Politisches ABC=Buch
9. Auflage, 1898
Bauhandwerkerfragen,
Bauschwindel. [S.38] (Siehe
über die Agitation für
Einführung eines
obligatorischen Befähigungsnachweises bei
den Bauhandwerkern unter „Befähigungsnachweis“
am Schluß.) Mehrfach wird in
Großstädten und in sonstigen Orten
mit rascher
Bevölkerungszunahme geklagt über
Verluste, welche die Bauhandwerker bei
Neubauten
erleiden durch schwindelhafte Bauunternehmer.
Als Bauunternehmer werden
mitunter gänzlich mittellose Personen
vorgeschoben, welche mit den
Bauhandwerkern Lieferungs- und
Arbeitskontrakte abschließen. Wenn es
dann zur
Bezahlung kommt, so verschwinden diese
Bauunternehmer, die Grundstücke
derselben werden subhastiert, und infolge der
Ueberlastung derselben mit
Hypotheken seitens der Vorbesitzer und der
Geldgeber zu den Bauten gehen die
Bauhandwerker
leer aus. — Diese Vorkommnisse haben zu
verschiedenen Vorschlägen für
Aenderungen der Gesetzgebung Anlaß
gegeben. Auch die Freisinnige Volkspartei [S.39] hatte in
der Session 1894/95 einen Antrag
eingebracht, Erwägungen anzustellen
über Maßnahmen der Gesetzgebung
betreffs
der Verluste der Bauhandwerker.
Im preußischen
Abgeordnetenhause wurde 1896 ein Antrag
Wallbrecht angenommen, welcher die
Sicherung der Bauhandwerker für ihre
Forderungen in Verbindung bringen wollte
mit der Erteilung des Baupolizeikonsenses
derart, daß der polizeiliche Konsens
nur erteilt werden sollte nach
Prüfung der
Zahlungsfähigkeit und der
Zuverlässigkeit des Bauherrn. Es
sollte also die
Erfüllung von privatrechtlichen
Verbindlichkeiten unter die Vormundschaft
einer
Behörde gestellt werden, und es
würden im Falle einer Stellung
besonderer
Sicherheiten diese Behörden auch die
Abwickelung der ganzen Rechnungen
übernehmen müssen, bevor die
Bestellung der Sicherheiten wieder
aufgehoben
werden kann. Die Forderung der Bestellung
solcher Sicherheiten würde unter
Umständen die Festlegung von
Kapitalien erfordern weit über die
Erfordernisse
des Baues hinaus, und dadurch würde
die Herstellung von Bauten zum Nachteil
der
Bauhandwerker und Mieter in Orten mit
rasch wachsender Bevölkerung
außerordentlich erschwert und
eingeschränkt werden. Die
Behörde übernimmt dabei
eine Verantwortlichkeit, welche unter
Umständen zum Schaden gerade der
Bauhandwerker und Lieferanten ausfallen
kann. Denn auch eine solche Behörde
ist
nicht unfehlbar in der Beurteilung der
Zahlungsfähigkeit oder
Zuverlässigkeit
des Bauherrn. Auch kann sich ja
während des Fortgangs des Baues
hierin manches
ändern. Die Handwerker und
Lieferanten aber würden im Vertrauen
auf die Behörd
e erst recht der eigenen Prüfung sich
enthalten. Die preußische Regierung
hat
sich denn auch überzeugt, daß
dieser Antrag nicht ausführbar ist.
Im Reichstag stand am
22. Januar 1896 ein Antrag Bassermann
zur Verhandlung, in welchem die Regierung
aufgefordert wurde, in Erwägung zu
nehmen, ein gesetzliches Pfandrecht
einzuführen, welches den Mehrwert
eines
Grundstücks zur Sicherung der
Forderungen von Bauhandwerkern und
Bauarbeiten
für ihre aus Arbeiten und Lieferungen
an Neu- und Umbauten erwachsenden
Forderungen einräumt. Dieses
Pfandrecht solle allen hypothekarischen
Ansprüchen
vorgehen, soweit solche den Wert der
Liegenschaft zur Zeit des Baubeginns
überschreiten. Damals erklärte
Staatssekretär Nieberding diesen
Vorschlag für
einen nicht glücklichen. Er
gewähre den Bauhandwerkern Steine
statt Brot. Der
vorgeschlagene Weg sei nicht gangbar. Der
Reichstag begnügte sich infolge
dessen auch, von dem Antrag Bassermann nur
einen, dem obigen speziellen Vorschlag
vorausgehenden allgemeinen Satz
anzunehmen, der die Regierung ersuchte,
einen
Gesetzentwurf vorzulegen zur Sicherung der
Forderungen für Bauhandwerker und
Bauarbeiter für ihre aus Arbeiten und
Lieferungen an Neu- und Umbauten
erwachsenen Forderungen. Der auf
Einräumung einer Vorhypothek gehende
Satz war
in der Resolution zurückgezogen
worden.
Als dann aber am 27.
März 1897 dieselbe Frage im
Reichstage
beim Justizetat wieder zur Sprache kam,
erklärte umgekehrt Herr Nieberding,
das
preußische Justizministerium habe
auf Grund kommissarischer Beratungen von
Vertretern der preußischen Regierung
und der Reichsressorts einen Gesetzentwurf
ausgearbeitet, welcher eine gesetzliche
Hypothek für Bauhand-[S.40]-werker
in dem
vorgedachten Sinne für Neubauten
(nicht auch für Umbauten und
Reparaturen)
einführen soll. Am 10. Mai 1897
bestätigte dann derJustiz- minister
Schönstedt
im preußischen Abgeordnetenhause,
daß ein solcher Gesetzentwurf mit
Denkschrift
dem Staatsministerium vorgelegt sei. Die
Neuerung soll nicht allgemein im
Reiche eingeführt werden. Man will
nur die Landesregierung ermächtigen,
solche
Bestimmungen für einzelne Gegenden
oder Orte zu treffen, bei welchen sie ein
besonders praktisches Bedürfnis
dafür anerkennt.
Aber auch in dieser
Begrenzung sind schon die praktischen
Schwierigkeiten für die
Ausführung nicht gering. Dieselben
setzen voraus: eine
Anmeldung und Würdigung der
Forderungen und zweitens eine Feststellung
des
realen Baustellenwerts vor Beginn des
Baues. Die letztere soll nach
gleichmäßigen Grundsätzen
erfolgen. Auch soll die hypothekarische
Sicherheit
nur solchen Handwerkern gewährt
werden, die unmittelbar mit dem
Eigentümer
Verträge geschlossen haben, nicht
bloß mit solchen, die in einem
Vertragsverhältnis
nur mit Mittelspersonen stehen.
Schon im
Abgeordnetenhause wurde seitens des Abg.
Eckels bei
der Diskussion über diese Fragen
hervorgehoben, daß der Wert der
Baugrundstücke
bei veränderten Konjunkturen infolge
von Eisenbahn- und Wegeanlagen vielfach
Veränderungen unterliege, so
daß die Taxationen sehr häufig
zu wiederholen sein
würden. Im Reichstag hob bei
derselben Diskussion Abg. Frhr. von Stumm
hervor,
daß, wenn der Kapitalist für
einen Bau das Geld nicht hergebe, der Bau
auch
nicht ausgeführt werden könne.
Nach Einführung einer solchen
gesetzlichen
Hypothek für die Bauhandwerker aber
würde der Darleiher sich bei jeder
Ratenzahlung vorher genau überzeugen
müssen, ob die bisher stattgehabten
Ratenzahlungen auch wirklich zur
Auszahlung an die Handwerker gelangt sind.
Da
werde nichts übrig bleiben, als
daß diese Zahlungen gemeinschaftlich
geschehen.
Der Gläubiger werde mit dabei stehen
und darnach bemessen, in welcher Weise er
die weiteren Raten auszahlen kann.
Das Hauptbedenken gegen
den Gesetzesvorschlag ist, daß
dadurch der oberste Grundsatz des modernen
Hypothekenrechts, die Publ izität
und der gute Glaube des Grundbuchs,
durchbrochen wird. Bisher konnte sich
jedermann aus dem Grundbuch über die
Verhältnisse des Grundstücks und
das Maß
der durch dasselbe gewährten
Sicherheit unterrichten. Führt man
daher, so
äußerte der Vertreter des
Justizministeriums noch in der Session des
Abgeordnetenhauses
1894/95, in einem so wesentlichen Punkte
die privilegirte Hypothek wieder ein,
so raubt man der hypothekarischen
Sicherheit ihren Halt, man schädigt
dadurch
den legitimen Geldverkehr erheblich, ohne
gegen die zu Tage getretenen
Mißstände eine wirklich
wirksame Abhilfe zu schaffen. Die
Kapitalisten müssen
in der Hergabe von Geld auf Hypotheken
sehr vorsichtig werden und auch der
Stand der Gläubiger würde unter
der Schmälerung des Realkredits zu
leiden
haben. Mündelgelder und
Stiftungsgelder werden dann kaum noch auf
Hypothek
ausgeliehen werden können. Auch die
Bauthätigkeit selbst kann infolge der
Schwierigkeit, auf Baugrundstücke
Geld zu erlangen, eine erhebliche
Einschränkung erleiden. Dies kann an
Orten mit stark an-[S.41]-wachsender
Bevölkerung
eine unerträgliche Steigerung der
Mieten und eine Verschlechterung der
Wohnungsverhältnisse zur Folge haben.
Das neue
Bürgerliche Gesetzbuch kommt schon
insofern den
Bauhandwerkern entgegen, als es nach dem
Muster des Preußischen Landrechts
ihnen den Anspruch gewährt, wegen der
fälligen Forderungen für
geleistete
Arbeit und Auslagen die Bestellung einer
Sicherheitshypothek an dem
Baugrundstück zu verlangen. Zur
Erwirkung der Vermerkung einer solchen
Eintragung soll es nur des
Glaubhaftmachens des Rechts auf Eintragung
einer
solchen Hypothek vor dem Grundbuchrichter
bedürfen; aber freilich soll solche
Vermerkung in keiner Weise den bis dahin
bereits eingetragenen Hypotheken
präjudiziren.
Inbezug auf
Spekulationsbauten sind, wie bei der
Erörterung
der einschlagenden Fragen mehrfach
berichtet wurde, die Bauhandwerker selbst
nicht von aller Schuld freizusprechen. Es
macht sich mitunter ein förmliches
Drängen geltend nach Uebertragung der
hier meistens umfangreichen und einen
erheblichen Gewinn versprechenden
Arbeiten. Ein Konkurrent will dem andern
die
Arbeit nicht gönnen, und so kommt es,
daß die Bauhandwerker vielfach ohne
die
gehörige Vorsicht und ohne eine durch
die Sachlage gebotene Sicherstellung in
die Arbeitskontrakte eintreten. Ein
großer Teil der auf diese Art
entstehenden
Verluste kann bei größerer
Aufmerksamkeit und bei einer solideren
Konkurrenz
ganz gewiß vermieden werden.
Allerdings ist anzuerkennen, daß
auch bei einer
gesunden Konkurrenz und bei einer durchaus
vorsichtigen Handhabung des
Geschäfts in nicht wenigen
Fällen Verluste bei den Bauhandwerken
vorkommen.
Allein insoweit teilen dieselben nur das
Schicksal der übrigen
Gewerbetreibenden. Auch ist nicht
außer Betracht zu lassen, daß
sie einen Teil
ihrer Verluste wieder einbringen, indem
sie ihre Preise unter
Berücksichtigung
beträchtlicher Verlustprämien
bemessen.
Den Bauhandwerkern ist
empfohlen worden, sich in
Vereinigungen zusammenzuschließen
zum Austausch von Nachrichten über
die
Kreditwürdigkeit der einzelnen
Bauunternehmer. Auch ist angeregt worden,
die
Einsichtnahme in die Grundbücher zu
erleichtern, die Bauunternehmer zu
verpflichten, sich handelsgerichtlich
eintragen zu lassen, kaufmännische
Bücher
zu führen und sich damit auch den
einschlagenden Strafgesetzparagraphen
über
Bankerotte zu unterwerfen.
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