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Verurtheilung der antisemitischen Bewegung durch die Wahlmänner von Berlin


Versammlung der Wahlmänner aus den vier Berliner Landtags-Wahlkreisen
im oberen Saal der Reichshallen, 12. Januar 1881



Das Schlußwort erhielt der Abg. Eugen Richter:

Meine Herren! Alles was von den sogenannten Antisemiten jetzt erstrebt wird, das Ziel all ihrer kühnsten Wünsche, ist noch vor zehn Jahren in einem kleinen Theile Deutschlands geltendes Recht gewesen: der Ausschluß der Juden von öffentlichen Aemtern, Nichtbefähigung zum Erwerb von Grundeigenthum, Ausschluß von gewissen Städten und Geschäften — Alles das galt in einem Theile Deutschlands, aber dieser Theil hieß — Mecklenburg!

(Große Heiterkeit.)

Mecklenburg war von jeher das Ideal des Junkerthums, aber Mecklenburg hatte auch die Eigenthümlichkeit, daß es die meisten Auswanderer und die meisten unehelichen Kinder auswies.

(Beifall und große Heiterkeit.)

Ich erinnere Sie an die mit zahlreichen Namen bedeckte Petition von Einwohnern Mecklenburgs aller Konfessionen, die 1867 an den Reichstag kam, um auch in diesem Staate dem sonst überall längst geltenden gleichen bürgerlichen Recht Geltung zu verschaffen. Jener Anregung verdanken wir das Gesetz, welches der Reichstag im Jahre 1869 beschloß und welches auch von Reichswegen die Gleichstellung aller Konfessionen dekretirte. Damals wagten selbst die Mecklenburger Junker nicht, gegen dieses Gesetz Front zu machen, damals galt es als selbstverständlich, daß selbst in Mecklenburg die bürgerliche Gleichberechtigung gelten sollte und wer aus irgend einem Zweifel an der Kompetenz des Reiches zur Einmischung in die Religionsgesetzgebung Einwendungen zu machen hatte, wie der Abg. Windthorst, der betonte zugleich ausdrücklich, daß es unzulässig sei, fernerhin aus religiösen Bekenntnissen Unterschiede in den Rechten der  Staatsbürger herzuleiten.

So sprach man damals. Was liegt nun zwischen 1869 und heute? Es liegt zuerst dazwischen der große nationale Krieg.  Ist in ihm der Grund zu suchen zu dem jetzigen Umschwung der Ansichten?

(Rufe: Nein!)

Gewiß: Nein! Wenn die Juden vordem, was ich bestreite, uns andern Deutschen fremd waren, so sind sie damals durch Blut und Eisen unlöslich mit uns zusammengekettet worden!

(Stürmischer Beifall.)

Standen sie nicht mit allen in einer Linie vor dem Feinde, Jeder an seinem Platze? Hat man im Kugelregen gefragt: Wer ist Jude und wer ist Christ und ist nicht Jeder nach seinen Kräften eingetreten für das Wohl des Vaterlandes?

(Lebhafter Beifall.)

Können. wir etwa aus jener Zeit Vorwürfe gegen die Juden erheben, schmückt nicht auch sie in großer Zahl das Eiserne Kreuz, das gemeinsame Zeichen des Patriotismus?

(Lebhafter Beifall.)

Unter den jüdischen Aerzten Berlins sind 32 mit dem Eisernen Kreuz geziert, eine Verhältnißzahl, die jedenfalls nicht kleiner ist, als bei den christlichen Aerzten. Und wenn es einiger Miniaturbilder bedarf, so kann ich Ihnen sagen, daß von zweien unserer jüdischen parlamentarischen Genossen der eine sich im Kugelregen des Schlachtfeldes das Eiserne Kreuz und den Rothen Adlerorden mit Schwertern erkämpft und der andere seinen Sohn als freiwilligen Husaren vor dem Feinde verloren hat.

Und was sehen wir jetzt für eine unerhörte Erscheinung? Junge Leute, welche die große Zeit noch gar nicht mit politischem Bewußtsein durchlebt haben wie wir — denn sie drückten damals die Schulbank in Quarta und Quinta

(Heiterkeit)

— junge Leute, die noch gar nicht bewiesen haben, was sie werth sind, die drängen sich vor und wagen es, diesen jüdischen Rittern des Eisernen Kreuzes und den Vätern, die für Deutschland ihre Söhne dahingegeben, entgegenzuschleudern, daß sie nicht zur deutschen Nation gehören?!!

(Lang andauernder, stürmischer Beifall. Rufe: Pfui!)

Wo Menschen so klein werden, ziemt es sich, an jene große Zeit zu erinnern. Damals wurde die deutsche Nation nichts blos als die tapferste, sondern auch sittlichste, gebildetste und geschickteste gefeiert. Heute erklärt man das Gegentheil. Weil sie wirthschaftlich nicht konkurriren könne, errichtet man hohe Zölle. Die Wechselfähigkeit will man ihr absprechen, damit sie nicht, wie kleine Kinder mit dem Messer, sich durch Ungeschick oder Leichtsinn beschädige. Als ob in Liederlichkeit die Nation verkommen, eifert man gegen die Wirthshäuser, beschränkt die Volkstheater, kürzt die Polizeistunde und bringt sogar ein Gesetz gegen die Trunksucht ein. Freilich scheint mir dies weniger gegen die Juden, als gegen die christlichen Vollgermanen gerichtet.

(Große Heiterkeit.)

1870 schlugen sich die Deutschen tapfer gegen den Feind, heute glaubt man ein tapferer Deutscher zu sein, wenn man erst die Juden hinaushaut und dann unter sich in Versammlungen allerlei Klatschgeschichten über sie erzählt, die nicht nur keines deutschen Mannes, sondern überhaupt keines erwachsenen Mannes würdig sind!

(Allseitiger Beifall.)

Heute sieht man es als eine Heldenthat an, wenn man mehr trinkt, wie die Juden, und tadelt es als gebildete Nation, daß die Juden so viel Kinder auf höhere Schulen schicken, und wenn man dann alle diese wackeren Thaten verrichtet hat — dann singt man: ,,Deutschland, Deutschland über Alles!"

(Stürmische Heiterkeit.)

Wahrlich: Unseren Freund Hoffmann von Fallersleben hat ein gütiges Geschick davor bewahrt, diesen Mißbrauch seines prachtvollen Liedes mit erleben zu müssen, denn, das gestehe ich offen: wenn das deutsch, wenn das christlich sein soll, dann möchte ich lieber überall in der Welt sein, als im christlichen Deutschland!

(Lebhafter Beifall.)

Wenn die Deutschen wirklich nicht sollten ertragen können, daß immer der 84. unter ihnen ein Jude ist und sie sich fürchten, daß gerade dieser eine die übrigen 83 überflügelt, dann heißt das doch wirklich, das Deutschthum zur Unehre des deutschen Namens herabdrücken.

(Sehr wahr!)

— Es wird dermaleinst nicht das kleinste Lorbeerblatt im Ruhmeskranze unseres Kronprinzen sein, daß er schon beim ersten Beginn dieser Bewegung, was unser verstorbener Kollege Wulffshein mit eigenen Ohren gehört hat und auch andererseits glaubwürdig bestätigt ist, — dem Vorsitzenden der jüdischen Korporation von Berlin gegenüber erklärte, daß diese Bewegung eine Schmach für die deutsche Nation sei!

(Stürmischer, langandauernder Beifall.)

Wer ein aufrichtiger Verehrer  unseres greisen Heldenkaisers ist, den muß es mit einer wahren Betrübniß erfüllen, daß gerade die Zeit seiner ruhmreichen Regierung befleckt wird durch Erscheinungen, wie die sozialdemokratischen Ausschreitungen und die noch viel häßlichere Antisemitenbewegung.

(Lebhafte Zustimmung.)

Beide Bewegungen erklären sich allerdings zu einem Theil aus den wirthschaftlichen Verhältnissen. Man sieht das Daniederliegen der Erwerbsverhältnisse nicht "in allgemeinen Gründen", sondern legt es dem Staate zur Last. Man erklärt es nicht aus der dreißigjährigen Kriegsperiode, in der sich jetzt Europa befindet und aus dem bewaffneten Frieden, der am Mark der Völker zehrt, sondern aus einzelnen Gesetzesparagraphen, und legt die Schuld zuletzt gewissen Personen zur Last.

Vor drei Jahren sollten es die Freihändler sein, welche als Mitglieder des Cobdenclubs Deutschland an England verkauft hatten. Nun ist es trotz aller neuen Zölle auch noch so. Jetzt sind die Juden schuld, welche, wenn im Mittelalter eine Seuche ausbrach, jedesmal die Brunnen vergiftet und die Kirchstühle mit ansteckenden Stoffen gesalbt haben sollten. In der Gründungszeit wetteiferten im Geldmachen Juden und Christen und unter letzteren sehr vornehme Personen. Was die Juden dabei unterschied, war höchstens, daß sie wenigstens ihren Gründungen nicht den Deckmantel des Patriotismus umzuhängen versuchten.

(Beifall.)

Ein Jude aber war es, Lasker, der zur Zeit, als der Krach noch nicht erfolgt war — nachher war es sehr bequem, auf die Gründer zu schelten — die Gründer auch hinter den Regierungsbänken angriff und bloßstellte. Mancher Geschäftsmann nährt sich jetzt kümmerlich. Geht es flott, so heißt es: leben und leben lassen. Man kann es Keinem verargen, wenn er jetzt schief auf seinen Konkurrenten blickt. Aber solche Verwirrung und Befangenheit, durch die Zeitverhältnisse erzeugt, macht man nicht zur Grundlage der Gesetzgebung und stempelt sie nicht zum Ausdruck des christlich-germanischen Bewußtseins. Den deutschen Handwerkern, Arbeitern und Geschäftleuten gereicht es zur Ehre, daß diese Bewegung, angeblich in ihrem Interesse geführt, doch nicht aus ihren Kreisen entstanden ist

(Lebhafter Beifall),

so wenig wie die Kornzollagitation aus den Kreisen der Landwirthe hervorging. Sie ist ausgegangen von jungen Leuten, die überhaupt noch nichts verdienen, sondern aus den Taschen ihrer Eltern leben, sodann von Leuten, die in amtlicher Vertrauensstellung aus öffentlichen Kassen ihre Gehälter beziehen und oft keine Vorstellung haben können, wie einem um sein tägliches Brod und Aufbringung der nöthigen Steuern kämpfenden Gewerbetreibenden manchmal zu Muthe ist!

(Stürmischer, allseitiger Beifall.)

Solche Leute, die sich „gebildet“ nennen, sind es, welche die Judenhetze inszenirt haben; freilich zeigt sich auch hier wieder, daß die größere geistige Bildung, wenn sie nicht gepaart ist mit der Bildung des Herzens und wahrer Religiosität — nicht jener Religiosität, die zwar Gott auf den Lippen, aber den Teufel im Herzen hat — oft zu nichts weiter führt, als zur Rohheit in raffinirterer Form!

(Beifall.)

Ich bin gewiß stets ein energischer Gegner der Sozialdemokratie gewesen, aber das muß ich doch sagen: der letzte Sozialist ist für mich ein edler Charakter im Vergleich zu den Führern dieser neuesten Bewegung

(Beifall),

und ich kann es mir wohl denken, daß die Führer der Sozialdemokratie mit Verachtung auf diese Bewegung blicken. Die Sozialdemokratie predigte ja Haß und Neid, entfesselte die Leidenschaften, aber doch nur gegen gewisse wirthschaftliche und äußere Verhältnisse; aber diese Bewegung verlangt ein Ausnahmerecht gegen den Menschen als solchen, gegen seine Abstammung, ja gegen seine Körperbeschaffenheit.

Nicht Ausnahmegesetze wollten sie, sondern Gleichheit in ihrem Sinne. Wo soll die Bewegung hinführen? Als s. Z. in Altona die Parole ausgegeben wurde: „Wir kaufen nur bei einem Sozialdemokraten“, da trat Bebel im Reichstage auf und desavouirte ein solches Hineintragen politischer Gegensätze in den geschäftlichen und gesellschaftlichen Verkehr.

Diese Antisemiten aber fordern in Berlin auf, bei Juden nicht mehr zu kaufen. Wenn die Leutchen noch Logik hätten und auch proklamiren wollten: Verkauft an keinen Juden! Laßt nicht die Produkte Eures christlich-germanischen Fleißes an Juden ab!“

(Große Heiterkeit und Beifall.)

Oder wollen sie trotz ihres christlichen Germanenthums in diesem Falle den Profit mitnehmen?

(Heiterkeit),

sie dürften doch, auch in ihrem Sinne die Produkte christlich-germanischer Arbeiten den Juden nicht abtreten. — Ja, ich sage, wenn ich als Gymnasiallehrer in meinem Gewissen mich gedrungen fühlte, gegen die Gleichberechtichtigung der Juden aufzutreten, so würde mir dasselbe Gewissen es zur Ehrenpflicht machen, eine Stellung vorher niederzulegen, die ich an einer Schule einnehme, welche auf der Gleichberechtigung der Konfessionen beruht; ich würde kein Gehalt nehmen aus jüdischem Schulgelde, wenn ich mich gegen die Erziehung auf Grundlage der Gleichberechtigung auflehne.

(Lebhafte Zustimmung.)

Mehr als der Disciplinarrichter sollte jeder sein eigenes Gewissen in dieser Beziehung sich zum Richter machen. Freilich, in dieser Bewegung gilt, was einmal Moltke von den Socialisten sagte: Die Besseren werden von den Schlechteren übertroffen und weitergeführt. Treitschke ist von seinen Studenten überholt, Stöcker von Henrici

(lebhafte Zustimmung)

und Henrici wird wieder von einem Anderen überholt.

(Zwischenruf: von Ruppel)

Den kann ich nicht für schlechter als Henrici ansehen.

(Große Heiterkeit.)

Stöcker rüstet jetzt ab; er sei der Mildeste in der Bewegung gewesen, so sagte er dieser Tage in Kassel. Ein Kind, kein Engel ist so rein — sagte schon Zelle.

(Heiterkeit.)

Wenn Stöcker in der Judenhetze abrüstet, was bleibt dann aber an dem Manne überhaupt noch Merkwürdiges übrig? Keine Ausnahmegesetze, so sagt er jetzt, will er mehr, nur im Verwaltungswege Beschränkung in der Beförderung zum Richter, in der Annahme von Lehrern und dergleichen.

Also das Gesetz und die beschworene Verfassung soll zwar aufrecht erhalten werden, aber hinterrücks umgangen werden auf dem Verwaltungswege und ebenso die staatsbürgerliche Gleichberechtigung. Man befördert die Juden nicht, wagt es aber nicht zu sagen, daß es deshalb geschehe, weil es Juden sind. Das ist gerade jenes kleinliche elende System, das schon in den fünfziger Jahren in Preußen gegolten, mit dem Antritt der Regierung des jetzigen Kaisers aber beseitigt worden ist.

(Zustimmung.)

Wird dadurch denn etwas gebessert? Man sagt, die Juden sollten nicht blos Handel treiben. Nun sie sich um öffentliche Ehrenämter bewerben, die kein Geld einbringen, ist es wiederum nicht recht und sie sollen ausgeschlossen werden. In jedem Falle wird der Jude verbrannt.

(Große Heiterkeit.)

Als die Socialistenbewegung im Schwunge war, hieß es, die Geschäfte in Berlin würden sich bessern, wenn erst durch den kleinen Belagerungszustand der Agitation ein Ende gemacht sei. Nun haben wir den kleinen Belagerungszustand gegen die Socialisten. Ist aber die jetzige Bewegung ein Mittel die Geschäfte zu bessern?

(Nein.)

Ist etwa das diesmalige Weihnachtsgeschäft günstiger gewesen?

(Verneinende Zurufe.)

Mir haben Geschäftsleute bekundet, daß gerade diese Agitationen in gewisser Richtung die Geschäfte noch mehr verschlechtern.

(Zustimmung.)

Nun, dann ist es gerade die Pflicht der Geschäftsleute, der Handwerker, der Arbeiter in Berlin, diesem Unfug ein Ende zu machen, ein Unfug, den diejenigen führen, die überhaupt noch nichts verdienen und keine Steuern zahlen, den diejenigen leiten, die, weil sie aus öffentlichen Kassen ihr Gehalt beziehen, oft kein Verständniß haben, wie schwer es dem Geschäftsmann wird, sich in dieser Zeit durchzuschlagen.

(Lebhafte Zustimmung.)

Innerlich hat die Bewegung kein Ziel, sie muß also aus äußeren Gründen veranlaßt sein. Eine Versammlung hat gestern die Bewegung als Wahlmanöver bezeichnet. Ich möchte die Vorgänge der letzten Wochen eher als Quartalmanöver bezeichnen. Für Wahlmanöver verschießt man das Pulver zu früh. Es handelt sich darum, dunklen Blättern und einem von Junkern unterhaltenen Blatte beim Quartalwechsel neue Abonnenten zu verschaffen.

Andere bewußte Leiter freilich mögen auch Wahlmanöver in Aussicht haben. Auch diese Judenhetze ist eine Form des Kampfes der Reaktion gegen den Liberalismus. Die Städte sind der Hort des Liberalismus. Gelingt es, das Bürgerthum in den Städten zu spalten, so ist der Liberalismus gebrochen. Fast scheint es, als ob diese antisemitische Bewegung im Rücken des Liberalismus die sozialistische ablösen sollte. Mit den Anfängen des Sozialismus in Berlin hat auch diese Bewegung überall Aehnlichkeit.

(Lebhafte Zustimmung.)

Auch Lassalle fand mancher im Anfang recht interessant, wie man heute das Vorgehen der Antisemiten gegen die Liberalen und die Fortschrittspartei interessant findet. Was des Pudels Kern ist, werden wir bald gewahr werden. In dieser politisch gemischten Versammlung will ich nicht näher ausführen, was ich darüber denke. Alle Parteien mögen sich bekämpfen, aber, wenn sie wirklich als staatserhaltend gelten wollen, sich stets bewußt bleiben, daß sie einem Vaterlande dienen, Bürger desselben Staates sind, und nur wetteifern sollen, wie derselbe am besten zu gestalten ist. Wer statt einen edlen Wetteifer wilde Leidenschaften entflammt, dem Gegner die nationale Zugehörigkeit abspricht, überschreitet die zulässige Grenze des Parteikampfes, er ist gerichtet, wenn nicht vor dem Gesetz, doch vor der öffentlichen Moral!

(Lebhafte Zustimmung.)

Weil wir glaubten, daß auch andere Parteien mit uns dieselben Grenzen anerkennen, haben wir diese Versammlung der Wahlmänner aus allen Parteien berufen. Man nennt die Fortschrittspartei die Judengenossen. Wir sind als Partei weder Freunde noch Gegner der Juden als solche, aber wir sind Vertheidiger aller Derjenigen, die im gleichen Recht gekränkt werden sollen, und wenn wir uns von der Beschuldigung, Genossen der Socialisten zu sein, nicht haben abhalten lassen, die Ausnahmestellung der Socialisten zu bekämpfen, so wird uns die Bezeichnung als Judengenossen nicht abhalten, für die Gleichberechtigung, der Juden einzutreten.

(Beifall.)

Wetterfest sowohl nach unten wie nach oben stehen wir auf demselben Grunde, der bis vor kurzem noch allen Parteien widerspruchslos gemeinsam war, noch heute. Noch auf dem europäischen Kongreß in Berlin im Sommer 1878 war es der Kanzler Fürst Bismarck, der mit den anderen leitenden Staatsmännern dafür eintrat, daß die Aufnahme von halbcivilisirten Staaten wie Rumänien und Serbien in den europäischen Staaten-Verband abhängig gemacht werde von der Anerkennung des Princips der Gleichberechtigung der Konfessionen in jenen Staaten auch den Juden gegenüber.

Diese Bewegung hängt sich gleichwohl an die Rockschöße des Fürsten Bismarck, und wenn er sie gleich ablehnt und in seiner Presse die Ueberschreitungen mitunter tadeln läßt, so fährt sie doch fort, sich an ihn anzuschmiegen und sich auf ihn zu berufen, gleichsam wie lärmende Kinder ihren Vater umdrängen.

Gleichwohl glaube ich nicht besser schließen zu können, als indem ich an die Worte erinnere, welche Fürst Bismarck am 9. Februar 1876 im Reichstage sprach, als eine ähnliche Bewegung, zum Theil von denselben Personen und derselben Presse getragen, wie diese antisemitische Bewegung, — ich erinnere nur an die Artikel über die sogenannte Aera Bleichröder — ihn persönlich verleumdete und angriff.

Er sagte: „Wir Alle können gegen Verleumdungen viel thun, so weit wir Sinn haben für Ehre und Anstand, für christliche Gesinnung und Sitte. Wir Alle, welche die christliche Gesinnung nicht blos als Aushängeschild für politische Zwecke gebrauchen, wenn wir Alle zusammenhalten in einer Liga gegen die Schlechtigkeiten und sie verfolgen jeder vor seiner Thür und sie einmüthig in den Bann halten, so werden wir mehr erreichen, als mit dem Strafrichter.“

(Lebhafter Beifall.)

In diesem Sinne lassen Sie auch uns in einer Liga ohne Unterschied der Parteien ankämpfen gegen die Schlechtigkeit dieser Bewegung und lassen Sie uns in dieser Resolution anknüpfend an den Neujahrsgruß der Stadtverordneten an den Kaiser und dessen Erwiderung uns einig fühlen in der Ueberzeugung, daß nur in dem friedlichen und einträchtigen Zusammenwirken aller Kräfte des nationalen Lebens, vor dem kein Unterschied des Bekenntnisses Berechtigung hat, die Wohlfahrt des Deutschen Reiches und seiner einzelnen Bürger gedeihen kann.

(Lebhafter, anhaltender Beifall.)




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