Politisches
ABC=Buch
9. Auflage, 1898
Börsensteuern.
[S.61]
Als Börsensteuern bezeichnet man
Reichsstempelabgaben,
welche 1881 eingeführt, 1885 und 1894
erweitert und erhöht worden sind und
teils die Ausgabe von Wertpapieren, teils
gewisse Kauf- und Anschaffungsgeschäfte
betreffen. Die Stempelsteuer auf Wertpapiere
belastet die Ausgabe von Aktien
und von Inhaberpapieren. Sie betrug bei Aktien
bis 1894 5 pro Mille vom Nennwert.
Seitdem ist sie auf 1 % vom Nennwert bei
inländischen Aktien und auf 1 ½ %
bei
ausländischen Aktien erhöht worden.
Die Stempelsteuer auf inländische,
für den
Handelsverkehr bestimmte Renten- und
Schuldverschreibungen betrug bis 1894 2 pro
Mille. Seitdem ist sie auf 4 pro Mille und
für ausländische Papiere dieser Art
auf 6 pro Mille erhöht worden. Ein
geringerer Steuersatz findet Anwendung auf
die Inhaberpapiere, welche
Kommunalverbände und Kommunen ausgeben.
Hier ist der
Steuersatz nach wie vor 1894 auf 1 pro Mille
normirt. Für Renten- und
Schuldverschreibungen
der Korporationen ländlicher oder
städtischer Grundbesitzer, der
Grundkredit-
und Hypothekenbanken und der
Transportgesellschaften ist 1894 der
Steuersatz
von 1 auf 2 pro Mille erhöht worden.
Renten- und Schuldverschreibungen des
Reiches und der Bundesstaaten bleiben
steuerfrei, ebenso die auf Grund des
Reichsgesetzes vom 8. Juni 1871 abgestempelten
ausländischen Jnhaberpapiere mit
Prämien.
Die Stempelsteuer auf Kauf- und
Anschaffungsgeschäfte bestand von 1881
bis 1885 in einem geringen Fixstempel.
Anstelle dessen trat 1885 ein
Prozentualstempel, dessen Sätze 1894
verdoppelt wurden und außerdem noch eine
weitere Erhöhung mittelbar erfuhren
infolge der Berechnungsweise des Werts nach
geringeren Abstufungen. Es werden
gegenwärtig bei Kauf- und
Anschaffungsgeschäften
über Wertpapiere 2/10 pro Mille, bei
solchen Geschäften über Waren 4/10
pro
Mille erhoben. Doch besteht eine Steuerpflicht
für Warengeschäfte nur insofern,
als die Waren an den betreffenden Orten
börsenmäßig gehandelt werden.
Als
börsenmäßig gehandelt gelten
Waren, für welche an der Börse,
deren Usancen für
das Geschäft maßgebend sind,
Terminpreise notirt werden. Kauf- und sonstige
Anschaffungsgeschäfte über im Inland
von einem der Kontrahenten erzeugte und
hergestellte Mengen von Sachen oder Waren sind
steuerfrei. Zu diesen beiden
Börsensteuern
ist noch eine Stempelsteuer auf Lose von
Staatslotterien und Privatlotterien gekommen,
welcher 1885 aus 5 %, 1894 auf 10 % des
Loswertes normirt wurde. — Die
Einnahmen aus den genannten 3 Steuern betrugen
in den beiden letzten
Etatsjahren vor der Erhöhung im Jahre
1894 22 063 000 und 21 667 000 M., nach
dem Inkraftreten der erhöhten Sätze
mit dem 1. Mai 1894 stiegen die Einnahmen
im Etatsjahr 1894/95 auf 39761000 M., im
Etatsjahr 1895196 auf 55036000 M. und
im Etatsjahr 1896/97 betrugen sie 47 711 000
M. Vor der Erhöhung hatte die
Höchsteinnahme nach 1885 34 Millionen im
Jahre 1889/90 betragen.
Für die
Erhöhung der genannten Steuern haben
1894 die
Konservativen, Nationalliberalen, Centrum,
Antisemiten und die Freisinnige
Vereinigung gestimmt. Die Sozialdemokraten
stimmten gegen die Erhöhung, weil
sie überhaupt keinerlei Steuer
zustimmen wollten, welche bestimmt ist,
einen
erhöhten [S.62] Militäraufwand
zu ermöglichen.
Die Freisinnige Volkspartei stimmte gegen
die Erhöhung dieser Steuern, weil sie
grundsätzlich
jede höhere Belastung des Verkehrs und
der Umsätze bekämpft. Es ist ein
großer
Irrtum zu glauben, daß diese Steuern
in der Hauptsache oder im wesentlichen
Betrage von reichen Börsenmännern
getragen werden; im Gegenteil werden diese
Steuerbeträge ebenso wie alle
Maklergebühren, Provisionskosten,
Portis auf den
Kundenkreis abgewälzt, welcher
Wertpapiere kauft oder verkauft. Derart hat
auch
der kleine Mann, welcher seine Ersparnisse
beispielsweise in einem Staatspapiere
anlegen will, die Stempelsteuer aus
Kaufgeschäfte zu tragen. Durch die
Erhöhung
der Steuer sind insbesondere die
Arbitragegeschäfte beeinträchtigt,
welche aus
den bei der heutigen Verkehrsentwickelung in
der Regel überaus minimalen
Preisdifferenzen Nutzen zu ziehen suchen,
die sich im Preise der verschiedenen
Börsenplätze für Effekten
ergeben. Auch das Reportgeschäft wird
benachteiligt,
welches gleichfalls nicht auf Spekulation
gerichtet ist, sondern lediglich dazu
dient, solche Geldmittel für meist nur
kurz bemessene Zeit zinsbar zu machen,
welche nicht zu dauernden Anlagen, sondern
dazu bestimmt sind, in Bereitschaft
gehalten zu werden.
Die Erhöhung des
Stempels auf Wertpapiere erweist sich
für
Emissionen ausländischer Wertpapiere in
Deutschland besonders nachteilig. Die
höhere Besteuerung hat schon
Veranlassung gegeben, daß gerade
solide Emissionen
ausländischer Wertpapiere, wie
schwedische und norwegische Anleihen, nicht
wie
früher in Deutschland, sondern auf
ausländischen Börsenplätzen
begeben worden sind.
Die Ansicht, daß hohe
Börsensteuern unsolide
Börsenspekulationen und
Börsenspiel verhindern, ist ebenso
falsch, als wenn man eine Erhöhung des
Spielkartenstempels befürworten wollte
als Mittel zur Eindämmung der
Spielleidenschaft
oder aus der Erhöhung der
Wechselstempelsteuer ein Mittel zur
Bekämpfung des Wuchers
entnehmen wollte. Gegenüber den
Differenzen, welche bei gewagten
Spekulationen
in Frage kommen, fällt auch der
erhöhte Steuersatz nicht in Betracht,
desto mehr
aber bei soliden Geschäften, in denen
nur ein geringer Gewinn in Frage kommen
kann.
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