Politisches ABC=Buch
9. Auflage, 1898
Abzahlungsgeschäfte.
[S.6] Unter
Abzahlungsgeschäften versteht man
Kaufgeschäfte über Mobilien, bei
welchen eine ratenweise Zahlung des
Kaufpreises ausbedungen wird und bis zur
vollständigen Abzahlung dem
Verkäufer Rechte auf den verkauften
Gegenstand vorbehalten bleiben. Solche
Abzahlungsgeschäfte [S.7] sind in vielen
Fällen eine wirtschaftlich berechtigte
Geschäftsform, ohne welche manches brave
Brautpaar auf eine eigene Ausstattung, manche
Arbeiterin auf die Hilfe der Nähmaschine,
mancher Musiklehrer auf das eigene Pianoforte
verzichten müßte. Dagegen kann
andererseits diese Geschäftsform
verleiten zum Ankauf von
Luxusgegenständen ohne das Vorhandensein
entsprechender Mittel. Ein Reichsgesetz vom
16. Mai 1894 hat nun die Befugnis des
Verkäufers in Bezug auf die
Abzahlungsbedingungen eingeschränkt.
Das neue
Gesetz schließt zunächst die
sogenannte Verwirkungsklausel, das heißt
die Ausbedingung des Verzichts auf die
Rückgewährung aller gemachten
Teilzahlungen im Falle der
unvollständigen Erfüllung des
Vertrags des Käufers, aus. Nach Ansicht
vieler Juristen aber war eine solche
Verwirkungsklausel schon nach dem
früheren Recht nichtig. Das neue Gesetz
erklärt weiterhin, daß, wenn der
Verkäufer von seinem Vorbehalt Gebrauch
macht und wegen Nichterfüllung des
Käufers von dem Verträge
zurücktritt, Zug um Zug der Käufer
die Sachen, der Verkäufer die geleisteten
Teilzahlungen zurückzuerstatten hat. Der
Käufer bat dabei Ersatz zu leisten
für die von ihm zu vertretenden
Beschädigungen und eine Vergütung zu
gewähren für Ueberlassung des
Gebrauchs oder der Benutzung, wobei auf die
inzwischen eingetretene Wertminderung der
Sachen Rücksicht zu nehmen ist. Eine
vertragsmäßige Festsetzung einer
höheren Vergütung ist nichtig.
Ebenso soll der Richter berechtigt sein,
unverhältnismäßig hohe
Konventionalstrafen für
Nichterfüllung auf einen angemessenen
Betrag herabzusetzen. Die Abrede, daß
die Nichterfüllung der dem Käufer
obliegenden Verpflichtungen die
Fälligkeit der Restschuld zur Folge haben
solle, kann rechtsgiltig nur für den Fall
getroffen werden, daß der Käufer
mit mindestens zwei auf einander folgenden
Teilzahlungen ganz oder teilweise im Verzug
ist und der Betrag, mit dessen Zahlung er im
Verzug ist, mindestens dem zehnten Teile des
Kaufpreises der übergebenen Sache
gleichkommt.
In der
praktischen Anwendung dieser Bestimmungen
kommt Alles auf die diskretionäre
Entscheidung des Richters an. In solchen
Fällen aber pflegen die Richter, je nach
dem verschiedenen Grad ihres
Verständnisses vom praktischen Leben,
sehr verschiedener Meinungen zu sein. Das
Vertrauen auf die Weisheit des Richters ist
deshalb keine sichere Geschäftsunterlage.
Eine solche wird bei dergleichen
Geschäften immer nur gefunden werden zu
einer bestimmten Tarifierung der
Vergütung für den Gebrauch und die
Abnutzung der Sache und des Risikos des
Verkäufers im Falle der
Nichterfüllung. In dem Maße, wie
die Anerkennung einer solchen Tarifierung
seitens des Richters in Folge des neuen
Gesetzes unsicher erscheint, wächst das
Risiko derartiger Geschäfte.
Die
Abgeordneten der Freisinnigen Volkspartei
stimmten gegen das Gesetz, weil sie
befürchteten, daß dasselbe seine
wohlgemeinten Absichten nicht erreicht,
sondern eher das Gegenteil bewirkt.
Letzteres ist der Fall in dem Maße,
wie sich gerade solide Geschäftsleute
infolge der Bestimmungen des Gesetzes
abschrecken lassen, überhaupt noch
Abzahlungsgeschäfte zu machen. Andere
werden Entschädigung suchen in
erhöhten Verkaufspreisen. Denn je mehr
es dem Verkäufer erschwert wird, sich
gegen schwindelhafte und betrügerische [S.7] Käufer
zu schützen, desto höher werden
von vornherein die Verkaufspreise behufs
Schadloshaltung für jedes Risiko
gestellt. Darunter werden aber gerade die
ehrlichen, sparsamen und soliden Käufer
auf Abzahlung am meisten zu leiden haben.
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