Eugen Richter
1838-1906









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Politisches ABC=Buch
9. Auflage, 1898

 
 

Bauhandwerkerfragen, Bauschwindel. [S.38] (Siehe über die Agitation für Einführung eines obligatorischen Befähigungsnachweises bei den Bauhandwerkern unter „Befähigungsnachweis“ am Schluß.) Mehrfach wird in Großstädten und in sonstigen Orten mit rascher Bevölkerungszunahme geklagt über Verluste, welche die Bauhandwerker bei Neubauten erleiden durch schwindelhafte Bauunternehmer. Als Bauunternehmer werden mitunter gänzlich mittellose Personen vorgeschoben, welche mit den Bauhandwerkern Lieferungs- und Arbeitskontrakte abschließen. Wenn es dann zur Bezahlung kommt, so verschwinden diese Bauunternehmer, die Grundstücke derselben werden subhastiert, und infolge der Ueberlastung derselben mit Hypotheken seitens der Vorbesitzer und der Geldgeber zu den Bauten gehen die Bauhandwerker leer aus. — Diese Vorkommnisse haben zu verschiedenen Vorschlägen für Aenderungen der Gesetzgebung Anlaß gegeben. Auch die Freisinnige Volkspartei [S.39] hatte in der Session 1894/95 einen Antrag eingebracht, Erwägungen anzustellen über Maßnahmen der Gesetzgebung betreffs der Verluste der Bauhandwerker.

Im preußischen Abgeordnetenhause wurde 1896 ein Antrag Wallbrecht angenommen, welcher die Sicherung der Bauhandwerker für ihre Forderungen in Verbindung bringen wollte mit der Erteilung des Baupolizeikonsenses derart, daß der polizeiliche Konsens nur erteilt werden sollte nach Prüfung der Zahlungsfähigkeit und der Zuverlässigkeit des Bauherrn. Es sollte also die Erfüllung von privatrechtlichen Verbindlichkeiten unter die Vormundschaft einer Behörde gestellt werden, und es würden im Falle einer Stellung besonderer Sicherheiten diese Behörden auch die Abwickelung der ganzen Rechnungen übernehmen müssen, bevor die Bestellung der Sicherheiten wieder aufgehoben werden kann. Die Forderung der Bestellung solcher Sicherheiten würde unter Umständen die Festlegung von Kapitalien erfordern weit über die Erfordernisse des Baues hinaus, und dadurch würde die Herstellung von Bauten zum Nachteil der Bauhandwerker und Mieter in Orten mit rasch wachsender Bevölkerung außerordentlich erschwert und eingeschränkt werden. Die Behörde übernimmt dabei eine Verantwortlichkeit, welche unter Umständen zum Schaden gerade der Bauhandwerker und Lieferanten ausfallen kann. Denn auch eine solche Behörde ist nicht unfehlbar in der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit des Bauherrn. Auch kann sich ja während des Fortgangs des Baues hierin manches ändern. Die Handwerker und Lieferanten aber würden im Vertrauen auf die Behörd e erst recht der eigenen Prüfung sich enthalten. Die preußische Regierung hat sich denn auch überzeugt, daß dieser Antrag nicht ausführbar ist.

Im Reichstag stand am 22. Januar 1896 ein Antrag Bassermann zur Verhandlung, in welchem die Regierung aufgefordert wurde, in Erwägung zu nehmen, ein gesetzliches Pfandrecht einzuführen, welches den Mehrwert eines Grundstücks zur Sicherung der Forderungen von Bauhandwerkern und Bauarbeiten für ihre aus Arbeiten und Lieferungen an Neu- und Umbauten erwachsenden Forderungen einräumt. Dieses Pfandrecht solle allen hypothekarischen Ansprüchen vorgehen, soweit solche den Wert der Liegenschaft zur Zeit des Baubeginns überschreiten. Damals erklärte Staatssekretär Nieberding diesen Vorschlag für einen nicht glücklichen. Er gewähre den Bauhandwerkern Steine statt Brot. Der vorgeschlagene Weg sei nicht gangbar. Der Reichstag begnügte sich infolge dessen auch, von dem Antrag Bassermann nur einen, dem obigen speziellen Vorschlag vorausgehenden allgemeinen Satz anzunehmen, der die Regierung ersuchte, einen Gesetzentwurf vorzulegen zur Sicherung der Forderungen für Bauhandwerker und Bauarbeiter für ihre aus Arbeiten und Lieferungen an Neu- und Umbauten erwachsenen Forderungen. Der auf Einräumung einer Vorhypothek gehende Satz war in der Resolution zurückgezogen worden.

Als dann aber am 27. März 1897 dieselbe Frage im Reichstage beim Justizetat wieder zur Sprache kam, erklärte umgekehrt Herr Nieberding, das preußische Justizministerium habe auf Grund kommissarischer Beratungen von Vertretern der preußischen Regierung und der Reichsressorts einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, welcher eine gesetzliche Hypothek für Bauhand-[S.40]-werker in dem vorgedachten Sinne für Neubauten (nicht auch für Umbauten und Reparaturen) einführen soll. Am 10. Mai 1897 bestätigte dann derJustiz- minister Schönstedt im preußischen Abgeordnetenhause, daß ein solcher Gesetzentwurf mit Denkschrift dem Staatsministerium vorgelegt sei. Die Neuerung soll nicht allgemein im Reiche eingeführt werden. Man will nur die Landesregierung ermächtigen, solche Bestimmungen für einzelne Gegenden oder Orte zu treffen, bei welchen sie ein besonders praktisches Bedürfnis dafür anerkennt.

Aber auch in dieser Begrenzung sind schon die praktischen Schwierigkeiten für die Ausführung nicht gering. Dieselben setzen voraus: eine Anmeldung und Würdigung der Forderungen und zweitens eine Feststellung des realen Baustellenwerts vor Beginn des Baues. Die letztere soll nach gleichmäßigen Grundsätzen erfolgen. Auch soll die hypothekarische Sicherheit nur solchen Handwerkern gewährt werden, die unmittelbar mit dem Eigentümer Verträge geschlossen haben, nicht bloß mit solchen, die in einem Vertragsverhältnis nur mit Mittelspersonen stehen.

Schon im Abgeordnetenhause wurde seitens des Abg. Eckels bei der Diskussion über diese Fragen hervorgehoben, daß der Wert der Baugrundstücke bei veränderten Konjunkturen infolge von Eisenbahn- und Wegeanlagen vielfach Veränderungen unterliege, so daß die Taxationen sehr häufig zu wiederholen sein würden. Im Reichstag hob bei derselben Diskussion Abg. Frhr. von Stumm hervor, daß, wenn der Kapitalist für einen Bau das Geld nicht hergebe, der Bau auch nicht ausgeführt werden könne. Nach Einführung einer solchen gesetzlichen Hypothek für die Bauhandwerker aber würde der Darleiher sich bei jeder Ratenzahlung vorher genau überzeugen müssen, ob die bisher stattgehabten Ratenzahlungen auch wirklich zur Auszahlung an die Handwerker gelangt sind. Da werde nichts übrig bleiben, als daß diese Zahlungen gemeinschaftlich geschehen. Der Gläubiger werde mit dabei stehen und darnach bemessen, in welcher Weise er die weiteren Raten auszahlen kann.

Das Hauptbedenken gegen den Gesetzesvorschlag ist, daß dadurch der oberste Grundsatz des modernen Hypothekenrechts, die Publ izität und der gute Glaube des Grundbuchs, durchbrochen wird. Bisher konnte sich jedermann aus dem Grundbuch über die Verhältnisse des Grundstücks und das Maß der durch dasselbe gewährten Sicherheit unterrichten. Führt man daher, so äußerte der Vertreter des Justizministeriums noch in der Session des Abgeordnetenhauses 1894/95, in einem so wesentlichen Punkte die privilegirte Hypothek wieder ein, so raubt man der hypothekarischen Sicherheit ihren Halt, man schädigt dadurch den legitimen Geldverkehr erheblich, ohne gegen die zu Tage getretenen Mißstände eine wirklich wirksame Abhilfe zu schaffen. Die Kapitalisten müssen in der Hergabe von Geld auf Hypotheken sehr vorsichtig werden und auch der Stand der Gläubiger würde unter der Schmälerung des Realkredits zu leiden haben. Mündelgelder und Stiftungsgelder werden dann kaum noch auf Hypothek ausgeliehen werden können. Auch die Bauthätigkeit selbst kann infolge der Schwierigkeit, auf Baugrundstücke Geld zu erlangen, eine erhebliche Einschränkung erleiden. Dies kann an Orten mit stark an-[S.41]-wachsender Bevölkerung eine unerträgliche Steigerung der Mieten und eine Verschlechterung der Wohnungsverhältnisse zur Folge haben.

Das neue Bürgerliche Gesetzbuch kommt schon insofern den Bauhandwerkern entgegen, als es nach dem Muster des Preußischen Landrechts ihnen den Anspruch gewährt, wegen der fälligen Forderungen für geleistete Arbeit und Auslagen die Bestellung einer Sicherheitshypothek an dem Baugrundstück zu verlangen. Zur Erwirkung der Vermerkung einer solchen Eintragung soll es nur des Glaubhaftmachens des Rechts auf Eintragung einer solchen Hypothek vor dem Grundbuchrichter bedürfen; aber freilich soll solche Vermerkung in keiner Weise den bis dahin bereits eingetragenen Hypotheken präjudiziren.

Inbezug auf Spekulationsbauten sind, wie bei der Erörterung der einschlagenden Fragen mehrfach berichtet wurde, die Bauhandwerker selbst nicht von aller Schuld freizusprechen. Es macht sich mitunter ein förmliches Drängen geltend nach Uebertragung der hier meistens umfangreichen und einen erheblichen Gewinn versprechenden Arbeiten. Ein Konkurrent will dem andern die Arbeit nicht gönnen, und so kommt es, daß die Bauhandwerker vielfach ohne die gehörige Vorsicht und ohne eine durch die Sachlage gebotene Sicherstellung in die Arbeitskontrakte eintreten. Ein großer Teil der auf diese Art entstehenden Verluste kann bei größerer Aufmerksamkeit und bei einer solideren Konkurrenz ganz gewiß vermieden werden. Allerdings ist anzuerkennen, daß auch bei einer gesunden Konkurrenz und bei einer durchaus vorsichtigen Handhabung des Geschäfts in nicht wenigen Fällen Verluste bei den Bauhandwerken vorkommen. Allein insoweit teilen dieselben nur das Schicksal der übrigen Gewerbetreibenden. Auch ist nicht außer Betracht zu lassen, daß sie einen Teil ihrer Verluste wieder einbringen, indem sie ihre Preise unter Berücksichtigung beträchtlicher Verlustprämien bemessen.

Den Bauhandwerkern ist empfohlen worden, sich in Vereinigungen zusammenzuschließen zum Austausch von Nachrichten über die Kreditwürdigkeit der einzelnen Bauunternehmer. Auch ist angeregt worden, die Einsichtnahme in die Grundbücher zu erleichtern, die Bauunternehmer zu verpflichten, sich handelsgerichtlich eintragen zu lassen, kaufmännische Bücher zu führen und sich damit auch den einschlagenden Strafgesetzparagraphen über Bankerotte zu unterwerfen.