Eugen Richter
1838-1906









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Politisches ABC=Buch
9. Auflage, 1898

 
 

Agrarier. [S.11] von lateinisch ager der Acker, nennt man Politiker, welche als ihre politische Richtschnur angebliche landwirtschaftliche Interessen in der einseitigsten Weise vertreten; sie übersehen dabei, daß alle wohlverstandenen und gerechten Interessen mit einander in Einklang stehen und gemeinsam [S.12] sind. In Wirklichkeit vertreten die Agrarier nur Interessen des Großgrundbesitzes in der denkbar beschränktesten und kurzsichtigsten Art. Agrarier finden sich besonders zahlreich in den parlamentarischen Parteien der Deutschkonservativen und Freikonservativen; doch sind Agrarier auch vielfach in der Centrumspartei und unter den Nationalliberalen. Die agrarischen Abgeordneten aus der konservativen, der freikonservativen und der nationalliberalen Partei halten im Reichstage unter dem Titel „Wirtschaftliche Vereinigung“ Konferenzen ab zur Besprechung über gemeinschaftliche Initiativanträge in ihrem agrarischen Interesse, sowie zur Formulierung der Stellungnahme gegenüber Regierungsvorlagen und Initiativanträgen anderer Parteien, welche ihre agrarischen Interessen berühren.

Im Lande war ein großer Teil der Agrarier seit 1876 in der sogenannten „Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer“ vereinigt. Bei Gelegenheit der jährlichen Generalversammlung dieses Vereins pflegen dieselben Personen in Berlin auch unter der Firma „Kongreß deutscher Landwirte“ zusammenzukommen. Neuerlich sind diese Vereinigungen zurückgetreten, seitdem eine umfassendere Organisation der Agrarier in dem im Februar 1893 gegründeten „Bund der Landwirte“ sich gebildet hat (siehe „Bund der Landwirte“). Auch der Bund der Landwirte sucht durch rücksichtslose Agitation und unbekümmert um das Gemeinwohl die einseitigsten agrarischen Interessen zu verfolgen.

Ein besonderes Fiasko haben die Gesetzgebungskünste der Agrarier neuerlich erfahren in Bezug auf die Börsengesetzgebung, das Zuckersteuergesetz und die Währungsfrage (siehe „Börsengesetz“, „Zuckersteuer“ und „Währungs- Verhältnisse“.)