Politisches
ABC=Buch
9. Auflage, 1898
Terminhandel für Getreide.
[S.342] Im Gegensatz zu dem Regierungsentwurf
für das Börsengesetz (siehe "Börsengesetz") und zu den Anträgen
der Börsenenquetekommission wurde der börsenmäßige
Terminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten durch das Börsengesetz
untersagt. Während der Verhandlungen der Enquetekommission waren nicht
einmal von den ihr angehörigen landwirtschaftlichen Mitgliedern, die
nachher für das Verbot eintraten, auch nur Anträge in dieser
Richtung eingebracht worden. Auch der deutsche Landwirtschaftsrat und das
preußische Landesökonomiekollegium hatten nur Anträge auf
[S.343] Ausmerzung der Mißstände gestellt;
Anträge auf Verbot des Terminhandels wurden im Landwirtschaftsrat
ausdrücklich abgelehnt.
Das Verbot wurde erlassen
bei der zweiten Beratung am 1. Mai 1896 in namentlicher Abstimmung mit
200 gegen 39 Stimmen der beiden freisinnigen Fraktionen, der Deutschen
Volkspartei und der Sozialdemokraten. Noch unmittelbar vor der Abstimmung
trat namens der Regierung der Unterstaatssekretär
im Reichsamt des Innern Rothe gegen das Verbot ein. Wäre die Theorie
richtig, so führte derselbe aus, daß die Terminspekulation notwendig
die Preise herabsetzen muß, wie dies behauptet war, so könnte
sie das doch nicht nur bei Getreide thun; auch Spiritus, Zucker, Kaffee
wird in Terminen spekulirt und in blanko verkauft. Auch die Effektenspekulation
haben eine weit größere Ausdehnung als die Getreidespekulationen.
Wenn die Theorie richtig wäre, daß man bei der Baissespekulation
nur gewinnen kann, dann wäre doch die Enthaltsamkeit zu verwundern,
mit der die Mehrheit der Menschheit sich von diesen Geschäften immer
noch fernhält. Die von den Agrariern angeführte Firma Cohn und
Rosenberg hätte in der Theorie, da sie à la baisse ging, gewinnen
müssen; sie hat aber verloren. Die Folge jeder excessiven Spekulation
pflegt zu sein, daß sie sich an den Urhebern rächt; Gewaltspekulationen
stiften Schaden, nur vorübergehend Vorteil, und auf solche vorübergehenden
Erscheinungen sollte man dauernde gesetzgeberische Maßnahmen nicht
gründen. Der Unterstaatssekretär erklärte die öffentliche
Abwendung gegen das Termingeschäft so: die Preise sind schlecht, ein
Baissespekulant ist in flagranti ertappt, dem es gelungen ist, die Preise
zu drücken; also drückt das Termingeschäft die Preise, also
ist die Notlage der Landwirtschaft verschuldet durch das Termingeschäft:
post hoc, ergo propter hoc. Weil die Konjunktur für Getreide sich
in absteigender Linie befindet infolge der Konkurrenz der nordamerikanischen
Prärien, des ostindischen, des argentinischen Weizens, der außerordentlichen
Verbilligung der Beförderungsmittel, geht die Börse in die Baisse,
und nicht: es gehen die Preise herunter, weil die Börse die Baisse
macht. Die Börse würde natürlich sofort à la hausse
gehen, wenn sie einen Gewinn dabei machte.
Auch der damalige Handelsminister
Frhr. V. Berlepsch hatte vor der Abstimmung es als im höchsten Maße
zweifelhaft bezeichnet, ob das absolute Verbot des Terminhandels nicht
der Landwirtschaft den erheblichsten Schaden bringen wird. Die Verantwortung
dafür, daß durch das Verbot ein solch erheblicher unberechenbarer
Schaden zugefügt wird, könne seiner Ueberzeugung nach niemand
übernehmen. Unbestritten liege die wertvolle Seite des Terminhandels
in der Frage der Versicherung gegen das Risiko. Fällt diese Versicherungsmöglichkeit
fort, so kann der Handel nicht mehr mit derselben Bereitwilligkeit gerade
in derjenigen Zeit eintreten, wo die Landwirtschaft am allernotwendigsten
den Verkauf der Ware braucht.
Die von dem Handelsminister
erwähnte Versicherung besteht darin, daß der Kaufmann die Ware,
die er absetzen will, womöglich schon verkauft, bevor er sie noch
gekauft hat. Sobald man nur sicher ist, daß man eine Ware in bestimmter
Qualität zu dem und dem Preise und in der und der Zeit heranzuschaffen
vermag, ist es kaufmännisch vorteilhaft, zunächst den Abnehmer
für die Ware zu suchen und erst nachher sich zu decken und die Ware
selbst an=[S.344]=zuschaffen. Aus solchen Lieferungsgeschäften
hat sich im Laufe der Zeit der Terminhandel herausgebildet als eine entwickeltere
Form des einfachen Lieferungsgeschäfts. Weil Weizen und Roggen keine
Waren sind, die eine einfache Qualität repräsentiren, sondern
die besten Qualitäten unter Umständen einen beträchtlich
höheren Preis bedingen als die niederen Qualitäten, so wird hier
das Lieferungsgeschäft sehr erschwert. So schiebt sich das börsenmäßige
Termingeschäft zur Erleichterung dazwischen, indem es eine sogenannte
Lieferungsqualität feststellt, welche eine Art von Durchschnittscharakter
hat. Auf der sicheren Basis der Lieferungsqualität entwickelt sich
ein lebhaftes Spekulationsgeschäft.
Nun wird behauptet:
die Spekulanten, die als Verkäufer erscheinen und Terminware anbieten,
die sie nicht besitzen, auch vielleicht niemals erwerben wollen, drückten
die Preise. Nun kann aber kein einziger Terminabschluß erfolgen,
bevor nicht dem Verkäufer auch ein Käufer gegenübersteht.
Auch wenn solche Terminabschlüsse spekulativer Natur sind, halten
sich die Käufer und Verkäufer die Wage. Den Verkäufern von
sogenanntem Papierweizen stehen auch Käufer
für Papierweizen gegenüber. Durch die Vermehrung von Käufern
und Verkäufern kann auch den Getreideproduzenten kein Schaden erwachsen;
sowohl für denjenigen, die Ware absetzen will, wie für denjenigen,
der Ware kaufen will, ist der Markt um so vorteilhafter, je mehr Käufer
und Verkäufer auf dem Markt sind. Der Vorteil eines großen Marktes
besteht darin, daß jeder, der verkaufen will, in der Lage ist, auf
diesem großen Markt jeden Augenblick auch einen Käufer zu finden,
und daß im umgekehrten Falle jeder, der als Käufer auf dem Markt
erscheint, durch diesen Markt in die Lage versetzt wird, auch jeden Augenblick
einen Verkäufer zu finden. Je mehr Käufer und
Verkäufer, seien es spekulative oder andere, um
so schwerer ist es, eine willkürliche Preistreiberei herbeizuführen.
Eben deswegen trägt der Terminhandel mit seinen spekulativen Käufern
und Verkäufern ganz wesentlich dazu bei, eine Stabilisirung des Preises
herbeizuführen. Andernfalls wird es für eine einzelne starke,
kapitalkräftige Hand sehr viel leichter sein, die Preisbildung zu
beeinflussen. In dem Maße, wie der Terminhandel es auch dem kleinen
Spekulanten ermöglicht, einen größeren Markt zu schaffen,
wird es auch für die kapitalkräftigsten Hände unmöglich,
willkürliche Preisbildungen hervorzurufen.
Von Seiten der Agrarier
wird geltend gemacht, daß nur der börsenmäßige Terminhandel,
nicht der Terminhandel und das handelsrechtliche Lieferungsgeschäft
überhaupt verboten sei. Die Thatsache ist richtig und wurde diese
Zulässigkeit handelsrechtlicher Lieferungsgeschäfte auch in Getreide
noch Anfang November 1897 in einer vom Handelsminister veranstalteten Konferenz
allseitig anerkannt.
Der Unterschied des
börsenmäßigen vom handelsrechtlichen Terminhandel besteht
darin, daß er nach vom Börsenvorstand festgesetzten Bedingungen
auf eine festbestimmte Lieferungszeit geschlossen wird und daß für
die an der betreffenden Börse geschlossenen Geschäfte eine amtliche
Feststellung von Terminpreisen erfolgt. Es unterliegt aber keinem Zweifel,
daß gerade ein börsenmäßiger [S.345]
Terminhandel eine größere Gleichmäßigkeit der Preise
und auch eine größere Zuverlässigkeit für die festgestellten
Preise herbeiführt.
Wie
nachteilig das Verbot des börsenmäßigen Terminhandels
schon 1897 thatsächlich auf die Getreidepreise
eingewirkt hat, ist neuerlich durch die "Vossische Zeitung" nachgewiesen
worden in einem Vergleich der Berliner Getreidepreise und der Getreidepreise
für Weizen in Wien, Budapest, Amsterdam, Paris, London, Liverpool,
New York und Chicago und für Roggen in Wien und Budapest. Die Centralnotirungsstelle
der preußischen Landwirtschaftskammer hat durch ihre Gegenberechnung
diese Aufstellung nicht zu erschüttern vermocht. Nach dieser Aufstellung
ergab sich für die Tonne Weizen in Berlin am 25. September 1897, verglichen
mit den Preisen vom 1. Januar 1897, eine Steigerung von nur 3 Mk. Hingegen
hat Platz gegriffen eine Preissteigerung in Wien um 51 Mk., in Budapest
um 61 Mk., im Amsterdam um 16 Mk., in New York um 10 Mk., in Chicago um
17 Mk. Bei Roggen hat in Berlin eine Preissteigerung stattgefunden um 11.
Mk., in Wien dagegen um 24 Mk., in Budapest um 26 Mk.
Im Einzelnen ergiebt
sich dies aus folgender Tabelle:
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|
Weizen |
|
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am 1. Januar |
am 25 Sept. |
Steigerung |
pro Tonne |
in Berlin |
177 Mk. |
180 Mk. |
3 Mk. |
= ca. 3 Mk. |
in Wien |
8,71 G. |
11,72 G. |
3,01 G. |
= ca. 51 Mk. |
in Budapest |
8,34 G. |
11,93 G. |
3,59 G. |
= ca. 61 Mk. |
in Amsterdam |
195 G. |
217 G. |
22 G. |
= ca. 16 Mk. |
in Paris |
22,50 Fr. |
28,90 Fr. |
6,30 Fr. |
= ca. 50 Mk. |
in London |
|
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engl. Weizen |
32 sh. 6 d. |
35 sh. 7 d. |
3 sh. |
= ca. 13 Mk. |
Saronka |
33 sh. |
37 sh. 6 d. |
4 sh. 6 d. |
= ca. 19 Mk. |
in Liverpool |
6 sh. 11 1/2 d. |
7 sh.11 1/2 d. |
1 sh. |
= ca. 17 Mk. |
in New York |
91 3/4 Cents |
98 3/4 Cents |
6 5/8 Cents |
= ca. 10 Mk. |
in Chicago |
80 Cents |
91 5/8 Cents |
11 5/8 Cents |
= ca. 17 Mk. |
|
|
Roggen |
|
|
in Berlin |
129 1/2 Mk. |
140 1/2 Mk. |
11 Mk. |
= ca. 11 Mk. |
in Wien |
7,29 G. |
8,71 G. |
1,42 G. |
= ca. 24 Mk. |
in Budapest |
6,87 G. |
8,38 G. |
1,51 G. |
= ca. 26 Mk. |
Alle diese Preise
beziehen sich auf nahe Lieferung.
Man hatte auch behauptet,
daß während der Weltmarktpreis heftig und unvermittelt hin und
her schwankte, seit dem Verbot des börsenmäßigen Terminhandels
die Preissteigerung in Berlin stetig und daher wenig bemerkbar war. Auch
dies wird als eitel Dunst bezeichnet. Weizen
eröffnete das laufende Jahr in Berlin mit circa 180 Mk., ging dann
auf 154 Mk. pro Tonne zurück, stieg auf circa 194 Mk., um dann circa
14 Mk. wieder zu weichen. Seitdem der regelmäßige Börsenverkehr
eingestellt ist, ging die Nachfrage einer ausländischen Hausse stets
wesentlich schwerfälliger von Statten als die Beantwortung rückläufiger
Preisanregung.
Von agrarischer Seite
ist auch ausgeführt worden, daß, wenn diese Tabelle richtig
wäre, man auf liberaler Seite um so zufriedener sein müßte
mit dem Verbot, da es ja einer Verteuerung des Getreides entgegengewirkt
habe. Das ist in diesem Falle zutreffend. Aber die Sache kann auch einmal
umge=[S.346]=kehrt kommen. Es wird dies dann der Fall
sein, wenn die Konjunktur das entgegengesetzte Bild zeigt. Gegenwärtig
ist die deutsche Ernte verhältnismäßig reichlich, während
der Weltmarkt im Uebrigen ein Minus der Ernte ausweist. Wenn umgekehrt
die deutsche Ernte einen erheblichen Ausfall zeigt und der Weltmarkt einen
Ueberschuß, so wird der Mangel der Termingeschäfte in Deutschland
preissteigernd wirken über die Weltmarktpreise hinaus. Das allgemeine
Interesse aber erheischt, daß der Preis stets dem
natürlichen Verhältnis von Angebot und Nachfrage
auf dem Weltmarkt sich möglichst anpaßt. Dies aber wird durch
das Verbot des börsenmäßigen Terminhandels erheblich erschwert.
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