Eugen Richter
1838-1906







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Eugen Richter zur Hunnenrede Wilhelms II.
 


Reichstag, 20. November 1900




Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.

Richter, Abgeordneter:

Meine Herren, ich will nicht nach dem Vorgang des Herrn Kollegen Bassermann diese Debatte zu einer allgemeinen Sozialistendebatte erweitern. Ich meine, die Regierungspolitik muß nothwendig im Mittelpunkte dieser Diskussion stehen bleiben. Es ist daher  meines Erachtens auch nicht angezeigt, das, was von sozialistischer Seite außerhalb des Hauses geschrieben oder gesprochen ist, in diese Debatte hineinzuziehen.

(Zuruf rechts.)

Ich stehe nicht allen Ausführungen des Abgeordneten Bebel so abfällig gegenüber wie der Herr Abgeordnete Bassermann; aber ich will von vornherein klar betonen, daß meine Grundanschauung in der Sache eine durchaus andere ist. Wir sind der Meinung, daß es eine unbedingte Nothwendigkeit war, in dem Augenblick, wo die Ermordung des deutschen Gesandten, die Belagerung der Gesandtschaft und der Fremden in Peking bekannt wurde, eine militärische Machtentfaltung vorzunehmen. Keine Regierung, wie sie auch zusammengesetzt sein mag, konnte sich dieser Nothwendigkeit entziehen.

(Sehr richtig!)

Es war deshalb angebracht, ohne Zögern ein militärisches Aufgebot zu machen zum Entsatz von Peking und der darin Bedrohten. Es hat deshalb auch keinen Zweck, angesichts dieser Nothwendigkeit zu untersuchen, welche Mißgriffe deutscherseits vorher etwa vorgekommen sind. Die Anerkennung der Nothwendigkeit einer militärischen Machtentfaltung schließt noch keine Anerkennung aller Maßnahmen der Chinapolitik der Regierung in sich, die vor jener Situation gelegen haben oder die nachher gefolgt sind.

(Sehr richtig! links.)

Ich bin also der Meinung, daß die Aufbietung der Seebrigade, wie man sie genannt hat, durchaus nothwendig war, auch die Bildung der ostasiatischen Brigade oder der ostasiatischen Division, zu der sie sich nachher erweitert hat. Da aber der Herr Abgeordnete Bassermann die Sprache gebracht hat auf die Entsendung der Division von Panzerlinienschiffen, so muß ich hier hervorheben, daß ich diese Nothwendigkeit nicht in dem Maße erkannt habe, weder nach der Beschaffenheit der chinesischen Flotte, noch weil ich einsehe, daß man mit europäischer Mächten in den ostasiatischen Gewässern einen Seekrieg hätte führen können. Dort sind nur kleine Schiffe, flachgehende Kanonenboote, in dieser Situation am Platze. Wenn der Herr Abgeordnete Bassermann meint, diese Entsendung habe gerade die Flottengesetze gerechtfertigt, so muß ich demgegenüber hervorheben, daß bei den Verhandlungen des Flottengesetzes seitens der Regierung ausdrücklich hervorgehoben wurde, daß ihrer Ansicht nach die Linienschiffe zur überseeischen Verwendung nicht geeignet seien, und daß man dazu die taktischen Einheiten nicht auseinanderreißen dürfe.

(Sehr richtig! links.)

Was die Landtruppen anbetrifft, die man in der damaligen Situation nicht entbehren konnte, so bin ich nicht von der Nothwendigkeit überzeugt, Ende August einen zweiten Nachschub vorzunehmen. Da war Peking entsetzt; da hatte man sich, wie der Herr Kriegsminister gestern richtig hervorhob, überzeugt, mit wie wenig regulären Truppen die Widerstandsfähigkeit der Chinesen gebrochen wird. Die anderen Staaten haben zu jener Zeit alle Rüstungen bereits eingestellt; sie haben sogar diejenigen Transporte, die sich unterwegs befanden, nicht nach China abgehen lassen, sondern weit entfernt davon in ihre Kolonien. Diese zweite Sendung Ende August und Anfang September wird mir nur erklärlich im Zusammenhang mit der Uebernahme des Oberbefehls in der Provinz Petschili.

(Sehr richtig! links.)

Man wollte diesem Oberbefehl dadurch ein besonderes Prestige geben.

(Sehr richtig! links.) 

Darin stimme ich mit allen Rednern überein, die darüber gesprochen, daß die Uebernahme dieses Oberbefehls ein schwerer politischer Fehler gewesen ist, und daß nur besondere Umstände uns davor bisher bewahrt haben, die Nachtheile davon zu kosten.

(Sehr gut! links.)

Wir haben diesen Oberbefehl den anderen Staaten aufgedrungen! Es ist nicht richtig, wie gesagt worden ist, daß uns Rußland darum ersucht hat. Nein, der Herr Reichskanzler hat gestern sein Wort sehr vorsichtig gewählt, um nicht mit den amtlichen russischen Erklärungen in Widerspruch zu gerathen.

(Heiterkeit links.)

Er hat nur gesagt, Rußland hat uns zuerst den Oberbefehl übertragen, hat aber nicht gesagt, Rußland hat uns ersucht, den Oberbefehl zu übernehmen.

(Sehr gut! links.)

Meine Herren, Deutschland ist nicht berufen, in Ostasien eine führende Stellung einzunehmen, nicht nach seiner geographischen Lage, nicht nach seiner Stellung in Asien, nicht nach der Bedeutung seines Handels. Der Herr Abgeordnete Bassermann hat heute hervorgehoben, nach der englischen Statistik befänden wir uns im Handelsverkehr an zweiter Stelle; das ist richtig. Er hat aber unterlassen zu sagen, daß der englische Handel sechsmal so groß ist wie der deutsche

(hört! hört! links),

und daß unter diesen Umständen die zweite Stelle in dieser Frage wenig bedeutet. Meine Herren, die Uebernahme des Oberbefehls ist deshalb ein Fehler, wie auch andere Redner betont haben, weil es geeignet ist, die internationale Eifersucht zu erwecken und alles Mißgeschick, was vorkommt, dem Oberbefehlshaber und damit Deutschland zur Last zu legen. Der Eindruck der Uebernahme des Oberbefehls wurde dann gesteigert durch die Art und Weise der Inszenirung, der Abreise des Grafen Waldersee, durch den Tamtam oder, wie der Herr Kollege v. Levetzow es  gesagt hat, durch den Trara. Das eine ist ebenso richtig wie das andere.

(Heiterkeit und Sehr gut! links.)

Man hat den Herrn Generalfeldmarschall Waldersee für persönlich daran unbetheiligt gehalten. Ich will das nicht näher untersuchen; es ist aber eigenthümlich, daß aus seiner unmittelbaren Umgebung — es soll sogar ein Reklamebüreau durch seinen Neffen dort errichtet worden sein — die Telegramme an das Wolffsche Büreau gelangten, das Büreau, das unter der Leitung des Auswärtigen Amtes steht, in denen die Rede war von einem Triumphzuge, davon, daß Ovationen, die seit 1870/71 nicht dagewesen seien, ihm dargebracht wären. Da hat man im Volke gesagt: wenn das jetzt schon so anfängt, was soll dann erst geschehen, wenn er wirklich mit Lorbeeren, nicht bloß mit Vorschußlorbeeren zurückkommt. In England hat man diese Inszenirung als Bühnenleistung ersten Ranges bezeichnet

(sehr gut! links),

und selbst die “Kreuzzeitung“ ist angesichts dieser Vorkommnisse der Meinung gewesen, daß dadurch die militärische Aktion eine gewisse bedenkliche Dramatik erhielt. Aber, meine Herren, diese Erscheinung ist doch nicht individuell in diesem Falle. Die ganze Politik wird schon seit längerer Zeit theatralisch, dekorativ inszenirt, mehr als man es früher gewohnt war. Posen, Festlichkeiten, Bespiegelungen in dem, was gewesen ist, sind auf der Tagesordnung. Früher war das, wie auch der Herr Vorredner angedeutet hat, anders; da machte man nicht große Worte, sondern schuf große Thaten, und selbst nach diesen Thaten waren die Worte immer noch sehr bescheiden. Man braucht auch in dieser Beziehung  nur an den Feldmarschall Moltke, der mit vollem Recht den Namen “Schweiger“ geführt hat, zu erinnern. Meine Herren, als sich bei der Abreise des Generals von Waldersee die Dinge, wie geschildert, abspielten, da las ich in einer Zeitung, die an der Wasserkante erscheint, eine Erinnerung an ein bäuerliches Sprichwort: Man soll nicht eher „Hering“ rufen, als bis man ihn am Schwanz hat!

(Heiterkeit),

und selbst, wenn das der Fall ist, dann soll man nicht dicke thun, sondern sich still beneiden lassen. Die nachtheiligen Folgen dieser Inszenirung haben sich auch im Auslande bemerkbar gemacht. Es ist von der russischen Waffenbrüderschaft die Rede; aber wenn nicht alles täuscht, so ist die brüske Art, mit der Rußland plötzlich das Gros seiner Truppen aus der Provinz Petschili gezogen hat, ohne sich darüber mit Deutschland oder dem künftigen Oberbefehlshaber vorher zu verständigen, eine Folge gewesen davon, daß ihm die Art und Weise nicht behagte, wie man die Uebernahme des Oberbefehls aufbauschte. Dem Beispiele Rußlands sind dann die Amerikaner gefolgt, und wenn es richtig ist, was in den Zeitungen steht, neuerlich auch die Japaner, sodaß, als der Oberbefehlshaber nun ankam, er den russischen und amerikanischen Truppen gegenüber im großen und ganzen ein Befehlshaber, wie man in der Hierarchie sagt, in partibus infidelium war.

(Heiterkeit links.)

Die Ereignisse haben uns davor bewahrt, daß nachtheilige Folgen dieser Vorgänge hervorgetreten sind, deshalb, weil, als der Graf Waldersee in China landete, die militärischen Aufgaben in der Hauptsache erschöpft waren, und es sich thatsächlich nur noch um die Veranstaltung von Treibjagden auf Boxer in der Hauptsache handelte. Meine Herren, dieser Ueberschwang, den wir hierbei bemerkt haben, ist ja auch sonst hervorgetreten in Frühstücksreden und in anderen Reden mannigfacher Art. Der Herr Kriegsminister hat gestern sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß hier Reden des Kaisers zur Diskussion gelangen. Nun, meine Herren, es ist mir lieb, daß diese Frage von der Seite generell zur Sprache gebracht worden ist. Auch ich theile das Bedauern, aber nicht nur das Bedauern darüber, sondern auch das Bedauern über die Ursache, die diese Erscheinung für uns zur Nothwendigkeit gemacht hat.

(Sehr gut! links.)

Woher kommt das? Der gegenwärtige Monarch erläßt, mehr als es frühere Monarchen gethan haben, öffentliche Kundgebungen, öffentliche Kundgebungen programmatischer Art, die Direktiven für die Verwaltung, Einleitungen zu Maßnahmen der Gesetzgebung darstellen; er sucht durch diese Reden Stimmung zu gewinnen im Volke für das, was er beabsichtigt. Nun, wir sind hier die Volksvertreter — sollen wir dazu schweigen, Vogelstraußpolitik treiben, thun, als wenn diese Reden, die für das Volk und an das Volk gehalten werden, die die größte Oeffentlichkeit finden, in authentischer Form im „Reichs-Anzeiger“ erscheinen, nicht auf der Welt wären? Damit würden wir selbst uns eine capitis diminutio zu Schulden kommen lassen, und niemand im Volke, unsere Wähler würden das nicht verstehen.

(Sehr richtig! links.)

Dazu kommt nun noch, daß ja vielfach diese Reden auch Angriffe enthalten, Angriffe auf Parteien — ich brauche bloß an die Flottenrede im vorigen Oktober zu erinnern —, auf die Mehrheit des Reichstags selbst. Sollen wir dazu hier schweigen müssen? Wir sind verpflichtet, schon in Wahrnehmung berechtigter Interessen, dagegen, wo es nöthig ist, unsere Stimme zu erheben.

(Sehr gut! links.)

Nun möchte ich den Herrn Kriegsminister bitten, wenn  er diese Erscheinung, die parlamentarische Kritik für bedauerlich hält, in einer Richtung einzuwirken mit seinem weitreichenden Einfluß

 (Heiterkeit links und Zurufe)

— wir haben den Einfluß doch manchmal gespürt —, die geeignet ist, manches Bedenkliche an dieser Erscheinung zu beseitigen, die Kritik zu mildern und die Reden in dieser Richtung zu verringern. Ich meine, der Herr Kriegsminister möchte seinen Einfluß dahin ausüben, daß der Monarch, bevor er solche programmatischen Reden hält, sich über den Inhalt und die Form mit den verantwortlichen Ministern verständigt.

(Lebhafter Beifall links.)

Wenn das der Fall wäre, so würde manches fortfallen, was hier zu einer berechtigten Kritik Veranlassung giebt. Ein Monarch mag noch so ausgebreitete Kenntnisse haben, er mag noch so arbeitskräftig und arbeitslustig sein: das öffentliche Wesen ist heute so vielgestaltig, daß er es unmöglich, daß überhaupt kein Mensch es ganz in einem Staate übersehen kann. Unsere Zuständigkeit ist ja nur eine beschränkte gegenüber der Zuständigkeit eines Monarchen, aber ich frage: wer ist im Stande, auch nur unter uns, innerhalb dieser beschränkten Zuständigkeit alles zu übersehen, sich überall auf dem Laufenden zu erhalten und über alles ein Urtheil abzugeben? Meine Herren, wenn man das gleichwohl unternimmt, so ist es ganz unvermeidlich, daß auch thatsächlich unrichtige Angaben erfolgen und ungerechte Vorwürfe erhoben werden. — Es ist gestern ein Beispiel hier angeführt worden in Bezug auf die Hamburger Werftarbeiter; ich bin gespannt darauf, ob man versuchen wird, das, was ausgeführt ist, zu widerlegen. Ich stehe der Sache selbst ganz fern; aber ich habe den Eindruck, daß hier auf Grund unzureichender Kenntniß der thatsächlichen Verhältnisse ein schwerer Vorwurf erhoben worden ist.

(Sehr gut!) .

Meine Herren, und dann, wenn die Minister in der Lage wären, vorher über den Inhalt und die Form sich mit dem Monarchen zu verständigen, so würde auch manche Wendung fortfallen, die geeignet ist, in der öffentlichen Meinung zu verletzen und mißbilligende Aeußerungen hervorzurufen. Ein Monarch, der sich für gewöhnlich in einem engen Kreise von Personen bewegen muß, die nicht berufen sind, ihm gegenüber eine selbständige Meinung kundzugeben, der wird sehr leicht verführt, etwas für öffentliche Meinung zu halten, was das Gegentheil davon darstellt.

(Sehr richtig!)

Auch hierin würde er durch die Minister vorher bestimmt werden können, solche Aeußerungen, die nachher unter Umständen gegen die Monarchie, gegen den Monarchen angeführt werden, zu unterlassen. Wenn nun aber in dieser Weise Reden des Monarchen, Kundgebungen erfolgen, von denen die Minister vorher keine Kenntniß haben, so bin ich doch der Meinung, daß die Minister dafür verantwortlich sind.

(Sehr richtig!)

Denn wenn sie sich nicht für verantwortlich halten, so müßten sie nach einer solchen Rede ihren Abschied nehmen.

(Sehr richtig!)

Und in der That, wir haben ja auch gestern gesehen, daß der Herr Kriegsminister die sogenannte Hunnenrede zu verantworten übernommen hat, so schwer ihm auch die Aufgabe gefallen ist.

(Heiterkeit.)

Aber in welche Lage kommen solche Minister damit? Ich hätte wohl neben dem Herrn Staatssekretär Grafen Bülow stehen mögen, als die Rede in Bremerhaven gehalten wurde, in der die Hunnen vorkamen und das Nicht-Pardon-geben; welche Mienen, welche Gesichtsfarbe  man dort bei ihm wohl bemerkt haben wird. Der Herr Minister hat ganz deutlich gefühlt, daß er diese Rede eigentlich nicht verantworten kann.

(Sehr gut!)

Was hat nun der Herr Minister vorgenommen? Er hat sie zu vertuschen gesucht; er hat zuerst den Abschnitt über die Hunnen der Oeffentlichkeit vorzuenthalten gesucht. Es ist nicht möglich gewesen; denn die Redakteure der Bremerhavener Blätter sind fixer gewesen als er.

(Heiterkeit.)

Der Hunnenabschnitt ist doch in die Oeffentlichkeit gekommen. Der erste Abschnitt, daß kein Pardon gegeben werden sollte, ist durch das Wolff’sche Telegraphenbüreau alsbald verbreitet worden. Dann aber hat man erkannt, daß das auch eigentlich nicht zu verantworten wäre, und so ist noch in der Nacht eine zweite Ausgabe durch das Wolff’sche Büreau an die Zeitungen gegangen, indem man versucht hat, auch den ersten Abschnitt, daß kein Pardon gegeben werde, zu unterdrücken.

(Hört! hört! links.)

In eine solche schiefe Lage kommt ein verantwortlicher Minister durch solche Reden, wenn man sich nicht vorher seitens des Monarchen über Inhalt und Form verständigt hat. Was nun die Ankündigung, dieser Feldzug müsse ein Feldzug der Rache sein, betrifft, so ist meines Erachtens das Nöthige darüber gestern gesagt worden, daß diese Aeußerung christlicher Anschauung nicht entspricht.

(Sehr richtig! links.)

Es ist aber bei dieser Gelegenheit bemerkt worden vom Herrn Abgeordneten Dr. Lieber, diese Aeußerung mißfalle ihm um so mehr, als andererseits in dieser Rede das religiöse Moment des Feldzugs so richtig und so warm betont werde. In dieser Beziehung bin ich nicht derselben Ansicht wie der Herr Kollege Lieber; ich meine, daß die Betonung des religiösen Moments zunächst ein politischer Fehler ist. Denn diese Wirren, diese Frevelthaten der Chinesen sind wesentlich auch erzeugt durch Aufstachelung des religiösen Fanatismus auf jener Seite; wenn nun dort die Vorstellung erweckt und verbreitet wird durch solche Reden, daß unsererseits die Sache als ein Religionskrieg aufgefaßt werde, daß man die chinesische Religion zu unterdrücken und die christliche an ihre Stelle zu setzen beabsichtige, so ist das nicht geeignet, diesen Wirren und den weiteren Frevelthaten ein Ziel zu setzen.

(Sehr richtig! links.)

Ueberhaupt meine ich: man soll Politik und Religion nicht miteinander verquicken.

(Sehr richtig! links.)

Geschieht dies, so wird nicht bloß die Politik, sondern auch die Religion verdorben.

(Sehr gut! links.)

Das gilt insbesondere von dem Missionswesen. Weil gestern schon die Sprache darauf gebracht ist, muß ich doch auch Einiges dazu bemerken. Ganz mit Recht hat Herr Bebel angeführt, daß große Staaten, welche mit Machtverhältnissen unter heidnischer Bevölkerung jahrhundertelange Erfahrung haben, sich hüten, ihre Politik mit religiöser Propaganda in Beziehung zu bringen. Wir selbst haben in Deutsch-Ostafrika schon in der Richtung etwas gelernt; denn bekanntlich sind die dortigen Staatsschulen konfessionslos, was man in Deutschland selbst nicht zuläßt.

(Sehr richtig! links.)

Man würde sonst in Deutsch-Ostasien keine Erfolge mit der Schule erzielen. Die Verquickung verdirbt die Politik. Das sahen wir auch an der Haltung des Zentrums. Ich bin überzeugt, daß manche Forderungen kolonialpolitischer Art nicht in dem Umfange die Zustimmung des Zentrums finden würden, wenn man auf jener Seite nicht glaubte, daß damit zugleich dem Missionswesen eine außerordentliche Förderung zu theil wird. Nun meine ich, die praktischen Erfahrungen, die man mit dieser Richtung gemacht hat, müßten auch auf jener Seite dazu führen, solche Anschauungen in etwa zu korrigiren. Man hat geglaubt, durch den deutschen Stützpunkt in Kiautschou die Bedrängung der Missionen in Zukunft zu verhindern. Das gerade Gegentheil ist aber thatsächlich eingetreten: das Missionswesen ist jetzt in einer Weise durch die chinesischen Wirren zerstört worden in seiner Organisation, daß es meines Erachtens ein Jahrhundert braucht, um auch nur auf den bisherigen Standpunkt zurückzukommen.

(Sehr richtig! links.)

Es bricht ja diese Erkenntniß von den nachtheiligen Folgen der Verquickung von Religion und Politik sich auch auf geistlicher Seite immer mehr Bahn; man macht die Erfahrung, daß Missionsanstalten, welche, solange sie nicht unter deutscher Flagge thätig waren, eine sehr fruchtbringende Thätigkeit entfalteten, darin gehindert wurden von dem Zeitpunkt an, wo sie nicht bloß in religiösen, sondern auch in politischen Gegensatz zu den Eingeborenen traten. Sehr bezeichnend ist in dieser Beziehung, daß auf der Generalversammlung allgemeiner evangelischer protestantischer Missionen in Hamburg der Professor der Theologie Harnak, zur Zeit Rektor der Berliner Universität, jüngst gerade mit Bezugnahme auf die Vorfälle in China eine These folgenden Inhalts vorgeschlagen hat: Alles, was nur im entferntesten an die Kreuzzugsidee erinnert — er dachte dabei offenbar an die Rede des Militär-Oberpfarrers bei der Fahnenweihe: „es ist ein heiliger Krieg, ein Kreuzzug“ — alles, was erinnert an die Absicht, für die christlichen Missionen Gewalt einzusetzen oder Gewalt für sie anzurufen, ist zu verdammen.

(Hört! hört! links.)

Vom Missionsstandpunkt aus betrachtet ist das Eingreifen der christlichen Großmächte in die Verhältnisse in der Regel keine Hilfe, sondern schafft böse, leider unvermeidliche Schwierigkeiten! Sodann muß ich auch sagen: nach allem, was man gehört hat, sind die chinesischen Christen überall die besten Brüder auch nicht.

(Sehr richtig! links. Heiterkeit.)

Es wird vielfach behauptet, daß das Gros derselben nur durch materielle Rücksichten sich gewinnen läßt, das Christenthum anzunehmen. Indessen, die Diskussion in der Oeffentlichkeit ist ja über diese Frage in Broschüren herüber und hinüber erörtert; das aber steht für mich schon heute fest: wenn man die Staatsgewalt für verpflichtet erachtet, die Missionen selbst im Innern von China in der Weise zu schützen, wie man es jetzt beabsichtigt, so muß man auch das Recht haben, der Missionsthätigkeit von Staatswegen Grenzen zu ziehen, damit sie nicht provokatorisch solche Wirren mit hervorzurufen beitragen, wie wir es jetzt bedauerlicherweise wahrnehmen.

Nun komme ich zur Aeußerung: „Pardon wird nicht gegeben! benehmt Euch so, daß auf tausend Jahre die Chinesen es nicht wagen, einen Deutschen auch nur von der Seite scheel anzusehen.“ Ja, wenn das Letztere wörtlich zu nehmen ist, so müßte jeder Handel mit China künftig aufhören; denn ein Chinese, der es nicht wagt, die Deutschen von der Seite auch nur scheel anzusehen, kann doch auch nicht grade große Lust haben, ein Handelsgeschäft mit ihnen anzuknüpfen. Nun soll aber doch die Förderung des Handels ein Hauptzweck der jetzigen Unternehmung sein. Die Frage, ob dieses Wort „Pardon wird  nicht gegeben“ anzusehen ist als ein Befehl des obersten Kriegsherrn für die Truppen, ist gestern aufgeworfen worden; sie ist aber von dem Herrn Kriegsminister nicht gelöst, sie ist meiner Ansicht nach umgangen worden.

(Sehr richtig! links.)

Es ist aber mit Recht bemerkt worden, die Soldatenbriefe und alle die Vorgänge würden nicht die Aufmerksamkeit erregen, wenn man nicht dazu veranlaßt worden wäre, zu untersuchen, wie weit jene Vorgänge eine Folge jener Parole sind.

(Sehr richtig! links.)

Der Herr Kriegsminister wäre nun in der Lage gewesen, mit einem Schlage zu widerlegen, daß eine solche Parole „Pardon wird nicht gegeben“ nicht besteht, wenn er uns chinesische Kriegsgefangene nachweisen könnte.

(Sehr richtig! links. Heiterkeit.)

Unzweifelhaft sind doch viele Chinesen gefangen worden; denn bei der geringen Widerstandskraft der chinesischen Truppen ist das anzunehmen; man hat aber bisher nichts gehört, daß chinesische Gefangene irgend wohin in Gewahrsam gebracht worden sind.

Dann ist von den Soldatenbriefen gesprochen worden. Man hat es so dargestellt, als ob das bestellte Arbeit der Sozialdemokraten sei. Meine Herren, haben Sie denn bloß den Vorwärts gelesen? Nein, Sie finden solche Briefe in allen Blättern, nationalliberalen Blättern, freisinnigen, konservativen, amtlichen Kreisblättern, ganz unparteiischen Blättern — ich könnte Ihnen eine ganze Anzahl nennen. Es geht daraus hervor — und alle stimmen in der hauptsächlichen Ausführung überein —, daß thatsächlich in der Hauptsache solche Dinge vorgekommen sind, wie hier behauptet werden. Es ist gesagt worden: Renommisterei! Herr v. Levetzow sagt: ich habe auch einen Krieg erlebt, und da mögen die Soldaten ähnlich geprahlt haben. Das kommt vor. Aber in früheren Kriegen ist es, glaube ich, nicht vorgekommen, daß der oberste Kriegsherr vorher gesagt hat: Pardon wird nicht gegeben.

(Sehr richtig! links.)

Das ist der Grund, warum wir den Dingen jetzt viel mehr nachgehen müssen als früher. Der Herr Kriegsminister giebt zu, einzelne Grausamkeiten könnten vorgekommen sein, diese würden dann streng bestraft. Herr v. Levetzow meint auch, das sei unvermeidlich, daß hier und da Exzesse stattfinden. Gewiß, das ist unvermeidlich; aber darum handelt es sich gar nicht. Es handelt sich nicht um den Exzeß eines einzelnen Soldaten, es handelt sich um die Befehle der Oberen, die wehrlosen Chinesen zu 60, 70, 100, 150 Mann einige Stunden nach beendigtem Gefecht an die Mauer zu stellen und niederschießen oder mit dem Bajonnett erstechen zu lassen.

(Hört! hört! links.)

Das ist ein übereinstimmender Thatbestand, der von den verschiedensten Orten in diesen Soldatenbriefen gemeldet wird. Meine Herren, es ist nicht der miles gloriosus, der so schreibt. Wenn man diese Briefe ansieht, findet man umgekehrt, daß die Leute damit gar nicht prahlen

(sehr richtig!)

sondern Abscheu, Ekel, zum mindesten Mitleid darüber zum Ausdruck bringen

(sehr gut! links),

daß sie zu solchen Exekutionen kommandirt werden, und je eher je lieber wünschen, wie es in einem Briefe heißt, „daß dieses Schlachten ein Ende haben möchte“. Es handelt sich also gar nicht darum, hier eine Sentimentalität zum Ausdruck zu bringen, ein besonderes Zartgefühl; nein, es handelt sich um die einfache Frage, solche Massenexekutionen gegen Wehrlose zu vermeiden.

Nun hat der Heer Kriegsminister verschiedene Bestimmungen des Militärstrafgesetzbuches und des Einführungsgesetzes dazu angeführt. Gewiß, niemand von  uns leugnet, daß, wenn ein Gegner in bürgerlicher Kleidung ohne irgend ein militärisches Abzeichen umhergeht und plötzlich heimtückisch als Soldat auftritt mit Waffengewalt, dies eine verrätherische Handlung ist, und zu allen Zeiten hat man sich dagegen standrechtlich gewehrt. Dagegen können wir nicht sprechen. Aber wir haben den Eindruck, daß das, was jetzt in China geschieht, weit darüber hinausgeht

(sehr richtig!),

und daß eben diese Massenexekutionen eine Folge sind der Parole, daß Pardon nicht gegeben wird. Nun hat der Herr Kriegsminister der Sache einen welthistorischen Hintergrund gegeben

(Heiterkeit links),

der eigentlich alle Vorwürfe erst recht bestätigt, die hier gemacht worden sind. Er hat dieses Niederschießen nicht zurückgeführt auf einzelne Paragraphen des Militärstrafgesetzbuches, sondern er hat gesagt: „Das ist die Vergeltung der Weltgeschichte!

(Heiterkeit.)

Die Mongolen haben vor 1 1/2-Tausend Jahren so gegen uns gehaust, — jetzt kommen wir und vergelten das in Ostasien“.

(Heiterkeit.)

Er hat gesagt: „Gottes Mühlen mahlen langsam aber sicher“. — Die Gottheit wenigstens hätte ich bei dieser Gelegenheit aus dem Spiel gelassen.

(Heiterkeit. Sehr gut! links.)

Attila freilich, dem die Truppen nacheifern sollen, erhielt auch den Namen „Gottesgeißel“. Soll Graf Waldersee die Gottesgeißel sein von der andern Seite?

(Heiterkeit links.)

Nun, was würde aus der Welt werden, wenn man noch nach tausend Jahren rächen wollte, was Völker untereinander verbrochen haben? Dann würde die ganze Welt mit Männermord und Krieg fortgesetzt überzogen!

(Sehr richtig! links.)

Meinen wir denn nicht, meine Herren, daß seitdem die Kultur fortgeschritten ist? brüsten wir uns mit einer besseren Kultur nur so weit, im Verkehr mit solchen, die dieselbe Kultur haben? Nein, wir schätzen sie um ihrer selbst willen! Darum müssen wir diese Kultur auch gegen solche Völkerschaften bethätigen, die auf einer niedrigeren Kulturstufe vielleicht stehen. — Meine Herren, wenn einem hochgebildeten Offizier, wie dem Herrn Kriegsminister, in einer Rede eine solche Entgleisung passirt, so kann ich nur daraus wiederum schließen, wie schwer die Aufgabe ist, die Verantwortung für diese Reden des Kaisers zu übernehmen.

(Sehr gut! links.)

Es hat in der „Kreuzzeitung“ gestanden, was gestern auch Herr Bebel betonte, daß, wenn Alles in jenen Soldatenbriefen wahr wäre, auch die Manneszucht der Soldaten darunter leiden müßte. Ich bin auch der Meinung, daß das auf die Dauer nicht abwendbar ist, und mich tröstet nur das, daß den militärischen Operationen jetzt an sich schon enge Grenzen gezogen sind, und daß unsere Soldaten einen solchen Fonds sittlichen Gefühls aus der deutschen Erziehung mit hinübernehmen, daß sie eine Zeit lang vor den schädlichen Folgen, als solche Exekutoren zu dienen, bewahrt bleiben.

(Sehr gut! links.)

Eine Demoralisation der Truppen würde ich um so mehr bedauern, als ich vollständig die Anerkennung der anderen Redner theile für die vorzügliche Haltung, für die Tapferkeit, mit der insbesondere die Mannschaften der Schutzwache standgehalten, für die Tapferkeit, mit der die Seesoldaten bei der Erstürmung der Forts in Taku und in den Gefechten in Tientsin und bei den Zügen aus Peking sich gehalten haben. . .

(Bravo! links.)

Eines ist ja interessant: der Herr Staatssekretär Graf v. Bülow — der Herr Reichskanzler! Entschuldigen Sie, man muß sich erst allmählich hineinfinden —

(Heiterkeit),

der Herr Reichskanzler giebt sich, das erkenne ich bei ihm an, offenbar das Bemühen, das ist auch gestern hervorgetreten, möglichst viel Wasser in den Wein der Kaiserlichen Reden zu schütten.

(Sehr gut! links, Heiterkeit.)

Und was nun dieses „es wird kein Pardon gegeben werden“ anbetrifft, so ist es besonders interessant, daß der Herr Reichskanzler selbst in seiner Note von Mitte September hervorgehoben hat, man erstrebe nur die Bestrafung der Hauptanstifter und -übelthäter, nicht aber der ausführenden Elemente; denn „Massenexekutionen widersprechen dem zivilisirten Gewissen“. Damit hat er ein Urtheil gesprochen über das Wort „es wird kein Pardon gegeben“ und über die Massenexekutionen, die gegenwärtig gegen ausführende Elemente in China stattfinden.

Wir bemerken ja auch sonst manchmal Widersprüche in der Haltung der Regierung in China. Zuerst ist in der Septembernote, die ich eben anführte, als Vorbedingung für den Eintritt in den diplomatischen Verkehr mit China bezeichnet worden die Auslieferung der Hauptanstifter, deren Bestrafung dann unsererseits übernommen werden soll. Dann hat aber der Kaiser von China ein Telegramm an unseren Kaiser gerichtet; dieses Telegramm ist beantwortet worden und hat jetzt wieder eine Antwort auf chinesischer Seite hervorgerufen. Und so sind wir trotz dieser Ankündigung alsbald in einen sogar besonders feierlichen diplomatischen Verkehr mit China eingetreten, ohne daß irgend eine Auslieferung bisher stattgefunden hat. Es war dem Kaiser von China zugesagt worden, daß, wenn er nach Peking zurückkehren würde, er mit gebührenden Ehren empfangen werden würde. Ich glaube, der Graf Waldersee wird nicht bedauern, daß ihm das Schauspiel erspart worden ist, seine Truppen vor dem Kaiser von China das Gewehr präsentiren zu lassen, die nach den früheren Bestimmungen keinen Pardon geben sollten.

Indessen, meine Herren, ich tadle es ja gar nicht, wenn die Regierung mildere Saiten aufzieht; denn ich wünsche vor allem nicht, daß sie etwas aufrecht erhält, wenn es von den anderen Mächten nicht unterstützt wird. Unsere Aufgabe kann in China nur sein, mit den anderen Mächten in Reih und Glied zu wirken; aber wenn das richtig ist, dann sollte man doch nicht vorher urbi et orbi Programme in Noten veröffentlichen, die man nachher doch nicht aufrecht erhalten kann.

Meine Herren, die Uebereinkunft der Gesandten aus den letzten Wochen ist erwähnt worden. Der Herr Reichskanzler hat gestern erwähnt, er sei in der Lage, diese durch neuere Telegramme zu ergänzen. Ich habe aus seinen Ausführungen nichts entnommen, was hinzugekommen wäre, es sei denn der Passus, daß in Bezug auf die Handelsverträge die Chinesen Aenderungen vornehmen müssen; leider ist nicht gesagt worden, in welcher Richtung. Es ist also eine allgemeine Klausel. Meine Herren, ich halte es für unrichtig, an dieser Uebereinkunft jetzt Kritik zu üben und auszuführen, ob dieses Uebereinkommen sich deckt mit dem, was man als Ziel der Chinapolitik hingestellt hat; denn es kann nicht meine Absicht sein, die Regierung zu provoziren, vorzugehen in einer Richtung, wo sie nicht unterstützt wird von den übrigen Mächten; auf der anderen Seite kann ich nicht diesen oder jenen Punkt kritisiren, weil es auch mir fern liegen muß, die Chinesen zu ermuthigen, Widerstand diesem Uebereinkommen entgegenzusetzen.

Wie der Chinamann denkt, weiß niemand, und das Telegramm, das diesen Morgen bekannt geworden ist, an unseren Kaiser seitens des Kaisers von China, ergeht sich wie alle solche Kundgebungen, in schönen höflichen Worten; aber von dem, worauf es ankommt, enthält es kaum etwas.

Ich bin der Meinung, daß dasjenige in China an leichtesten zu erreichen ist, dessen Ausführung die verbündeten Mächte selbst in die Hand nehmen können. Das bezieht sich einmal auf die Schleifung befestigter Orte dann auch auf das Verbot der Waffeneinfuhr oder, was ziemlich dasselbe ist, das Verbot der Waffenausfuhr für die Mächte. Meine Herren, es hat eine Zeit gegeben, da wurde das Stichwort kolportirt: „Völker Europas, vereinigt euch, wahret eure heiligsten Güter!“ unter Hinweis auf die gelbe Rasse; durch Bilder wurde es auch besonders anschaulich gemacht. Dann haben sich die Völker Europas vereinigt, um der gelben Rasse die besten Waffen zu liefern, sie mit Instruktoren zu versehen, damit sie sich gegen die Völker Europas möglichst kräftig wehren, und allen voran ist Deutschland in diesem Punkte gegangen. Unsere Truppen haben in der Forts von Taku den erheblichsten Widerstand gefunden, weil diese Forts nach den Vorschlägen deutscher Offiziere zuletzt eingerichtet worden sind; die Geschütze auf diesen Forts stammen aus den Kruppschen Werkstätten, und es macht einen eigenthümlichen Eindruck, wenn der tapfere Kapitän des "Iltis", Herr Lans, in einem seiner ersten Briefe in die Heimat schreibt:

17 Volltreffer an Granaten (12—24 Zentimeter Kaliber) haben wir bekommen, von denen die bei weitem größere Zahl im Schiff krepirt ist und hier leider so viele meiner braven Leute getödtet oder verwundet hat. Und welcher Hohn! alle feindlichen Geschütze und Geschosse kommen aus unserer Heimat; es sind alles moderne Schnellladekanonen von Krupp.

(Hört! hört! links.) I

Das internationale Uebereinkommen mit England ist mehrfach erwähnt worden. Ich weiß eigentlich nicht, wozu dieses Uebereinkommen getroffen ist; denn es enthält nur das, von dem man annimmt, daß schon bisher alle Mächte darin übereinstimmten. Indessen muß ich gestehen, mir ist es lieber, Deutschland in Ostasien an der Seite Englands zu sehen, als in dem sogenannten ostasiatischen Dreibund mit Rußland und Frankreich. Meines Erachtens war es der erste Fehler in der Chinapolitik

(sehr richtig! links),

dessen Begründung ich niemals verstanden habe, daß man sich mit Rußland und Frankreich verband, um den Japanern in die Arme zu fallen. Denn wenn es unsere Aufgabe ist, uns zu vereinigen gegen die gelbe Gefahr, haben wir dann ein Interesse, uns einzumischen, wenn die gelbe Rasse unter einander sich bekriegt? Und was hatten wir für ein Interesse, den Japanern in die Arme zu fallen, die man mit Recht als die Preußen Ostasiens bezeichnet, die sich dem Verkehr der modernen Kultur überraschend rasch erschlossen haben? Jeder Japaner kauft  uns jährlich für eine Mark ab, der Chinese dagegen durchschnittlich nur für 10 Pfennig. — Freilich sollen wir uns auch hüten, Vorspann zu leisten den englischen Interessen, die dort ganz andere und weitergehende sind als unsere. Wir haben meines Erachtens überhaupt bei konkurrirenden Interessen europäischer Mächte dort keine andere Aufgabe, als uns möglichst neutral zu verhalten und nur das eigenste Interesse zu wahren. Zu England zieht uns aber, daß England in der That bis jetzt die Politik der offenen Thüre dort ehrlich innegehalten hat, während bei Rußland das Bestreben mehr hervortritt, sich wirthschaftlich abzuschließen. Es ist in dieser Uebereinkunft auch Verwahrung eingelegt worden gegen einen weiteren Landerwerb. Ganz meine Ansicht! Es ist aber hinzugefügt worden, daß, wenn gleichwohl ein Staat den Anfang machen sollte mit weiterem Landerwerb, dann alle übrigen Staaten von dieser Verpflichtung der Enthaltsamkeit entbunden sind. Die Ausführungen des Herrn Reichskanzlers haben das gestern ziemlich scharf pointirt, daß im gegebenen Falle auch Deutschland mit weiterem Landerwerb vorgehen könnte. Ich bin dieser Meinung nicht; ich bin der Meinung, der Platz an der Sonne ist schon heiß genug für uns in Kiautschou, daß wir gar keine Neigung empfinden können, das Territorium oder die Interessensphäre nach irgend einer Richtung zu erweitern.

Der Herr Kollege Bassermann hat aus einer Rede von mir eine Stelle verlesen, in der ich ausführte, ich sähe die Erwerbung in Kiautschou günstiger an als andere kolonialpolitische Erwerbungen. Das Zitat ist durchaus richtig; aber ich bekenne ebenso offen, daß nach den seither gemachten Erfahrungen — und wir können doch in ostasiatischen Dingen noch immer klüger werden — ich jetzt diese Erwerbung viel weniger günstig ansehe, als es damals der Fall war. Der Herr Reichskanzler meinte nun, nur von deutschfeindlicher Seite im Auslande sei verbreitet worden, daß die Erwerbung von Kiautschou in einem Zusammenhang stände mit den gegenwärtigen Wirren in China. Das ist durchaus nicht der Fall. Schon der Herr Abgeordnete Bebel hat daraus hingewiesen, daß zuerst dieser Zusammenhang betont worden ist von dem Bischof Anzer, dem Bischof in der Provinz Schantung, demjenigen Bischof, der bei der Erwerbung von Kiautschou der deutschen Regierung mit seinem Rath zur Seite gestanden hat, der damals hier in Berlin vom Kaiser empfangen wurde, und der offenbar auf diese Erwerbung einen großen Einfluß ausgeübt hat. Dieser Bischof hat, bevor die jetzigen Wirren entstanden, also ganz unbefangen, bereits Anfang dieses Jahres in einem Neujahrsgruße, der in der „Kölnischen Volkszeitung“ veröffentlicht wurde, auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Er hat gesagt, planmäßig und allgemein unter dem Schutze der Beamten sind die Verfolgungen der Missionare erst geworden nach der Besetzung von Kiautschou, die für den chinesischen Nationalstolz eine tief schmerzliche Wunde war. Nachdem die erste Verblüffung über die erste Besetzung gewichen war, hat sich die Mißstimmung und Feindseligkeit gegen alle Ausländer geltend gemacht, die für den Durchschnittschinesen ein solidarisches Ganzes sind, „die fremden Teufel“. Er führt weiter aus, auch Li-Hung-Tschang habe dem Bischof Anzer erklärt, daß er sich gar nicht wundere, daß in Südschantung Alles drüber und drunter ginge. Der Bischof Anzer berichtete damals, daß ein patriotischer Geheimbund gebildet wurde, der Bund der Schwarzen, der unter der Devise: „Tod den Fremden, Schutz der Dynastie!“ sich die Vernichtung alles fremden Wesens, zunächst des Christenthums, zur Ausgabe macht. Er berichtet dann weiter, daß der Gouverneur von Schantung die Kaiserin habe überreden wollen, Deutschland den Krieg zu erklären, und als sie es abgelehnt habe, habe sich sein ganzer Ingrimm gegen die Missionare gewendet, und in der Sekte der großen Messer, das sind also die Boxer, fand er willfährige Hilfstruppen. So ist die Entwickelung damals vorausgesagt worden von einer Seite, die als nichts weniger als deutschfeindlich zu betrachten ist, und genau in derselben Weise hat sich auf evangelisch-geistlicher Seite auf der Kreissynode in Hamm der aus China zurückgekehrte Missionar Mans geäußert.

Die Erwerbung von Kiautschou kostet uns gegenwärtig mehr, als der deutsche Handel und die deutsche Industrie in der gesamten Ausfuhr nach China verdienen

(hört! hört! links),

und nun kommen diese 153 Millionen dazu. Man sagt,  sie werden aus der Kriegsentschädigung gedeckt werden. Die Botschaft hör ich, aber einstweilen fehlt mir noch der Glaube

(sehr richtig! links),

und ich muß sagen: werden sie gedeckt durch Erhöhung der chinesischen Zölle, so ist dies geeignet, den Handelsverkehr mit China zu erschweren und zu verteuern, denselben Handelsverkehr, dessen Erweiterung wir doch erhoffen. Aber es sind diese 153 Millionen Mark nicht allein; die Kosten für den Rücktransport — 30 Millionen — sind nicht eingeschlossen. Ich meine, zum mindesten sollte man doch, um die Kriegskosten zu vermindern, die maritimen Streitkräfte dort vermindern, die thatsächlich keinen besonderen Zweck haben, abgesehen von einigen kleinen Schiffen. Dazu kommt, daß bei Aufnahme großer Anleihen die Geldverhältnisse in Deutschland außerordentlich schwierig sich gestaltet haben wegen der großen Ansprüche, die die Industrie und die Kommunen an die Ersparnisse im Volkshaushalt gegenwärtig stellen. Der Herr Abgeordnete Bassermann hat die Begebung einer Anleihe von 80 Millionen in Amerika getadelt. In diesem Punkte stehe ich nun ganz auf dem Standpunkt der Regierung. Ich behalte mir aber vor, darüber demnächst bei der Etatsdebatte zu sprechen. Ich bin der Meinung, daß dadurch eine größere Geldklemme verhindert worden ist, als sie sonst in Deutschland eingetreten wäre. Aber bedenklich muß uns doch im hohen Maße die Zunahme des Anleihebedarfs machen. 30 Millionen Restkredite sind noch aus dem 1899er Anleihekredit vorhanden. Dazu kommen die 80 Millionen aus dem Etat von 1900, die 153 Millionen für China, sodaß für die Bedürfnisse bis zum ersten April noch 263 Millionen Anleihen aufzubringen sind.

(Hört! hört! links.)

Dazu kommen 97 Millionen, die der neue Etat für 1901 in Aussicht nimmt; das sind 360 Millionen. Wenn nun China nach dem 1. April auch noch Summen kostet, 100 Millionen oder mehr, dann ist die halbe Milliarde fertig, um die die Reichsschulden in zwei Jahren erhöht worden sind. Darüber wollen wir indeß bei der Etatsberathung näher sprechen und auch über die wichtige Frage, ob es richtig ist, diese Kosten alle durch Anleihen zu decken, und ob nicht die Einzelstaaten in den Matrikularbeiträgen viel stärker heranzuziehen sind anläßlich der Ueberschüsse, die gerade die Einzelstaaten gegenwärtig haben.

Was nun die staatsrechtliche Seite anbetrifft, meine Herren, so liegt allerdings — und das ist von allen Seiten anerkannt worden — ein flagranter Verfassungsbruch vor.

(Lebhafte Zustimmung links.)

Der Herr Abgeordnete Lieber sagt: "und das bietet man diesem Reichstage!" — indem er hinwies auf die Militärgesetze, auf die Flottengesetze, die „dieser Reichstag“ bewilligte. Ja, meine Herren, ich habe die Ansicht, daß gerade diese Bewilligungen dazu verführt haben, dem Reichstage so etwas zu bieten.

(Lebhafte Zustimmung links.)

Die Regierung ist eben dadurch der Nothwendigkeit enthoben worden, auf eine gute Stimmung in diesem Reichstage bedacht zu sein. Es müssen ihr jetzt nach dem Quinquennatsgesetz neue Truppentheile bewilligt werden, wenn sie sie verlangt; es müssen nach dem Flottengesetze neue Schiffe gebaut werden; das alles ist festgelegt, das Geldbewilligungsrecht ist eingeschränkt. Kann man sich da wundern, daß die Regierung nun glaubt, wenig Rücksichten auf einen solchen Reichstag nehmen zu müssen, der sich selbst in dieser Weise zu ihren Gunsten die Hände gebunden hat? Ich glaube, daß jetzt auch weitere Kreise ein besseres Verständniß dafür bekommen,  warum wir stets so zäh gegen jede Einschränkung des Geldbewilligungsrechts uns gestellt haben.

(Sehr richtig! links.)

Denn in der That ist dieses Geldbewilligungsrecht der Angelpunkt des Konstitutionalismus

(sehr richtig! links),

und alles ist vergeblich, wenn man dieses Geldbewilligungsrecht abschwächen läßt.

Wer ist nun verantwortlich? — Meine Herren, dagegen muß ich mich verwahren, daß man den guten alten Hohenlohe

(Heiterkeit)

allein in dieser Weise verantwortlich macht für die Nichteinberufung des Reichstags.

(Sehr gut! und große Heiterkeit.)

Formell ist das ja alles richtig, formell ist er allein verantwortlich: er war der Reichskanzler. Aber zu keiner Zeit hat man den Kopf des Reichskanzlers weniger wahrgenommen, als gerade in diesen Monaten, auf die es ankommt.

(Sehr gut! und Heiterkeit links.)

Darum muß ich doch sagen: man soll ihn nicht jetzt wie einen Sündenbock dafür in die Wüste schicken.

(Heiterkeit.)

Der Herr Abgeordnete Lieber hat die Ritterlichkeit des Herrn Grafen Bülow gelobt, mit der er für den früheren Reichskanzler eingetreten sei. Meine Herren, der Herr Graf Bülow war thatsächlich in diesem Sommer der eigentlich leitende Staatsmann

(sehr richtig! links),

gerade in dieser Frage, und ich habe keinen Augenblick Zweifel, daß, wenn der Herr Graf Bülow mit dem nöthigen Nachdruck erklärt hätte: meine auswärtige Politik wird geschädigt durch die Nichteinberufung des Reichstags, — der gute alte Fürst Hohenlohe keinen Augenblick gezweifelt haben würde, daß der Reichstag einzuberufen sei.

(Sehr gut! und Heiterkeit links.)

An diesem Nachdruck haben Sie es selbst fehlen lassen, Herr Graf v. Bülow; Sie haben in der Beziehung nicht die nöthige Energie entwickelt, und die Ritterlichkeit jetzt kann ich deshalb nicht als so besonders lobenswerth bezeichnen.

(Heiterkeit.)

Man sagt — das flüstert man sich so aus der Wilhelmstraße zu —, der Graf Bülow habe gewollt, aber der Graf Posadowsky habe nicht gewollt, und er sei doch der eigentliche Ressortchef in Reichstagsfragen. Andere sagen wieder, der Herr v. Tirpitz habe gewollt, aber Herr Graf Bülow habe nicht gewollt. Ich lasse mich darauf nicht ein. Sie sind allzumal Sünder

(große andauernde Heiterkeit)

und ermangeln der Gerechtigkeit. Meine Herren, wenn Sie einig mit dem nöthigen Nachdruck darauf bestanden hätten, so ist mir gar kein Zweifel, daß die Berufung des Reichstags zur rechten Zeit stattgefunden hätte. Der Herr Graf Bülow ist doch für die Thronrede verantwortlich, und in der Thronrede sucht man doch nach Gründen, um jene Nichteinberufung zu entschuldigen, Gründen, die der Herr Abgeordnete Lieber mit Recht als durchaus fadenscheinige bezeichnet hat. Gewiß, meine Herren, ohne Zögern mußte man die militärischen Machtmittel aufbieten. Man kann ja darüber streiten, ob Anfang Juli schon die Einberufung des Reichstags richtig war; aber in der zweiten Hälfte des Juli, als der Herr Graf Bülow schon den einzelnen Bundesregierungen in der bekannten Zirkularnote ein vollständiges Programm vorlegte, war die Einberufung des Reichstags ebenso am Platz, wie man zu jener Zeit den Bundesrath einberufen und ihm Mittheilung gemacht hat. Da war der Nachrichtendienst so weit fortgeschritten, um ein Programm in diesem Zirkular zu entwickeln; das hätte auch für den Reichstag ausgereicht. Der Reichstag hätte — das ist mir gar nicht zweifelhaft — die ersten Expeditionen bewilligt; ob er, wenn er später für den Nachschub Ende August berufen wäre, mit derselben Bereitwilligkeit für die Verstärkung gestimmt hätte, darüber kann man eher zweifelhaft sein.

Es ist von allen Seiten verurtheilt worden, wie man jetzt die Verantwortlichkeit hinter dem Kalkulator zu verstecken sucht; ich brauche meinerseits da nichts hinzuzufügen. Meine Herren, darauf aber muß ich hinweisen, daß hier nicht, wie sonst bei außeretatsmäßigen Ausgaben, bloß Ausgaben in der Gegenwart geleistet sind; nein, man hat auch Engagements übernommen für die Zukunft, die über dieses Jahr hinausreichen: man hat Pensionsansprüche zuerkannt, Versorgungsansprüche für Hinterbliebene, für Familienangehörige u. s. w. Wir haben nach allen diesen Richtungen Gesetze, Gesetze für den Kriegszustand und für den Friedenszustand; man hat die Gesetze nicht für ausreichend angesehen, hat im Verordnungswege weitere Bestimmungen getroffen, weitere Anwartschaften gegeben. Es mag dies materiell richtig gewesen sein; aber, meine Herren, das hätte doch auch nur mit Zustimmung des Reichstags geschehen dürfen. Daß man sich in diesem ostasiatischen Fall über alle einschlagenden Bestimmungen hinwegsetzt, daß man darüber kein Wort verloren hat, weder in der Denkschrift noch auch in dem Gesetzentwurf, das zeigt mir, wie kavaliermäßig die ganze Sache bis zu diesem Augenblick behandelt worden ist.

(Sehr richtig! links.)

Und weiter, es ist gerügt worden die Bildung der neuen Truppentheile. Es ist gesagt worden von Seiten des Herrn Reichskanzlers, sie müßten durch Gesetz nachher bestätigt werden, wenn man sie beibehalten will. Na, denken Sie im Ernst schon an die Bildung einer Kolonialarmee?

(Zuruf links.)

—Das kann man doch kaum annehmen; gerade die jetzigen Erfahrungen beweisen das Ueberflüssige. Ich schließe mich den Herren an, die dem Kriegsministerium Lob und Anerkennung gezollt haben für die Promptheit und Energie, mit der diese Vorbereitungen getroffen waren für einen Fall, der gar nicht vorgesehen war; und wenn das möglich war, eine solche Truppe in so kurzer Zeit für einen solchen Ausnahmefall zusammenzustellen, der vielleicht in einem Jahrhundert erst wiederkehrt, wozu braucht man dann eine ständige Kolonialarmee?

(Sehr richtig! links.)

Es handelt sich aber nicht allein um Truppentheile. Sie sind ja auch so weit gegangen, neue Stellen dauernd zu verleihen. Wenn Krieg ausbricht, dann avanciren auch die Offiziere und Beamten vielfach in höhere Stellen hinauf; aber es geschieht unter dem Vorbehalt, daß die Kompetenz der höheren Stellung nur gilt für den Kriegszustand, und daß mit der Wiederherstellung des Friedens der Betreffende in seine Friedensstellung wieder zurückkehrt. Von einem solchen Vorbehalt haben wir hier nichts gehört; es hat also thatsächlich über die China-Expedition hinaus eine Vermehrung des Offizier- und Beamtenkorps mit dauernden Folgen stattgefunden.

Nun hat der Herr Reichskanzler erklärt, er habe nichts dagegen, wenn man in diesem Gesetzentwurf die Indemnität zum Ausdruck brächte. Ja, meine Herren, warum haben Sie denn das nicht selbst von vornherein gethan? Warum geschieht das so beiläufig in einer persönlichen Erklärung? Konnte das denn nicht im Gesetzentwurf selbst der Fall sein? Konnte nicht wenigstens in der Thronrede diese Erklärung in einer besonders feierlichen Weise schon abgegeben werden? Indemnität, act of indemnity, Amnestieakt, Erklärung der Schadloshaltung, des Verzichts auf Strafe: der Ausdruck hat sich bei uns eingebürgert.

Ich bin weit entfernt, die moralische Bedeutung zu unterschätzen, die es hat, wenn eine solche Erklärung, eine solche Formulirung in das Gesetz aufgenommen wird. Aber, meine Herren, wie die Dinge bei uns sind: wenn die Indemnität nicht ertheilt wird, ist es auch noch so. Dann hat der Reichstag keine praktische Handhabe, um Verfassungswidrigkeiten zu ahnden, einen Schadensersatz, eine Bestrafung herbeizuführen. Ich bin darum der Meinung, daß eigentlich noch viel wichtiger als die Sühne für die Vergangenheit die Vorkehrung sein muß, daß nicht solche Dinge in Zukunft sich wiederholen.

(Sehr richtig! links.)

Man sagt ja: man deckt den Brunnen zu, wenn das Kind hineingefallen ist; ja, das wenigstens müßte man auch hier nach allen Richtungen vorsehen.

Es heißt, man müsse dem Herrn Reichskanzler Vertrauen entgegenbringen. Ja, die Erklärungen des Herrn Reichskanzlers waren nicht so sehr vertrauenerweckend. Er sagte: „wenn angängig und wenn möglich“, dann werde er künftig die Genehmigung der Ausgaben vorher nachsuchen. Wenn angängig! — was kann darunter nicht alles verstanden werden! Und überdies, meine Herren, der Reichskanzler und die Minister, die sind wie die Blumen auf dem Felde: wenn der Wind darüber weht, dann sind sie nicht mehr da, und ihre Stätte kennet man nicht mehr.

(Große Heiterkeit.)

Wir wollen die Sicherheit haben nicht in den Personen, sondern in den Institutionen

(sehr richtig! links),

in Institutionen, die dauernd sind, und die nicht ohne unsere Zustimmung verändert werden können.

Meine Herren, die Verantwortlichkeit der Minister ist eine Frage, die unmittelbar an diese Vorgänge anknüpft. Die Verantwortlichkeit, soll sie zur Wahrheit werden, setzt aber zunächst andere Organisationen, andere Zustände in der Regierung selbst voraus. Ich habe schon ausgeführt, daß die Verantwortlichkeit erheischt, daß der Monarch keine programmatischen Kundgebungen erläßt in der Oeffentlichkeit, ohne sich vorher mit den verantwortlichen Herren Ministern darüber verständigt zu haben. Meine Herren, weiterhin setzt die Verantwortlichkeit der Minister voraus, daß der Monarch sich verständigt nicht mit einem einzelnen Ressortchef, sondern mit dem Reichskanzler selbst, solange er die volle politische Verantwortlichkeit hat. Das ist bisher auch vielfach bei Seite gesetzt worden. Wir haben es erlebt, daß der Monarch sich allein mit dem Marineminister oder allein mit dem preußischen Kriegsminister, der nicht einmal Reichsminister ist, vorher verständigte über große Maßnahmen, und dann erst die Sache an den Reichskanzler als eine Thatsache kam, über welche der Ressortchef und der Monarch sich bereits verständigt hatten. Das ist ein Zustand, der sich meines Erachtens mit einer wirklichen Verantwortlichkeit des Reichskanzlers auch nicht vereinigen läßt. Mir ist es häufig so vorgekommen, als ob der Fürst Hohenlohe, der bisherige Reichskanzler, nur die Stellung hatte etwa eines verantwortlichen Redakteurs einer Zeitung, der die Zeitung erst zu Gesicht bekommt, nachdem sie schon gedruckt ist.

(Heiterkeit und sehr richtig! links.)

Und, meine Herren, eigentlich die trübseligste Erscheinung in den gegenwärtigen Zuständen, das ist die Stellung des Schatzsekretärs. Eine solche schattenhafte Existenz!

(Heiterkeit.)

Der Herr hat nur auszurechnen, was die Anderen ausgeben, und dann seinen Rath zu ertheilen, wie die Mittel aufgebracht werden. Der Abgeordnete v. Bennigsen. hat seiner Zeit wiederholt mit großer Schärfe darauf hingewiesen, daß eine derartige Stellung, wie sie jetzt vorhanden ist, nicht zu vereinbaren ist mit den großen Finanzinteressen, die im Reiche vorhanden sind. Man braucht ja nicht daran zu denken, daß nun der Schatzsekretär im Reiche so etwa eine Stellung bekommen soll, wie Herr v. Miquel in Preußen, der ja thatsächlich der Ministerpräsident ist, und Herr Graf v. Bülow wird allerdings noch manche Arbeit haben, um mit dem bisher thatsächlichen Ministerpräsidenten als wirklicher Ministerpräsident auszukommen.

(Heiterkeit.)

Man kann sich ja auch denken, daß der Reichskanzler eine andere, höhere Stellung bekommt in dem Kollegium als der preußische Ministerpräsident, etwa nach englischem Muster. Aber, meine Herren, die Bildung eines kollegialischen Ministeriums ist mehr als je eine Nothwendigkeit. Man hat ja einen gewissen Ansatz dazu gemacht; es sind Konferenzen eingeführt worden, an denen nicht bloß der Reichskanzler, sondern mehrere Staatssekretäre und preußische Minister theilnehmen. Meine Herren, warum wollen Sie denn das nicht weiter durchführen? Man sagt, daß der Bundesrath dagegen ist. Ach, der Bundesrath!

(Heiterkeit.)

Der Bundesrath hat so wenig zu sagen, er ist thatsächlich so heruntergedrückt, daß es mit ihm gar nicht schlechter werden kann, als es ist, wie man auch immer die Verfassung gestalte. —

(Sehr richtig! und Heiterkeit links.)

Jetzt vereinbart der Monarch mit einem Ressortchef im Reich eine große organische Neuerung, und dann sehen die Bundesfürsten und Bundesregierungen sich vor eine vollendete Thatsache gestellt, an der sie nichts ändern können, ohne sich direkt mit der Autorität des Kaisers in Widerspruch zu setzen. Also ich meine, die Herren müßten sich selbst derartigen Reformen geneigter zeigen, als es bisher bekannt geworden ist.

Aber, meine Herren, es reicht ja nicht aus, daß innerhalb der Regierung die Verantwortlichkeit mehr gestärkt wird, mehr gestützt wird nach oben; es muß auch die Verantwortlichkelt zur Wahrheit gemacht werden können dem Reichstage gegenüber, und zwar dadurch, daß der Reichstag ein Klagerecht erhält vor einem obersten Gericht, mindestens im Fall einer Verfassungsverletzung. Ein solches Klagerecht ist ja in der preußischen Verfassung ausdrücklich vorgesehen für jedes Haus des Landtags. Es ist vorgesehen, daß Schadenersatz geleistet wird, Strafe verhängt wird, es fehlt nur noch das Ausführungsgesetz, und deshalb ist hier die Verfassung nicht zur Wahrheit geworden. Im Reich hat man ja auch einen Anlauf in dieser Richtung genommen, und zwar gerade im ersten Jahr, im Jahre 1867. Als damals ein Gesetz über die Schuldenverwaltung vorgelegt wurde, fügte der Reichstag einen Paragraphen ein, der ihm ein Klagerecht gewährte vor dem Gericht, im Falle die Schuldenverwaltung sich Gesetzwidrigkeiten zu Schulden kommen ließe. Ein solches Klagerecht wäre z. B. sehr angebracht, wenn Mittel, die zu anderen Zwecken bewilligt worden sind, wenn Anleihen —— wie hier jetzt im Chinafalle — verwendet werden zu anderen Zwecken, und es dadurch möglich wird, von der Einberufung des Reichstags abzusehen. Meine Herren, und wessen Name steht an erster Stelle des damaligen Antrages aus dem Jahre 1867? Der Name des Herrn von Miquel!

(Heiterkeit.)

Man kann doch nicht annehmen, .daß er auch dies zu seinen Jugendthorheiten rechnet; denn in jener Zeit stand er schon im vierzigsten Lebensjahr und hatte also das Schwabenalter erreicht.

(Heiterkeit.)

Die Durchführung der Ministerverantwortlichkeit ist  aber eine Nothwendigkeit jetzt mehr als je. Leugnen wir doch nicht: ganz abgesehen von den gegenwärtigen Ministern, — es geht ein absolutistischer Zug durch das Reich. Das tritt bald an dieser, bald an jener Stelle zu Tage, bald im Großen, bald im Kleinen hervor. Man sieht den Reichstag als nothwendiges Uebel an, das man sich gefallen lassen muß, dessen Wirksamkeit aber, sowie es irgend angeht, man möglichst einschränkt. Gerade gegenwärtig ist die Frage der Ministerverantwortlichkeit eine besonders dringende aus dem Grunde, weil der auswärtigen Politik, welche naturgemäß einen viel freieren Spielraum der Regierung giebt als irgend ein anderer Zweig, jetzt Ziele gesteckt werden, die unter Umständen verhängnißvoll werden können für das Volk und für das Land.

(Sehr richtig! links.)

Die Worte "Weltpolitik", "Weltreich", " Weltherrschaft" sind in den letzten Monaten im Anschluß an die Chinaereignisse noch mehr hervorgetreten in hohem Munde, als es bisher der Fall gewesen; ja, wir haben es schon erlebt, daß, wie mir berichtet wird, bei der Eröffnung des Reichstags in der Domkirche der Hofprediger Ohly gesagt hat, daß wir jetzt in eine neue Epoche der Weltgeschichte eingetreten sind

(hört! hört! links),

in eine Zeit der Welteroberung: das deutsche Wesen müsse sieghaft die Welt durchdringen, die Welt solle am deutschen Wesen genesen. Wenn ein Hofprediger so spricht, so weiß er nach der Art dieser Herren, daß er damit Gesinnungen und Stimmungen entspricht, die an höherer Stelle vorwalten.

(Sehr richtig! links.)

Der Herr Reichskanzler sagte gestern: die Hohenzollern werden keine Bonapartes sein. Nun, aber jener Satz in der bekannten Rede, daß jenseits des Ozeans keine Entscheidungen in einer wichtigen Angelegenheit getroffen werden dürfen ohne den Deutschen Kaiser, hat einen Inhalt, der meines Wissens selbst von keinem Bonaparte jemals in dieser Weise ausgesprochen ist.

(Sehr gut! links.)

In Verbindung damit achten Sie darauf, daß gleichzeitig erklärt wurde: jetzt wird ein neuer Markstein in der Geschichte Deutschlands gesetzt. Also eine Abweichung von der bisherigen Richtung der Politik wird angekündigt! Der Herr Reichskanzler sagte gestern: die Lehren in der deutschen Geschichte sind nicht ohne Nutzen gewesen, um von solchen Wegen abzurathen. Mag sein: in der deutschen Geschichte; aber aus der römischen Geschichte — so weit scheint man im Studium nicht gekommen zu sein, da hat man die Lehren nicht gezogen.

(Heiterkeit links.)

Man hat ja gerade auf das römische Reich als Vorbild exemplifizirt bei der Limesfeier auf der Saalburg am 11. Oktober. Da wurde ausdrücklich gesagt: unserem Volke möge in Zukunft beschieden sein, so maßgebend zu werden, wie es einst das römische Weltreich war, dessen Imperator der Welt seinen Willen aufzwang.

(Hört! hört! links.)

Nun, die Saalburg war kein besonders geeigneter Ort für einen solchen Ausspruch; denn der Limes wurde zur Vertheidigung gezogen, als die Eroberungskraft des römischen Reichs aufgehört hatte.

(Sehr gut! links.)

Bald wurde der Grenzwall von den Germanen überschwemmt, und das römische Reich stürzte nach nicht langer Zeit elend zusammen. Ich meine aber auch, daß die Erfahrungen des letzten Jahres gerade geeignet sind, diejenigen, welche noch Phantasien nachgegangen sind über Weltreich und Weltherrschaft, zu ernüchtern. Was haben denn die Engländer mit ihrem Imperialismus für Erfahrungen gemacht? Zwei Milliarden hat ihnen der südafrikanische Krieg gekostet und 40 000 ihrer besten Truppen! Und was haben sie erreicht? Sie haben sich nur ein neues Irland da unten geschaffen, noch schwieriger zu behandeln als das europäische Irland! Und was haben die Amerikaner auf den Philippinen erreicht? Trotz einer ständigen großen Armee, trotz großer finanzieller Aufwendungen können sie dort keinen dauernden Friedenszustand schaffen. Handel und Wandel sind gegenwärtig in Deutschland in einer rückläufigen Konjunktur begriffen. —

(Sehr richtig! links.)

Darüber kann doch kein Zweifel sein, daß dazu beigetragen haben der südafrikanische Krieg und die Chinawirren.

(Sehr richtig! links.)

Spricht man mit Leuten aus den Erwerbskreisen, so hört man: ach, wenn doch diese Kriege endlich zu Ende wären, wenn man zu einem leidlichen Friedensschlusse käme! In jenen Kreisen herrscht nicht die mindeste Sehnsucht, nicht die mindeste Neigung zu neuen überseeischen Verwickelungen, namentlich nicht nach solchen, an denen Deutschland in ersterer Reihe betheiligt wäre. Darum, meine Herren, die Zukunft Deutschlands liegt wahrhaftig nicht auf dem Wasser, die Zukunft Deutschlands liegt im Lande selbst

(sehr richtig! links)

und da bieten sich so viel schwierige und große Ausgaben für die Regierungen dar, deren Lösung weit fruchtbringender ist und viel dankbarer empfunden wird als alle überseeischen Probleme in Ostasien oder sonst wo.

(Lebhafter Beifall links.)