Eugen Richter
1838-1906









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Politisches ABC=Buch
9. Auflage, 1898

 
 
Abzahlungsgeschäfte. [S.6] Unter Abzahlungsgeschäften versteht man Kaufgeschäfte über Mobilien, bei welchen eine ratenweise Zahlung des Kaufpreises ausbedungen wird und bis zur vollständigen Abzahlung dem Verkäufer Rechte auf den verkauften Gegenstand vorbehalten bleiben. Solche Abzahlungsgeschäfte [S.7] sind in vielen Fällen eine wirtschaftlich berechtigte Geschäftsform, ohne welche manches brave Brautpaar auf eine eigene Ausstattung, manche Arbeiterin auf die Hilfe der Nähmaschine, mancher Musiklehrer auf das eigene Pianoforte verzichten müßte. Dagegen kann andererseits diese Geschäftsform verleiten zum Ankauf von Luxusgegenständen ohne das Vorhandensein entsprechender Mittel. Ein Reichsgesetz vom 16. Mai 1894 hat nun die Befugnis des Verkäufers in Bezug auf die Abzahlungsbedingungen eingeschränkt.

Das neue Gesetz schließt zunächst die sogenannte Verwirkungsklausel, das heißt die Ausbedingung des Verzichts auf die Rückgewährung aller gemachten Teilzahlungen im Falle der unvollständigen Erfüllung des Vertrags des Käufers, aus. Nach Ansicht vieler Juristen aber war eine solche Verwirkungsklausel schon nach dem früheren Recht nichtig. Das neue Gesetz erklärt weiterhin, daß, wenn der Verkäufer von seinem Vorbehalt Gebrauch macht und wegen Nichterfüllung des Käufers von dem Verträge zurücktritt, Zug um Zug der Käufer die Sachen, der Verkäufer die geleisteten Teilzahlungen zurückzuerstatten hat. Der Käufer bat dabei Ersatz zu leisten für die von ihm zu vertretenden Beschädigungen und eine Vergütung zu gewähren für Ueberlassung des Gebrauchs oder der Benutzung, wobei auf die inzwischen eingetretene Wertminderung der Sachen Rücksicht zu nehmen ist. Eine vertragsmäßige Festsetzung einer höheren Vergütung ist nichtig. Ebenso soll der Richter berechtigt sein, unverhältnismäßig hohe Konventionalstrafen für Nichterfüllung auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen. Die Abrede, daß die Nichterfüllung der dem Käufer obliegenden Verpflichtungen die Fälligkeit der Restschuld zur Folge haben solle, kann rechtsgiltig nur für den Fall getroffen werden, daß der Käufer mit mindestens zwei auf einander folgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise im Verzug ist und der Betrag, mit dessen Zahlung er im Verzug ist, mindestens dem zehnten Teile des Kaufpreises der übergebenen Sache gleichkommt.

In der praktischen Anwendung dieser Bestimmungen kommt Alles auf die diskretionäre Entscheidung des Richters an. In solchen Fällen aber pflegen die Richter, je nach dem verschiedenen Grad ihres Verständnisses vom praktischen Leben, sehr verschiedener Meinungen zu sein. Das Vertrauen auf die Weisheit des Richters ist deshalb keine sichere Geschäftsunterlage. Eine solche wird bei dergleichen Geschäften immer nur gefunden werden zu einer bestimmten Tarifierung der Vergütung für den Gebrauch und die Abnutzung der Sache und des Risikos des Verkäufers im Falle der Nichterfüllung. In dem Maße, wie die Anerkennung einer solchen Tarifierung seitens des Richters in Folge des neuen Gesetzes unsicher erscheint, wächst das Risiko derartiger Geschäfte.

Die Abgeordneten der Freisinnigen Volkspartei stimmten gegen das Gesetz, weil sie befürchteten, daß dasselbe seine wohlgemeinten Absichten nicht erreicht, sondern eher das Gegenteil bewirkt. Letzteres ist der Fall in dem Maße, wie sich gerade solide Geschäftsleute infolge der Bestimmungen des Gesetzes abschrecken lassen, überhaupt noch Abzahlungsgeschäfte zu machen. Andere werden Entschädigung suchen in erhöhten Verkaufspreisen. Denn je mehr es dem Verkäufer erschwert wird, sich gegen schwindelhafte und betrügerische [S.7] Käufer zu schützen, desto höher werden von vornherein die Verkaufspreise behufs Schadloshaltung für jedes Risiko gestellt. Darunter werden aber gerade die ehrlichen, sparsamen und soliden Käufer auf Abzahlung am meisten zu leiden haben.