Eugen
Richter gegen den Kulturkampf
Reichstag, 25. November 1871
Meine Herren! Ich
kann nicht für das vorliegende
Gesetz stimmen, und um nicht in meinen
Ansichten und Absichten
mißverstanden
zu werden, welche mich zwingen, von der
Mehrzahl meiner politischen Freunde
in dieser Frage mich zu trennen, muß
ich die Gründe, die mich
bestimmen, kurz darlegen. Ich zweifle
nicht daran, daß alle meine
politischen Freunde, viel lieber, als
daß sie diesem Gesetze zustimmen,
dafür stimmen würden, daß
alle Paragraphen der Gesetzgebung,
welche sogenannten Geistlichen exemte
Stellungen einräumen, aufgehoben
werden. Wenn gleichwohl Anträge in
dieser Richtung nicht eingebracht
werden, so geschieht es aus dem Grunde,
weil man sich einen Erfolg augenblicklich
noch nicht von solchen Anträgen
verspricht.
Sind wir also, sagen
meine Freunde, augenblicklich
nicht in der Lage, diese besonderen
erweiterten Rechte, welche die
Gesetzgebung
dem Geistlichen zuweist, aufzuheben, so
wollen wir wenigstens gegenüber
dem besonderen erweiterten Rechte auch
besonders beschränkende Pflichten
auferlegen. Den vielen Privilegia
favorabilia gegenüber soll ein
privilegium
odiosum ihnen auferlegt werden. Es sind
also wesentlich praktische Gründe,
Gründe der Taktik, welche die
Mehrzahl
meiner politischen
Freunde diesem Gesetze
günstig stimmen. Ebenso aus
praktischen Gründen und vorwiegend
taktischen Gründen, kann ich dem
vorliegenden Gesetze nicht zustimmen.
Es ist Bezug genommen worden in den Reden
auf die Einsicht und das besondere
Verständniß der Abgeordneten
aus dem Westen des Reichs in Hinsicht
auf die klerikalen Wahlagitationen. Nun,
meine Herren, ich bin vom Rhein,
und die Herren aus den westlichen
Provinzen werden wissen, daß ich
in Bezug auf die Wahlagitationen am Rhein
und in Westfalen nicht gerade
im Stande der Unschuld mich befinde. Ich
bin in Westfalen bei den Reichstagswahlen
durchgefallen, ich bin am Rhein bei den
Reichstagswahlen durchgefallen,
ich bin in Westfalen gegen die Klerikalen
bei den letzten Reichstagswahlen
durchgefallen, ich bin bei der vorletzten
Wahl am Rhein durchgefallen,
obwohl mich die Klerikalen
unterstützten.
(Heiterkeit.)
Ich hatte also
Gelegenheit, die Sache von zwei
Seiten kennen zu lernen, und vielleicht
trägt dies dazu bei, daß
ich die Sache etwas ruhiger und gelassener
auffasse, als es anderswo vielleicht
geschieht. Praktisch, denke ich mir, kann
die Agitation der Geistlichen
in drei Richtungen sich bewegen: entweder
sie gehen mit der liberalen Partei,
oder sie gehen mit der Regierung gegen die
liberale Partei, oder sie gehen
gegen die Regierung und gegen die liberale
Partei zugleich. Die Möglichkeit
wenigstens, daß die Geistlichkeit
mit der liberalen Partei geht,
wird man nicht abstreiten können. In
Zeiten, wo etwa Steuerfragen
oder
Militärfragen im
Vordergrunde des Interesses
stehen, ist ja kaum ein Grund gegeben,
daß die Geistlichkeit einen
besonderen Standpunkt einnimmt; für
diesen Fall möchte ich sie
in ihrer Agitation nicht beschränkt
wissen,
(Heiterkeit.)
wenigstens so lange
nicht, als auch die Beamten
in ihrer selben Agitation nicht
beschränkt sind. Ich gehe in dieser
Hinsicht nicht so weit wie der Herr
Abgeordnete von Ketteler, der dieselben
Schranken auch den Aerzten auferlegen
will, den Notaren u. s. w. -- Indeß,
da Sie einmal im Amendiren sind, so
könnten Sie mich ordentlich mit
der Vorlage befreunden, wenn Sie etwa
inseriren wollten hinter: "Geistliche
oder andere Religionsdiener,
Landräthe und andere Polizeidiener."
(Große
Heiterkeit. Sehr gut! Bravo! im
Centrum.)
Der zweite Fall ist,
daß die Geistlichkeit
mit der Regierung geht; das wird
wenigstens mit der evangelischen
Geistlichkeit
in den östlichen Provinzen in der
Regel der Fall sein. Meine Herren,
für diesen Fall wird das ganze Gesetz
keine Anwendung finden, die
Regierung besitzt das Anklagemonopol, sie
wird auch in der neuen
Straf=Proceßordnung
für politische Vergehen schwerlich
dieses Anklagemonopol sich entreissen
lassen. Wenn je die Zeiten wiederkommen,
die schon dagewesen sind, daß
in den Kirchen gepredigt wird gegen die
parlamentarische Opposition, daß
Loyalitätsdeputationen im geistlichen
Ornate erscheinen, um vor dem
Throne die parlamentarische Opposition zu
schmähen, wenn Hofprediger
so weit gehen, daß sie selbst den
Eröffnungsgottesdienst der
Session dazu
benutzen,
(Hört,
hört! links)
um die anwesenden
Abgeordneten der Opposition
abzukanzeln, dann wird man sich vergeblich
nach diesem Paragraphen umsehen.
Wenn Sie dieses Gesetz amendiren wollen,
so bitte ich Sie, es wenigstens
dahin zu amendiren, daß Sie Jedem
aus dem Volke unabhängig vom
Staatsanwalt das Recht geben, auf Grund
dieses Paragraphen eine Anklage
zu erheben. Der dritte Fall ist der,
daß die Geistlichkeit zugleich
gegen die liberale Partei und die
Regierung agitirt. Ich gebe zu, daß
diese Frage gegenwärtig im
Vordergrunde steht. Ich am allerwenigsten
unterschätze die kulturfeindliche
Richtung, welche die römische
Hierarchie nimmt. Wenn aber in diesem
Falle wirklich auch ein innerer
Zusammenhang
zwischen Regierung und liberaler Partei
bestände, so würde die
Lösung eine sehr einfache sein. Die
Regierungen brauchten eben nur
das liberale Programm, wie es in einigen
Punkten der Abgeordnete Löwe
schon andeutete, zur vollen
Ausführung zu bringen. Meine Herren,
man
gebe dem Volke volle Vereins= und
Versammlungsfreiheit, man schaffe freie
Privatschulen, man befreie die
öffentlichen Schulen von der Aufsicht
der Geistlichkeit, man schaffe
Civilstands=Register und führe die
obligatorische Civilehe ein, man dotire
die Kirche aus öffentlichen
Mitteln nicht mehr, als sie aus
privatrechtlichen Titeln verlangen kann.
Man lasse nicht aus öffentlichen
Mitteln unter dem Namen
Religionsunterricht
oder Theologie auf
Schulen, Gymnasien, Universitäten
Dinge lehren, welche in schneidendem
Widerspruche mit der wissenschaftlichen
Erkenntniß unserer Zeit stehen. Man
verweise die Geistlichen für
die Eintreibung ihrer Kirchensteuer auf
den gewöhnlichen Civilprozeß;
dann wird es sehr bald Tag werden, dann
werden die schwarzen Gespenster,
vor denen sich viele der Herren so zu
fürchten scheinen, sehr bald
verschwinden.
Wenn man hier gesagt
hat, die Kirche übe
einen so großen Zwang auf ihre
Angehörigen aus, so frage ich
Sie, wer ist es denn, der ihr den starken
Arm zu diesem Zwange leiht? Sehen
wir nicht, wie in Berlin die
Schutzmänner von Haus zu Haus gehen,
um die Eltern aufzufordern, ihre Kinder
taufen zu lassen, und in ihrem
Eifer dafür keine Zeit finden, die
allergewöhnlichste
Straßenpolizei
zu handhaben! Wer ist es anders als der
Polizeirichter, der in letzter
Instanz die Eltern zwingt, die Kinder in
den von mir charakterisirten
Religionsunterricht
zu schicken: Ja, diese Regierungen sind
nicht wahrhaft liberal, sie wollen
dem Volke, das
mit gebundenen
Händen der Geistlichkeit
gegenüber steht die Hände nicht
frei machen, sie wollen dem Volke
keine Waffe in die Hand geben, sich gegen
die Geistlichkeit zu vertheidigen,
sie wollen nur die Machtmittel des Staates
vermehren, nur die Waffe des
Staatsanwalts schärfen.
(Sehr richtig!)
Glauben Sie in der
That, daß die Regierung
hierbei mit diesen Mitteln ihre eigenen
Zwecke erreichen werde? Glauben
Sie, daß, wenn die
Staatsbehörde die Jugend systematisch
verdummen
läßt, durch
Strafrechts=Paragraphen die Eltern vor den
Folgen
jener Verdummung geschützt werden
können?
(Heiterkeit; Sehr
gut! im Centrum.)
Glauben Sie,
daß überhaupt mit Haß=
und Verachtungsparagraphen sich einen
Opposition niederhalten läßt?
Der Herr Vorredner hat ganz recht, solche
Verfolgungen dienen nur dazu,
die Opposition zu schüren, den
Märtyrern aus diesem Paragraphen
wird hundertfach die Kraft des
Widerstandes erwachsen, mit diesen
Paragraphen
schlagen Sie die ultramontane Partei
nicht, Sie kitzeln Sie nur,
(große
Heiterkeit.)
und sie stacheln sie
nur auf zu energischem
Widerstande. Wenn nicht der Text des
Gesetzes, so sollten uns doch die
Motive und einige der Reden stutzig
machen, die wir für dieselben
gehört haben. Nicht die
Rechtswidrigkeit der unter Strafe
gestellten
Handlungen wird hier zu beweisen gesucht,
sondern nur die Staatsgefährlichkeit.
Und wie gelangt man zum Beweise der
Staatsgefährlichkeit? Indem man
als Nothwendigkeit für das Bestehen
des Staates hinstellt die
Nothwendigkeit,
daß eine bestimmte Richtung
das Staatsruder in der Hand
behält;
(ganz richtig!)
das ist dieselbe
Begriffsverwechslung, mittelst
deren man stets ähnliche
Maßnahmen vertheidigt hat. Ich kenne
nicht den Polizeigelehrten, der diese
Motive geschrieben hat, aber täuscht
mich nicht Alles, so hat ihm jene
Denkschrift dabei zum Muster gedient,
in der man einst jene berüchtigte
Preßordnung in Preußen
zu begründen versucht hat. Das war
auch eine Maßregel, um vor
den Wahlen eine politische Partei
niederzuhalten. Wenn ich solche Reden
höre, wie sie hier gefallen sind, von
dem "nothwendigen Ansehen" einer
Regierung, von der "maßvollen
Opposition", von dem "Terrorismus einer
Parteiregierung", von den
"Schmeicheleien,
denen die Massen ausgesetzt
würden", wenn ich sogar scheiden
höre zwischen Parteien, die
im Staate stehen und die außerhalb
des Staates stehen, zwischen nationalen
und internationalen, kosmopolitischen
Parteien, -- meine Herren, da habe
ich lebhaft bedauert, daß es bei den
letzten Reichstagswahlen dem
verflossenen preußischen
Ministerpräsidenten von Manteuffel
nicht gelungen ist, ein Mandat hier zu
erhalten; die Herren würden
von dieser Seite eine ihnen sehr
unerwünschte Zustimmung gefunden
haben. Ich hatte gerade in der letzten
Zeit Gelegenheit, die stenographischen
Berichte aus den
Kammerverhandlungen
zu Anfang der fünfziger
Jahre zu lesen, und das sage ich Ihnen, es
sind ganz genau dieselben Redewendungen,
dieselben Ausdrücke, mit denen damals
Herr von Manteuffel die Reaktion
inaugurirt hat, mit denen er die
Preßgesetze, die Strafgesetze, die
Vereinsgesetze eingeführt hat, unter
denen wir heute noch zu leiden
haben. Darin irrt der Herr Abgeordnete von
Ketteler, wenn er meint, dieses
Gesetz sei auf revolutionärem Boden
erwachsen; am
allerwenigsten hat es
etwas mit der französischen
Revolution gemein, der wir so herrliche
Früchte für unsere Gesetzgebung
zu verdanken haben. Nein, dieses Gesetz
stammt aus der Rüstkammer
der Reaktion. Das kann mich nicht
trösten, daß der
reaktionäre
Spieß, nachdem er bisher mehr gegen
links gekehrt war, nun gegen
das Centrum gerichtet wird, dieselbe Hand,
die ihn nach rechts gedreht
hat, kann ihn auch wieder nach links
drehen. Haben wir doch schon gelesen,
daß die sächsische Regierung in
ihrem besonderen Polizeieifer
versucht hat, ob sich nicht im Bundesrathe
bei dieser Gelegenheit ein ähnliches
Gesetz auch gegen die socialdemokratische
Partei machen ließe. Bis
jetzt ist dieser Vorschlag noch
zurückgestellt worden, aber aus
einigen
Reden, die hier gefallen sind,
habe ich
Anklänge vernommen, als ob es
wohl angezeigt wäre, demnächst
auch die deutsche Reichseinheit
an der socialdemokratischen Partei zu
erproben. Ich gehöre durchaus
nicht zu Denjenigen, welche die Agitation
der Socialdemokraten tragisch
nehmen, ich nehme sie viel weniger
tragisch, als dies bei anderen in diesem
Hause der Fall zu sein scheint; ich bin
der Meinung, daß, wenn
gegenwärtig
das Getöse der Socialdemokraten etwas
mehr auffällt, dies daher
kommt, weil im Uebrigen unser Parteileben
augenblicklich so sehr still
ist. Aber, meine Herren, täuschen wir
uns doch darüber nicht,
diese Stille wird nicht ewig
fortdauern. Der
Gegensatz zwischen der großen
Mehrheit der Bevölkerung und der
Regierung braucht nicht erst zu entstehen,
er ist vorhanden; es ist der Gegensatz
zwischen dem Bestreben nach einer
wirklich parlamentarischen Regierung und
einem Scheinkonstitutionalimus.
(Sehr wahr!)
Wenn man diesem
Gegensatz gegenüber temporirt,
wenn man seine Austragung vertagt, ja,
wenn man ihn sogar dort, wo er am
auffälligsten an die Oberfläche
tritt, durch ein Pauschquantum
auf mehrere Jahre begraben zu können
meint, -- der Gegensatz selbst
wird nicht verschwinden, er muß
ausgekämpft werden. Es mag ja
sein, daß die große
persönliche Autorität, deren
die gegenwärtigen Machthaber und
Staatslenker genießen, im Stande
ist, die Entscheidung dieses
Kampfes in das
nächste Decennium hinauszuschieben,
-- uns Jüngeren wird dieser Kampf
nicht erspart werden, und ich würde
glauben, daß in diesem Kampfe mir an
der Rüstung ein wesentlicher
Ring fehlen würde, wenn man mir dann
vorhalten könnte, ich hätte
einstmals für ein solches Gesetz
gestimmt.
(Bravo!)
Ich kann nicht
anders wie gegen dieses Gesetz
ein entschiedenes Nein aussprechen.
(Bravo!)
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