Präsident:
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter. Richter,
Abgeordneter: Meine Herren,
ich will nicht nach dem Vorgang des Herrn
Kollegen Bassermann diese Debatte zu einer
allgemeinen Sozialistendebatte erweitern.
Ich meine, die Regierungspolitik muß
nothwendig im Mittelpunkte dieser
Diskussion stehen bleiben. Es ist daher
meines Erachtens auch nicht angezeigt, das,
was von sozialistischer
Seite außerhalb des Hauses geschrieben
oder gesprochen ist, in diese Debatte
hineinzuziehen. (Zuruf
rechts.) Ich stehe
nicht allen Ausführungen des Abgeordneten
Bebel so
abfällig gegenüber wie der Herr
Abgeordnete Bassermann; aber ich will von
vornherein klar betonen, daß meine
Grundanschauung in der Sache eine durchaus
andere ist. Wir sind der Meinung, daß es
eine unbedingte Nothwendigkeit war, in
dem Augenblick, wo die Ermordung des deutschen
Gesandten, die Belagerung der
Gesandtschaft und der Fremden in Peking
bekannt wurde, eine militärische
Machtentfaltung vorzunehmen. Keine Regierung,
wie sie auch zusammengesetzt sein
mag, konnte sich dieser Nothwendigkeit
entziehen. (Sehr
richtig!) Es war deshalb
angebracht, ohne Zögern ein
militärisches
Aufgebot zu machen zum Entsatz von Peking und
der darin Bedrohten. Es hat
deshalb auch keinen Zweck, angesichts dieser
Nothwendigkeit zu untersuchen,
welche Mißgriffe deutscherseits vorher
etwa vorgekommen sind. Die Anerkennung
der Nothwendigkeit einer militärischen
Machtentfaltung schließt noch keine
Anerkennung aller Maßnahmen der
Chinapolitik der Regierung in sich, die vor
jener Situation gelegen haben oder die nachher
gefolgt sind. (Sehr richtig!
links.) Ich bin also
der Meinung, daß die Aufbietung der
Seebrigade,
wie man sie genannt hat, durchaus nothwendig
war, auch die Bildung der
ostasiatischen Brigade oder der ostasiatischen
Division, zu der sie sich
nachher erweitert hat. Da aber der Herr
Abgeordnete Bassermann die Sprache
gebracht hat auf die Entsendung der Division
von Panzerlinienschiffen, so muß
ich hier hervorheben, daß ich diese
Nothwendigkeit nicht in dem Maße erkannt
habe, weder nach der Beschaffenheit der
chinesischen Flotte, noch weil ich einsehe,
daß man mit europäischer
Mächten in den ostasiatischen
Gewässern einen Seekrieg
hätte führen können. Dort sind
nur kleine Schiffe, flachgehende Kanonenboote,
in dieser Situation am Platze. Wenn der Herr
Abgeordnete Bassermann meint,
diese Entsendung habe gerade die
Flottengesetze gerechtfertigt, so muß
ich
demgegenüber hervorheben, daß bei
den Verhandlungen des Flottengesetzes seitens
der Regierung ausdrücklich hervorgehoben
wurde, daß ihrer Ansicht nach die
Linienschiffe zur überseeischen
Verwendung nicht geeignet seien, und daß
man
dazu die taktischen Einheiten nicht
auseinanderreißen dürfe. (Sehr richtig!
links.) Was die
Landtruppen anbetrifft, die man in der
damaligen
Situation nicht entbehren konnte, so bin ich
nicht von der Nothwendigkeit
überzeugt, Ende August einen zweiten
Nachschub vorzunehmen. Da war Peking entsetzt;
da hatte man sich, wie der Herr Kriegsminister
gestern richtig hervorhob, überzeugt,
mit wie wenig regulären Truppen die
Widerstandsfähigkeit der Chinesen
gebrochen
wird. Die anderen Staaten haben zu jener Zeit
alle Rüstungen bereits eingestellt;
sie haben sogar diejenigen Transporte, die
sich unterwegs befanden, nicht nach
China abgehen lassen, sondern weit entfernt
davon in ihre Kolonien. Diese
zweite Sendung Ende August und Anfang
September wird mir nur erklärlich im
Zusammenhang mit der Uebernahme des
Oberbefehls in der Provinz Petschili. (Sehr richtig!
links.) Man wollte
diesem Oberbefehl dadurch ein besonderes
Prestige
geben. (Sehr richtig!
links.)
Darin stimme
ich mit allen Rednern überein, die
darüber gesprochen,
daß die Uebernahme dieses Oberbefehls
ein schwerer politischer Fehler gewesen
ist, und daß nur besondere Umstände
uns davor bisher bewahrt haben, die
Nachtheile davon zu kosten. (Sehr gut!
links.) Wir haben
diesen Oberbefehl den anderen Staaten
aufgedrungen!
Es ist nicht richtig, wie gesagt worden ist,
daß uns Rußland darum ersucht hat.
Nein, der Herr Reichskanzler hat gestern sein
Wort sehr vorsichtig gewählt, um
nicht mit den amtlichen russischen
Erklärungen in Widerspruch zu gerathen. (Heiterkeit
links.) Er hat nur
gesagt, Rußland hat uns zuerst den
Oberbefehl
übertragen, hat aber nicht gesagt,
Rußland hat uns ersucht, den Oberbefehl
zu
übernehmen. (Sehr gut!
links.) Meine Herren,
Deutschland ist nicht berufen, in Ostasien
eine führende Stellung einzunehmen, nicht
nach seiner geographischen Lage,
nicht nach seiner Stellung in Asien, nicht
nach der Bedeutung seines Handels.
Der Herr Abgeordnete Bassermann hat heute
hervorgehoben, nach der englischen
Statistik befänden wir uns im
Handelsverkehr an zweiter Stelle; das ist
richtig. Er hat aber unterlassen zu sagen,
daß der englische Handel sechsmal so
groß ist wie der deutsche (hört!
hört! links), und daß
unter diesen Umständen die zweite Stelle
in dieser
Frage wenig bedeutet. Meine Herren, die
Uebernahme des Oberbefehls ist deshalb
ein Fehler, wie auch andere Redner betont
haben, weil es geeignet ist, die
internationale
Eifersucht zu erwecken und alles
Mißgeschick, was vorkommt, dem
Oberbefehlshaber
und damit Deutschland zur Last zu legen. Der
Eindruck der Uebernahme des
Oberbefehls wurde dann gesteigert durch die
Art und Weise der Inszenirung, der
Abreise des Grafen Waldersee, durch den Tamtam
oder, wie der Herr Kollege v.
Levetzow es gesagt hat, durch den Trara.
Das eine ist ebenso richtig wie das andere. (Heiterkeit
und Sehr
gut! links.) Man hat den
Herrn Generalfeldmarschall Waldersee für
persönlich daran unbetheiligt gehalten.
Ich will das nicht näher untersuchen;
es ist aber eigenthümlich, daß aus
seiner unmittelbaren Umgebung — es soll
sogar ein Reklamebüreau durch seinen
Neffen dort errichtet worden sein — die
Telegramme an das Wolffsche Büreau
gelangten, das Büreau, das unter der
Leitung
des Auswärtigen Amtes steht, in denen die
Rede war von einem Triumphzuge,
davon, daß Ovationen, die seit 1870/71
nicht dagewesen seien, ihm dargebracht
wären. Da hat man im Volke gesagt: wenn
das jetzt schon so anfängt, was soll
dann erst geschehen, wenn er wirklich mit
Lorbeeren, nicht bloß mit
Vorschußlorbeeren
zurückkommt. In England hat man diese
Inszenirung als Bühnenleistung ersten
Ranges bezeichnet (sehr gut!
links), und selbst die
“Kreuzzeitung“ ist angesichts dieser
Vorkommnisse
der Meinung gewesen, daß dadurch die
militärische Aktion eine gewisse
bedenkliche Dramatik erhielt. Aber, meine
Herren, diese Erscheinung ist doch
nicht individuell in diesem Falle. Die ganze
Politik wird schon seit längerer
Zeit theatralisch, dekorativ inszenirt, mehr
als man es früher gewohnt war.
Posen, Festlichkeiten, Bespiegelungen in dem,
was gewesen ist, sind auf der
Tagesordnung. Früher war das, wie auch
der Herr Vorredner angedeutet hat,
anders; da machte man nicht große Worte,
sondern schuf große Thaten, und selbst
nach diesen Thaten waren die Worte immer noch
sehr bescheiden. Man braucht auch
in dieser Beziehung nur an den
Feldmarschall Moltke, der mit vollem Recht den
Namen “Schweiger“ geführt hat,
zu erinnern. Meine Herren, als sich bei der
Abreise des Generals von Waldersee
die Dinge, wie geschildert, abspielten, da las
ich in einer Zeitung, die an der
Wasserkante erscheint, eine Erinnerung an ein
bäuerliches Sprichwort: Man soll
nicht eher „Hering“ rufen, als bis man ihn am
Schwanz hat! (Heiterkeit), und selbst,
wenn das der Fall ist, dann soll man nicht
dicke
thun, sondern sich still beneiden lassen. Die
nachtheiligen Folgen dieser Inszenirung
haben sich auch im Auslande bemerkbar gemacht.
Es ist von der russischen
Waffenbrüderschaft die Rede; aber wenn
nicht alles täuscht, so ist die
brüske
Art, mit der Rußland plötzlich das
Gros seiner Truppen aus der Provinz
Petschili gezogen hat, ohne sich darüber
mit Deutschland oder dem künftigen
Oberbefehlshaber
vorher zu verständigen, eine Folge
gewesen davon, daß ihm die Art und Weise
nicht behagte, wie man die Uebernahme des
Oberbefehls aufbauschte. Dem
Beispiele Rußlands sind dann die
Amerikaner gefolgt, und wenn es richtig ist,
was in den Zeitungen steht, neuerlich auch die
Japaner, sodaß, als der
Oberbefehlshaber nun ankam, er den russischen
und amerikanischen Truppen
gegenüber im großen und ganzen ein
Befehlshaber, wie man in der Hierarchie
sagt, in partibus infidelium war. (Heiterkeit
links.) Die Ereignisse
haben uns davor bewahrt, daß
nachtheilige
Folgen dieser Vorgänge hervorgetreten
sind, deshalb, weil, als der Graf Waldersee
in China landete, die militärischen
Aufgaben in der Hauptsache erschöpft
waren,
und es sich thatsächlich nur noch um die
Veranstaltung von Treibjagden auf
Boxer in der Hauptsache handelte. Meine
Herren, dieser Ueberschwang, den wir
hierbei bemerkt haben, ist ja auch sonst
hervorgetreten in Frühstücksreden
und
in anderen Reden mannigfacher Art. Der Herr
Kriegsminister hat gestern sein
Bedauern darüber ausgesprochen, daß
hier Reden des Kaisers zur Diskussion
gelangen. Nun, meine Herren, es ist mir lieb,
daß diese Frage von der Seite
generell zur Sprache gebracht worden ist. Auch
ich theile das Bedauern, aber
nicht nur das Bedauern darüber, sondern
auch das Bedauern über die Ursache, die
diese Erscheinung für uns zur
Nothwendigkeit gemacht hat. (Sehr gut!
links.) Woher kommt
das? Der gegenwärtige Monarch
erläßt, mehr als
es frühere Monarchen gethan haben,
öffentliche Kundgebungen,
öffentliche
Kundgebungen programmatischer Art, die
Direktiven für die Verwaltung,
Einleitungen zu Maßnahmen der
Gesetzgebung darstellen; er sucht durch diese
Reden Stimmung zu gewinnen im Volke für
das, was er beabsichtigt. Nun, wir sind
hier die Volksvertreter — sollen wir dazu
schweigen, Vogelstraußpolitik
treiben, thun, als wenn diese Reden, die
für das Volk und an das Volk gehalten
werden, die die größte
Oeffentlichkeit finden, in authentischer Form
im „Reichs-Anzeiger“
erscheinen, nicht auf der Welt wären?
Damit würden wir selbst uns eine capitis
diminutio zu Schulden kommen lassen, und
niemand im Volke, unsere Wähler
würden
das nicht verstehen. (Sehr richtig!
links.) Dazu kommt nun
noch, daß ja vielfach diese Reden auch
Angriffe
enthalten, Angriffe auf Parteien — ich brauche
bloß an die Flottenrede im
vorigen Oktober zu erinnern —, auf die
Mehrheit des Reichstags selbst. Sollen wir
dazu hier schweigen müssen? Wir sind
verpflichtet, schon in Wahrnehmung
berechtigter Interessen, dagegen, wo es
nöthig ist, unsere Stimme zu erheben. (Sehr gut!
links.) Nun
möchte ich den Herrn Kriegsminister
bitten, wenn er diese Erscheinung, die
parlamentarische
Kritik für bedauerlich hält, in
einer Richtung einzuwirken mit seinem
weitreichenden
Einfluß (Heiterkeit
links und
Zurufe) — wir haben
den Einfluß doch manchmal gespürt
—, die
geeignet ist, manches Bedenkliche an dieser
Erscheinung zu beseitigen, die
Kritik zu mildern und die Reden in dieser
Richtung zu verringern. Ich meine, der
Herr Kriegsminister möchte seinen
Einfluß dahin ausüben, daß
der Monarch, bevor
er solche programmatischen Reden hält,
sich über den Inhalt und die Form mit
den verantwortlichen Ministern
verständigt. (Lebhafter
Beifall links.) Wenn das der
Fall wäre, so würde manches
fortfallen, was
hier zu einer berechtigten Kritik Veranlassung
giebt. Ein Monarch mag noch so
ausgebreitete Kenntnisse haben, er mag noch so
arbeitskräftig und arbeitslustig
sein: das öffentliche Wesen ist heute so
vielgestaltig, daß er es unmöglich,
daß überhaupt kein Mensch es ganz
in einem Staate übersehen kann. Unsere
Zuständigkeit ist ja nur eine
beschränkte gegenüber der
Zuständigkeit eines
Monarchen, aber ich frage: wer ist im Stande,
auch nur unter uns, innerhalb
dieser beschränkten Zuständigkeit
alles zu übersehen, sich überall auf
dem
Laufenden zu erhalten und über alles ein
Urtheil abzugeben? Meine Herren, wenn man
das gleichwohl unternimmt, so ist es ganz
unvermeidlich, daß auch
thatsächlich
unrichtige Angaben erfolgen und ungerechte
Vorwürfe erhoben werden. — Es ist
gestern ein Beispiel hier angeführt
worden in Bezug auf die Hamburger
Werftarbeiter; ich bin gespannt darauf, ob man
versuchen wird, das, was
ausgeführt ist, zu widerlegen. Ich stehe
der Sache selbst ganz fern; aber ich
habe den Eindruck, daß hier auf Grund
unzureichender Kenntniß der
thatsächlichen Verhältnisse ein
schwerer Vorwurf erhoben worden ist. (Sehr gut!) .
Meine Herren,
und dann, wenn die Minister in der Lage
wären,
vorher über den Inhalt und die Form sich
mit dem Monarchen zu verständigen, so
würde auch manche Wendung fortfallen, die
geeignet ist, in der öffentlichen
Meinung zu verletzen und mißbilligende
Aeußerungen hervorzurufen. Ein Monarch,
der sich für gewöhnlich in einem
engen Kreise von Personen bewegen muß,
die
nicht berufen sind, ihm gegenüber eine
selbständige Meinung kundzugeben, der
wird sehr leicht verführt, etwas für
öffentliche Meinung zu halten, was das
Gegentheil davon darstellt. (Sehr
richtig!) Auch hierin
würde er durch die Minister vorher
bestimmt
werden können, solche Aeußerungen,
die nachher unter Umständen gegen die
Monarchie, gegen den Monarchen angeführt
werden, zu unterlassen. Wenn nun aber
in dieser Weise Reden des Monarchen,
Kundgebungen erfolgen, von denen die
Minister vorher keine Kenntniß haben, so
bin ich doch der Meinung, daß die
Minister dafür verantwortlich sind. (Sehr
richtig!) Denn wenn sie
sich nicht für verantwortlich halten, so
müßten sie nach einer solchen Rede
ihren Abschied nehmen. (Sehr
richtig!) Und in der
That, wir haben ja auch gestern gesehen,
daß der
Herr Kriegsminister die sogenannte Hunnenrede
zu verantworten übernommen hat,
so schwer ihm auch die Aufgabe gefallen ist. (Heiterkeit.) Aber in welche
Lage kommen solche Minister damit? Ich
hätte
wohl neben dem Herrn Staatssekretär
Grafen Bülow stehen mögen, als die
Rede in
Bremerhaven gehalten wurde, in der die Hunnen
vorkamen und das
Nicht-Pardon-geben; welche Mienen, welche
Gesichtsfarbe man dort bei ihm wohl
bemerkt haben wird. Der
Herr Minister hat ganz deutlich gefühlt,
daß er diese Rede eigentlich nicht
verantworten kann. (Sehr gut!) Was hat nun
der Herr Minister vorgenommen? Er hat sie zu
vertuschen gesucht; er hat zuerst den
Abschnitt über die Hunnen der
Oeffentlichkeit
vorzuenthalten gesucht. Es ist nicht
möglich gewesen; denn die Redakteure der
Bremerhavener Blätter sind fixer gewesen
als er. (Heiterkeit.)
Der
Hunnenabschnitt ist doch in die
Oeffentlichkeit gekommen.
Der erste Abschnitt, daß kein Pardon
gegeben werden sollte, ist durch das
Wolff’sche Telegraphenbüreau alsbald
verbreitet worden. Dann aber hat man
erkannt, daß das auch eigentlich nicht
zu verantworten wäre, und so ist noch in
der Nacht eine zweite Ausgabe durch das
Wolff’sche Büreau an die Zeitungen
gegangen, indem man versucht hat, auch den
ersten Abschnitt, daß kein Pardon
gegeben
werde, zu unterdrücken. (Hört!
hört! links.) In eine solche
schiefe Lage kommt ein verantwortlicher
Minister durch solche Reden, wenn man sich
nicht vorher seitens des Monarchen
über Inhalt und Form verständigt
hat. Was nun die Ankündigung, dieser
Feldzug
müsse ein Feldzug der Rache sein,
betrifft, so ist meines Erachtens das
Nöthige
darüber gestern gesagt worden, daß
diese Aeußerung christlicher Anschauung
nicht entspricht. (Sehr richtig!
links.) Es ist aber
bei dieser Gelegenheit bemerkt worden vom
Herrn
Abgeordneten Dr. Lieber, diese Aeußerung
mißfalle ihm um so mehr, als
andererseits in dieser Rede das religiöse
Moment des Feldzugs so richtig und so
warm betont werde. In dieser Beziehung bin ich
nicht derselben Ansicht wie der
Herr Kollege Lieber; ich meine, daß die
Betonung des religiösen Moments
zunächst ein politischer Fehler ist. Denn
diese Wirren, diese Frevelthaten der
Chinesen sind wesentlich auch erzeugt durch
Aufstachelung des religiösen
Fanatismus auf jener Seite; wenn nun dort die
Vorstellung erweckt und
verbreitet wird durch solche Reden, daß
unsererseits die Sache als ein
Religionskrieg aufgefaßt werde,
daß man die chinesische Religion zu
unterdrücken und die christliche an ihre
Stelle zu setzen beabsichtige, so ist
das nicht geeignet, diesen Wirren und den
weiteren Frevelthaten ein Ziel zu
setzen. (Sehr richtig!
links.) Ueberhaupt
meine ich: man soll Politik und Religion nicht
miteinander verquicken. (Sehr richtig!
links.) Geschieht
dies, so wird nicht bloß die Politik,
sondern auch
die Religion verdorben. (Sehr gut!
links.) Das gilt
insbesondere von dem Missionswesen. Weil
gestern
schon die Sprache darauf gebracht ist,
muß ich doch auch Einiges dazu bemerken.
Ganz mit Recht hat Herr Bebel angeführt,
daß große Staaten, welche mit
Machtverhältnissen unter heidnischer
Bevölkerung jahrhundertelange Erfahrung
haben, sich hüten, ihre Politik mit
religiöser Propaganda in Beziehung zu
bringen. Wir selbst haben in Deutsch-Ostafrika
schon in der Richtung etwas
gelernt; denn bekanntlich sind die dortigen
Staatsschulen konfessionslos, was
man in Deutschland selbst nicht
zuläßt. (Sehr richtig!
links.) Man würde
sonst in Deutsch-Ostasien keine Erfolge mit
der Schule
erzielen. Die Verquickung verdirbt die
Politik. Das sahen wir auch an der
Haltung des Zentrums. Ich bin überzeugt,
daß manche Forderungen
kolonialpolitischer Art nicht in dem Umfange
die Zustimmung des Zentrums finden
würden, wenn man auf jener Seite nicht
glaubte, daß damit zugleich dem
Missionswesen
eine außerordentliche Förderung zu
theil wird. Nun meine ich, die praktischen
Erfahrungen, die man mit dieser Richtung
gemacht hat, müßten auch auf jener
Seite dazu führen, solche Anschauungen in
etwa zu korrigiren. Man hat geglaubt,
durch den deutschen Stützpunkt in
Kiautschou die Bedrängung der Missionen
in
Zukunft zu verhindern. Das gerade Gegentheil
ist aber thatsächlich eingetreten:
das Missionswesen ist jetzt in einer Weise
durch die chinesischen Wirren
zerstört worden in seiner Organisation,
daß es meines Erachtens ein Jahrhundert
braucht, um auch nur auf den bisherigen
Standpunkt zurückzukommen. (Sehr richtig!
links.) Es bricht ja
diese Erkenntniß von den nachtheiligen
Folgen
der Verquickung von Religion und Politik sich
auch auf geistlicher Seite immer
mehr Bahn; man macht die Erfahrung, daß
Missionsanstalten, welche, solange sie
nicht unter deutscher Flagge thätig
waren, eine sehr fruchtbringende
Thätigkeit
entfalteten, darin gehindert wurden von dem
Zeitpunkt an, wo sie nicht bloß in
religiösen, sondern auch in politischen
Gegensatz zu den Eingeborenen traten.
Sehr bezeichnend ist in dieser Beziehung,
daß auf der Generalversammlung
allgemeiner evangelischer protestantischer
Missionen in Hamburg der Professor
der Theologie Harnak, zur Zeit Rektor der
Berliner Universität, jüngst gerade
mit Bezugnahme auf die Vorfälle in China
eine These folgenden Inhalts vorgeschlagen
hat: Alles, was nur im entferntesten an die
Kreuzzugsidee erinnert — er dachte
dabei offenbar an die Rede des
Militär-Oberpfarrers bei der Fahnenweihe:
„es
ist ein heiliger Krieg, ein Kreuzzug“ — alles,
was erinnert an die Absicht, für
die christlichen Missionen Gewalt einzusetzen
oder Gewalt für sie anzurufen,
ist zu verdammen. (Hört!
hört! links.) Vom
Missionsstandpunkt aus betrachtet ist das
Eingreifen der
christlichen Großmächte in die
Verhältnisse in der Regel keine Hilfe,
sondern
schafft böse, leider unvermeidliche
Schwierigkeiten! Sodann muß ich auch
sagen:
nach allem, was man gehört hat, sind die
chinesischen Christen überall die
besten Brüder auch nicht. (Sehr richtig!
links. Heiterkeit.) Es wird
vielfach behauptet, daß das Gros
derselben nur durch
materielle Rücksichten sich gewinnen
läßt, das Christenthum anzunehmen.
Indessen,
die Diskussion in der Oeffentlichkeit ist ja
über diese Frage in Broschüren
herüber und hinüber erörtert;
das aber steht für mich schon heute fest:
wenn
man die Staatsgewalt für verpflichtet
erachtet, die Missionen selbst im Innern
von China in der Weise zu schützen, wie
man es jetzt beabsichtigt, so muß man
auch das Recht haben, der
Missionsthätigkeit von Staatswegen
Grenzen zu ziehen,
damit sie nicht provokatorisch solche Wirren
mit hervorzurufen beitragen, wie
wir es jetzt bedauerlicherweise wahrnehmen. Nun komme ich
zur Aeußerung: „Pardon wird nicht
gegeben!
benehmt Euch so, daß auf tausend Jahre
die Chinesen es nicht wagen, einen
Deutschen auch nur von der Seite scheel
anzusehen.“ Ja, wenn das Letztere
wörtlich zu nehmen ist, so
müßte jeder Handel mit China
künftig aufhören; denn
ein Chinese, der es nicht wagt, die Deutschen
von der Seite auch nur scheel
anzusehen, kann doch auch nicht grade
große Lust haben, ein
Handelsgeschäft mit
ihnen anzuknüpfen. Nun soll aber doch die
Förderung des Handels ein Hauptzweck
der jetzigen Unternehmung sein. Die Frage, ob
dieses Wort „Pardon wird nicht gegeben“
anzusehen ist als ein Befehl
des obersten Kriegsherrn für die Truppen,
ist gestern aufgeworfen worden; sie
ist aber von dem Herrn Kriegsminister nicht
gelöst, sie ist meiner Ansicht nach
umgangen worden. (Sehr richtig!
links.) Es ist aber
mit Recht bemerkt worden, die Soldatenbriefe
und
alle die Vorgänge würden nicht die
Aufmerksamkeit erregen, wenn man nicht dazu
veranlaßt worden wäre, zu
untersuchen, wie weit jene Vorgänge eine
Folge jener
Parole sind. (Sehr richtig!
links.) Der Herr
Kriegsminister wäre nun in der Lage
gewesen, mit
einem Schlage zu widerlegen, daß eine
solche Parole „Pardon wird nicht gegeben“
nicht besteht, wenn er uns chinesische
Kriegsgefangene nachweisen könnte. (Sehr richtig!
links. Heiterkeit.) Unzweifelhaft
sind doch viele Chinesen gefangen worden; denn
bei der geringen Widerstandskraft der
chinesischen Truppen ist das anzunehmen;
man hat aber bisher nichts gehört,
daß chinesische Gefangene irgend wohin
in Gewahrsam
gebracht worden sind. Dann ist von
den Soldatenbriefen gesprochen worden. Man hat
es so dargestellt, als ob das bestellte Arbeit
der Sozialdemokraten sei. Meine
Herren, haben Sie denn bloß den
Vorwärts gelesen? Nein, Sie finden solche
Briefe in allen Blättern,
nationalliberalen Blättern, freisinnigen,
konservativen, amtlichen Kreisblättern,
ganz unparteiischen Blättern — ich
könnte Ihnen eine ganze Anzahl nennen. Es
geht daraus hervor — und alle stimmen
in der hauptsächlichen Ausführung
überein —, daß thatsächlich in
der Hauptsache
solche Dinge vorgekommen sind, wie hier
behauptet werden. Es ist gesagt worden:
Renommisterei! Herr v. Levetzow sagt: ich habe
auch einen Krieg erlebt, und da
mögen die Soldaten ähnlich geprahlt
haben. Das kommt vor. Aber in früheren
Kriegen ist es, glaube ich, nicht vorgekommen,
daß der oberste Kriegsherr
vorher gesagt hat: Pardon wird nicht gegeben.
(Sehr richtig!
links.) Das ist der
Grund, warum wir den Dingen jetzt viel mehr
nachgehen müssen als früher. Der
Herr Kriegsminister giebt zu, einzelne
Grausamkeiten könnten vorgekommen sein,
diese würden dann streng bestraft. Herr
v. Levetzow meint auch, das sei unvermeidlich,
daß hier und da Exzesse
stattfinden. Gewiß, das ist
unvermeidlich; aber darum handelt es sich gar
nicht. Es handelt sich nicht um den
Exzeß eines einzelnen Soldaten, es
handelt
sich um die Befehle der Oberen, die wehrlosen
Chinesen zu 60, 70, 100, 150 Mann
einige Stunden nach beendigtem Gefecht an die
Mauer zu stellen und niederschießen
oder mit dem Bajonnett erstechen zu lassen. (Hört!
hört! links.) Das ist ein
übereinstimmender Thatbestand, der von
den
verschiedensten Orten in diesen
Soldatenbriefen gemeldet wird. Meine Herren,
es
ist nicht der miles gloriosus, der so
schreibt. Wenn man diese Briefe ansieht,
findet man umgekehrt, daß die Leute
damit gar nicht prahlen (sehr
richtig!) sondern
Abscheu, Ekel, zum mindesten Mitleid
darüber zum
Ausdruck bringen (sehr gut!
links), daß sie
zu solchen Exekutionen kommandirt werden, und
je
eher je lieber wünschen, wie es in einem
Briefe heißt, „daß dieses
Schlachten
ein Ende haben möchte“. Es handelt sich
also gar nicht darum, hier eine
Sentimentalität zum Ausdruck zu bringen,
ein besonderes Zartgefühl; nein, es
handelt sich um die einfache Frage, solche
Massenexekutionen gegen Wehrlose zu
vermeiden. Nun hat der
Heer Kriegsminister verschiedene Bestimmungen
des Militärstrafgesetzbuches und des
Einführungsgesetzes dazu angeführt.
Gewiß,
niemand von uns leugnet, daß, wenn
ein Gegner
in bürgerlicher Kleidung ohne irgend ein
militärisches Abzeichen umhergeht und
plötzlich heimtückisch als Soldat
auftritt mit Waffengewalt, dies eine
verrätherische Handlung ist, und zu allen
Zeiten hat man sich dagegen
standrechtlich gewehrt. Dagegen können
wir nicht sprechen. Aber wir haben den
Eindruck, daß das, was jetzt in China
geschieht, weit darüber hinausgeht (sehr
richtig!), und daß
eben diese Massenexekutionen eine Folge sind
der
Parole, daß Pardon nicht gegeben wird.
Nun hat der Herr Kriegsminister der
Sache einen welthistorischen Hintergrund
gegeben (Heiterkeit
links), der eigentlich
alle Vorwürfe erst recht bestätigt,
die hier
gemacht worden sind. Er hat dieses
Niederschießen nicht
zurückgeführt auf
einzelne Paragraphen des
Militärstrafgesetzbuches, sondern er hat
gesagt: „Das
ist die Vergeltung der Weltgeschichte! (Heiterkeit.)
Die Mongolen
haben vor 1 1/2-Tausend Jahren so gegen uns
gehaust, — jetzt kommen wir und vergelten das
in Ostasien“. (Heiterkeit.)
Er hat gesagt:
„Gottes Mühlen mahlen langsam aber
sicher“. —
Die Gottheit wenigstens hätte ich bei
dieser Gelegenheit aus dem Spiel
gelassen. (Heiterkeit.
Sehr gut! links.) Attila
freilich, dem die Truppen nacheifern sollen,
erhielt
auch den Namen „Gottesgeißel“. Soll Graf
Waldersee die Gottesgeißel sein von
der andern Seite? (Heiterkeit
links.) Nun, was
würde aus der Welt werden, wenn man noch
nach
tausend Jahren rächen wollte, was
Völker untereinander verbrochen haben?
Dann
würde die ganze Welt mit Männermord
und Krieg fortgesetzt überzogen! (Sehr richtig!
links.) Meinen wir
denn nicht, meine Herren, daß seitdem
die Kultur
fortgeschritten ist? brüsten wir uns mit
einer besseren Kultur nur so weit, im
Verkehr mit solchen, die dieselbe Kultur
haben? Nein, wir schätzen sie um ihrer
selbst willen! Darum müssen wir diese
Kultur auch gegen solche Völkerschaften
bethätigen, die auf einer niedrigeren
Kulturstufe vielleicht stehen. — Meine
Herren, wenn einem hochgebildeten Offizier,
wie dem Herrn Kriegsminister, in
einer Rede eine solche Entgleisung passirt, so
kann ich nur daraus wiederum
schließen, wie schwer die Aufgabe ist,
die Verantwortung für diese Reden des
Kaisers zu übernehmen. (Sehr gut!
links.) Es hat in der
„Kreuzzeitung“ gestanden, was gestern auch
Herr Bebel betonte, daß, wenn Alles in
jenen Soldatenbriefen wahr wäre, auch
die Manneszucht der Soldaten darunter leiden
müßte. Ich bin auch der Meinung,
daß das auf die Dauer nicht abwendbar
ist, und mich tröstet nur das, daß
den
militärischen Operationen jetzt an sich
schon enge Grenzen gezogen sind, und
daß unsere Soldaten einen solchen Fonds
sittlichen Gefühls aus der deutschen
Erziehung mit hinübernehmen, daß
sie eine Zeit lang vor den schädlichen
Folgen,
als solche Exekutoren zu dienen, bewahrt
bleiben. (Sehr gut!
links.) Eine
Demoralisation der Truppen würde ich um
so mehr
bedauern, als ich vollständig die
Anerkennung der anderen Redner theile für
die
vorzügliche Haltung, für die
Tapferkeit, mit der insbesondere die
Mannschaften
der Schutzwache standgehalten, für die
Tapferkeit, mit der die Seesoldaten bei
der Erstürmung der Forts in Taku und in
den Gefechten in Tientsin und bei den
Zügen aus Peking sich gehalten haben. . .
(Bravo!
links.) Eines ist ja
interessant: der Herr Staatssekretär Graf
v.
Bülow — der Herr Reichskanzler!
Entschuldigen Sie, man muß sich erst
allmählich
hineinfinden — (Heiterkeit),
der Herr
Reichskanzler giebt sich, das erkenne ich bei
ihm
an, offenbar das Bemühen, das ist auch
gestern hervorgetreten, möglichst viel
Wasser in den Wein der Kaiserlichen Reden zu
schütten. (Sehr gut!
links, Heiterkeit.) Und was nun
dieses „es wird kein Pardon gegeben werden“
anbetrifft,
so ist es besonders interessant, daß der
Herr Reichskanzler selbst in seiner
Note von Mitte September hervorgehoben hat,
man erstrebe nur die Bestrafung der
Hauptanstifter und -übelthäter,
nicht aber der ausführenden Elemente;
denn
„Massenexekutionen widersprechen dem
zivilisirten Gewissen“. Damit hat er ein
Urtheil gesprochen über das Wort „es wird
kein Pardon gegeben“ und über die
Massenexekutionen, die gegenwärtig gegen
ausführende Elemente in China
stattfinden. Wir bemerken
ja auch sonst manchmal Widersprüche in
der
Haltung der Regierung in China. Zuerst ist in
der Septembernote, die ich eben
anführte, als Vorbedingung für den
Eintritt in den diplomatischen Verkehr mit
China bezeichnet worden die Auslieferung der
Hauptanstifter, deren Bestrafung dann
unsererseits übernommen werden soll. Dann
hat aber der Kaiser von China ein
Telegramm an unseren Kaiser gerichtet; dieses
Telegramm ist beantwortet worden
und hat jetzt wieder eine Antwort auf
chinesischer Seite hervorgerufen. Und so
sind wir trotz dieser Ankündigung alsbald
in einen sogar besonders feierlichen
diplomatischen Verkehr mit China eingetreten,
ohne daß irgend eine Auslieferung
bisher stattgefunden hat. Es war dem Kaiser
von China zugesagt worden, daß,
wenn er nach Peking zurückkehren
würde, er mit gebührenden Ehren
empfangen
werden würde. Ich glaube, der Graf
Waldersee wird nicht bedauern, daß ihm
das Schauspiel
erspart worden ist, seine Truppen vor dem
Kaiser von China das Gewehr
präsentiren zu lassen, die nach den
früheren Bestimmungen keinen Pardon geben
sollten.
Indessen,
meine Herren, ich tadle es ja gar nicht, wenn
die
Regierung mildere Saiten aufzieht; denn ich
wünsche vor allem nicht, daß sie
etwas aufrecht erhält, wenn es von den
anderen Mächten nicht unterstützt
wird. Unsere
Aufgabe kann in China nur sein, mit den
anderen Mächten in Reih und Glied zu
wirken; aber wenn das richtig ist, dann sollte
man doch nicht vorher urbi et orbi
Programme in Noten veröffentlichen, die
man nachher doch nicht aufrecht
erhalten kann. Meine Herren,
die Uebereinkunft der Gesandten aus den
letzten Wochen ist erwähnt worden. Der
Herr Reichskanzler hat gestern erwähnt,
er sei in der Lage, diese durch neuere
Telegramme zu ergänzen. Ich habe aus
seinen Ausführungen nichts entnommen, was
hinzugekommen wäre, es sei denn der
Passus, daß in Bezug auf die
Handelsverträge die Chinesen Aenderungen
vornehmen
müssen; leider ist nicht gesagt worden,
in welcher Richtung. Es ist also eine
allgemeine Klausel. Meine Herren, ich halte es
für unrichtig, an dieser
Uebereinkunft jetzt Kritik zu üben und
auszuführen, ob dieses Uebereinkommen
sich deckt mit dem, was man als Ziel der
Chinapolitik hingestellt hat; denn es
kann nicht meine Absicht sein, die Regierung
zu provoziren, vorzugehen in einer
Richtung, wo sie nicht unterstützt wird
von den übrigen Mächten; auf der
anderen Seite kann ich nicht diesen oder jenen
Punkt kritisiren, weil es auch
mir fern liegen muß, die Chinesen zu
ermuthigen, Widerstand diesem
Uebereinkommen entgegenzusetzen. Wie der
Chinamann denkt, weiß niemand, und das
Telegramm,
das diesen Morgen bekannt geworden ist, an
unseren Kaiser seitens des Kaisers von
China, ergeht sich wie alle solche
Kundgebungen, in schönen höflichen
Worten;
aber von dem, worauf es ankommt, enthält
es kaum etwas. Ich bin der
Meinung, daß dasjenige in China an
leichtesten
zu erreichen ist, dessen Ausführung die
verbündeten Mächte selbst in die
Hand
nehmen können. Das bezieht sich einmal
auf die Schleifung befestigter Orte dann
auch auf das Verbot der Waffeneinfuhr oder,
was ziemlich dasselbe ist, das
Verbot der Waffenausfuhr für die
Mächte. Meine Herren, es hat eine Zeit
gegeben, da wurde das Stichwort kolportirt:
„Völker Europas, vereinigt euch,
wahret eure heiligsten Güter!“ unter
Hinweis auf die gelbe Rasse; durch Bilder
wurde es auch besonders anschaulich gemacht.
Dann haben sich die Völker Europas
vereinigt, um der gelben Rasse die besten
Waffen zu liefern, sie mit
Instruktoren zu versehen, damit sie sich gegen
die Völker Europas möglichst
kräftig wehren, und allen voran ist
Deutschland in diesem Punkte gegangen.
Unsere Truppen haben in der Forts von Taku den
erheblichsten Widerstand
gefunden, weil diese Forts nach den
Vorschlägen deutscher Offiziere zuletzt
eingerichtet worden sind; die Geschütze
auf diesen Forts stammen aus den Kruppschen
Werkstätten, und es macht einen
eigenthümlichen Eindruck, wenn der
tapfere
Kapitän des "Iltis", Herr Lans, in einem
seiner ersten Briefe in die
Heimat schreibt: 17 Volltreffer
an Granaten (12—24 Zentimeter Kaliber) haben
wir bekommen, von denen die bei weitem
größere Zahl im Schiff krepirt ist
und
hier leider so viele meiner braven Leute
getödtet oder verwundet hat. Und
welcher Hohn! alle feindlichen Geschütze
und Geschosse kommen aus unserer
Heimat; es sind alles moderne
Schnellladekanonen von Krupp. (Hört!
hört! links.) I Das
internationale Uebereinkommen mit England ist
mehrfach
erwähnt worden. Ich weiß eigentlich
nicht, wozu dieses Uebereinkommen getroffen
ist; denn es enthält nur das, von dem man
annimmt, daß schon bisher alle
Mächte
darin übereinstimmten. Indessen muß
ich gestehen, mir ist es lieber,
Deutschland in Ostasien an der Seite Englands
zu sehen, als in dem sogenannten
ostasiatischen Dreibund mit Rußland und
Frankreich. Meines Erachtens war es der
erste Fehler in der Chinapolitik (sehr richtig!
links), dessen
Begründung ich niemals verstanden habe,
daß man sich
mit Rußland und Frankreich verband, um
den Japanern in die Arme zu fallen. Denn
wenn es unsere Aufgabe ist, uns zu vereinigen
gegen die gelbe Gefahr, haben wir
dann ein Interesse, uns einzumischen, wenn die
gelbe Rasse unter einander sich
bekriegt? Und was hatten wir für ein
Interesse, den Japanern in die Arme zu
fallen, die man mit Recht als die
Preußen Ostasiens bezeichnet, die sich
dem
Verkehr der modernen Kultur überraschend
rasch erschlossen haben? Jeder Japaner
kauft uns jährlich für eine
Mark ab, der
Chinese dagegen durchschnittlich nur für
10 Pfennig. — Freilich sollen wir uns
auch hüten, Vorspann zu leisten den
englischen Interessen, die dort ganz andere
und weitergehende sind als unsere. Wir haben
meines Erachtens überhaupt bei
konkurrirenden Interessen europäischer
Mächte dort keine andere Aufgabe, als
uns möglichst neutral zu verhalten und
nur das eigenste Interesse zu wahren. Zu
England zieht uns aber, daß England in
der That bis jetzt die Politik der
offenen Thüre dort ehrlich innegehalten
hat, während bei Rußland das
Bestreben
mehr hervortritt, sich wirthschaftlich
abzuschließen. Es ist in dieser
Uebereinkunft auch Verwahrung eingelegt worden
gegen einen weiteren Landerwerb.
Ganz meine Ansicht! Es ist aber
hinzugefügt worden, daß, wenn
gleichwohl ein
Staat den Anfang machen sollte mit weiterem
Landerwerb, dann alle übrigen
Staaten von dieser Verpflichtung der
Enthaltsamkeit entbunden sind. Die
Ausführungen des Herrn Reichskanzlers
haben das gestern ziemlich scharf
pointirt, daß im gegebenen Falle auch
Deutschland mit weiterem Landerwerb
vorgehen könnte. Ich bin dieser Meinung
nicht; ich bin der Meinung, der Platz
an der Sonne ist schon heiß genug
für uns in Kiautschou, daß wir gar
keine
Neigung empfinden können, das Territorium
oder die Interessensphäre nach irgend
einer Richtung zu erweitern. Der Herr
Kollege Bassermann hat aus einer Rede von mir
eine
Stelle verlesen, in der ich ausführte,
ich sähe die Erwerbung in Kiautschou
günstiger an als andere
kolonialpolitische Erwerbungen. Das Zitat ist
durchaus
richtig; aber ich bekenne ebenso offen,
daß nach den seither gemachten
Erfahrungen — und wir können doch in
ostasiatischen Dingen noch immer klüger
werden — ich jetzt diese Erwerbung viel
weniger günstig ansehe, als es damals
der Fall war. Der Herr Reichskanzler meinte
nun, nur von deutschfeindlicher
Seite im Auslande sei verbreitet worden,
daß die Erwerbung von Kiautschou in
einem Zusammenhang stände mit den
gegenwärtigen Wirren in China. Das ist
durchaus nicht der Fall. Schon der Herr
Abgeordnete Bebel hat daraus hingewiesen,
daß zuerst dieser Zusammenhang betont
worden ist von dem Bischof Anzer, dem
Bischof in der Provinz Schantung, demjenigen
Bischof, der bei der Erwerbung von
Kiautschou der deutschen Regierung mit seinem
Rath zur Seite gestanden hat, der
damals hier in Berlin vom Kaiser empfangen
wurde, und der offenbar auf diese
Erwerbung einen großen Einfluß
ausgeübt hat. Dieser Bischof hat, bevor
die
jetzigen Wirren entstanden, also ganz
unbefangen, bereits Anfang dieses Jahres
in einem Neujahrsgruße, der in der
„Kölnischen Volkszeitung“
veröffentlicht
wurde, auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Er
hat gesagt, planmäßig und
allgemein unter dem Schutze der Beamten sind
die Verfolgungen der Missionare
erst geworden nach der Besetzung von
Kiautschou, die für den chinesischen
Nationalstolz eine tief schmerzliche Wunde
war. Nachdem die erste Verblüffung
über die erste Besetzung gewichen war,
hat sich die Mißstimmung und
Feindseligkeit gegen alle Ausländer
geltend gemacht, die für den
Durchschnittschinesen ein solidarisches Ganzes
sind, „die fremden Teufel“. Er
führt weiter aus, auch Li-Hung-Tschang
habe dem Bischof Anzer erklärt, daß
er
sich gar nicht wundere, daß in
Südschantung Alles drüber und
drunter ginge. Der
Bischof Anzer berichtete damals, daß ein
patriotischer Geheimbund gebildet
wurde, der Bund der Schwarzen, der unter der
Devise: „Tod den Fremden, Schutz
der Dynastie!“ sich die Vernichtung alles
fremden Wesens, zunächst des
Christenthums, zur Ausgabe macht. Er berichtet
dann weiter, daß der Gouverneur
von Schantung die Kaiserin habe überreden
wollen, Deutschland den Krieg zu
erklären, und als sie es abgelehnt habe,
habe sich sein ganzer Ingrimm gegen
die Missionare gewendet, und in der Sekte der
großen Messer, das sind also die
Boxer, fand er willfährige Hilfstruppen.
So ist die Entwickelung damals
vorausgesagt worden von einer Seite, die als
nichts weniger als deutschfeindlich
zu betrachten ist, und genau in derselben
Weise hat sich auf
evangelisch-geistlicher Seite auf der
Kreissynode in Hamm der aus China
zurückgekehrte Missionar Mans
geäußert. Die Erwerbung
von Kiautschou kostet uns gegenwärtig
mehr,
als der deutsche Handel und die deutsche
Industrie in der gesamten Ausfuhr nach
China verdienen (hört!
hört! links), und nun kommen
diese 153 Millionen dazu. Man sagt, sie
werden aus der Kriegsentschädigung
gedeckt werden. Die Botschaft hör ich,
aber einstweilen fehlt mir noch der
Glaube (sehr richtig!
links), und ich
muß sagen: werden sie gedeckt durch
Erhöhung der
chinesischen Zölle, so ist dies geeignet,
den Handelsverkehr mit China zu
erschweren und zu verteuern, denselben
Handelsverkehr, dessen Erweiterung wir
doch erhoffen. Aber es sind diese 153
Millionen Mark nicht allein; die Kosten
für den Rücktransport — 30 Millionen
— sind nicht eingeschlossen. Ich meine,
zum mindesten sollte man doch, um die
Kriegskosten zu vermindern, die maritimen
Streitkräfte dort vermindern, die
thatsächlich keinen besonderen Zweck
haben,
abgesehen von einigen kleinen Schiffen. Dazu
kommt, daß bei Aufnahme großer
Anleihen die Geldverhältnisse in
Deutschland außerordentlich schwierig
sich
gestaltet haben wegen der großen
Ansprüche, die die Industrie und die
Kommunen
an die Ersparnisse im Volkshaushalt
gegenwärtig stellen. Der Herr Abgeordnete
Bassermann hat die Begebung einer Anleihe von
80 Millionen in Amerika getadelt.
In diesem Punkte stehe ich nun ganz auf dem
Standpunkt der Regierung. Ich behalte
mir aber vor, darüber demnächst bei
der Etatsdebatte zu sprechen. Ich bin der
Meinung, daß dadurch eine
größere Geldklemme verhindert
worden ist, als sie
sonst in Deutschland eingetreten wäre.
Aber bedenklich muß uns doch im hohen
Maße
die Zunahme des Anleihebedarfs machen. 30
Millionen Restkredite sind noch aus
dem 1899er Anleihekredit vorhanden. Dazu
kommen die 80 Millionen aus dem Etat
von 1900, die 153 Millionen für China,
sodaß für die Bedürfnisse bis
zum ersten
April noch 263 Millionen Anleihen aufzubringen
sind. (Hört!
hört! links.) Dazu kommen 97
Millionen, die der neue Etat für 1901 in
Aussicht nimmt; das sind 360 Millionen. Wenn
nun China nach dem 1. April auch
noch Summen kostet, 100 Millionen oder mehr,
dann ist die halbe Milliarde
fertig, um die die Reichsschulden in zwei
Jahren erhöht worden sind. Darüber
wollen
wir indeß bei der Etatsberathung
näher sprechen und auch über die
wichtige
Frage, ob es richtig ist, diese Kosten alle
durch Anleihen zu decken, und ob
nicht die Einzelstaaten in den
Matrikularbeiträgen viel stärker
heranzuziehen
sind anläßlich der
Ueberschüsse, die gerade die
Einzelstaaten gegenwärtig haben.
Was nun die
staatsrechtliche Seite anbetrifft, meine
Herren,
so liegt allerdings — und das ist von allen
Seiten anerkannt worden — ein
flagranter Verfassungsbruch vor. (Lebhafte
Zustimmung links.) Der Herr
Abgeordnete Lieber sagt: "und das bietet man
diesem Reichstage!" — indem er hinwies auf die
Militärgesetze, auf die
Flottengesetze, die „dieser Reichstag“
bewilligte. Ja, meine Herren, ich habe
die Ansicht, daß gerade diese
Bewilligungen dazu verführt haben, dem
Reichstage
so etwas zu bieten. (Lebhafte
Zustimmung links.) Die Regierung
ist eben dadurch der Nothwendigkeit enthoben
worden, auf eine gute Stimmung in diesem
Reichstage bedacht zu sein. Es müssen
ihr jetzt nach dem Quinquennatsgesetz neue
Truppentheile bewilligt werden, wenn
sie sie verlangt; es müssen nach dem
Flottengesetze neue Schiffe gebaut werden;
das alles ist festgelegt, das
Geldbewilligungsrecht ist eingeschränkt.
Kann man
sich da wundern, daß die Regierung nun
glaubt, wenig Rücksichten auf einen
solchen Reichstag nehmen zu müssen, der
sich selbst in dieser Weise zu ihren
Gunsten die Hände gebunden hat? Ich
glaube, daß jetzt auch weitere Kreise
ein
besseres Verständniß dafür
bekommen,
warum wir stets so zäh gegen jede
Einschränkung des
Geldbewilligungsrechts uns gestellt haben. (Sehr richtig!
links.) Denn in der
That ist dieses Geldbewilligungsrecht der
Angelpunkt des Konstitutionalismus (sehr richtig!
links), und alles ist
vergeblich, wenn man dieses
Geldbewilligungsrecht
abschwächen läßt. Wer ist nun
verantwortlich? — Meine Herren, dagegen
muß ich
mich verwahren, daß man den guten alten
Hohenlohe (Heiterkeit) allein in
dieser Weise verantwortlich macht für die
Nichteinberufung des Reichstags. (Sehr gut! und
große Heiterkeit.) Formell ist
das ja alles richtig, formell ist er allein
verantwortlich:
er war der Reichskanzler. Aber zu keiner Zeit
hat man den Kopf des
Reichskanzlers weniger wahrgenommen, als
gerade in diesen Monaten, auf die es ankommt.
(Sehr gut! und
Heiterkeit links.) Darum
muß ich doch sagen: man soll ihn nicht
jetzt wie einen
Sündenbock dafür in die Wüste
schicken. (Heiterkeit.)
Der Herr
Abgeordnete Lieber hat die Ritterlichkeit des
Herrn
Grafen Bülow gelobt, mit der er für
den früheren Reichskanzler eingetreten
sei.
Meine Herren, der Herr Graf Bülow war
thatsächlich in diesem Sommer der
eigentlich leitende Staatsmann (sehr richtig!
links), gerade in
dieser Frage, und ich habe keinen Augenblick
Zweifel, daß, wenn der Herr Graf
Bülow mit dem nöthigen Nachdruck
erklärt
hätte: meine auswärtige Politik wird
geschädigt durch die Nichteinberufung des
Reichstags, — der gute alte Fürst
Hohenlohe keinen Augenblick gezweifelt haben
würde, daß der Reichstag
einzuberufen sei. (Sehr gut! und
Heiterkeit links.) An diesem
Nachdruck haben Sie es selbst fehlen lassen,
Herr
Graf v. Bülow; Sie haben in der Beziehung
nicht die nöthige Energie entwickelt,
und die Ritterlichkeit jetzt kann ich deshalb
nicht als so besonders
lobenswerth bezeichnen. (Heiterkeit.)
Man sagt — das
flüstert man sich so aus der
Wilhelmstraße zu
—, der Graf Bülow habe gewollt, aber der
Graf Posadowsky habe nicht gewollt,
und er sei doch der eigentliche Ressortchef in
Reichstagsfragen. Andere sagen
wieder, der Herr v. Tirpitz habe gewollt, aber
Herr Graf Bülow habe nicht
gewollt. Ich lasse mich darauf nicht ein. Sie
sind allzumal Sünder (große
andauernde Heiterkeit) und ermangeln
der Gerechtigkeit. Meine Herren, wenn Sie
einig mit dem nöthigen Nachdruck darauf
bestanden hätten, so ist mir gar kein
Zweifel, daß die Berufung des Reichstags
zur rechten Zeit stattgefunden hätte.
Der Herr Graf Bülow ist doch für die
Thronrede verantwortlich, und in der
Thronrede sucht man doch nach Gründen, um
jene Nichteinberufung zu
entschuldigen, Gründen, die der Herr
Abgeordnete Lieber mit Recht als durchaus
fadenscheinige bezeichnet hat. Gewiß,
meine Herren, ohne Zögern mußte man
die
militärischen Machtmittel aufbieten. Man
kann ja darüber streiten, ob Anfang
Juli schon die Einberufung des Reichstags
richtig war; aber in der zweiten
Hälfte des Juli, als der Herr Graf
Bülow schon den einzelnen
Bundesregierungen
in der bekannten Zirkularnote ein
vollständiges Programm vorlegte, war die
Einberufung des Reichstags ebenso am Platz,
wie man zu jener Zeit den
Bundesrath einberufen und ihm Mittheilung
gemacht hat. Da war der
Nachrichtendienst so weit fortgeschritten, um
ein Programm in diesem Zirkular
zu entwickeln; das hätte auch für
den Reichstag ausgereicht. Der Reichstag
hätte — das ist mir gar nicht zweifelhaft
— die ersten Expeditionen bewilligt;
ob er, wenn er später für den
Nachschub Ende August berufen wäre, mit
derselben
Bereitwilligkeit für die Verstärkung
gestimmt hätte, darüber kann man
eher
zweifelhaft sein. Es ist von
allen Seiten verurtheilt worden, wie man jetzt
die Verantwortlichkeit hinter dem Kalkulator
zu verstecken sucht; ich brauche
meinerseits da nichts hinzuzufügen. Meine
Herren, darauf aber muß ich
hinweisen, daß hier nicht, wie sonst bei
außeretatsmäßigen Ausgaben,
bloß
Ausgaben in der Gegenwart geleistet sind;
nein, man hat auch Engagements
übernommen für die Zukunft, die
über dieses Jahr hinausreichen: man hat
Pensionsansprüche zuerkannt,
Versorgungsansprüche für
Hinterbliebene, für
Familienangehörige u. s. w. Wir haben
nach allen diesen Richtungen Gesetze, Gesetze
für den Kriegszustand und für den
Friedenszustand; man hat die Gesetze nicht
für ausreichend angesehen, hat im
Verordnungswege weitere Bestimmungen
getroffen,
weitere Anwartschaften gegeben. Es mag dies
materiell richtig gewesen sein;
aber, meine Herren, das hätte doch auch
nur mit Zustimmung des Reichstags
geschehen dürfen. Daß man sich in
diesem ostasiatischen Fall über alle
einschlagenden
Bestimmungen hinwegsetzt, daß man
darüber kein Wort verloren hat, weder in
der
Denkschrift noch auch in dem Gesetzentwurf,
das zeigt mir, wie kavaliermäßig
die ganze Sache bis zu diesem Augenblick
behandelt worden ist. (Sehr richtig!
links.) Und weiter, es
ist gerügt worden die Bildung der neuen
Truppentheile. Es ist gesagt worden von Seiten
des Herrn Reichskanzlers, sie
müßten durch Gesetz nachher
bestätigt werden, wenn man sie
beibehalten will.
Na, denken Sie im Ernst schon an die Bildung
einer Kolonialarmee? (Zuruf links.) —Das kann man
doch kaum annehmen; gerade die jetzigen
Erfahrungen beweisen das Ueberflüssige.
Ich schließe mich den Herren an, die
dem Kriegsministerium Lob und Anerkennung
gezollt haben für die Promptheit und
Energie, mit der diese Vorbereitungen
getroffen waren für einen Fall, der gar
nicht vorgesehen war; und wenn das
möglich war, eine solche Truppe in so
kurzer
Zeit für einen solchen Ausnahmefall
zusammenzustellen, der vielleicht in einem
Jahrhundert erst wiederkehrt, wozu braucht man
dann eine ständige
Kolonialarmee? (Sehr richtig!
links.) Es handelt
sich aber nicht allein um Truppentheile. Sie
sind
ja auch so weit gegangen, neue Stellen dauernd
zu verleihen. Wenn Krieg
ausbricht, dann avanciren auch die Offiziere
und Beamten vielfach in höhere
Stellen hinauf; aber es geschieht unter dem
Vorbehalt, daß die Kompetenz der
höheren Stellung nur gilt für den
Kriegszustand, und daß mit der
Wiederherstellung des Friedens der Betreffende
in seine Friedensstellung wieder
zurückkehrt. Von einem solchen Vorbehalt
haben wir hier nichts gehört; es hat
also thatsächlich über die
China-Expedition hinaus eine Vermehrung des
Offizier-
und Beamtenkorps mit dauernden Folgen
stattgefunden. Nun hat der
Herr Reichskanzler erklärt, er habe
nichts
dagegen, wenn man in diesem Gesetzentwurf die
Indemnität zum Ausdruck brächte.
Ja, meine Herren, warum haben Sie denn das
nicht selbst von vornherein gethan?
Warum geschieht das so beiläufig in einer
persönlichen Erklärung? Konnte das
denn nicht im Gesetzentwurf selbst der Fall
sein? Konnte nicht wenigstens in
der Thronrede diese Erklärung in einer
besonders feierlichen Weise schon
abgegeben werden? Indemnität, act of
indemnity, Amnestieakt, Erklärung der
Schadloshaltung, des Verzichts auf Strafe: der
Ausdruck hat sich bei uns
eingebürgert. Ich bin weit
entfernt, die moralische Bedeutung zu
unterschätzen, die es hat, wenn eine
solche Erklärung, eine solche Formulirung
in das Gesetz aufgenommen wird. Aber, meine
Herren, wie die Dinge bei uns sind:
wenn die Indemnität nicht ertheilt wird,
ist es auch noch so. Dann hat der
Reichstag keine praktische Handhabe, um
Verfassungswidrigkeiten zu ahnden,
einen Schadensersatz, eine Bestrafung
herbeizuführen. Ich bin darum der
Meinung, daß eigentlich noch viel
wichtiger als die Sühne für die
Vergangenheit
die Vorkehrung sein muß, daß nicht
solche Dinge in Zukunft sich wiederholen. (Sehr richtig!
links.) Man sagt ja:
man deckt den Brunnen zu, wenn das Kind
hineingefallen ist; ja, das wenigstens
müßte man auch hier nach allen
Richtungen vorsehen. Es
heißt, man müsse dem Herrn
Reichskanzler Vertrauen
entgegenbringen. Ja, die Erklärungen des
Herrn Reichskanzlers waren nicht so
sehr vertrauenerweckend. Er sagte: „wenn
angängig und wenn möglich“, dann
werde
er künftig die Genehmigung der Ausgaben
vorher nachsuchen. Wenn angängig! — was
kann darunter nicht alles verstanden werden!
Und überdies, meine Herren, der
Reichskanzler und die Minister, die sind wie
die Blumen auf dem Felde: wenn der
Wind darüber weht, dann sind sie nicht
mehr da, und ihre Stätte kennet man
nicht mehr. (Große
Heiterkeit.) Wir wollen die
Sicherheit haben nicht in den Personen,
sondern in den Institutionen (sehr richtig!
links), in
Institutionen, die dauernd sind, und die nicht
ohne
unsere Zustimmung verändert werden
können. Meine Herren,
die Verantwortlichkeit der Minister ist eine
Frage, die unmittelbar an diese Vorgänge
anknüpft. Die Verantwortlichkeit, soll
sie zur Wahrheit werden, setzt aber
zunächst andere Organisationen, andere
Zustände in der Regierung selbst voraus.
Ich habe schon ausgeführt, daß die
Verantwortlichkeit erheischt, daß der
Monarch keine programmatischen Kundgebungen
erläßt in der Oeffentlichkeit, ohne
sich vorher mit den verantwortlichen Herren
Ministern darüber verständigt zu
haben. Meine Herren, weiterhin setzt die
Verantwortlichkeit der Minister voraus,
daß der Monarch sich verständigt
nicht
mit einem einzelnen Ressortchef, sondern mit
dem Reichskanzler selbst, solange
er die volle politische Verantwortlichkeit
hat. Das ist bisher auch vielfach
bei Seite gesetzt worden. Wir haben es erlebt,
daß der Monarch sich allein mit
dem Marineminister oder allein mit dem
preußischen Kriegsminister, der nicht
einmal Reichsminister ist, vorher
verständigte über große
Maßnahmen, und dann
erst die Sache an den Reichskanzler als eine
Thatsache kam, über welche der
Ressortchef und der Monarch sich bereits
verständigt hatten. Das ist ein
Zustand, der sich meines Erachtens mit einer
wirklichen Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers auch nicht vereinigen
läßt. Mir ist es häufig so
vorgekommen,
als ob der Fürst Hohenlohe, der bisherige
Reichskanzler, nur die Stellung hatte
etwa eines verantwortlichen Redakteurs einer
Zeitung, der die Zeitung erst zu
Gesicht bekommt, nachdem sie schon gedruckt
ist. (Heiterkeit
und sehr richtig! links.) Und, meine
Herren, eigentlich die trübseligste
Erscheinung
in den gegenwärtigen Zuständen, das
ist die Stellung des Schatzsekretärs.
Eine
solche schattenhafte Existenz! (Heiterkeit.)
Der Herr hat
nur auszurechnen, was die Anderen ausgeben,
und
dann seinen Rath zu ertheilen, wie die Mittel
aufgebracht werden. Der
Abgeordnete v. Bennigsen. hat seiner Zeit
wiederholt mit großer Schärfe
darauf hingewiesen,
daß eine derartige Stellung, wie sie
jetzt vorhanden ist, nicht zu vereinbaren
ist mit den großen Finanzinteressen, die
im Reiche vorhanden sind. Man braucht
ja nicht daran zu denken, daß nun der
Schatzsekretär im Reiche so etwa eine
Stellung bekommen soll, wie Herr v. Miquel in
Preußen, der ja thatsächlich der
Ministerpräsident ist, und Herr Graf v.
Bülow wird allerdings noch manche
Arbeit haben, um mit dem bisher
thatsächlichen Ministerpräsidenten
als
wirklicher Ministerpräsident auszukommen.
(Heiterkeit.)
Man kann sich
ja auch denken, daß der Reichskanzler
eine
andere, höhere Stellung bekommt in dem
Kollegium als der preußische
Ministerpräsident, etwa nach englischem
Muster. Aber, meine Herren, die Bildung
eines kollegialischen Ministeriums ist mehr
als je eine Nothwendigkeit. Man hat
ja einen gewissen Ansatz dazu gemacht; es sind
Konferenzen eingeführt worden,
an denen nicht bloß der Reichskanzler,
sondern mehrere Staatssekretäre und
preußische Minister theilnehmen. Meine
Herren, warum wollen Sie denn das nicht
weiter durchführen? Man sagt, daß
der Bundesrath dagegen ist. Ach, der
Bundesrath! (Heiterkeit.)
Der Bundesrath
hat so wenig zu sagen, er ist
thatsächlich so
heruntergedrückt, daß es mit ihm
gar nicht schlechter werden kann, als es ist,
wie man auch immer die Verfassung gestalte. —
(Sehr richtig!
und Heiterkeit links.) Jetzt
vereinbart der Monarch mit einem Ressortchef
im Reich
eine große organische Neuerung, und dann
sehen die Bundesfürsten und
Bundesregierungen
sich vor eine vollendete Thatsache gestellt,
an der sie nichts ändern können,
ohne sich direkt mit der Autorität des
Kaisers in Widerspruch zu setzen. Also
ich meine, die Herren müßten sich
selbst derartigen Reformen geneigter zeigen,
als es bisher bekannt geworden ist. Aber, meine
Herren, es reicht ja nicht aus, daß
innerhalb
der Regierung die Verantwortlichkeit mehr
gestärkt wird, mehr gestützt wird
nach oben; es muß auch die
Verantwortlichkelt zur Wahrheit gemacht werden
können dem Reichstage gegenüber, und
zwar dadurch, daß der Reichstag ein
Klagerecht erhält vor einem obersten
Gericht, mindestens im Fall einer
Verfassungsverletzung. Ein solches Klagerecht
ist ja in der preußischen
Verfassung ausdrücklich vorgesehen
für jedes Haus des Landtags. Es ist
vorgesehen, daß Schadenersatz geleistet
wird, Strafe verhängt wird, es fehlt
nur noch das Ausführungsgesetz, und
deshalb ist hier die Verfassung nicht zur
Wahrheit geworden. Im Reich hat man ja auch
einen Anlauf in dieser Richtung
genommen, und zwar gerade im ersten Jahr, im
Jahre 1867. Als damals ein Gesetz
über die Schuldenverwaltung vorgelegt
wurde, fügte der Reichstag einen
Paragraphen ein, der ihm ein Klagerecht
gewährte vor dem Gericht, im Falle die
Schuldenverwaltung sich Gesetzwidrigkeiten zu
Schulden kommen ließe. Ein
solches Klagerecht wäre z. B. sehr
angebracht, wenn Mittel, die zu anderen
Zwecken bewilligt worden sind, wenn Anleihen
—— wie hier jetzt im Chinafalle —
verwendet werden zu anderen Zwecken, und es
dadurch möglich wird, von der
Einberufung des Reichstags abzusehen. Meine
Herren, und wessen Name steht an
erster Stelle des damaligen Antrages aus dem
Jahre 1867? Der Name des Herrn von
Miquel! (Heiterkeit.)
Man kann doch
nicht annehmen, .daß er auch dies zu
seinen
Jugendthorheiten rechnet; denn in jener Zeit
stand er schon im vierzigsten
Lebensjahr und hatte also das Schwabenalter
erreicht. (Heiterkeit.)
Die
Durchführung der
Ministerverantwortlichkeit ist aber eine
Nothwendigkeit jetzt mehr als je. Leugnen
wir doch nicht: ganz abgesehen von den
gegenwärtigen Ministern, — es geht ein
absolutistischer Zug durch das Reich. Das
tritt bald an dieser, bald an jener
Stelle zu Tage, bald im Großen, bald im
Kleinen hervor. Man sieht den Reichstag
als nothwendiges Uebel an, das man sich
gefallen lassen muß, dessen Wirksamkeit
aber, sowie es irgend angeht, man
möglichst einschränkt. Gerade
gegenwärtig ist
die Frage der Ministerverantwortlichkeit eine
besonders dringende aus dem
Grunde, weil der auswärtigen Politik,
welche naturgemäß einen viel
freieren
Spielraum der Regierung giebt als irgend ein
anderer Zweig, jetzt Ziele
gesteckt werden, die unter Umständen
verhängnißvoll werden können
für das Volk
und für das Land. (Sehr richtig!
links.) Die Worte
"Weltpolitik", "Weltreich",
" Weltherrschaft" sind in den letzten Monaten
im Anschluß an die
Chinaereignisse noch mehr hervorgetreten in
hohem Munde, als es bisher der Fall
gewesen; ja, wir haben es schon erlebt,
daß, wie mir berichtet wird, bei der
Eröffnung des Reichstags in der Domkirche
der Hofprediger Ohly gesagt hat, daß
wir jetzt in eine neue Epoche der
Weltgeschichte eingetreten sind (hört!
hört! links), in eine Zeit
der Welteroberung: das deutsche Wesen
müsse
sieghaft die Welt durchdringen, die Welt solle
am deutschen Wesen genesen. Wenn
ein Hofprediger so spricht, so weiß er
nach der Art dieser Herren, daß er damit
Gesinnungen und Stimmungen entspricht, die an
höherer Stelle vorwalten. (Sehr richtig!
links.) Der Herr
Reichskanzler sagte gestern: die Hohenzollern
werden keine Bonapartes sein. Nun, aber jener
Satz in der bekannten Rede, daß
jenseits des Ozeans keine Entscheidungen in
einer wichtigen Angelegenheit
getroffen werden dürfen ohne den
Deutschen Kaiser, hat einen Inhalt, der meines
Wissens selbst von keinem Bonaparte jemals in
dieser Weise ausgesprochen ist. (Sehr gut!
links.) In Verbindung
damit achten Sie darauf, daß
gleichzeitig erklärt
wurde: jetzt wird ein neuer Markstein in der
Geschichte Deutschlands gesetzt.
Also eine Abweichung von der bisherigen
Richtung der Politik wird angekündigt!
Der Herr Reichskanzler sagte gestern: die
Lehren in der deutschen Geschichte
sind nicht ohne Nutzen gewesen, um von solchen
Wegen abzurathen. Mag sein: in
der deutschen Geschichte; aber aus der
römischen Geschichte — so weit scheint
man im Studium nicht gekommen zu sein, da hat
man die Lehren nicht gezogen. (Heiterkeit
links.) Man hat ja
gerade auf das römische Reich als Vorbild
exemplifizirt
bei der Limesfeier auf der Saalburg am 11.
Oktober. Da wurde ausdrücklich
gesagt: unserem Volke möge in Zukunft
beschieden sein, so maßgebend zu werden,
wie es einst das römische Weltreich war,
dessen Imperator der Welt seinen
Willen aufzwang. (Hört!
hört! links.) Nun, die
Saalburg war kein besonders geeigneter Ort
für
einen solchen Ausspruch; denn der Limes wurde
zur Vertheidigung gezogen, als
die Eroberungskraft des römischen Reichs
aufgehört hatte. (Sehr gut!
links.) Bald wurde der
Grenzwall von den Germanen überschwemmt,
und
das römische Reich stürzte nach
nicht langer Zeit elend zusammen. Ich meine
aber auch, daß die Erfahrungen des
letzten Jahres gerade geeignet sind,
diejenigen, welche noch Phantasien
nachgegangen sind über Weltreich und
Weltherrschaft, zu ernüchtern. Was haben
denn die Engländer mit ihrem
Imperialismus
für Erfahrungen gemacht? Zwei Milliarden
hat ihnen der südafrikanische Krieg
gekostet
und 40 000 ihrer besten Truppen! Und was haben
sie erreicht? Sie haben sich nur
ein neues Irland da unten geschaffen, noch
schwieriger zu behandeln als das
europäische
Irland! Und was haben die Amerikaner auf den
Philippinen erreicht? Trotz einer
ständigen großen Armee, trotz
großer finanzieller Aufwendungen
können sie dort
keinen dauernden Friedenszustand schaffen.
Handel und Wandel sind gegenwärtig
in Deutschland in einer rückläufigen
Konjunktur begriffen. — (Sehr richtig!
links.) Darüber
kann doch kein Zweifel sein, daß dazu
beigetragen
haben der südafrikanische Krieg und die
Chinawirren. (Sehr richtig!
links.) Spricht man
mit Leuten aus den Erwerbskreisen, so
hört man:
ach, wenn doch diese Kriege endlich zu Ende
wären, wenn man zu einem leidlichen
Friedensschlusse käme! In jenen Kreisen
herrscht nicht die mindeste Sehnsucht,
nicht die mindeste Neigung zu neuen
überseeischen Verwickelungen, namentlich
nicht nach solchen, an denen Deutschland in
ersterer Reihe betheiligt wäre.
Darum, meine Herren, die Zukunft Deutschlands
liegt wahrhaftig nicht auf dem
Wasser, die Zukunft Deutschlands liegt im
Lande selbst (sehr richtig!
links) und da bieten
sich so viel schwierige und große
Ausgaben für
die Regierungen dar, deren Lösung weit
fruchtbringender ist und viel dankbarer
empfunden wird als alle überseeischen
Probleme in Ostasien oder sonst wo. (Lebhafter
Beifall links.)