Politisches
ABC=Buch
9. Auflage, 1898
Mittelstandspolitik.[S.260]
Mittelstandspolitik ist neuerlich ein besonders bei den konservativen
und antisemitischen Parteien beliebtes Schlagwort geworden. Gerade diese
Parteien aber sind am Wenigsten berechtigt, sich als Vertreter der Interessen
des Mittelstandes hinzustellen. Die konservativen Parteien erschweren es
durch ihren Einspruch gegen Reichstagsdiäten gerade Personen des Mittelstandes,
sich an der Gesetzgebung zu beteiligen. Das Schutzzollsystem und die besonderen
Liebesgaben für Gutsbrennereien und Zuckerfabriken belasten auch den
Mittelstand wesentlich zu Gunsten der Großbetriebe und des Großgrundbesitzes.
Die zünftlerische Gesetzgebung erschwert dem Handwerk die Konkurrenz
mit der Fabrikindustrie. Die hohen Militärlasten und die damit zusammenhängenden
Verbrauchsabgaben drücken besonders auf den Mittelstand. Indem die
genannten Parteien in der Gewerbenovelle 1896 das Detailreisen erschwerten,
beeinträchtigten sie die Konkurrenz des Mittelstandes in Handel und
Industrie mit den großen Warenhäusern. Auch die Bekämpfung
des Genossenschaftswesens durch die obengenannten Parteien schädigt
die Interessen des Mittelstandes, aus welchem sich die Mitgliedschaft bei
den Genossenschaften zu einem großen Teil zusammensetzt. Die Befestigung
des Großgrundbesitzes durch Fideikommisse, das Anerbenrecht und die
geplanten Beschränkungen der Freiheit des Grundeigentums erschweren
den
Landerwerb und die Vermehrung des Landbesitzes insbesondere auch für
den bäuerlichen Mittelstand.
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