wirksam bekämpfen, daß, anstatt
daß man alle bürgerlichen Parteien
in eine
Politik zusammenfaßt, man solche Gesetze
vorbringt, die die bürgerlichen Parteien
unter sich spalten, die sie in dieselbe
Kampfeslinie nothgedrungen für die
politischen Freiheiten und Rechte mit den
Sozialdemokraten zusammenbringen? Und
ist das eine Einleitung eines wirksamen
Kampfes gegen die Sozialdemokratie,
wenn man etwa glauben sollte, jemals sich
über Recht und Verfassung
hinwegsetzen zu können, einen
Staatsstreich zu begehen, die Revolution von
oben
zu inszeniren und dadurch jeden Gewaltakt von
unten im voraus zu legalisiren?
Wo ist denn sonst noch eine Staatsraison? Etwa
weil man einen Reichstag braucht
für angemessene Erweiterung der Flotte?
Liegt etwa in der Zahl der Schiffe mehr
oder weniger die Frage der Wehrkraft
Deutschlands? Nein, sie entscheidet nur
über die Grenzen der Phantasie einer
Weltpolitik, geeignet, die Kräfte
Deutschlands zu zersplittern und durch
überseeische Händel uns den Frieden
in
Europa zu gefährden.
Meine Herren,
der Reichskanzler Fürst Bismarck selbst
hat,
als er jenes budgetlose Regiment inszenirte,
niemals die Gefährlichkeit der
Situation unterschätzt und alle
Vorkehrungen getroffen für den Fall eines
ungünstigen
Ausgangs in Bezug auf seine
Privatverhältnisse. Herr von
Kardorff warf die Frage auf nach Personen nach
Art
des Fürsten Bismarck. Nun, wo sind denn
heute die Personen, die eine solche
Politik, wie sie nothwendig in der Konsequenz
solcher Vorlagen und solcher
Verhandlungen des Reichstags sich entwickeln
muß, durchführen können? Wo
ist
denn heute ein einheitlicher,
zielbewußter Wille, der nicht von
plötzlichen Impulsen
getragen wird, sondern der mit Umsicht und
Einsicht stetig ein Ziel zu
verfolgen weiß? (Sehr gut!
links.) Und wo ist
denn eine Garnitur von neuen Ministern (Heiterkeit
links), die sich
hinter den Herren hier könnte
aufführen lassen? So
weit Sie blicken, nichts als geschmeidige
Höflinge, die sich jeder Ansicht von
oben anschließen! Avancirte
Büreaukraten oder schneidige
Husarenpolitiker (sehr gut!
links), das ist es,
was sich einer solchen Politik zur
Verfügung
stellen kann. (Lebhafte
Zustimmung links.) Handlanger,
aber im gewöhnlichen Sinne des Worts! (Stürmisches
Bravo links. — Händeklatschen.) Wir leben auch
heute in einem Bundesstaat und nicht mehr
bloß im Einheitsstaat Preußen.
Daran wollen wir uns doch auch erinnern,
daß das
Deutsche Reich als solches keine angestammte
Dynastie hat, und daß das Kaiserthum
in Deutschland nicht älter ist als der
Reichstag. (Sehr gut!
links. Glocke des Präsidenten.) Präsident:
Ich muß den Herrn Redner einen
Augenblick
unterbrechen. Es wird mir eben mitgetheilt,
daß zweimal durch Klatschen Beifall
bezeugt worden ist, und zwar hier auf dieser
Tribüne. Wenn das noch einmal
stattfindet, so werde ich diese Tribüne
räumen lassen. (Bravo!) Richter,
Abgeordneter: Der Herr Abgeordnete von
Kardorff hat
— und das war mir bemerkenswerth — gesprochen
von der Abnahme der
monarchischen, der nationalen Gesinnung in
Deutschland; er hat den Rückgang
datirt — das war noch bemerkenswerther — von
dem Tode Kaiser Friedrichs lll.
Meine Herren, ich bin kein Republikaner, ich
bin kein Illusionspolitiker, ich
rechne mit den praktischen, gegebenen
Verhältnissen. Ich bin der Meinung,
daß
gerade in Deutschland das monarchische System
Anwartschaft auf eine längere
Dauer in der Zukunft hat als in irgend einem
Staate Europas, weil die Monarchie
hier eng mit dem Werden und Wachsen des
Staatswesens selbst verbunden ist,
deshalb, weil der Glanz von wirklich
bedeutenden, verdienstvollen Monarchen der
Vergangenheit noch fällt auf ihre
Nachkommen in der Gegenwart. Aber um so mehr
bedaure ich, daß Herr von Kardorff recht
hat, daß in der That die monarchische
Gesinnung seit 10 Jahren sich nicht nur nicht
vermehrt hat, sondern daß von dem
Kapital dieser Gesinnung gezehrt wird (sehr richtig!
links) in einer
Weise, wie ich es vor 10 Jahren nicht für
möglich
gehalten hätte (lebhafte
Zustimmung links), nicht etwa
infolge der Agitation der Sozialdemokratie,
nein,
infolge von Vorgängen, die sich der
parlamentarischen Erörterung entziehen (sehr gut!
links), Vorgängen,
welche die Kritik herausfordern nicht
bloß im
Bürgerthum, sondern auch tief im
Beamtenthum bis in das Offizierskorps hinein.
Deutschland ist ein monarchisch
konstitutionelles Land; aber nach dem
Programm:
sic volo, sic jubeo — regis voluntas suprema
lex mag man vielleicht in Rußland
noch eine Zeit regieren können, das
deutsche Volk läßt sich auf die
Dauer nicht
danach regieren. (Lebhaftes
andauerndes Bravo links.)