Die Mauer war die logische
Folge des Sozialismus
Gesine Lötzsch von der
Linkspartei überraschte die Öffentlichkeit
unlängst mit ihrer Geschichtsrevision, daß die
Mauer eine logische Folge des zweiten
Weltkriegs gewesen sei. Doch sie irrt. Wie
sehr die Mauer die logische Folge des
Sozialismus war, kann man sehen, wenn man
einmal in das Jahr 1891 zurückgeht.
Das 1878 erlassene Sozialistengesetz war 1890
ausgelaufen. Unter dem Gesetz durften die
Sozialdemokraten zwar noch bei den Wahlen
antreten, waren aber ansonsten in ihrer
Propaganda stark behindert. Ihre Vertreter
wurden in die innere Verbannung geschickt, ins
Zuchthaus gesteckt oder mußten sich außer
Landes begeben, Ganz entgegen den erklärten
Zielen des Gesetzes erschienen sie daher als
Märtyrer, was ihnen Ansehen in der Bevölkerung
verschaffte. Und was sich als sehr bequem für
sie herausstellte: es ließ sich jede
Diskussion über das sozialistische Programm
vermeiden mit dem Hinweis, daß
Sozialdemokraten ja nicht offen darüber
sprechen konnten. Das Programm der SPD war
dabei auf die vollständige Verstaatlichung des
Wirtschaftssystems ausgerichtet, auch wenn es
angeblich weiterhin Wahlen und bürgerliche
Freiheiten geben sollte.
Wie Eugen Richter schon 1878 im Reichstag in
seiner Ablehnung des Sozialistengesetzes
erklärte: er fürchte die Sozialdemokratie mehr
unter dem Gesetz als ohne es. Er sollte recht
behalten, denn die Sozialdemokraten kamen
gestärkt aus dieser Phase des Verfolgung
heraus, als sich 1890 keine Mehrheit mehr für
eine Verlängerung des Sozialistengesetzes
fand. Es würde sich eben nicht allein für
Gesine Lötsch lohnen, die Geschichte zu
kennen, auch der Generalsekretär der CSU, Herr
Dobrindt, könnte hier noch einiges lernen,
wenn er die bürgerliche Freiheit nicht an sich
schätzen kann.
Die
Sozialdemokraten kamen mit einem großem
Bewußtsein ihrer Stärke 1890 wieder in die
Freiheit. Was sie sich nicht klarmachten: Ihre
Stärke hatte darin gelegen, daß ihre
Positionen lange nicht mehr kritisiert worden
waren. Vollmundig prusteten sie herum, als
wenn sie nun die Weisheit gepachtet hätten.
Aber sie hatten ihre Rechnung ohne Eugen
Richter gemacht.
Sein erste Schlag waren die 1890
veröffentlichten "Irrlehren der
Sozialdemokratie". Hier nahm er sich Punkt für
Punkt das sozialdemokratische Programm vor und
zeigte dessen Unsinnigkeit und Verwerflichkeit
auf. Beispielsweise müsse wegen der ungeheuren
Aufgabe, eine Wirtschaft bis ins Detail zu
planen, eine geradezu göttliche Person an der
Spitze stehen, eine Stellenbeschreibung, auf
die sich ein Josef Stalin bestens bewerben
konnte. Da nach den Annahmen der
Sozialdemokraten die Malthussche Lehre gelte
und zu einem "ehernen Lohngesetz" führe, das
im Sozialismus ja verschärft gelten würde,
müsse man Leute nach Sibirien verfrachten und
gleich ganz das Bevölkerungswachstum
staatlicherseits regulieren. Josef Stalin und
Mao Tse Tung fanden das auch.
Und zudem könne man nicht die wirtschaftliche
Freiheit beseitigen, ohne auch die bürgerliche
Freiheit zu einer Farce zu machen. Ein Staat
der die Druckpressen der Zeitungen und Verlage
besitzt, würde keine Pressefreiheit und
Freiheit der Rede mehr haben. Und eine
Opposition könne unter solchen Umständen nicht
bestehen, womit Wahlen auf die Zustimmung zur
Regierungspolitik hinauslaufen würden. Der
einzige Irrtum, der Eugen Richter hier
unterlief, war der, daß die Sozialisten
ernsthaft an einer Erhaltung der bürgerlichen
Freiheit interessiert waren und nicht die
entsprechenden Punkte schon vor der Revolution
als Kommunisten über Bord werfen würden.
Waren
die "Irrlehren der Sozialdemokratie" bereits
eine Sensation in Deutschland, so legte Eugen
Richter 1891 noch einmal nach mit den "Sozialdemokratischen
Zukunftsbildern", die schnell eine
sechsstellige Auflage erreichten. In der Form
eines dystopischen Zukunftsromans schildert
er, was nach der Revolution geschehen wird.
Geschrieben ist das Buch aus der Perspektive
eines wackeren Sozialdemokraten, der Tagebuch
führen will: "Meine Aufzeichnungen sollen, so
gut ich es vermag, die Auferstehung des neuen
Reiches der Brüderlichkeit und der allgemeinen
Menschenliebe für meine Kinder und
Kindeskinder beschreiben."
Doch der Sozialismus entwickelt sich anders,
als der Tagebuchschreiber es erwartet hatte.
Die Arbeitsmoral verfällt, die
Wirtschaftsleistung sinkt drastisch, ein Heer
von Spitzeln wird aufgebaut und der Staat
drangsaliert die Bürger bis in die kleinsten
Einzelheiten. Im Sinne der Gleichheit wird
sogar überlegt, die Tanzpartner staatlich
zuzuteilen. Deutschland wird ein großes
Zuchthaus.
Immerhin sind noch drei Länder nicht
sozialistisch: die Schweiz, Großbritannien und
die USA. Der Sohn des Tagebuchschreibers
flieht wie viele andere, die an der
sozialistischen Realität verzweifeln. Und nun
sollte Frau Lötzsch einmal genau aufpassen:
Was macht die sozialistische Regierung an
dieser Stelle? Sie verbietet die Ausreise! Da
die Welt fast ganz sozialistisch geworden ist,
sind die Grenzen überschaubar und eine
regelrechte Mauer ist nicht nötig. Wie der
Erzähler der "Sozialdemokratischen
Zukunftsbilder", immer noch in seinen
Illusionen befangen, ausführt:
"Man kann es daher nur billigen, daß das
Auswanderungsverbot mit Strenge gehandhabt
wird. Dazu ist die scharfe Besetzung der
Grenzen, namentlich der Seeküsten und der
Landgrenzen gegen die Schweiz erforderlich.
Das stehende Heer wird dazu weiterhin um viele
Bataillone Infanterie und Eskadrons Kavallerie
vermehrt werden. Die Grenzpatrouillen sind
angewiesen, gegen Flüchtlinge von der
Schußwaffe rücksichtslos Gebrauch zu machen.
-- Möge unser schneidiger Reichskanzler uns
noch lange erhalten bleiben." (Hervorhebung
für Gesine Lötzsch.)
Aber
noch gibt es in Deutschland Menschen, die sich
mit dem sozialistischen Leben nicht anfreunden
können und protestieren. Sie skandieren "Wir
sind das Volk!" (Ja, das wurde wirklich 1891
geschrieben!). Im Reichstag faßt es der
Abgeordnete für Hagen so zusammen, durch den
Eugen Richter spricht, der selbst Jahrzehnte
lang diesen Wahlkreis vertrat:
"Während wir im alten Europa derart Dank Ihren
Bestrebungen dem Untergang entgegengehen,
erhebt sich jenseits des Meeres immer
wohlhabender und mächtiger ein Gemeinwesen,
das auf dem Privateigentum und der freien
Konkurrenz beruht und dessen Bürger sich
niemals ernsthaft von den Irrlehren der
Sozialdemokratie haben bestricken lassen.
Jeder Tag der Verzögerung in der Befreiung
unseres Vaterlandes von dieser unseligen
Verirrung der Geister führt uns dem Abgrunde
näher. Darum nieder mit dem
sozialdemokratischen Zuchthausstaat, es lebe
die Freiheit! (Stürmischer Beifall auf
der linken Seite und auf den Tribünen,
lebhaftes Zischen und Unruhe auf der rechten
Seite.)"
Die Sozialisten sitzen nämlich einmal an der
Macht auf der rechten Seite und sind die neuen
Konservativen, während die Freisinnigen
weiterhin links bleiben. Auch das sollte sich
Frau Lötzsch noch einmal anschauen: Beim
Ausmaß ihrer Verdrehungen steht sie auf einer
Seite mit extremen Rechten. Und es gibt
nur eine Erklärung, wie Eugen Richter 1891 den
Schießbefehl vorhersagen konnte. Nein, er
wußte nichts vom zweiten Weltkrieg. Er hatte
sich bloß das sozialistische Programm genau
angeschaut, und die logische Folge davon war
die Mauer.
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