Politisches
ABC=Buch
9. Auflage, 1898
Reaktion. [S.282]
Unter Reaktion ist das Bestreben zu verstehen, Zustände in
der Gesetzgebung und Verwaltung wieder einzuführen, welche zu den
veränderten Verhältnissen und dem Fortschritt der Zeit nicht
mehr passen und durch neuere Gesetze beseitigt und zurückgedrängt
worden sind. Eine solche Reaktionsperiode bestand in Deutschland unmittelbar
nach 1848 von 1850 bis 1858. Dieselbe wurde erst durch den Thronwechsel
in Preußen unterbrochen. Eine neue
Reaktionsperiode begann in Deutschland nach den Attentaten von Sozialisten
im Jahre 1878 mit dem Sozialistengesetz. Dieselbe ergriff demnächst
auch die wirtschaftliche Gesetzgebung in der Wiederherstellung aufgehobener
Beschränkungen inbezug auf die Gewerbefreiheit, Zinsfreiheit, Erweiterung
der Polizeibefugnisse im Konzessionswesen. Im Zollwesen machte sich diese
Reaktion durch die Vermehrung und Erhöhung der Schutzzölle seit
1879 geltend, im Steuerwesen durch Vermehrung und Erhöhung der Verbrauchsabgaben
im Reich. In der Landesgesetzgebung wurde die Selbstverwaltung der Kommunalverbände
durch Verstärkung der Aufsichtsrechte, durch Nichtbestätigung
und sonstige Ausschließung politisch anders Gesinnter von öffentlichen
Aemtern eingeschränkt.
Nachdem mit der Aufhebung
des Sozialistengesetzes i. J. 1890 auf politischem Gebiete und mit den
neueren Handelsverträgen 1892 bis 94 auf handelspolitischem Gebiete
eine entgegengesetzte Strömung sich anzubahnen schien, ist seit
Ende 1894 die Reaktion wieder schärfer hervorgetreten
in der Umsturzvorlage (s. "Umsturzvorlage") zur Beschränkung der Meinungsäußerung
durch neue Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, 1897 durch die Versuche im
preußischen Landtag zur Einschränkung des Vereins= und Versammlungsrechts
und auf wirtschaftlichem Gebiete durch gewerbepolizeiliche Beschränkungen
und Zwangsorganisationen des Handwerks in den Novellen von 1896 und 97
zur Gewerbeordnung.
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