Politisches
ABC=Buch
9. Auflage, 1898
Agrarier.
[S.11] von
lateinisch ager der Acker, nennt man
Politiker, welche als ihre politische
Richtschnur angebliche landwirtschaftliche
Interessen in der einseitigsten
Weise vertreten; sie übersehen dabei,
daß alle wohlverstandenen und
gerechten Interessen
mit einander in Einklang stehen und
gemeinsam [S.12] sind. In
Wirklichkeit vertreten
die Agrarier nur Interessen des
Großgrundbesitzes in der denkbar
beschränktesten und kurzsichtigsten
Art. Agrarier finden sich besonders
zahlreich in den parlamentarischen Parteien
der Deutschkonservativen und
Freikonservativen; doch sind Agrarier auch
vielfach in der Centrumspartei und
unter den Nationalliberalen. Die agrarischen
Abgeordneten aus der
konservativen, der freikonservativen und der
nationalliberalen Partei halten im
Reichstage unter dem Titel „Wirtschaftliche
Vereinigung“ Konferenzen ab zur
Besprechung über gemeinschaftliche
Initiativanträge in ihrem agrarischen
Interesse,
sowie zur Formulierung der Stellungnahme
gegenüber Regierungsvorlagen und
Initiativanträgen
anderer Parteien, welche ihre agrarischen
Interessen berühren.
Im Lande war
ein
großer Teil der Agrarier seit 1876 in
der sogenannten „Vereinigung der Steuer-
und Wirtschaftsreformer“ vereinigt. Bei
Gelegenheit der jährlichen
Generalversammlung dieses Vereins pflegen
dieselben Personen in Berlin auch
unter der Firma „Kongreß deutscher
Landwirte“ zusammenzukommen. Neuerlich sind
diese Vereinigungen zurückgetreten,
seitdem eine umfassendere Organisation der
Agrarier in dem im Februar 1893
gegründeten „Bund der Landwirte“ sich
gebildet
hat (siehe „Bund der Landwirte“). Auch der
Bund der Landwirte sucht durch
rücksichtslose Agitation und
unbekümmert um das Gemeinwohl die
einseitigsten
agrarischen Interessen zu verfolgen.
Ein
besonderes Fiasko haben die
Gesetzgebungskünste der Agrarier
neuerlich erfahren in Bezug auf die
Börsengesetzgebung, das
Zuckersteuergesetz und die
Währungsfrage (siehe
„Börsengesetz“,
„Zuckersteuer“ und „Währungs-
Verhältnisse“.)
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